Zum 50. Todestag von Ingeborg Bachmann am 17. Oktober 2023
»Sie war ein Wirbel, der nie aufhörte.«
Heinz Bachmann, der 13 Jahre jüngere Bruder, war seiner Schwester Ingeborg ihr Leben lang verbunden. Er kannte sie wie sonst niemand, auch als sie längst zur berühmten Dichterin geworden war. Sie liebte ihren Bruder und wollte ihm die Welt zeigen, nachdem sie früh aus Klagenfurt fortgegangen war. Nun legt Heinz Bachmann einen sehr persönlichen Band vor, in dem er aus dem gemeinsamen Leben erzählt, von Wien und Paris bis nach Zürich und Rom. Ingeborgs tragischer Unfalltod und die Trauer, die die ganze Familie erfasste, kommen ebenso zur Sprache wie ihre Dichterfreunde und ihr Schreiben.
Mit 40 Fotos aus dem Privatarchiv
»Sie war ein Wirbel, der nie aufhörte.«
Heinz Bachmann, der 13 Jahre jüngere Bruder, war seiner Schwester Ingeborg ihr Leben lang verbunden. Er kannte sie wie sonst niemand, auch als sie längst zur berühmten Dichterin geworden war. Sie liebte ihren Bruder und wollte ihm die Welt zeigen, nachdem sie früh aus Klagenfurt fortgegangen war. Nun legt Heinz Bachmann einen sehr persönlichen Band vor, in dem er aus dem gemeinsamen Leben erzählt, von Wien und Paris bis nach Zürich und Rom. Ingeborgs tragischer Unfalltod und die Trauer, die die ganze Familie erfasste, kommen ebenso zur Sprache wie ihre Dichterfreunde und ihr Schreiben.
Mit 40 Fotos aus dem Privatarchiv
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2023Niemals Max!
Durch ihren jüngst publizierten Briefwechsel mit Max Frisch ist Ingeborg Bachmann wieder einmal in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ihr Bruder Heinz veröffentlicht nun seine Erinnerungen zusammen mit Familienfotos.
Niemandem hat Bachmann mehr vertraut." So steht es lapidar, aber umso ausdrucksstärker im Nachwort von Hans Höller und Renate Langer zu der von ihnen mitherausgegebenen Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, die Ende vorigen Jahres großes Aufsehen erregte. Gemeint damit waren Bachmanns Geschwister, Isolde und Heinz, die ihr Plazet für die Publikation dieses langerhofften Einblicks in die berühmteste Schriftstellerliebe der deutschsprachigen Nachkriegsliteraturgeschichte gegeben hatten: zusammen mit dem Kommentar mehr als tausend Seiten Abgrund. Und so darf man nun auch mit Spannung auf eine viel schmalere Publikation blicken, die am kommenden Donnerstag bei Piper erscheint: Heinz Bachmanns "Ingeborg Bachmann, meine Schwester - Erinnerungen und Bilder" (126 S., 24 Euro).
Bilder aus diesem Buch liefern das Material dieser Seite; und ganz nebenbei erfährt man die Geschichte, wie Heinz Bachmann im Frühjahr 1962 eine der berühmtesten Fotoporträtserien anfertigte, die es von seiner Schwester gibt: aufgenommen in deren römischer Wohnung in der Via de Notaris und bei Spaziergängen durch die Stadt. Entstanden ist sie auf Wunsch Ingeborg Bachmanns selbst, die mit den bislang von ihr existierenden Pressefotos unzufrieden war, weil sie "gestellt" seien. "Obwohl ich offensichtlich ein blutiger Anfänger war, wollte meine Schwester einen Versuch mit mir wagen, erinnert sich der Bruder."
Er ist Jahrgang 1939, also dreizehn Jahre jünger als seine älteste Schwester Ingeborg. Als er sie fotografierte, war er zweiundzwanzig, und als sie starb, gerade einmal dreiunddreißig. Mit dem Schock über diesen Tod setzt das Buch ein: Heinz Bachmann, damals für seinen Arbeitgeber im Senegal tätig, eilt auf die Nachricht hin, dass die Schwester bei einem Zimmerbrand schwere Verletzungen erlitten hat, nach Rom, wird sie aber vor ihrem Tod am 17. Oktober nicht mehr sehen, weil man ihn nicht auf die Isolierstation vorlässt. Es wäre zu viel gesagt, dass sein Buch das brutal abgerissene Gespräch zwischen den Geschwistern fortsetzte, aber man merkt, dass Heinz Bachmann sich einige Dinge von der Seele schreibt.
Ein mit Ingeborg Bachmann vergleichbares Können darf dabei - natürlich - nicht erwartet werden. Heinz Bachmann erzählt spröde. Aber persönlich. Und nie aus der Perspektive eines Interpreten, weshalb man an poetologischen Einsichten auch nur Weniges erfährt, was man nicht schon wusste - zum Beispiel aber, wie intensiv Ingeborg Bachmann ihren Vater bekniet hatte, ihr seinen Lebenslauf aufzuschreiben, woraus sie ein Buchprojekt machen wollte. Zugleich vermutet Heinz Bachmann, dass seine Schwester die vereinzelten Notate des Vaters nie gelesen hat.
Über die beiden Komplexe im Privatleben von Ingeborg Bachmann, die auf die größte Neugier des Publikums setzen dürfen, ihre Liebesbeziehungen zu Paul Celan und Max Frisch, bekommt man unterschiedlich intensiv zu lesen. Heinz Bachmann hat den jüdischen Dichter aus der Bukowina nie getroffen, und "in unserer Familie hatte Paul Celan nie die Bedeutung, die Hans Weigel [ein weiterer Schriftstellerfreund Ingeborg Bachmanns] in diesen Jahren besaß. Denn ihm war die Familie wichtig, er wollte uns kennenlernen und besuchte uns in Klagenfurt."
Diese leichte Eitelkeit sollte vermuten lassen, dass Max Frisch, von dem bekannt ist, dass er später wie Weigel mehrfach zusammen mit Ingeborg Bachmann deren Angehörige in Klagenfurt aufsuchte, besser wegkommt, doch weit gefehlt: "Für mich selbst blieb Max Frisch immer Herr Frisch, niemals Max. Ganz allgemein fehlte es an Herzlichkeit." Und etwas später, im Zusammenhang mit den Fotos in der von Frisch und Ingeborg Bachmann gemeinsam bewohnten Wohnung in der Via de Notaris: "Herr Frisch ist in meinen Erinnerungen unsichtbar geblieben, von ihm machte ich keine Aufnahme." Deshalb gibt es bislang nur eine einzige Aufnahme, die die beiden jahrelang miteinander liierten Schriftsteller zusammen zeigt. Als sie 2022 im Briefwechsel erstmals abgedruckt wurde, war das nach sechzig Jahren eine eigene kleine Sensation.
Dass Frisch indes "unsichtbar" in der Erinnerungen von Heinz Bachmann bliebe, stimmt nicht. Er ist sogar stark präsent, allerdings stets mit negativem Beigeschmack geschildert. Dass der Bruder dem Geliebten seiner Schwester dessen Aufkündigung der Partnerschaft nachsehen würde, gerade unter Berücksichtigung des desaströsen Missverständnisses, das der Briefwechsel dokumentiert, davon ist keine Rede: Die Schuldzuweisung am Scheitern der Beziehung ist eindeutig einseitig. Deshalb fällt Heinz Bachmanns Buch auch hinter den Briefwechselband zurück.
Sichtbar wird auch sein eigenes Bestreben, dem Ruhm der Schwester etwas Eigenes entgegensetzen zu können, zumindest beruflich als Geologe. Vom Ansporn, den der Erfolg der Schriftstellerin für ihn gewesen sei, spricht er mehrfach. Dass er es sich damals nicht selbst auf das literarische Feld gewagt hat, spricht für gute Selbsteinschätzung. Dass nun aber so kurz nach dem Bestseller-Briefband mit der Bachmann-Frisch-Korrespondenz dieses Büchlein kommt, spricht entweder von gutem Geschäftssinn oder verschlechterter Eigeneinschätzung. Denn angesichts des biographischen Bachmann-Booms der letzten Jahre hätte man im nun beginnenden Vorfeld des hundertsten Geburtstags der Schriftstellerin 2026 mehr erhofft. ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Durch ihren jüngst publizierten Briefwechsel mit Max Frisch ist Ingeborg Bachmann wieder einmal in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ihr Bruder Heinz veröffentlicht nun seine Erinnerungen zusammen mit Familienfotos.
Niemandem hat Bachmann mehr vertraut." So steht es lapidar, aber umso ausdrucksstärker im Nachwort von Hans Höller und Renate Langer zu der von ihnen mitherausgegebenen Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, die Ende vorigen Jahres großes Aufsehen erregte. Gemeint damit waren Bachmanns Geschwister, Isolde und Heinz, die ihr Plazet für die Publikation dieses langerhofften Einblicks in die berühmteste Schriftstellerliebe der deutschsprachigen Nachkriegsliteraturgeschichte gegeben hatten: zusammen mit dem Kommentar mehr als tausend Seiten Abgrund. Und so darf man nun auch mit Spannung auf eine viel schmalere Publikation blicken, die am kommenden Donnerstag bei Piper erscheint: Heinz Bachmanns "Ingeborg Bachmann, meine Schwester - Erinnerungen und Bilder" (126 S., 24 Euro).
Bilder aus diesem Buch liefern das Material dieser Seite; und ganz nebenbei erfährt man die Geschichte, wie Heinz Bachmann im Frühjahr 1962 eine der berühmtesten Fotoporträtserien anfertigte, die es von seiner Schwester gibt: aufgenommen in deren römischer Wohnung in der Via de Notaris und bei Spaziergängen durch die Stadt. Entstanden ist sie auf Wunsch Ingeborg Bachmanns selbst, die mit den bislang von ihr existierenden Pressefotos unzufrieden war, weil sie "gestellt" seien. "Obwohl ich offensichtlich ein blutiger Anfänger war, wollte meine Schwester einen Versuch mit mir wagen, erinnert sich der Bruder."
Er ist Jahrgang 1939, also dreizehn Jahre jünger als seine älteste Schwester Ingeborg. Als er sie fotografierte, war er zweiundzwanzig, und als sie starb, gerade einmal dreiunddreißig. Mit dem Schock über diesen Tod setzt das Buch ein: Heinz Bachmann, damals für seinen Arbeitgeber im Senegal tätig, eilt auf die Nachricht hin, dass die Schwester bei einem Zimmerbrand schwere Verletzungen erlitten hat, nach Rom, wird sie aber vor ihrem Tod am 17. Oktober nicht mehr sehen, weil man ihn nicht auf die Isolierstation vorlässt. Es wäre zu viel gesagt, dass sein Buch das brutal abgerissene Gespräch zwischen den Geschwistern fortsetzte, aber man merkt, dass Heinz Bachmann sich einige Dinge von der Seele schreibt.
Ein mit Ingeborg Bachmann vergleichbares Können darf dabei - natürlich - nicht erwartet werden. Heinz Bachmann erzählt spröde. Aber persönlich. Und nie aus der Perspektive eines Interpreten, weshalb man an poetologischen Einsichten auch nur Weniges erfährt, was man nicht schon wusste - zum Beispiel aber, wie intensiv Ingeborg Bachmann ihren Vater bekniet hatte, ihr seinen Lebenslauf aufzuschreiben, woraus sie ein Buchprojekt machen wollte. Zugleich vermutet Heinz Bachmann, dass seine Schwester die vereinzelten Notate des Vaters nie gelesen hat.
Über die beiden Komplexe im Privatleben von Ingeborg Bachmann, die auf die größte Neugier des Publikums setzen dürfen, ihre Liebesbeziehungen zu Paul Celan und Max Frisch, bekommt man unterschiedlich intensiv zu lesen. Heinz Bachmann hat den jüdischen Dichter aus der Bukowina nie getroffen, und "in unserer Familie hatte Paul Celan nie die Bedeutung, die Hans Weigel [ein weiterer Schriftstellerfreund Ingeborg Bachmanns] in diesen Jahren besaß. Denn ihm war die Familie wichtig, er wollte uns kennenlernen und besuchte uns in Klagenfurt."
Diese leichte Eitelkeit sollte vermuten lassen, dass Max Frisch, von dem bekannt ist, dass er später wie Weigel mehrfach zusammen mit Ingeborg Bachmann deren Angehörige in Klagenfurt aufsuchte, besser wegkommt, doch weit gefehlt: "Für mich selbst blieb Max Frisch immer Herr Frisch, niemals Max. Ganz allgemein fehlte es an Herzlichkeit." Und etwas später, im Zusammenhang mit den Fotos in der von Frisch und Ingeborg Bachmann gemeinsam bewohnten Wohnung in der Via de Notaris: "Herr Frisch ist in meinen Erinnerungen unsichtbar geblieben, von ihm machte ich keine Aufnahme." Deshalb gibt es bislang nur eine einzige Aufnahme, die die beiden jahrelang miteinander liierten Schriftsteller zusammen zeigt. Als sie 2022 im Briefwechsel erstmals abgedruckt wurde, war das nach sechzig Jahren eine eigene kleine Sensation.
Dass Frisch indes "unsichtbar" in der Erinnerungen von Heinz Bachmann bliebe, stimmt nicht. Er ist sogar stark präsent, allerdings stets mit negativem Beigeschmack geschildert. Dass der Bruder dem Geliebten seiner Schwester dessen Aufkündigung der Partnerschaft nachsehen würde, gerade unter Berücksichtigung des desaströsen Missverständnisses, das der Briefwechsel dokumentiert, davon ist keine Rede: Die Schuldzuweisung am Scheitern der Beziehung ist eindeutig einseitig. Deshalb fällt Heinz Bachmanns Buch auch hinter den Briefwechselband zurück.
Sichtbar wird auch sein eigenes Bestreben, dem Ruhm der Schwester etwas Eigenes entgegensetzen zu können, zumindest beruflich als Geologe. Vom Ansporn, den der Erfolg der Schriftstellerin für ihn gewesen sei, spricht er mehrfach. Dass er es sich damals nicht selbst auf das literarische Feld gewagt hat, spricht für gute Selbsteinschätzung. Dass nun aber so kurz nach dem Bestseller-Briefband mit der Bachmann-Frisch-Korrespondenz dieses Büchlein kommt, spricht entweder von gutem Geschäftssinn oder verschlechterter Eigeneinschätzung. Denn angesichts des biographischen Bachmann-Booms der letzten Jahre hätte man im nun beginnenden Vorfeld des hundertsten Geburtstags der Schriftstellerin 2026 mehr erhofft. ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Heinz Bachmanns Erinnerungen sind ein großes Dokument der Zuneigung, ein Kommentar zu einem Leben, das ihm gleichermaßen phantastisch wie tragisch erscheint.« Neue Zürcher Zeitung 20231007
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für den Rezensenten Andreas Bernard ist dieses Buch von Heinz Bachmann so etwas wie "erinnerungspolitischer Balsam" - und das meint der Kritiker keineswegs positiv. Zwar liest der durchaus bewegt, wie der inzwischen 84-jährige Geophysiker sich an die Schwester erinnert, freundlich, in schlichten Worten und mit einigen bisher nicht bekannten Informationen. Wenn Bachmann die gemeinsame Kindheit rein idyllisch und harmonisch ausmalt, will der Kritiker ihm nicht auf den Leim gehen. Dass am Schicksal der "zerrissenen" Dichterin allein Max Frisch, den der Autor als "oberflächlichen Egomanen" zeichnet, Schuld sein soll, scheint dem Rezensenten doch ein wenig einseitig.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Kärntner
Idyll
Biedere Angelegenheit:
Heinz Bachmanns
Familienerinnerungen
Heinz Bachmanns schmales Erinnerungsbuch über seine Schwester, aus Anlass ihres 50. Todestags am 17. Oktober geschrieben, hat eine buchstäbliche und eine implizit nachlasspolitische Dimension. Der heute 84-jährige Geophysiker, 13 Jahre jünger als Ingeborg, erzählt in seinen Aufzeichnungen in einfachen, oft rührenden Worten die Lebensgeschichte der berühmten Schriftstellerin aus der Perspektive der Familie, mit einem Schwerpunkt auf dem frühen Zusammenleben in Klagenfurt und dem ländlichen Kärnten, bevor Ingeborg 1946 zum Studium nach Wien ging und ihre literarische Karriere begann.
Hinter dieser einfachen, freundlichen Erzählung, die auch für Bachmann-Kenner einige neue Informationen über die Verwebung von dichterischem Werk und realen Ereignissen preisgibt, steht aber ein unausgesprochenes Programm, das die Lenkung der öffentlichen Erinnerung betrifft. Heinz Bachmann beschreibt eine trotz der Kriegswirren eminent harmonische Kindheit und Jugend seiner Schwester, eine Kärntner Familienidylle der Zuwendung und bildungsbürgerlichen Kontemplation, die immer auch eines deutlich machen will: Die späteren Verhängnisse ihrer Biografie, der Nachruhm als brillante, aber hochkomplizierte, zerrissene Dichterin haben nichts mit der Familiengeschichte zu tun! „Ingeborg Bachmann, meine Schwester“ kann in dieser Hinsicht als anti-psychoanalytische Erzählung gelesen werden, die in den Ursprungskonstellationen der Kleinfamilie gerade keinen freizulegenden Kern späterer Probleme erkennt, sondern einen Schutzraum, der von schicksalhaften späteren Begegnungen perforiert wurde. Als größtes Verhängnis und als initialer Bruch ihrer Biografie gilt dem jüngeren Bruder die 1958 begonnene Liebesbeziehung zu Max Frisch, der in dem Buch als rücksichtsloser, oberflächlicher Egomane skizziert wird. Konsequenterweise nennt ihn Heinz Bachmann nur „Herr Frisch“.
Alles am Zusammenleben der beiden wird ihm im Rückblick zum unheilvollen Indiz des Falschen und Artifiziellen. In der Penthouse-Wohnung in Rom, erinnert sich Heinz Bachmann, bestanden Teile der Bibliothekswand aus Buchattrappen (eine schwer vorstellbare Tatsache), und „beim Lesen der Briefe“ Frischs an Ingeborg erschrickt er darüber, „dass er meiner Schwester oft Durchschriften, nicht die Originale schickte. Wer macht so etwas?“
Vor einem Jahr erschien der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, dessen Tonfall vor allem in der Zeit vor der endgültigen Trennung 1963 immer wieder den Charakter eines Vernichtungsfeldzugs trägt und das Bild Bachmanns als gebrochener Frau verfestigte. Heinz Bachmanns ruhige, stellenweise ins Biedere wechselnde Erzählung zum 50. Jahrestag ihres tragischen Todes durch einen Brandunfall muss als erinnerungspolitischer Balsam verstanden werden.
ANDREAS BERNARD
Max Frisch wird als
oberflächlicher, rücksichtsloser
Egomane skizziert
Heinz Bachmann:
Ingeborg Bachmann – meine Schwester.
Erinnerungen
und Bilder.
Piper Verlag,
München 2023.
126 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Idyll
Biedere Angelegenheit:
Heinz Bachmanns
Familienerinnerungen
Heinz Bachmanns schmales Erinnerungsbuch über seine Schwester, aus Anlass ihres 50. Todestags am 17. Oktober geschrieben, hat eine buchstäbliche und eine implizit nachlasspolitische Dimension. Der heute 84-jährige Geophysiker, 13 Jahre jünger als Ingeborg, erzählt in seinen Aufzeichnungen in einfachen, oft rührenden Worten die Lebensgeschichte der berühmten Schriftstellerin aus der Perspektive der Familie, mit einem Schwerpunkt auf dem frühen Zusammenleben in Klagenfurt und dem ländlichen Kärnten, bevor Ingeborg 1946 zum Studium nach Wien ging und ihre literarische Karriere begann.
Hinter dieser einfachen, freundlichen Erzählung, die auch für Bachmann-Kenner einige neue Informationen über die Verwebung von dichterischem Werk und realen Ereignissen preisgibt, steht aber ein unausgesprochenes Programm, das die Lenkung der öffentlichen Erinnerung betrifft. Heinz Bachmann beschreibt eine trotz der Kriegswirren eminent harmonische Kindheit und Jugend seiner Schwester, eine Kärntner Familienidylle der Zuwendung und bildungsbürgerlichen Kontemplation, die immer auch eines deutlich machen will: Die späteren Verhängnisse ihrer Biografie, der Nachruhm als brillante, aber hochkomplizierte, zerrissene Dichterin haben nichts mit der Familiengeschichte zu tun! „Ingeborg Bachmann, meine Schwester“ kann in dieser Hinsicht als anti-psychoanalytische Erzählung gelesen werden, die in den Ursprungskonstellationen der Kleinfamilie gerade keinen freizulegenden Kern späterer Probleme erkennt, sondern einen Schutzraum, der von schicksalhaften späteren Begegnungen perforiert wurde. Als größtes Verhängnis und als initialer Bruch ihrer Biografie gilt dem jüngeren Bruder die 1958 begonnene Liebesbeziehung zu Max Frisch, der in dem Buch als rücksichtsloser, oberflächlicher Egomane skizziert wird. Konsequenterweise nennt ihn Heinz Bachmann nur „Herr Frisch“.
Alles am Zusammenleben der beiden wird ihm im Rückblick zum unheilvollen Indiz des Falschen und Artifiziellen. In der Penthouse-Wohnung in Rom, erinnert sich Heinz Bachmann, bestanden Teile der Bibliothekswand aus Buchattrappen (eine schwer vorstellbare Tatsache), und „beim Lesen der Briefe“ Frischs an Ingeborg erschrickt er darüber, „dass er meiner Schwester oft Durchschriften, nicht die Originale schickte. Wer macht so etwas?“
Vor einem Jahr erschien der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, dessen Tonfall vor allem in der Zeit vor der endgültigen Trennung 1963 immer wieder den Charakter eines Vernichtungsfeldzugs trägt und das Bild Bachmanns als gebrochener Frau verfestigte. Heinz Bachmanns ruhige, stellenweise ins Biedere wechselnde Erzählung zum 50. Jahrestag ihres tragischen Todes durch einen Brandunfall muss als erinnerungspolitischer Balsam verstanden werden.
ANDREAS BERNARD
Max Frisch wird als
oberflächlicher, rücksichtsloser
Egomane skizziert
Heinz Bachmann:
Ingeborg Bachmann – meine Schwester.
Erinnerungen
und Bilder.
Piper Verlag,
München 2023.
126 Seiten, 24 Euro.
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