Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.1997Auf dem Rücken der Theorie
Die Mär von der Notwendigkeit der Industriepolitik
Ulrich Brösse: Industriepolitik. R. Oldenbourg Verlag, München/Wien 1996, 376 Seiten, 68 DM.
Da Industriepolitik betrieben wird, sollte sie auch als Fach an der Universität gelehrt werden. Das ist einer der Gründe, warum Ulrich Brösse ein Lehrbuch über Industriepolitik geschrieben hat. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik erläutert der Autor im ersten Teil zunächst die Ansätze zur theoretischen Begründung einer Industriepolitik. Der Leser wird fundiert in verschiedene ökonomische Theorien eingeführt. Brösse kommt zu dem Schluß, daß die dargestellten theoretischen Ansätze die Notwendigkeit von Industriepolitik begründen. Dieses Ergebnis ist für den kritischen Leser jedoch nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Nach dem theoretischen Teil stellt Brösse Ziele und Träger der Industriepolitik dar. Im Unterschied zur klassischen Auffassung, daß der Staat Industriepolitik betreibe, nennt der Autor auch private Träger.
Brösse stellt zu Recht fest, daß die Frage, "was schon (oder noch) Industriepolitik ist", eine Sache der definitorischen Abgrenzung sei. Bei der Beschreibung des industriepolitischen Instrumentariums im zweiten Teil wird deutlich, daß der Autor Industriepolitik sehr weit auslegt. Neben klassischen Instrumenten wie Standortpolitik oder Forschungs- und Technologiepolitik subsumiert der Autor auch umweltpolitische Instrumente wie Haftungsregeln, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaftspolitik und Immissionsschutzpolitik unter Industriepolitik. Die Subventionspolitik erläutert Brösse anhand des Beispiels Umweltschutz, so daß sich dieses Thema wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Das vom Autor aufgelistete industriepolitische Instrumentarium wird im einzelnen gründlich dargestellt. Einer kurzen Fragestellung folgt jeweils die Beschreibung der praktischen Wirkungsweise und der aktuellen Handhabung.
Die beiden letzten Abschnitte des Buches widmet Brösse der Industriepolitik in Europa. Daß er sich auf diese beschränkt und keinen Vergleich zu Industriepolitik in anderen Ländern sucht, begründet der Autor mit Platzmangel (bei 376 Seiten eine ungewöhnliche Argumentation). Als Industriepolitik in Europa bezeichnet Brösse vor allem das Binnenmarktprogramm sowie Forschungs- und Technologiepolitik. Die verschiedenen Förderbereiche werden genannt: Krisenbranchen und Zukunftstechnologien. Brösse erwähnt die Problematik von Subventionen, die zu Dauersubventionen werden (zum Beispiel Luftfahrt). Auf Mitnahmeeffekte oder Prognoseprobleme geht er jedoch kaum ein. Auf Seite 311 schreibt der Autor, daß die Europäische Kommission eine interventionistische, sektorale Industriepolitik grundsätzlich ablehne. Warum also Industriepolitik? Daß die japanische Industriepolitik - und hier vor allem die Politik des Miti - als übliche Rechtfertigung für Industriepolitik in Europa herangezogen wird, hätte an dieser Stelle erwähnt werden sollen. Vielleicht läßt sich der Verzicht auf Japan aber auch so deuten, daß dort inzwischen kaum noch Industriepolitik betrieben wird, weil damit keine Erfolge zu erzielen sind.
Gleich zu Beginn seines Buches verweist Brösse darauf, daß liberale Ökonomen nicht müde werden, vor Industriepolitik zu warnen. Wer das Buch gründlich liest, müßte zu dem Ergebnis kommen, daß diese recht haben. Folglich sollten nicht nur Universitätsbibliotheken das Buch anschaffen.
INDIRA GURBAXANI
(Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Mär von der Notwendigkeit der Industriepolitik
Ulrich Brösse: Industriepolitik. R. Oldenbourg Verlag, München/Wien 1996, 376 Seiten, 68 DM.
Da Industriepolitik betrieben wird, sollte sie auch als Fach an der Universität gelehrt werden. Das ist einer der Gründe, warum Ulrich Brösse ein Lehrbuch über Industriepolitik geschrieben hat. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik erläutert der Autor im ersten Teil zunächst die Ansätze zur theoretischen Begründung einer Industriepolitik. Der Leser wird fundiert in verschiedene ökonomische Theorien eingeführt. Brösse kommt zu dem Schluß, daß die dargestellten theoretischen Ansätze die Notwendigkeit von Industriepolitik begründen. Dieses Ergebnis ist für den kritischen Leser jedoch nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Nach dem theoretischen Teil stellt Brösse Ziele und Träger der Industriepolitik dar. Im Unterschied zur klassischen Auffassung, daß der Staat Industriepolitik betreibe, nennt der Autor auch private Träger.
Brösse stellt zu Recht fest, daß die Frage, "was schon (oder noch) Industriepolitik ist", eine Sache der definitorischen Abgrenzung sei. Bei der Beschreibung des industriepolitischen Instrumentariums im zweiten Teil wird deutlich, daß der Autor Industriepolitik sehr weit auslegt. Neben klassischen Instrumenten wie Standortpolitik oder Forschungs- und Technologiepolitik subsumiert der Autor auch umweltpolitische Instrumente wie Haftungsregeln, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaftspolitik und Immissionsschutzpolitik unter Industriepolitik. Die Subventionspolitik erläutert Brösse anhand des Beispiels Umweltschutz, so daß sich dieses Thema wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Das vom Autor aufgelistete industriepolitische Instrumentarium wird im einzelnen gründlich dargestellt. Einer kurzen Fragestellung folgt jeweils die Beschreibung der praktischen Wirkungsweise und der aktuellen Handhabung.
Die beiden letzten Abschnitte des Buches widmet Brösse der Industriepolitik in Europa. Daß er sich auf diese beschränkt und keinen Vergleich zu Industriepolitik in anderen Ländern sucht, begründet der Autor mit Platzmangel (bei 376 Seiten eine ungewöhnliche Argumentation). Als Industriepolitik in Europa bezeichnet Brösse vor allem das Binnenmarktprogramm sowie Forschungs- und Technologiepolitik. Die verschiedenen Förderbereiche werden genannt: Krisenbranchen und Zukunftstechnologien. Brösse erwähnt die Problematik von Subventionen, die zu Dauersubventionen werden (zum Beispiel Luftfahrt). Auf Mitnahmeeffekte oder Prognoseprobleme geht er jedoch kaum ein. Auf Seite 311 schreibt der Autor, daß die Europäische Kommission eine interventionistische, sektorale Industriepolitik grundsätzlich ablehne. Warum also Industriepolitik? Daß die japanische Industriepolitik - und hier vor allem die Politik des Miti - als übliche Rechtfertigung für Industriepolitik in Europa herangezogen wird, hätte an dieser Stelle erwähnt werden sollen. Vielleicht läßt sich der Verzicht auf Japan aber auch so deuten, daß dort inzwischen kaum noch Industriepolitik betrieben wird, weil damit keine Erfolge zu erzielen sind.
Gleich zu Beginn seines Buches verweist Brösse darauf, daß liberale Ökonomen nicht müde werden, vor Industriepolitik zu warnen. Wer das Buch gründlich liest, müßte zu dem Ergebnis kommen, daß diese recht haben. Folglich sollten nicht nur Universitätsbibliotheken das Buch anschaffen.
INDIRA GURBAXANI
(Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen)
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