Produktdetails
  • Verlag: The Chicken House
  • ISBN-13: 9781904442219
  • ISBN-10: 1904442218
  • Artikelnr.: 12589448
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Magie der Bücher
„Tintenherz”, der neue Fantasy – Roman von Cornelia Funke
Cornelia Funke gehört wohl zu den bekannten Autoren, die eine ganze Palette von Themen und Tönen zu bieten hat, vom Kinderklamauk bis zu Jugendproblemen, und dem seit Michael Ende so erfolgreichen Genre des Phantastischen. Ihr neuester Roman Tintenherz umfasst 59 Kapitel auf 576 Seiten und eine Liste von 44 Titeln der hauptsächlich anglo-amerikanischen Kinderliteratur, aus denen sie in ihrem Text zitiert oder ihre Motti ausgesucht hat.
Eine selbstbewusste Liste der Besten dieser Gattung, eine Ahnengalerie der literarischen Vorbilder, eine Einkaufsliste für Eltern, die ihren Kindern den Grundstock einer Kinderbibliothek gönnen, eine Liste, in der ein Buch fehlt, Frank Baums Der Zauberer von Oz, aus dem sehr wohl zitiert wird und das für Tintenherz eine nicht geringe Bedeutung besitzt. Denn Baum wollte Anfang des vorigen Jahrhunderts Kindern ein Märchen erzählen, das wohl gruselig, aber nicht so grausam sein sollte wie – seiner Ansicht nach – jene der Brüder Grimm. In Tintenherz nun entfesselt Cornelia Funke das grausamste und kälteste Böse, das man als Autor Kindern zumuten kann, aber auch sie will weder ihren sympathischen Helden, einen Buchbinder, Restaurator und Buchliebhaber, noch seine kleine Tochter Meggie zwingen, eine ganze Räuberbande samt Anführer und sein wie aus der Hölle entsprungenes Gespenst so zu erschlagen, erstechen, erwürgen, wie es bei diesen Bösewichtern üblich ist. Wie aber und woher kann Rettung kommen?
Daher muss man wissen, woher die Bösen stammen: aus dem Buch „Tintenherz”. Mo, wie Meggie ihren Buchbinder-Vater nennt, hat vor Jahren, als Meggie noch ein Krabbelkind war, ihr und seiner Frau aus diesem Buche vorgelesen, und eines Tages entstiegen ihm leibhaftig „Capricorn”, seine Gesellen und „Staubfänger”, der Gaukler. Aber Mos Frau war dafür verschwunden. Ins Buch? Das weiß keiner. Seitdem war Mos Leben Flucht und Angst vor der bösen Bande, die ihn damals fast erschlagen hätte, Angst vor deren Gewalt, Angst um sein Kind, Angst, das Buch an Capricorn ausliefern zu müssen, das er samt Mo, dem ahnungslos zauberkräftigen Vorleser, für seine finsteren Zwecke haben wollte.
Mo hatte sich mit Meggie in einem kleinen Haus versteckt und ihr nie aus einem Buch vorgelesen, um den Schreckenszauber nicht zu wiederholen, aber nun steht Staubfänger vorm Tor, getrieben von der Sehnsucht, in seine Welt zurückgezaubert oder – gelesen zu werden, verrät deshalb Mo und Meggie an Capricorn, und die Jagd kann wieder beginnen. Am Ende der Flucht in einem Felsennest in Ligurien ahnen wir, wer die schöne stumme Frau ist, aber es dauert fast fünfhundert Seiten, bis alle dramatischen Möglichkeiten, alle atemberaubenden Abenteuer, alle Gruseleffekte durchgespielt sind und der alte Dichter, Autor von „Tintenherz”, im allerletzten Moment einfach den Schluss seines Buches umschreibt, so dass die gerettet werden, die Rettung verdienen und die Bösen schlichtweg zu Krümeln zerfallen.
Denn das ist klar, es gibt das Böse im Menschen, das tödliche, unausrottbar Böse, und die Frage lautet in diesem Roman nicht: Warum?, sondern: Wie wird man damit fertig? Die anderen in der Geschichte und ich, der Leser? Cornelia Funke ist zu klug, um eine Antwort zu geben, aber ihre schillernden Zaubereien sind nur wie ein Gerassel, um die Leser zu wecken, wenn sie es sich im „Es war einmal” zu gemütlich machen wollen.
Ein Böser allerdings bleibt übrig, und verschwunden ist dafür als Preis des heilenden Wörterzaubers der Dichter selbst in seinem eigenen Buch unter Hinterlassung seiner Enkelkinder. Deutet das auf eine Fortsetzung hin oder gehören diese beiden Fakten zu den anderen ungelösten Fragen dieser Geschichte? Die Kinder aber werden vom Schwung und von den unerwarteten Abenteuern dieser Geschichte vermutlich so hin- und hergerissen, dass sie sicher bei aller kalkulierten Spannung und trotz der offenen Fragen das empfinden können, was der Autorin am wichtigsten ist: Zauber und Macht der Bücher.(ab 12 Jahre)
SYBIL GRÄFIN SCHÖNFELDT
CORNELIA FUNKE: Tintenherz. Cecilie Dressler Verlag 2003. 576 Seiten, 19,90 Euro.
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