Ist innere Sicherheit heute ein Thema? Die Zunahme von Einbrüchen, Diebstählen und extremistischer Gewalt in ganz Deutschland führt seit einigen Jahren zur Verunsicherung der Bürger. Die Brandanschläge auf Bahnanlagen und politisch motivierte Gewalttaten in ganz Sachsen zeigen, dass die innere Sicherheit auch im Freistaat vor neuen Herausforderungen steht. Ist der Staat nur noch begrenzt in der Lage, die Bürger zu schützen?
Dieses Buch setzt sich mit der Vielfalt der Fragen zur inneren Sicherheit mit Fokus auf den Freistaat Sachsen auseinander. 17 Autoren beleuchten das Phänomen und machen es für den Leser greifbar: Was ist innere Sicherheit überhaupt? Welche Aspekte umfasst sie? Neben Wissenschaftlern kommen Beteiligte zu Wort, die einen Bezug zum Thema "innere Sicherheit" haben: Opfer von Kriminalität, Polizisten und Therapeuten. So werden Ursachen und Prävention von Kriminalität und die exekutive Umsetzung von innerer Sicherheit ins Blickfeld gerückt.
Dieses Buch setzt sich mit der Vielfalt der Fragen zur inneren Sicherheit mit Fokus auf den Freistaat Sachsen auseinander. 17 Autoren beleuchten das Phänomen und machen es für den Leser greifbar: Was ist innere Sicherheit überhaupt? Welche Aspekte umfasst sie? Neben Wissenschaftlern kommen Beteiligte zu Wort, die einen Bezug zum Thema "innere Sicherheit" haben: Opfer von Kriminalität, Polizisten und Therapeuten. So werden Ursachen und Prävention von Kriminalität und die exekutive Umsetzung von innerer Sicherheit ins Blickfeld gerückt.
Innere Sicherheit in Zeiten von Terrorangst und Flüchtlingskrise - das Beispiel Sachsen
"Es gibt nur wenige Gebiete, auf denen die Ost-West-Angleichung so schnell gelang wie auf dem der Kriminalität", heißt es in dem Sammelband "Innere Sicherheit in Sachsen", der bei "Edition Leipzig" erschienen ist. "Bereits im Jahr 1991 wurde in den sogenannten neuen Ländern das westdeutsche Niveau erreicht." Und zwar von unten. Seitdem unterscheiden sich Sicherheitsempfinden, aber auch tatsächliche Gefahren in beiden Landesteilen kaum noch. Vielmehr eint die Deutschen gerade in jüngster Zeit der Eindruck, der Staat könne sie nur noch begrenzt schützen, weshalb das Thema "Innere Sicherheit" einen "bemerkenswerten Aufschwung" genommen habe. Diese Entwicklung nehmen die Herausgeber Gert Pickel, Alexander Yendell und Karolin Dörner von der Universität Leipzig, alle drei ausgewiesene Kenner der Materie, zum Anlass, die innere Sicherheit mit Hilfe zahlreicher Autoren aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und darüber hinaus sächsische Besonderheiten herauszuarbeiten, ist doch gerade der Freistaat in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht besonders aufgefallen.
Kritikern, die - mit Recht - darauf verweisen, dass sich die Kriminalität insgesamt in Deutschland in den vergangenen Jahren verringert hat, halten die Autoren - ebenfalls mit Recht - entgegen, dass die "Wahrnehmung einer unsicheren Situation . . . und einer Gefährdung der inneren Sicherheit bei den Bürgern Relevanz für ihre Haltung zur Demokratie" besitzt. Natürlich seien die realen Folgen etwa von Terroranschlägen in Deutschland geringer als die deutlich dramatischere Wahrnehmung, aber auch die Wahrnehmung der Realität habe Konsequenzen, die wiederum Bestandteil der Realität seien. "Da hilft es übrigens auch wenig, wenn man dies von außen belächelt oder als falsch klassifiziert", schreiben die Autoren. Das Gefühl einer fast permanent gefährdeten Sicherheitslage führe im Extremfall zu "Unzufriedenheit mit der Exekutive, der Legislative und zuletzt dem politischen System sowie der Demokratie an sich".
Das ist eine ziemlich exakte Beschreibung der Lage auch in Sachsen, wo sich die Unzufriedenheit weniger mit der Demokratie als vielmehr mit dem politischen System und dessen Vertretern erst wieder bei der jüngsten Bundestagswahl gezeigt hat, bei der die AfD knapp vor der CDU ins Ziel ging. Die CDU wiederum, die in Sachsen seit 1990 ununterbrochen regiert, hat die innere Sicherheit als eines ihrer Kernthemen in den vergangenen Jahren grob vernachlässigt und unter anderem aufgrund fehlerhafter Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung eine Polizeireform begonnen, die im Wesentlichen aus der Zusammenlegung und Schließung von Dienststellen sowie aus massivem Personalabbau bestand. Die Kriminalitätsstatistik untermauerte diesen Kurs durchaus, denn "zwischen den Jahren 1995 und 2015 reduzierte sich die polizeilich registrierte Kriminalität im Freistaat um knapp 26 Prozent", heißt es in dem Band.
In der Öffentlichkeit aber verschlechterte sich das Sicherheitsempfinden, zum Teil auch unterlegt durch einen tatsächlichen Zuwachs an Straftaten in einzelnen Bereichen. So nahm die Zahl der Autodiebstähle zuletzt stark zu, blieb aber nach wie vor um ein Vielfaches unter den Rekordwerten der neunziger Jahre, als es keine elektronische Wegfahrsperre gab; praktisch verdoppelt hat sich seit 2007 (wie bundesweit) auch die Zahl der Wohnungseinbrüche.
Bei der Zahl extremistischer Gewalttaten im Zuge der politischen Radikalisierung während der sogenannten Flüchtlingskrise allerdings ragt Sachsen heraus: Nirgendwo gab es, bezogen auf die Anzahl der Einwohner, mehr fremdenfeindliche Anschläge. Eine Ursache dafür dürfte die "weit über dem Bundesdurchschnitt" liegende Zahl der nicht in Parteien organisierten Rechtsextremen sein, die im Freistaat, bezogen auf eine Million Einwohner, fast dreimal so groß ist wie in Deutschland insgesamt. Mit knapp 2500 (im Jahr 2016) registrierten Straftaten politisch motivierter Kriminalität von rechts hält Sachsen ebenfalls den bundesweiten Negativrekord. Das alles bescherte dem Freistaat große Aufmerksamkeit, die zudem, auch das beschreibt der Band eindrücklich, von Pannen bei Sicherheitsbehörden, einem "desaströsen Umgang der Regierung mit Problemen", aber auch von einer "zuweilen hysterischen Berichterstattung" begleitet wurde, was wiederum bei vielen Sachsen, die nicht dem rechtsextremen Spektrum angehören, zu Trotz- und Verteidigungsreflexen führte. Zugleich raten die Autoren aber auch der sächsischen Polizei zu einem "offensiven, selbstkritischen Umgang" mit Rassismus und Rechtsextremismus in den eigenen Reihen, "um das Vertrauen der Bürger in die Polizei zu stärken".
In zahlreichen, wohltuend knapp gehaltenen Beiträgen widmen sich die Autoren sowohl theoretischen als auch ganz praktischen Fragen der inneren Sicherheit wie Angst und Risiko, sie gehen auf relativ neue Phänomene wie "Bürgerwehren" und "Reichsbürger" ein, beschreiben rechtliche Grenzen sowie die Themen Prävention und Therapie von Gewalttätern, und sie verweisen immer wieder auch auf Konsequenzen. So führe etwa die Wahrnehmung eines staatlichen Kontrollverlustes zu einer deutschlandweit schnell steigenden Bereitschaft, eigene Freiheitsrechte aufzugeben und etwa intensiver Überwachung auch im Verdachtsfall bis hin zu unbeschränkter Haft bei Verdacht auf Terrorismus zuzustimmen. Als "braver Bürger", so die immer wieder zu hörende Begründung, habe man schließlich nichts zu verbergen.
Als sächsische oder vielmehr ostdeutsche Besonderheit verweisen die Autoren darauf, dass das Sicherheitsempfinden auch eine Art Container für verschiedene Ängste des Lebens ist, die wegen des rapiden Transformationsprozesses nach 1990 im Osten größer sein könnten. Bemerkenswert ist dazu das Gespräch mit einer Fachärztin für Psychiatrie, die analysiert, dass hinter der Terrorangst oft diffuse Lebensängste steckten. Menschen, die spürten, dass etwas schieflaufe in ihrem Leben, die aber die Verantwortung dafür nicht bei sich sähen, fühlten sich in vielen Lebensbereichen unsicher und suchten nach einfachen Erklärungen für komplexe Dinge. Je weniger selbstsicher diese Menschen seien, umso mehr fühlten sie sich bedroht durch alles, was anders ist als sie selbst.
Deutliche Kritik üben die Autoren zudem an der stiefmütterlich behandelten Prävention bei der Polizei. So seien infolge der Polizeireform in Sachsen fast 90 Prozent der Stellen hauptamtlicher Präventionsbeamter gestrichen worden. Dass zudem ungeklärt bleibe, wer künftig für Prävention zuständig sei, habe eine "verheerende Signalwirkung". In der gefühlten Unsicherheit gründeten sich ständig neue Sicherheitspartnerschaften etwa auf Initiative von Wirtschaft und Kommunen, was zu einer "fragmentierten Sicherheitsarchitektur" statt zu ressortübergreifenden Präventionsnetzwerken führe. Der sehr facettenreiche und für ein von Wissenschaftlern verfasstes Buch überaus lesbare Band schließt mit der Empfehlung an Parteien, nicht mit der Angst der Bürger Politik zu machen und die innere Sicherheit nicht länger isoliert zu betrachten - ist sie doch längst eng verwoben mit Politikfeldern wie Bildung, Familie, Gesundheit und Justiz.
STEFAN LOCKE
Alexander Yendell/Gert Pickel/Karolin Dörner (Hg.): Innere Sicherheit in Sachsen. Beiträge zu einer kontroversen Debatte.
Edition Leipzig, Leipzig 2017. 160 S., 12,95 [Euro].
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