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Renowned historian Anthony Grafton invites us to see the scholars of early modern Europe as laborers. Bookish but hardly divorced from physical tasks, they were artisans of script and print. Drawing new connections between text and craft, publishing and intellectual history, Grafton shows that the life of the mind depends on the work of the hands.

Produktbeschreibung
Renowned historian Anthony Grafton invites us to see the scholars of early modern Europe as laborers. Bookish but hardly divorced from physical tasks, they were artisans of script and print. Drawing new connections between text and craft, publishing and intellectual history, Grafton shows that the life of the mind depends on the work of the hands.
Autorenporträt
Anthony Grafton
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2020

Alles eine Frage der Kompilation
Anthony Grafton schaut den Humanisten bei der Herstellung von Büchern über die Schulter

Tintenfinger machen Flecken. Einer dieser Flecken ist auf dem Umschlag des neuen Buchs von Anthony Grafton zu sehen. Er zeugt von den Anstrengungen der Drucker und Korrektoren in den Offizinen, von der Körperlichkeit ihrer scheinbar hehren Geistesarbeit. Grafton, der exzellente Kenner der humanistischen Tradition, möchte in den zehn Fallstudien seines Buchs deutlich machen, dass die Ideale und Ideen des Humanismus einem Fundament von Plackerei und harter Anstrengung abgerungen worden sind.

Anschaulich erleben wir den Alltag in den Verlagen von Basel, Lyon oder Antwerpen, wenn etwa Christophe Plantin seine vier minderjährigen Töchter dazu einsetzte, Texte auf Hebräisch, Griechisch oder Latein vorzulesen. Sie verstanden nicht, was sie lasen, aber es reichte, um Korrektoren Fehler in den Druckbögen finden zu lassen. Diese Korrektoren waren oft selbst gestandene Gelehrte, welche in die Vorlagen eingriffen, Vorworte verfassten oder Polemiken anzettelten. Grafton spricht von den "tintenklecksigen Kreuzwegen, an denen sich Verlagsarbeit und Gelehrsamkeit überschneiden".

Das große Thema des Buchs ist aber die Kompilation. Was heute die "Cut"- und "Paste"-Tasten des Computers sind, mit denen man Textstücke heraussuchen und an anderer Stelle wieder einsetzen kann, waren im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert Techniken buchstäblichen Herausschneidens und Aufklebens. Schon seit einigen Jahren ist die Wissensgeschichte diesen Techniken und ihren Verwandten, den Loci-Communes-Notizbüchern und den Indizes, auf der Spur - als den maßgeblichen Praktiken, mit denen neues Wissen zusammengesetzt wurde. Grafton geht aber einen Schritt weiter. Solches Kompilieren darf nicht als simpler Mechanismus am Rande des Plagiats missverstanden werden, sagt er. Es kam immer darauf an, wie jemand kompilierte, welche Stelle er heraussuchte, was er wegließ, was er veränderte. Dann konnten sich auf einmal Konturen des Neuen auftun.

Johannes Boemus, ein süddeutscher Humanist, veröffentlichte 1520 sein Werk "Omnium gentium mores, leges et ritus" über die Sitten und Gebräuche aller Völker, das als Vorläufer wissenschaftlicher Ethnographie gilt. Auf kluge Weise schusterte er das Buch aus Reiseberichten, Versatzstücken antiker Autoren und eigenen Zutaten zusammen. "From Patchwork to Tailoring" nennt Grafton diesen Übergang, hin zu einem maßgeschneiderten Endprodukt, das durch die Zusammenstellung von antiken und modernen Gebräuchen oder von jüdischen und christlichen Riten den Leser zum Vergleich auffordert.

Ein Blick in die reichhaltige Rezeptionsgeschichte bestätigt diesen Effekt. Das gilt auch für andere Werke. Polydore Vergil, ein italienischer Gelehrter aus Urbino, der in England lebte, hat ein noch erfolgreicheres Buch geschrieben, "De rerum inventoribus", über die Erfinder von allerlei Kulturtechniken. Auch dieses Buch ist als Kompilation entstanden und hat durch die Zusammenstellung von Quellenhäppchen einen neuen Blick ermöglicht: Für Grafton steht Polydore Vergil am Anfang der Erforschung der jüdischen Ursprünge des Christentums. "Polydore revolutionierte das Studium der frühen Christenheit nicht dadurch, dass er neue Quellen ins Spiel brachte, sondern indem er das, was die Standardmethode der Bildung geworden war (das Anlegen einer Exzerptsammlung), in ein Prinzip der Komposition umwandelte."

Selbst bei Philosophen wie Spinoza, die man kaum unter die Kompilatoren zählen möchte, kann Grafton solche Dynamiken nachweisen. Und auch die Neue Welt war nicht vor ihnen sicher. Als Franz Daniel Pastorius, Gründer von Germantown in Pennsylvania, 1683 mit der "Concord", der deutschen "Mayflower", nach Amerika auswanderte, nahm er sein riesiges Notizbuch mit, in das er alle bemerkenswerten Funde alter oder neuer Autoren eintrug. In Deutschland hatte er in der Schule und auf der Universität gelernt, wie das zu bewerkstelligen war. Sein "Bienenstock", wie er die Sammlung liebevoll nannte, half ihm dann, sich in der neuen Umgebung zu orientieren und dort seine persönliche Form von früher Aufklärung herauszubilden.

Und noch ein drittes Motiv durchzieht die Fallstudien: der Experte hinter dem Autor. Am Beispiel von Jean Mabillon, dem Begründer der Paläographie, zeigt Grafton, dass niemand eine solch umfassende Kenntnis von alten Schreibstilen und Schriftformen hatte wie dieser Benediktinermönch. Aber sogar er musste sich von professionellen Schreibern wie Pierre Hamon abschauen, wie bestimmte Buchstaben geformt zu sein hatten. Erst die Zusammenfügung von humanistischen Anregungen zur Schriftgeschichte, praktischer Schreiberexpertise und einem mikroskopischen Detailinteresse, wie es zur selben Zeit die modernen Naturwissenschaften entwickelten, ermöglichte es Mabillon, 1681 sein revolutionäres "De re diplomatica" zu schreiben.

Humanismus ist bei Grafton - schon seit seinen ersten Büchern vor mehr als dreißig Jahren - nie eine einfache Angelegenheit stillen Studiums von antiken Autoren. Er ist immer vielschichtig, versetzt mit Gegenwärtigkeit, Naturkunde, der Evolution von Techniken und der schmutzigen Seite von Korrektorenschweiß und Druckerfarbe. Und das Kompilieren, das ihm zugrunde liegt, war nicht immer nur ein friedlicher Prozess. Denn beim Nebeneinanderstellen von Quellenstücken, die aus verschiedenen Kontexten kamen, wie auch beim Aufeinandertreffen von Gelehrtentum und praktischer Expertise konnte es durchaus zu kleinen intellektuellen Explosionen kommen. Man kann nur hoffen, dass dadurch nicht die Druckerei in Brand geriet.

MARTIN MULSOW.

Anthony Grafton: "Inky Fingers". The Making of Books in Early Modern Europe.

Harvard University Press, Cambridge/London 2020. 392 S., geb., 37,- [Euro].

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