Das Zentrum des Bandes aber bildet der Briefwechsel mit Ernst Niekisch, der 1945 fast erblindet und von der Roten Armee aus dem Zuchthaus befreit, im Berlin der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR an seine nationalbolschewistische Konzeption aus der Weimarer Zeit anzuknüpfen versucht. In den Briefen wird die politische Lage diskutiert und die unterschiedlichen Positionen zur Technisierung der Welt. Auch findet sich hier das Gutachten, das Niekisch für die US-Besatzungsbehörden über F.G. Jüngers politische Haltung schrieb.
Die Briefwechsel sind sorgfältig kommentiert, jeweils mit Nachworten versehen und durch ein Namensregister erschlossen. In einem Nachwort werden die Autoren und Briefe in die geistige und politische Landschaft jener Jahre gestellt.
Die Briefwechsel sind sorgfältig kommentiert, jeweils mit Nachworten versehen und durch ein Namensregister erschlossen. In einem Nachwort werden die Autoren und Briefe in die geistige und politische Landschaft jener Jahre gestellt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.06.2001Nur die Ruhe
Friedrich Georg Jünger im
Briefwechsel mit Weggefährten
Der Band versammelt drei Korrespondenzen Friedrich Georg Jüngers aus den ersten Nachkriegsjahren; nur ganz wenige Briefe stammen aus der Epoche vor 1945. Die Partner haben wenig miteinander zu tun: der Maler Rudolf Schlichter, der Publizist und Verleger Ernst Niekisch, der Essayist Gerhard Nebel. Gemeinsam ist ihnen die Unruhe, die aus der Erschütterung durch die Katastrophe, die Notwendigkeit eines radikalen Neubeginns resultiert. In merkwürdigem Kontrast dazu steht die Haltung Friedrich Georg Jüngers, seine Distanz zum Zeitgeschehen. „Gegenüber der ungeheuren Bewegung, in die ich eingeschlossen, vielleicht auch eingezwängt bin”, schreibt er am 10. Juli 1947 an Ernst Niekisch, „gibt es für mich nur eines: vollkommene Ruhe zu wahren.”
Jüngers Briefe sind großenteils Kommentare zu dieser in Überlingen am Bodensee praktizierten Gelassenheit und Heiterkeit einer musischen Existenz, die in Hafis eines ihrer Vorbilder sieht. Auch in künstlerischer Hinsicht; die beiden Gedichtbände, die Jünger 1947 veröffentlichte, sind im Hafiston gehaltene Zyklen, deren Titel „Die Silberdistelklause” und „Das Weinberghaus” auf gegenwartsferne Territorien verweisen. Der im zerstörten Berlin lebende, durch acht Nazi-Zuchthausjahre hindurchgegangene Ernst Niekisch empfindet die „etwas quälende Dissonanz”, die sich zwischen diesen Versen und den „Ruinen im Hintergrund” ergibt.
Aber der Dichter ist davon durchdrungen, „dass inmitten dieser Welt der Zerstörung eine ganze heile und unverletzte Welt liegt, die von keiner Atombombe berührt wird”. Gegen Gerhard Nebel verteidigt er den zyklischen Zeitbegriff, der von Zielgerichtetheit, Fortschritt, Endgültigkeit nichts wissen will. Der Briefpartner schöpft aus dem für Jünger zentralen Gedanken der Wiederkehr keinen Trost; er interpretiert das Christentum als Überwindung eines sinn- und ausweglos kreisenden, letztlich tragischen Daseins.
Zeit, dass er entwurzelt wird
Von ihm kommt die schärfste Kritik an Jüngers Unerschütterlichkeit. „Es wird Zeit, dass er einmal entwurzelt wird”, schreibt er an Friedrich Georgs Bruder Ernst. Natürlich blieb die Forderung unerfüllt, und so schlief denn auch der von Nebels Seite schwungvoll begonnene Briefwechsel bald wieder ein. Auch für die anderen Korrespondenzen gilt, dass sie es nur in Ansätzen zu einem Gespräch bringen. Mit Rudolf Schlichter ist der vehemente Kritiker des technischen Fortschritts sich einig in der Ablehnung des destruktiven Charakters eines großen Teils der modernen Malerei, aber Schlichters Polemik gegen die „Flechtheimianer”, die Künstler, die der Galerist und Kunsthändler Alfred Flechtheim förderte, entsprang einem stark persönlich gefärbten Ressentiment.
Interessant an dieser Lektüre sind nicht nur die Einblicke, die sie auf die deutsche geistige Nachkriegslandschaft eröffnet. Aufschlussreich ist auch das Bild, das sie von der Verschiedenheit der Wege vermittelt, die einige herausragende Vertreter des für die Weimarer Republik charakteristischen antidemokratischen Denkens während der Nazizeit und danach gegangen sind.
Einst verband sie die erbitterte Gegnerschaft zur parlamentarischen Demokratie, die sie als Rückfall in ein überwunden geglaubtes 19. Jahrhundert begriffen, als Wiederkehr einer bürgerlichen Zivilisation, die sie verachteten. Sie propagierten einen autoritären Staat mit sozialistischen Zügen. Schlichter war zunächst KPD-Mitglied, des ehemaligen Rätesozialisten Ernst Niekisch seit 1926 in Dresden erscheinende Zeitschrift Widerstand warb im Untertitel für „sozialistische und nationalrevolutionäre Politik”. Friedrich Georg Jünger war mit seinem Manifest „Aufmarsch des Nationalismus” von 1926 zu einem der Wortführer der konservativen Revolution geworden. Aber in Hitler sahen sie alle „ein deutsches Verhängnis”.
So veränderte der „Widerstand”, den Niekisch propagierte, seine Zielrichtung. Der Tagebuchschreiber Thomas Mann versah den „Widerstandsverlag” mit einem Ausrufezeichen; man hatte ihm Friedrich Georg Jüngers bei Niekisch in Berlin 1934 erschienene „Gedichte” ins Zürcher Exil geschickt. Er las den „Mohn”, ein Stück „von fabelhafter Aggressivität gegen die Machthaber”, beim Abendessen seiner Familie „zu allgemeinem Erstaunen” vor.
Auf den „Mohn” berief sich Niekisch 1946 in einem der amerikanischen Militärbehörde vorgelegten Gutachten. Er unterließ nichts, die Brüder Jünger gegen den „Wegbereiter”-Vorwurf in Schutz zu nehmen. Während Niekisch die „Hitlerei” nicht als politisches, sondern als „rein kriminelles Ereignis” wertete, das freilich den Bankrott des deutschen Bürgertums besiegelt hatte, verstand Jünger das Dritte Reich und den Weltkrieg als Erscheinungsform eines noch keineswegs abgeschlossenen Prozesses, den er als „Perfektion der Technik” beschrieb. „Meine Zukunft gehört niemandem, sie gehört mir allein. Und mein Vaterland ist weder zu erobern noch zu unterwerfen.” Wer so dachte, eignete sich kaum als Partner im Kampf um einen Neubeginn. Die Verbündeten im Gegenstrom hatten sich nicht mehr viel zu sagen.
ALBERT VON SCHIRNDING
FRIEDRICH GEORG JÜNGER: Inmitten dieser Welt der Zerstörung. Briefwechsel mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel. Hrsg. Ulrich Fröschle, Volker Haase. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 229 S., 39,50 Mark.
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Friedrich Georg Jünger im
Briefwechsel mit Weggefährten
Der Band versammelt drei Korrespondenzen Friedrich Georg Jüngers aus den ersten Nachkriegsjahren; nur ganz wenige Briefe stammen aus der Epoche vor 1945. Die Partner haben wenig miteinander zu tun: der Maler Rudolf Schlichter, der Publizist und Verleger Ernst Niekisch, der Essayist Gerhard Nebel. Gemeinsam ist ihnen die Unruhe, die aus der Erschütterung durch die Katastrophe, die Notwendigkeit eines radikalen Neubeginns resultiert. In merkwürdigem Kontrast dazu steht die Haltung Friedrich Georg Jüngers, seine Distanz zum Zeitgeschehen. „Gegenüber der ungeheuren Bewegung, in die ich eingeschlossen, vielleicht auch eingezwängt bin”, schreibt er am 10. Juli 1947 an Ernst Niekisch, „gibt es für mich nur eines: vollkommene Ruhe zu wahren.”
Jüngers Briefe sind großenteils Kommentare zu dieser in Überlingen am Bodensee praktizierten Gelassenheit und Heiterkeit einer musischen Existenz, die in Hafis eines ihrer Vorbilder sieht. Auch in künstlerischer Hinsicht; die beiden Gedichtbände, die Jünger 1947 veröffentlichte, sind im Hafiston gehaltene Zyklen, deren Titel „Die Silberdistelklause” und „Das Weinberghaus” auf gegenwartsferne Territorien verweisen. Der im zerstörten Berlin lebende, durch acht Nazi-Zuchthausjahre hindurchgegangene Ernst Niekisch empfindet die „etwas quälende Dissonanz”, die sich zwischen diesen Versen und den „Ruinen im Hintergrund” ergibt.
Aber der Dichter ist davon durchdrungen, „dass inmitten dieser Welt der Zerstörung eine ganze heile und unverletzte Welt liegt, die von keiner Atombombe berührt wird”. Gegen Gerhard Nebel verteidigt er den zyklischen Zeitbegriff, der von Zielgerichtetheit, Fortschritt, Endgültigkeit nichts wissen will. Der Briefpartner schöpft aus dem für Jünger zentralen Gedanken der Wiederkehr keinen Trost; er interpretiert das Christentum als Überwindung eines sinn- und ausweglos kreisenden, letztlich tragischen Daseins.
Zeit, dass er entwurzelt wird
Von ihm kommt die schärfste Kritik an Jüngers Unerschütterlichkeit. „Es wird Zeit, dass er einmal entwurzelt wird”, schreibt er an Friedrich Georgs Bruder Ernst. Natürlich blieb die Forderung unerfüllt, und so schlief denn auch der von Nebels Seite schwungvoll begonnene Briefwechsel bald wieder ein. Auch für die anderen Korrespondenzen gilt, dass sie es nur in Ansätzen zu einem Gespräch bringen. Mit Rudolf Schlichter ist der vehemente Kritiker des technischen Fortschritts sich einig in der Ablehnung des destruktiven Charakters eines großen Teils der modernen Malerei, aber Schlichters Polemik gegen die „Flechtheimianer”, die Künstler, die der Galerist und Kunsthändler Alfred Flechtheim förderte, entsprang einem stark persönlich gefärbten Ressentiment.
Interessant an dieser Lektüre sind nicht nur die Einblicke, die sie auf die deutsche geistige Nachkriegslandschaft eröffnet. Aufschlussreich ist auch das Bild, das sie von der Verschiedenheit der Wege vermittelt, die einige herausragende Vertreter des für die Weimarer Republik charakteristischen antidemokratischen Denkens während der Nazizeit und danach gegangen sind.
Einst verband sie die erbitterte Gegnerschaft zur parlamentarischen Demokratie, die sie als Rückfall in ein überwunden geglaubtes 19. Jahrhundert begriffen, als Wiederkehr einer bürgerlichen Zivilisation, die sie verachteten. Sie propagierten einen autoritären Staat mit sozialistischen Zügen. Schlichter war zunächst KPD-Mitglied, des ehemaligen Rätesozialisten Ernst Niekisch seit 1926 in Dresden erscheinende Zeitschrift Widerstand warb im Untertitel für „sozialistische und nationalrevolutionäre Politik”. Friedrich Georg Jünger war mit seinem Manifest „Aufmarsch des Nationalismus” von 1926 zu einem der Wortführer der konservativen Revolution geworden. Aber in Hitler sahen sie alle „ein deutsches Verhängnis”.
So veränderte der „Widerstand”, den Niekisch propagierte, seine Zielrichtung. Der Tagebuchschreiber Thomas Mann versah den „Widerstandsverlag” mit einem Ausrufezeichen; man hatte ihm Friedrich Georg Jüngers bei Niekisch in Berlin 1934 erschienene „Gedichte” ins Zürcher Exil geschickt. Er las den „Mohn”, ein Stück „von fabelhafter Aggressivität gegen die Machthaber”, beim Abendessen seiner Familie „zu allgemeinem Erstaunen” vor.
Auf den „Mohn” berief sich Niekisch 1946 in einem der amerikanischen Militärbehörde vorgelegten Gutachten. Er unterließ nichts, die Brüder Jünger gegen den „Wegbereiter”-Vorwurf in Schutz zu nehmen. Während Niekisch die „Hitlerei” nicht als politisches, sondern als „rein kriminelles Ereignis” wertete, das freilich den Bankrott des deutschen Bürgertums besiegelt hatte, verstand Jünger das Dritte Reich und den Weltkrieg als Erscheinungsform eines noch keineswegs abgeschlossenen Prozesses, den er als „Perfektion der Technik” beschrieb. „Meine Zukunft gehört niemandem, sie gehört mir allein. Und mein Vaterland ist weder zu erobern noch zu unterwerfen.” Wer so dachte, eignete sich kaum als Partner im Kampf um einen Neubeginn. Die Verbündeten im Gegenstrom hatten sich nicht mehr viel zu sagen.
ALBERT VON SCHIRNDING
FRIEDRICH GEORG JÜNGER: Inmitten dieser Welt der Zerstörung. Briefwechsel mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel. Hrsg. Ulrich Fröschle, Volker Haase. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 229 S., 39,50 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Einblicke in die Gedankenwelt einiger heute unbekannt erscheinender Intellektueller gewährt laut Albert von Schirnding der vorliegende Band, der den Briefwechsel zwischen vier höchst unterschiedlich positionierten Menschen in der Nachkriegszeit dokumentiert, die eines gemeinsam hatten: sie waren "für die Weimarer Republik typische" Anti-Demokraten, so von Schirnding, wenngleich Hitlergegner. F.G. Jünger (der Bruder?) ist als Wortführer der konservativen Revolution bekannt geworden, Niekisch vertrat eine "sozialistisch-nationalrevolutionäre" Gesinnung, Schlichter gehörte der KPD an, wer Gerhard Nebel war, erfährt der Leser nicht . Der Rezensent kommt jedenfalls nach der gesammelten Lektüre zu der Einsicht, dass sich diese Partner "im Kampf für einen Neubeginn" nach 1945 wohl kaum füreinander eigneten. Sie waren keine Verbündeten mehr und hatten einander nicht mehr viel zu sagen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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