Welche Handlungsspielräume besaßen Unternehmer und Manager im Dritten Reich? Wie verhielt sich die industrielle Elite Deutschlands zu Aufrüstung, Rassismus, Krieg und der zunehmenden Anzahl von Zwangsarbeitern und welche Auswirkungen hatten diese Faktoren auf Unternehmen?
Der Autor geht diesen Fragen bei seiner Untersuchung des Verhaltens des Unternehmers Heinrich Dräger und der Entwicklung des Lübecker Drägerwerks nach. Der in der Weimarer Republik "politische Unternehmer" Dräger konnte sich in der NS-Zeit zunächst relativ erfolgreich gegen fundamentale Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft auf sein Unternehmen wehren. Diese Entwicklung war hauptsächlich eine Folge seiner relativen Unabhängigkeit, die er jedoch nur mit einer partiellen Teilnahme an den Maßnahmen des Regimes wahren konnte. Vor allem in der zweiten Kriegshälfte, angesichts eines dynamischen Radikalisierungsprozesses und der massiven Expansion des Unternehmens, des führenden Herstellers für Gasmasken und Sauerstoff- und Schweißgeräte, werden die immensen Ambivalenzen dieses Verhaltens deutlich.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Autor geht diesen Fragen bei seiner Untersuchung des Verhaltens des Unternehmers Heinrich Dräger und der Entwicklung des Lübecker Drägerwerks nach. Der in der Weimarer Republik "politische Unternehmer" Dräger konnte sich in der NS-Zeit zunächst relativ erfolgreich gegen fundamentale Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft auf sein Unternehmen wehren. Diese Entwicklung war hauptsächlich eine Folge seiner relativen Unabhängigkeit, die er jedoch nur mit einer partiellen Teilnahme an den Maßnahmen des Regimes wahren konnte. Vor allem in der zweiten Kriegshälfte, angesichts eines dynamischen Radikalisierungsprozesses und der massiven Expansion des Unternehmens, des führenden Herstellers für Gasmasken und Sauerstoff- und Schweißgeräte, werden die immensen Ambivalenzen dieses Verhaltens deutlich.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2001Mit der Maske überleben
Das Drägerwerk und die nationalsozialistische Kriegswirtschaft
Bernhard Lorentz: Industrieelite und Wirtschaftspolitik 1928-1950. Heinrich Dräger und das Drägerwerk. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 404 Seiten, 58,- Mark.
Als hätte es Krieg und Kriegswirtschaft nicht gegeben, machte sich das Lübecker Drägerwerk seit den fünfziger Jahren auf den Weg zu einem High-Tech-Konzern mit Umsätzen in Milliardenhöhe. Das unterscheidet diesen mittelständischen Betrieb nicht von anderen Industrieunternehmen. Dennoch ist die Geschichte des 1889 gegründeten Familienbetriebes eine besondere. Über mehr als ein halbes Jahrhundert ist sie untrennbar mit der Biographie Heinrich Drägers (1898 bis 1986) verbunden. Der promovierte Agrarökonom übernahm nach dem unerwarteten Tod des Vaters 1928 das auf Atem- und Beatmungsgeräte aller Art spezialisierte Unternehmen. Er führte es dann durch die Unwägbarkeiten der kommenden beiden Jahrzehnte zu seinen großen Erfolgen.
Das eröffnet dem Biographen die großartige Möglichkeit, die Doppelgeschichte eines Unternehmens und eines Unternehmers im Lichte des bewegten zwanzigsten Jahrhunderts zu schildern. Bernhard Lorentz hat diese Chance nicht ergriffen, sondern sich auf eine detaillierte Rekonstruktion der Entwicklung zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegsende konzentriert. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil Lorentz in seinem sorgfältig recherchierten, aber nicht immer einfach zu lesenden Buch zwei grundlegende Befunde plausibel erhärten kann: Einmal ist die Haltung Drägers zur Politik des nationalsozialistischen Regimes "nur durch ein generationsspezifisches Verständnis von Verantwortung für das Unternehmen" zu erklären. Zum anderen sind die spektakulären Erfolge der Nachkriegszeit "keineswegs im Sinne einer Monokausalität als ein Ergebnis der Unternehmensentwicklung während der NS-Zeit zu interpretieren".
Innerhalb des eingegrenzten Untersuchungsrahmens kommt der Autor allerdings zu Ergebnissen, die Spuren hinterlassen werden. Sie machen vor allem deutlich, daß die Haltung der Unternehmen in der Zeit des "Dritten Reiches" eben nicht über einen Kamm zu scheren ist, daß es beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen den Vorständen großer Kapitalgesellschaften und mittelständisch geprägten Unternehmensleitungen, insbesondere in Familienbetrieben, gegeben hat.
Der Fall Dräger ist auch deshalb besonders interessant, weil die Firma als Produzentin von Gasschutzgeräten, namentlich der "Volksgasmaske", zur Rüstungsindustrie im engeren Sinne zählte.
Neben Dräger gab es nur ein zweites Unternehmen, die Berliner Auergesellschaft, das solche vom "Sonderausschuß für Gasschutz und Atemgeräte im Hauptausschuß Wehrmachts- und allgemeines Gerät beim Reichsminister für Bewaffnung und Munition" in hohen Mengen geforderten Masken produzierte. Im übrigen liefert Lorentz mit dem fundierten Vergleich zwischen Dräger und der (zu Degussa gehörenden) Auergesellschaft einen tragfähigen Beleg, daß "auch kleinere Konkurrenten sich im Verlaufe der Systemveränderungen gegenüber scheinbar übermächtigen Großkonzernen durchsetzen konnten".
Besonders überzeugt die Schilderung des Spannungsverhältnisses zwischen staatlicher Rüstungsbürokratie einerseits und einem Unternehmertum andererseits, das auch unter den Bedingungen von Plan- und Kriegswirtschaft noch versuchte, seinen Handlungsspielraum und seine Unabhängigkeit zu wahren - schon um den Betrieb und die Belegschaft über die Runden zu bringen. Daß dieser Wille, hinter dem ja auch eine erkennbare Fürsorgepflicht steckt, in Familienunternehmen stärker ausgeprägt gewesen ist als in anonymen Kapitalgesellschaften, steht außer Frage.
Um dieses Ziel zu erreichen, mußten freilich auch solide Unternehmen beträchtliche Konzessionen an die Rüstungsbürokratie machen. Das gilt für den Einsatz von Fremdarbeitern, Zwangsarbeitern und Häftlingen aus Konzentrationslagern. Das gilt aber auch für die Verlagerung der Produktion, in diesem Falle vor allem ins Generalgouvernement Polen, auf welche die staatlichen Stellen seit der Intensivierung des alliierten Luftkrieges verstärkt drängten.
Daß sich Unternehmer wie Heinrich Dräger nur unter Druck und dauerndem Widerspruch zu solchen Maßnahmen entschlossen, ändert natürlich nichts am Befund. Immerhin trug ihre Strategie, dem Betrieb durch Aufrechterhaltung der Produktion Perspektiven offenzuhalten, "entscheidend" zum Erfolg der "nationalsozialistischen Kriegswirtschaft nach der Wende 1942/43" bei. Gleichwohl wird die Unternehmensgeschichte in Zukunft stärker als bisher auf die Motive insbesondere mittelständischer Unternehmer achten müssen, für die es in dieser Zeit eben auch um das Überleben ihrer Betriebe ging. Diese Aufforderung zu einer differenzierteren Sicht der Dinge ist nicht das geringste Verdienst des wichtigen Buches von Bernhard Lorentz.
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Drägerwerk und die nationalsozialistische Kriegswirtschaft
Bernhard Lorentz: Industrieelite und Wirtschaftspolitik 1928-1950. Heinrich Dräger und das Drägerwerk. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001. 404 Seiten, 58,- Mark.
Als hätte es Krieg und Kriegswirtschaft nicht gegeben, machte sich das Lübecker Drägerwerk seit den fünfziger Jahren auf den Weg zu einem High-Tech-Konzern mit Umsätzen in Milliardenhöhe. Das unterscheidet diesen mittelständischen Betrieb nicht von anderen Industrieunternehmen. Dennoch ist die Geschichte des 1889 gegründeten Familienbetriebes eine besondere. Über mehr als ein halbes Jahrhundert ist sie untrennbar mit der Biographie Heinrich Drägers (1898 bis 1986) verbunden. Der promovierte Agrarökonom übernahm nach dem unerwarteten Tod des Vaters 1928 das auf Atem- und Beatmungsgeräte aller Art spezialisierte Unternehmen. Er führte es dann durch die Unwägbarkeiten der kommenden beiden Jahrzehnte zu seinen großen Erfolgen.
Das eröffnet dem Biographen die großartige Möglichkeit, die Doppelgeschichte eines Unternehmens und eines Unternehmers im Lichte des bewegten zwanzigsten Jahrhunderts zu schildern. Bernhard Lorentz hat diese Chance nicht ergriffen, sondern sich auf eine detaillierte Rekonstruktion der Entwicklung zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegsende konzentriert. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil Lorentz in seinem sorgfältig recherchierten, aber nicht immer einfach zu lesenden Buch zwei grundlegende Befunde plausibel erhärten kann: Einmal ist die Haltung Drägers zur Politik des nationalsozialistischen Regimes "nur durch ein generationsspezifisches Verständnis von Verantwortung für das Unternehmen" zu erklären. Zum anderen sind die spektakulären Erfolge der Nachkriegszeit "keineswegs im Sinne einer Monokausalität als ein Ergebnis der Unternehmensentwicklung während der NS-Zeit zu interpretieren".
Innerhalb des eingegrenzten Untersuchungsrahmens kommt der Autor allerdings zu Ergebnissen, die Spuren hinterlassen werden. Sie machen vor allem deutlich, daß die Haltung der Unternehmen in der Zeit des "Dritten Reiches" eben nicht über einen Kamm zu scheren ist, daß es beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen den Vorständen großer Kapitalgesellschaften und mittelständisch geprägten Unternehmensleitungen, insbesondere in Familienbetrieben, gegeben hat.
Der Fall Dräger ist auch deshalb besonders interessant, weil die Firma als Produzentin von Gasschutzgeräten, namentlich der "Volksgasmaske", zur Rüstungsindustrie im engeren Sinne zählte.
Neben Dräger gab es nur ein zweites Unternehmen, die Berliner Auergesellschaft, das solche vom "Sonderausschuß für Gasschutz und Atemgeräte im Hauptausschuß Wehrmachts- und allgemeines Gerät beim Reichsminister für Bewaffnung und Munition" in hohen Mengen geforderten Masken produzierte. Im übrigen liefert Lorentz mit dem fundierten Vergleich zwischen Dräger und der (zu Degussa gehörenden) Auergesellschaft einen tragfähigen Beleg, daß "auch kleinere Konkurrenten sich im Verlaufe der Systemveränderungen gegenüber scheinbar übermächtigen Großkonzernen durchsetzen konnten".
Besonders überzeugt die Schilderung des Spannungsverhältnisses zwischen staatlicher Rüstungsbürokratie einerseits und einem Unternehmertum andererseits, das auch unter den Bedingungen von Plan- und Kriegswirtschaft noch versuchte, seinen Handlungsspielraum und seine Unabhängigkeit zu wahren - schon um den Betrieb und die Belegschaft über die Runden zu bringen. Daß dieser Wille, hinter dem ja auch eine erkennbare Fürsorgepflicht steckt, in Familienunternehmen stärker ausgeprägt gewesen ist als in anonymen Kapitalgesellschaften, steht außer Frage.
Um dieses Ziel zu erreichen, mußten freilich auch solide Unternehmen beträchtliche Konzessionen an die Rüstungsbürokratie machen. Das gilt für den Einsatz von Fremdarbeitern, Zwangsarbeitern und Häftlingen aus Konzentrationslagern. Das gilt aber auch für die Verlagerung der Produktion, in diesem Falle vor allem ins Generalgouvernement Polen, auf welche die staatlichen Stellen seit der Intensivierung des alliierten Luftkrieges verstärkt drängten.
Daß sich Unternehmer wie Heinrich Dräger nur unter Druck und dauerndem Widerspruch zu solchen Maßnahmen entschlossen, ändert natürlich nichts am Befund. Immerhin trug ihre Strategie, dem Betrieb durch Aufrechterhaltung der Produktion Perspektiven offenzuhalten, "entscheidend" zum Erfolg der "nationalsozialistischen Kriegswirtschaft nach der Wende 1942/43" bei. Gleichwohl wird die Unternehmensgeschichte in Zukunft stärker als bisher auf die Motive insbesondere mittelständischer Unternehmer achten müssen, für die es in dieser Zeit eben auch um das Überleben ihrer Betriebe ging. Diese Aufforderung zu einer differenzierteren Sicht der Dinge ist nicht das geringste Verdienst des wichtigen Buches von Bernhard Lorentz.
GREGOR SCHÖLLGEN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hohe Anerkennung findet Bernhard Lorentz' Studie zur Entwicklung des Drägerwerkes in den Jahrzehnten zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegsende bei Gregor Schöllgen. Er glaubt, dass ihre Ergebnisse "Spuren hinterlassen werden". Nicht nur seien sie sorgfältig recherchiert, sie machten vor allem gegenüber der bisherigen Forschung deutlich, dass es durchaus wesentliche Unterschiede in der Haltung großer Kapitalgesellschaften und mittelständischer Unternehmen zum NS-Staat gegeben habe. Daneben schildere der Autor überzeugend, wie das Unternehmen versuchte, sich einen Rest von Unabhängigkeit gegenüber der staatlichen Rüstungsbürokratie zu bewahren. Gerade durch die Konzentration auf die Motive eines mittelständischen Unternehmers wie Heinrich Dräger kann das Buch dazu beitragen, so der Rezensent, zukünftig eine differenziertere Unternehmensgeschichte zu betreiben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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