Die Jagd nach dem tödlichen Grippe-Virus. Ein packender Thriller über einen
der rätselhaftesten Fälle der Medizingeschichte.
Headline: "Ein Sachbuch - spannender als ein Krimi!" Frank Vorpahl, ZDF - Aspekte
Kaum eine Seuche wütete in so kurzer Zeit so heftig wie die Grippe-Epidemie von 1918. Weltweit forderte sie über
20 Millionen Opfer - mehr als der
Erste Weltkrieg Menschenleben gekostet hatte. Umso erstaunlicher, dass diese Katastrophe völlig in Vergessenheit
geriet. Erst Ende der neunziger Jahre begann der Wettlauf um die Erforschung des tödlichen Virus - und er hält immer
noch an.
der rätselhaftesten Fälle der Medizingeschichte.
Headline: "Ein Sachbuch - spannender als ein Krimi!" Frank Vorpahl, ZDF - Aspekte
Kaum eine Seuche wütete in so kurzer Zeit so heftig wie die Grippe-Epidemie von 1918. Weltweit forderte sie über
20 Millionen Opfer - mehr als der
Erste Weltkrieg Menschenleben gekostet hatte. Umso erstaunlicher, dass diese Katastrophe völlig in Vergessenheit
geriet. Erst Ende der neunziger Jahre begann der Wettlauf um die Erforschung des tödlichen Virus - und er hält immer
noch an.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001Bioterror ohne Absender
Die Spanische Grippe als Wissenschaftskrimi / Von Robert Jütte
Nur wenige Historiker können für sich in Anspruch nehmen, daß ihre Arbeiten Naturwissenschaftler auf eine Fährte gelockt haben. Das trifft auf Alfred W. Crosby zu, der 1989 ein Buch über die Grippeepidemie von 1918 in den Vereinigten Staaten veröffentlichte und damit daran erinnerte, daß eine der größten Seuchen in der Geschichte der Menschheit einfach in Vergessenheit geraten ist. Wenn man bedenkt, wie viele Bücher allein über den Schwarzen Tod im Mittelalter in den letzten Jahren erschienen sind, dann verwundert es schon sehr, daß die "Spanische Grippe" von 1918, an der auch in Deutschland fast zweihunderttausend Menschen starben, so wenig Beachtung gefunden hat. An Quellen fehlt es jedenfalls nicht, zu denen auch Augenzeugenberichte wie der Stefan Zweigs gehören, der am 19. Oktober 1918 in Zürich in sein Tagebuch schrieb: "In der Stadt die Grippe in entsetzlichem Maße. Eine Weltseuche, gegen die die Pest in Florenz oder ähnliche Chronikengeschichten ein Kinderspiel sind. Sie frißt täglich 20 000 bis 40 000 Menschen weg."
Dabei hatte alles relativ harmlos begonnen. Im Frühjahr 1918 überzog Europa, Asien und die Vereinigten Staaten eine Grippewelle, die aber niemand so richtig ernst nahm. Zahlreiche Menschen erkrankten mit den üblichen Symptomen hohes Fieber und Schüttelfrost, aber nur wenige starben. Vielerorts nannte man die Krankheit die "Spanische Grippe", weil sie zuerst in San Sebastián, einem spanischen Ferienort, grassierte und sich dann rasch in ganz Spanien ausbreitete. Zu dieser Zeit war der Erste Weltkrieg in seine Endphase getreten. Die Menschen hatten andere Sorgen. Das "Drei-Tage-Fieber", wie es die amerikanischen Soldaten auf dem französischen Kriegsschauplatz getauft hatten, machte lediglich den Stabschefs zu schaffen, die vorübergehend mit ihren Planungen durcheinanderkamen, da ihre Armeen wegen der hohen Krankenrate vorübergehend nicht voll einsatzfähig waren. So klagte Ludendorff über die sinkende Kampfmoral seiner Truppen, die das "Flandrische Fieber", wie es die deutschen Landser nannten, ebenfalls erwischt hatte. Dennoch brach in den Heeresleitungen keine Panik aus. Seuchen waren nun einmal die ständige Begleiterscheinung eines Krieges.
Doch nicht nur die Generäle sollten sich täuschen. Ende August 1918 folgte eine zweite Grippewelle. Sie trat erstmals in Boston auf, vermutlich eingeschleppt von einer Gruppe Matrosen, die dort Zwischenstation machten. In wenigen Tagen erreichte die Grippe Fort Devens, ein Armeecamp dreißig Meilen westlich von Boston. Dort bekamen die ratlosen Ärzte und die völlig überforderten Pflegekräfte einen ersten Eindruck von dem Horrorszenario, das sich in den darauffolgenden Wochen überall auf der Welt wiederholte. Die Krankheit begann als grippaler Infekt, doch bald traten weitere Symptome zutage. Auf den Wangen zeigten sich mahagonifarbene Flecken, die auf eine Zyanose hindeuteten. Zudem entwickelten die meisten Patienten eine schwere Lungenentzündung, gegen die es damals kein wirksames Mittel gab. Die Kranken spuckten Blut und starben oft einen grausamen Erstickungstod.
Der Anblick der sterbenden Soldaten - alle im besten Mannesalter und vorher kerngesund - war so schrecklich, daß der neben anderen Koryphäen zu Hilfe gerufene Colonel Victor C. Vaughan, der Vorsitzende der Amerikanischen Ärztegesellschaft, später in seinen Memoiren festhielt: "Diese Erinnerungen sind abscheulich, am liebsten würde ich sie mir aus dem Hirn reißen, sie vernichten, aber leider steht das nicht in meiner Macht." Keine der damals bekannten Therapien schlug an. Militärärzte impften Soldaten mit Stoffen, die sie aus den Körpersekreten Grippekranker gewonnen hatten. Fieberhaft begann die Suche nach dem Krankheitserreger. Zunächst vermutete man ein Bakterium als Auslöser. Doch schon bald war den meisten Experten klar, daß es kein Bazillus sein konnte, sondern nur ein Virus, das sich mit den vorhandenen Labormethoden aber nicht nachweisen ließ. Erst 1933 gelang es einer englischen Forschergruppe, das Grippevirus im Tierversuch zu isolieren. Doch war man damit dem tödlichen Killer-Virus von 1918 noch längst nicht auf die Spur gekommen.
Hier beginnt nun ein spannendes Kapitel in der Wissenschaftsgeschichte, für das sich bislang niemand so recht interessiert hatte, nämlich die Jagd nach dem Killer-Virus von 1918, das weltweit über zwanzig Millionen Menschen den Tod brachte. Daß die Geschichte dieses Forschungsabenteuers nun von einer Wissenschaftsjournalistin geschrieben wurde, spricht nicht gerade für die Historikerzunft, der offenbar das Gespür für solche Themen fehlt. Gina Kolata, die lange Zeit für das "Science Magazine" arbeitete, stieß durch Zufall auf eine unglaubliche Geschichte, die sie akribisch recherchierte und dann in einer Art "Medizinthriller" für ein breites Publikum aufbereitete. Ähnlich wie in den populärwissenschaftlichen Darstellungen der Suche nach dem Verursacher von Aids, des HI-Virus, ergibt sich das narrative Grundgerüst fast von selbst: Auf der Seite des Bösen steht das Killer-Virus, das es dingfest zu machen gilt. Das Gute verkörpern dagegen die heldenhaften Forscher, die gegen Unverständnis in Politik und Öffentlichkeit oder - was meist noch schlimmer ist - Neid und Intrigen aus dem Kollegenkreis ankämpfen müssen und schließlich den nicht mehr erwarteten Triumph feiern können. Zu den eher stillen Helden zählt der amerikanische Pathologe Johan Hultin, der als junger Student auf die Idee kam, nach den Spuren des Virus in Leichen zu suchen, die der Dauerfrost in Alaska konserviert hatte. Seine erste Expedition im Jahre 1951 war aber nicht von Erfolg gekrönt. Erst 1997, als Hultin längst im Ruhestand war, kehrte er nochmals an den Fundort der Eisleichen zurück, um einem amerikanischen Molekularbiologen den noch fehlenden Baustein für die vollständige genetische Entschlüsselung des Killer-Virus zu liefern. Diesmal mit Erfolg. Er kam damit einer ehrgeizigen Forschergruppe zuvor, die zur gleichen Zeit eine aufwendige Expedition nach Norwegen durchführte, aber nur wenig brauchbares Material mitbrachte.
Doch der eigentliche Held dieser Geschichte ist Jeffery Taubenberger, der Crosbys Buch über die Grippe von 1918 gelesen hatte und deswegen Anfang der neunziger Jahre auf die geniale Idee kam, in der riesigen pathologischen Sammlung der amerikanischen Armee nach Gewebeproben von Soldaten zu fahnden, die 1918 der Grippe zum Opfer gefallen waren. Nach einigen Fehlschlägen gelang es ihm und seinem Team, das Virus, das damals den Tod von Millionen Menschen verursacht hatte, zu identifizieren und dann auch genetisch zu entschlüsseln. Die Ironie der Geschichte ist, daß seine für die Entwicklung wirksamer Grippe-Impfstoffe so bedeutsame Entdeckung von "Nature" abgelehnt wurde und nur mit viel Glück in "Science" erschien. Erst damit war ihm der Entdeckerruhm endlich sicher.
Gina Kolata: "Influenza". Die Jagd nach dem Virus. Aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 352 S., geb., 39,88 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Spanische Grippe als Wissenschaftskrimi / Von Robert Jütte
Nur wenige Historiker können für sich in Anspruch nehmen, daß ihre Arbeiten Naturwissenschaftler auf eine Fährte gelockt haben. Das trifft auf Alfred W. Crosby zu, der 1989 ein Buch über die Grippeepidemie von 1918 in den Vereinigten Staaten veröffentlichte und damit daran erinnerte, daß eine der größten Seuchen in der Geschichte der Menschheit einfach in Vergessenheit geraten ist. Wenn man bedenkt, wie viele Bücher allein über den Schwarzen Tod im Mittelalter in den letzten Jahren erschienen sind, dann verwundert es schon sehr, daß die "Spanische Grippe" von 1918, an der auch in Deutschland fast zweihunderttausend Menschen starben, so wenig Beachtung gefunden hat. An Quellen fehlt es jedenfalls nicht, zu denen auch Augenzeugenberichte wie der Stefan Zweigs gehören, der am 19. Oktober 1918 in Zürich in sein Tagebuch schrieb: "In der Stadt die Grippe in entsetzlichem Maße. Eine Weltseuche, gegen die die Pest in Florenz oder ähnliche Chronikengeschichten ein Kinderspiel sind. Sie frißt täglich 20 000 bis 40 000 Menschen weg."
Dabei hatte alles relativ harmlos begonnen. Im Frühjahr 1918 überzog Europa, Asien und die Vereinigten Staaten eine Grippewelle, die aber niemand so richtig ernst nahm. Zahlreiche Menschen erkrankten mit den üblichen Symptomen hohes Fieber und Schüttelfrost, aber nur wenige starben. Vielerorts nannte man die Krankheit die "Spanische Grippe", weil sie zuerst in San Sebastián, einem spanischen Ferienort, grassierte und sich dann rasch in ganz Spanien ausbreitete. Zu dieser Zeit war der Erste Weltkrieg in seine Endphase getreten. Die Menschen hatten andere Sorgen. Das "Drei-Tage-Fieber", wie es die amerikanischen Soldaten auf dem französischen Kriegsschauplatz getauft hatten, machte lediglich den Stabschefs zu schaffen, die vorübergehend mit ihren Planungen durcheinanderkamen, da ihre Armeen wegen der hohen Krankenrate vorübergehend nicht voll einsatzfähig waren. So klagte Ludendorff über die sinkende Kampfmoral seiner Truppen, die das "Flandrische Fieber", wie es die deutschen Landser nannten, ebenfalls erwischt hatte. Dennoch brach in den Heeresleitungen keine Panik aus. Seuchen waren nun einmal die ständige Begleiterscheinung eines Krieges.
Doch nicht nur die Generäle sollten sich täuschen. Ende August 1918 folgte eine zweite Grippewelle. Sie trat erstmals in Boston auf, vermutlich eingeschleppt von einer Gruppe Matrosen, die dort Zwischenstation machten. In wenigen Tagen erreichte die Grippe Fort Devens, ein Armeecamp dreißig Meilen westlich von Boston. Dort bekamen die ratlosen Ärzte und die völlig überforderten Pflegekräfte einen ersten Eindruck von dem Horrorszenario, das sich in den darauffolgenden Wochen überall auf der Welt wiederholte. Die Krankheit begann als grippaler Infekt, doch bald traten weitere Symptome zutage. Auf den Wangen zeigten sich mahagonifarbene Flecken, die auf eine Zyanose hindeuteten. Zudem entwickelten die meisten Patienten eine schwere Lungenentzündung, gegen die es damals kein wirksames Mittel gab. Die Kranken spuckten Blut und starben oft einen grausamen Erstickungstod.
Der Anblick der sterbenden Soldaten - alle im besten Mannesalter und vorher kerngesund - war so schrecklich, daß der neben anderen Koryphäen zu Hilfe gerufene Colonel Victor C. Vaughan, der Vorsitzende der Amerikanischen Ärztegesellschaft, später in seinen Memoiren festhielt: "Diese Erinnerungen sind abscheulich, am liebsten würde ich sie mir aus dem Hirn reißen, sie vernichten, aber leider steht das nicht in meiner Macht." Keine der damals bekannten Therapien schlug an. Militärärzte impften Soldaten mit Stoffen, die sie aus den Körpersekreten Grippekranker gewonnen hatten. Fieberhaft begann die Suche nach dem Krankheitserreger. Zunächst vermutete man ein Bakterium als Auslöser. Doch schon bald war den meisten Experten klar, daß es kein Bazillus sein konnte, sondern nur ein Virus, das sich mit den vorhandenen Labormethoden aber nicht nachweisen ließ. Erst 1933 gelang es einer englischen Forschergruppe, das Grippevirus im Tierversuch zu isolieren. Doch war man damit dem tödlichen Killer-Virus von 1918 noch längst nicht auf die Spur gekommen.
Hier beginnt nun ein spannendes Kapitel in der Wissenschaftsgeschichte, für das sich bislang niemand so recht interessiert hatte, nämlich die Jagd nach dem Killer-Virus von 1918, das weltweit über zwanzig Millionen Menschen den Tod brachte. Daß die Geschichte dieses Forschungsabenteuers nun von einer Wissenschaftsjournalistin geschrieben wurde, spricht nicht gerade für die Historikerzunft, der offenbar das Gespür für solche Themen fehlt. Gina Kolata, die lange Zeit für das "Science Magazine" arbeitete, stieß durch Zufall auf eine unglaubliche Geschichte, die sie akribisch recherchierte und dann in einer Art "Medizinthriller" für ein breites Publikum aufbereitete. Ähnlich wie in den populärwissenschaftlichen Darstellungen der Suche nach dem Verursacher von Aids, des HI-Virus, ergibt sich das narrative Grundgerüst fast von selbst: Auf der Seite des Bösen steht das Killer-Virus, das es dingfest zu machen gilt. Das Gute verkörpern dagegen die heldenhaften Forscher, die gegen Unverständnis in Politik und Öffentlichkeit oder - was meist noch schlimmer ist - Neid und Intrigen aus dem Kollegenkreis ankämpfen müssen und schließlich den nicht mehr erwarteten Triumph feiern können. Zu den eher stillen Helden zählt der amerikanische Pathologe Johan Hultin, der als junger Student auf die Idee kam, nach den Spuren des Virus in Leichen zu suchen, die der Dauerfrost in Alaska konserviert hatte. Seine erste Expedition im Jahre 1951 war aber nicht von Erfolg gekrönt. Erst 1997, als Hultin längst im Ruhestand war, kehrte er nochmals an den Fundort der Eisleichen zurück, um einem amerikanischen Molekularbiologen den noch fehlenden Baustein für die vollständige genetische Entschlüsselung des Killer-Virus zu liefern. Diesmal mit Erfolg. Er kam damit einer ehrgeizigen Forschergruppe zuvor, die zur gleichen Zeit eine aufwendige Expedition nach Norwegen durchführte, aber nur wenig brauchbares Material mitbrachte.
Doch der eigentliche Held dieser Geschichte ist Jeffery Taubenberger, der Crosbys Buch über die Grippe von 1918 gelesen hatte und deswegen Anfang der neunziger Jahre auf die geniale Idee kam, in der riesigen pathologischen Sammlung der amerikanischen Armee nach Gewebeproben von Soldaten zu fahnden, die 1918 der Grippe zum Opfer gefallen waren. Nach einigen Fehlschlägen gelang es ihm und seinem Team, das Virus, das damals den Tod von Millionen Menschen verursacht hatte, zu identifizieren und dann auch genetisch zu entschlüsseln. Die Ironie der Geschichte ist, daß seine für die Entwicklung wirksamer Grippe-Impfstoffe so bedeutsame Entdeckung von "Nature" abgelehnt wurde und nur mit viel Glück in "Science" erschien. Erst damit war ihm der Entdeckerruhm endlich sicher.
Gina Kolata: "Influenza". Die Jagd nach dem Virus. Aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 352 S., geb., 39,88 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main