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Produktdetails
  • Verlag: Horlemann
  • Seitenzahl: 254
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 342g
  • ISBN-13: 9783895020865
  • Artikelnr.: 25260473
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1998

Prager Frühling auf indonesisch vor dem Ende?
Eine dichte Analyse und eine lebendige Reportage

Geoff Forrester, R. J. May: The Fall of Soeharto. C. Hurst & Co, Publishers, Bathurst (Australien) und London 1998. 261 Seiten. 29,95 australische Dollar.

Rüdiger Siebert: Indonesien. Inselreich in Turbulenzen. Horlemann Verlag, Bad Honnef 1998. 253 Seiten. 29,80 Mark.

Schon ist die Euphorie verflogen. Im März, als sie mit ihren Demonstrationen gegen Suharto begannen, und im Mai, als der Diktator schließlich abdanken mußte, konnten sich die indonesischen Studenten der Sympathien vieler Generäle sicher sein. Am 13. November aber, dem "schwarzen Freitag", wurden beinahe zwanzig ihrer Kommilitonen vor der katholischen Atma-Jaya-Universität in Jakarta erschossen, ein ungeheuerliches Blutbad, angerichtet mit Gewehren der Polizei und der Armee. Deren Oberbefehlshaber Wiranto bestreitet Vorwissen und Mitschuld, aber die jungen Leute trauen ihm nicht mehr. Sie befürchten, daß die Kräfte des Status quo, die Streitkräfte und die alten Familien aus der Suharto-Zeit, sich konsolidiert haben und versuchen könnten, die Demokratisierung des größten Archipels der Welt nach dreißig Jahren der Diktatur aufzuhalten. Wütend fordern die Studenten deshalb "die ganze Revolution jetzt", von "reformasi" wollen sie nichts mehr wissen. Damit sind beinahe tägliche Demonstrationen in Jakarta und anderswo im Reich der mehr als zehntausend Inseln programmiert.

Indonesien bleibt mindestens bis zu den Parlamentswahlen Mitte nächsten Jahres ein unruhiges Land mit einer gefährlichen Konfrontation: hier die Studenten, die mächtigste politische Kraft, dort die Streitkräfte, gespalten und diskreditiert wie nie zuvor, aber immer noch mit allen Waffen. Wie es weitergehen könnte im viertgrößten Land der Welt mit mehr als zweihundert Millionen Einwohnern, untersuchen Forrester und May in dem derzeit besten und aktuellsten Indonesien-Buch, das beileibe kein "Schnellschuß" ist. Es enthält Beiträge so angesehener Indonesien-Fachleute wie Harold Crouch und Jamie Mackie (Australian National University), der Ökonomen Hal Hil und Richard Robison sowie des langjährigen Korrespondenten der Far Easter Economic Review (Hongkong), Michael Vatikiotis. Auch der Dissident George Aditjondro, der im australischen Newcastle unterrichtet, kommt zu Wort. Er bestätigt den Verdacht der Studenten: daß Suharto und seine Clique (auch in Uniform) nach wie vor im Hintergrund viele Fäden ziehen "wie Pinochet in Chile". Und daß der "Prager Frühling auf indonesisch" schon bald wieder zu Ende gehen könnte. Präsident Habibie habe zwar in sechs Wochen mehr Zeitungsinterviews gegeben als sein Vorgänger in mehr als dreißig Jahren, er trete mit Samthandschuhen auf, habe aber bisher kaum einen der angeblich linksradikalen oder kommunistischen politischen Häftlinge entlassen, unter ihnen Männer mit grauen Bärten, die seit 1966 einsitzen. Die anderen Autoren untersuchen die künftige Rolle der Streitkräfte, die von ihrer politisch-militärischen Doppelfunktion nicht lassen wollen. Sie werfen ein Licht auf die mögliche Entwicklung des politischen Islam im größten muslimischen Land der Welt, sie fragen, warum Suharto nicht einmal drei Monate nach seiner Wahl zum Präsidenten aufgeben mußte. Das Bild für die Zukunft Indonesiens, das sie zeichnen, ist pessimistisch. Kaum ein anderes Land hat in jüngerer Geschichte einen derartigen Zusammenbruch seiner Volkswirtschaft erlebt - die Erholung könnte zehn Jahre dauern. Derweil wächst das Potential für Unruhen, je mehr Menschen - am Jahresende könnten es hundert Millionen sein - unter die Armutsgrenze geraten, also nicht mehr die Mittel haben, sich ausreichend zu ernähren. "Penjarahan" ist zum geflügelten Wort geworden: Diebstahl und Raub an dem Vermögen der Reichen, an Plantagen und Garnelenfarmen. Nach dreißig Jahren des Unrechts ist Wiedergutmachung angesagt, werden korrupte Dorfälteste vertrieben, werden Farmen und Golfplätze von landlosen Bauern besetzt, gehen auch immer öfter Kirchen und Moscheen in Flammen auf. Und die Gefahr ist groß, daß die Streitkräfte, die unter knapper werdenden Budgets leiden (auch weil ihre eigenen Unternehmen keine Gewinne mehr abwerfen), die Abspaltung von Ost-Timor oder Irian Jaya eines Tages ebensowenig verhindern können wie ein Schrumpfen der Republik Indonesien auf das Herzstück Java.

Mit einer derart dichten Analyse kann Rüdiger Siebert, der bei der Deutschen Welle die Indonesien-Redaktion betreut, nicht aufwarten, das war auch nicht seine Absicht. Er bietet den Hintergrund, die Reportagen, auch wenn einige, für den Rundfunk gesprochen, auf dem Papier etwas oberflächlich wirken, wenn er abgegriffene Metaphern wie die vom Wayang-Schattenspiel bemüht. Siebert kennt das fünftausend Kilometer breite Land, er ist in Java, aber auch in Sumatra und Sulawesi, in Bali und Borneo und Ost-Timor herumgereist. Er hat mit Politikern, Intellektuellen und Künstlern, aber auch mit Bauern und Slumbewohnern gesprochen. Bei ihm kann man erfahren, wie die einfachen Leute leben, warum sie in der Asien-Krise (noch) überleben. Er zeichnet ein paar entlarvende Künstlerporträts - von Rendra und von Ananta Pramoedya Toer. Er läßt den deutschstämmigen Jesuitenpater Franz von Magnis-Suseno mit der Forderung nach demokratischer Substanz und dem Ende autoritärer Regierungsstruktur zu Wort kommen - und die zeitweilig von Suharto inhaftierte Schauspielerin und Theaterleiterin Ratna Sarumpaet mit einer niederschmetternden Bilanz: aus den bitteren Erfahrungen der Diktatur ist kaum eine brillante künstlerische Arbeit entstanden. Auch auf dem Gebiet der Literatur, der Malerei und des Theaters, zu schweigen von den Medien, den Universitäten und den politischen Parteien hinterläßt das Suharto-Regime ein Trümmerfeld. Freilich, "ohne die Rückendeckung des Westens", so Rüdiger Siebert in seinem aktualisierten Vorwort, "hätte sich ein Suharto gar nicht drei Jahrzehnte halten können".

ERHARD HAUBOLD

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