Ingrid Bergman ist wohl die größte Filmschauspielerin des 20. Jahrhunderts. Im Hinblick auf ihren 100. Geburtstag, der am 29. August 2015 gefeiert wird, haben ihre vier Kinder - Pia Lindström, Isabella, Ingrid und Roberto Rossellini - für den Schirmer/Mosel Verlag die Schatztruhe des Familienarchivs geöffnet und uns den Auftrag erteilt, die maßgebliche, gewissermaßen offizielle Bildbiographie der Schauspielerin vorzulegen.Schweden, ihr Geburtsland, wo sie in den 30er Jahren als Jungstar erste Erfolge feierte; Hollywood, wo sie zum Weltstar wurde und so unvergessliche Klassiker wie "Casablanca" und "Wem die Stunde schlägt" drehte; Rom, wohin sie aus der ersten Ehe und aus Hollywood flüchtete, um mit Roberto Rossellini drei Kinder und fünf Filme in die Welt zu setzen; die triumphale Rückkehr nach Hollywood, New York, Paris und London nach der Scheidung von Rossellini - das alles sind Stationen eines ungeheuer reichen Lebens und einer märchenhaften Karriere, die 44 Kinofilme umfasstund die Ingrid Bergman mit den kreativsten Schauspielern, Regisseuren, Schriftstellern und Photographen der ganzen Welt in Berührung brachte. Ihre Freundschaft mit Alfred Hitchcock, mit dem sie drei Filme drehte, und ihre sehr persönliche Beziehung zur Photographen legende Robert Capa sind glanzvolle Höhepunkte, ihre späte Rückkehr nach Schweden und ihr Film mit Ingmar Bergman sind ein weiterer.Das Buch, zu dem Liv Ullmann, die Kollegin aus "Herbstsonate", ein Vorwort geschrieben hat, enthält einen schier unbeschreiblichen Schatz an Bildern: unveröffentlichte Privatphotos, glanzvolle Auftrags- und Glamourportraits, Filmstills und die indiskreten Straßenphotos der Paparazzi, die sich früh und in jeder Lebenslage an Bergmans Fersen hefteten. Originaltexte von Ingrid Bergman und vielen ihrer berühmten Kollegen begleiten das optische Fest, das wir für Sie vorbereitet haben und zu Ehren von Ingrid Bergman zur Aufführung bringen. Mit CD "As Time Goes By" (Anja Lechner, Violoncello).
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2013Eine deplacierte Frau
„Ich schiebe ständig Möbel hin und her . . ., bringe alles durcheinander.“
In einem glamourösen Band präsentiert Isabella Rossellini
ihre Mutter Ingrid Bergman, beim Dreh, in der Natur, familiär
VON FRITZ GÖTTLER
Der Meister war not amused. Sie haben mein Stück zerstört, erklärte Friedrich Dürrenmatt in einem Interview zur Hollywoodverfilmung des „Besuchs der alten Dame“, mit Ingrid Bergman und Anthony Quinn, Regie Bernhard Wicki, der damals, 1964, kurz auf eine Hollywoodkarriere hoffte. Der Film war zu glamourös, zu wenig grausam. Dürrenmatt hatte nicht Bergman gewollt, sondern Bette Davis: „Whatever Happened to Claire Zachanassian!“ „Well, here I am“, resümierte Bergman lakonisch angesichts des Desasters: „Zu alt für die jüngeren Rollen und zu jung für die älteren.“
Sie hatte das Stück selbst entdeckt und vorgeschlagen, sie mochte abseitige, schwarze, grausame Geschichten. Sie hatte immer wieder versucht, die Wege und Wendungen ihrer Karriere selbst zu bestimmen, wusste, was es heißt, sich deplaciert zu sehen. Zu welchem Mann werde ich denn nun am Ende gehören, hatte sie bei den Dreharbeiten von „Casablanca“ gefragt, zu Humphrey Bogart, der Rick war, oder zu Paul Henreid, dem Widerstandskämpfer Victor Laszlo, ihrem Mann. Das wissen wir noch nicht, erklärte ihr Regisseur Michael Curtiz, schau einfach beide verliebt an. Ilsa und die Männer . . . 1956 wurde das noch einmal gespielt, diesmal nicht als Notbehelf, sondern als Stimulans, als sie mit Jean Renoir „Elena et les hommes“ drehte und Jean Marais und Mel Ferrer um sie warben.
Isabella Rossellini und der Münchner Verleger Lothar Schirmer, Freund und Fan, haben nun einen Bildband gestaltet, der ein reiches Familienalbum ist, aber objektiv und unsentimental die Kinogeschichte nie aus dem Blick verliert. Das Porträt einer Schauspielerin, die selbstsicher und sehr professionell ist, damit auch eine Korrektur der „Ingrid, fake it!“-Legende – das hatte angeblich Hitchcock ihr geraten, als Bergman ihm bei einer Szene ihre Ratlosigkeit gestand: „Ich spür das nicht, ich kann Ihnen diese Art Emotion nicht liefern . . .“ In „Notorious“, dem mittleren ihrer drei gemeinsamen Filme, hat der Fake tiefste Wahrhaftigkeit geliefert.
Der Band startet mit Aufnahmen der allerprofessionellsten Ingrid, aus der Kindheit, mit vier posiert sie da für den Vater – Jonas Bergman hatte ein Photoatelier, früh schon eine Filmkamera –, in Kostümen und Haltungen, bereits mit einem frechen Touch Hollywood. Es kommt einem vor wie eine Travestie der Rollen, die sie später spielen wird, oder vielleicht sind diese Rollen in Amerika auch eine Travestie dieser frühen Bilder. Keine Spur von Innerlichkeit, von Ausdrucksspiel. Nach dem Tod des Vaters setzt sie sich, mit sechzehn, mit dessen Fotoausrüstung selbst in Szene. Es ist, als würde sie in all ihren Filmen, denen in Schweden, einen in Nazideutschland, dann denen in Hollywood, sich nach dem imaginären Blick des Vaters ausrichten.
Aus den schwedischen und deutschen Naturkindern hat Hollywood in den Dreißigern synthetische Geschöpfe gemacht, aus Verlegenheit – der Tonfilm erforderte eine völlig neue Vision vom Kino, einen neuen Blick auf Weiblichkeit. Auch David O. Selznick, der mit „Vom Winde verweht“ sich als Superproduzent etabliert hatte und 1940 Bergman für fünf Jahre unter Vertrag nahm, parkte sie erst mal in New York. Abwarten und ins Theater gehen und mit der Tochter Pia in den Zoo, war sein Rat. Er ließ sie erst mal ihren schwedischen Erfolg „Intermezzo“ in Hollywood recyceln, dann lieh er sie, zu irren Gagen, an andere Produktionsfirmen aus. Ein Zauderer, ganz im Gegensatz zu Howard Hughes, der schnell zugriff beim skandalträchtigen „Stromboli“, dem ersten Film, den sie 1948 mit Rossellini in Italien machte – sie lebte, obwohl noch verheiratet, mit ihm und kriegte ein Kind von ihm. Man darf die Flucht nach Italien nicht als Weg zu Ausdrucksspiel und Realismus deuten, in Naivität und Natürlichkeit. Rossellini setzt sie so cool seiner Kamera aus wie Hitchcock es getan hatte. Er sieht sie wie einen Besitz, das wird in ihrem letzten gemeinsamen Film reflektiert, „Angst“, in München gedreht.
Die Frau für Deplacierungen. „Ich schiebe ständig Möbel hin und her“, sagt sie im Interview mit John Kobal im Buch, „bringe auch immer ein paar persönliche Gegenstände mit, lasse Papiere herumliegen, bringe alles durcheinander . . .“ Eine gute Requisiteurin. Eine gute Regisseurin?
Isabella Rossellini, Lothar Schirmer (Hrsg.): Ingrid Bergman. Ein Leben in Bildern. Schirmer/Mosel Verlag, München 2013. 528 Seiten, 385 Abb., 98 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Ich schiebe ständig Möbel hin und her . . ., bringe alles durcheinander.“
In einem glamourösen Band präsentiert Isabella Rossellini
ihre Mutter Ingrid Bergman, beim Dreh, in der Natur, familiär
VON FRITZ GÖTTLER
Der Meister war not amused. Sie haben mein Stück zerstört, erklärte Friedrich Dürrenmatt in einem Interview zur Hollywoodverfilmung des „Besuchs der alten Dame“, mit Ingrid Bergman und Anthony Quinn, Regie Bernhard Wicki, der damals, 1964, kurz auf eine Hollywoodkarriere hoffte. Der Film war zu glamourös, zu wenig grausam. Dürrenmatt hatte nicht Bergman gewollt, sondern Bette Davis: „Whatever Happened to Claire Zachanassian!“ „Well, here I am“, resümierte Bergman lakonisch angesichts des Desasters: „Zu alt für die jüngeren Rollen und zu jung für die älteren.“
Sie hatte das Stück selbst entdeckt und vorgeschlagen, sie mochte abseitige, schwarze, grausame Geschichten. Sie hatte immer wieder versucht, die Wege und Wendungen ihrer Karriere selbst zu bestimmen, wusste, was es heißt, sich deplaciert zu sehen. Zu welchem Mann werde ich denn nun am Ende gehören, hatte sie bei den Dreharbeiten von „Casablanca“ gefragt, zu Humphrey Bogart, der Rick war, oder zu Paul Henreid, dem Widerstandskämpfer Victor Laszlo, ihrem Mann. Das wissen wir noch nicht, erklärte ihr Regisseur Michael Curtiz, schau einfach beide verliebt an. Ilsa und die Männer . . . 1956 wurde das noch einmal gespielt, diesmal nicht als Notbehelf, sondern als Stimulans, als sie mit Jean Renoir „Elena et les hommes“ drehte und Jean Marais und Mel Ferrer um sie warben.
Isabella Rossellini und der Münchner Verleger Lothar Schirmer, Freund und Fan, haben nun einen Bildband gestaltet, der ein reiches Familienalbum ist, aber objektiv und unsentimental die Kinogeschichte nie aus dem Blick verliert. Das Porträt einer Schauspielerin, die selbstsicher und sehr professionell ist, damit auch eine Korrektur der „Ingrid, fake it!“-Legende – das hatte angeblich Hitchcock ihr geraten, als Bergman ihm bei einer Szene ihre Ratlosigkeit gestand: „Ich spür das nicht, ich kann Ihnen diese Art Emotion nicht liefern . . .“ In „Notorious“, dem mittleren ihrer drei gemeinsamen Filme, hat der Fake tiefste Wahrhaftigkeit geliefert.
Der Band startet mit Aufnahmen der allerprofessionellsten Ingrid, aus der Kindheit, mit vier posiert sie da für den Vater – Jonas Bergman hatte ein Photoatelier, früh schon eine Filmkamera –, in Kostümen und Haltungen, bereits mit einem frechen Touch Hollywood. Es kommt einem vor wie eine Travestie der Rollen, die sie später spielen wird, oder vielleicht sind diese Rollen in Amerika auch eine Travestie dieser frühen Bilder. Keine Spur von Innerlichkeit, von Ausdrucksspiel. Nach dem Tod des Vaters setzt sie sich, mit sechzehn, mit dessen Fotoausrüstung selbst in Szene. Es ist, als würde sie in all ihren Filmen, denen in Schweden, einen in Nazideutschland, dann denen in Hollywood, sich nach dem imaginären Blick des Vaters ausrichten.
Aus den schwedischen und deutschen Naturkindern hat Hollywood in den Dreißigern synthetische Geschöpfe gemacht, aus Verlegenheit – der Tonfilm erforderte eine völlig neue Vision vom Kino, einen neuen Blick auf Weiblichkeit. Auch David O. Selznick, der mit „Vom Winde verweht“ sich als Superproduzent etabliert hatte und 1940 Bergman für fünf Jahre unter Vertrag nahm, parkte sie erst mal in New York. Abwarten und ins Theater gehen und mit der Tochter Pia in den Zoo, war sein Rat. Er ließ sie erst mal ihren schwedischen Erfolg „Intermezzo“ in Hollywood recyceln, dann lieh er sie, zu irren Gagen, an andere Produktionsfirmen aus. Ein Zauderer, ganz im Gegensatz zu Howard Hughes, der schnell zugriff beim skandalträchtigen „Stromboli“, dem ersten Film, den sie 1948 mit Rossellini in Italien machte – sie lebte, obwohl noch verheiratet, mit ihm und kriegte ein Kind von ihm. Man darf die Flucht nach Italien nicht als Weg zu Ausdrucksspiel und Realismus deuten, in Naivität und Natürlichkeit. Rossellini setzt sie so cool seiner Kamera aus wie Hitchcock es getan hatte. Er sieht sie wie einen Besitz, das wird in ihrem letzten gemeinsamen Film reflektiert, „Angst“, in München gedreht.
Die Frau für Deplacierungen. „Ich schiebe ständig Möbel hin und her“, sagt sie im Interview mit John Kobal im Buch, „bringe auch immer ein paar persönliche Gegenstände mit, lasse Papiere herumliegen, bringe alles durcheinander . . .“ Eine gute Requisiteurin. Eine gute Regisseurin?
Isabella Rossellini, Lothar Schirmer (Hrsg.): Ingrid Bergman. Ein Leben in Bildern. Schirmer/Mosel Verlag, München 2013. 528 Seiten, 385 Abb., 98 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Fritz Göttler merkt man seine Bewunderung für Ingrid Bergman an, deshalb ist er auch begeistert von dem Fotoband, den ihre Tochter Isabella Rossellini und der Münchner Verleger Lothar Schirmer nun der großen Schauspielerin gewidmet haben: Wie ein glamouröses Familienalbum, aber, so stellt Göttler erleichtert fest, ganz "objektiv und unsentimental". Die beiden blieben in ihrer Hommage nah dran an der Kinogeschichte, zu der Göttler eine ganze Reihe Anekdoten parat hat. So zum Beispiel Hitchcocks legendären Rat "Ingrid, fake it", den der Regisseur ihr gab, als sie in einem seiner Filme meinte, die Emotion nicht authentisch darstellen zu können. Dass Bergman die meiste Zeit ganz und gar nicht ratlos, sondern selbstbewusst und höchst professionell war, beweist der Band für den Rezensenten eindrücklich.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH