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Dieter Henrich ist weltweit bekannt als Erforscher des deutschen Idealismus und Philosoph der Subjektivität. In Gesprächen mit Matthias Bormuth und Ulrich von Bülow resümiert er die Stationen seines Wegs zur und in der Philosophie, den Gang seines Denkens sowie die Begegnungen mit Lehrern, Zeitgenossen und Weggefährten. Dazu zählen Hans-Georg Gadamer, Martin Heidegger, Theodor W. Adorno, Hilary Putnam oder auch Sergiu Celibidache und Alexander Mitscherlich, der ihm nach einigen Sitzungen bescheinigte, keine Psychoanalyse zu benötigen.
Als Kind ist er lange Zeit schwer krank gewesen. Heute
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Produktbeschreibung
Dieter Henrich ist weltweit bekannt als Erforscher des deutschen Idealismus und Philosoph der Subjektivität. In Gesprächen mit Matthias Bormuth und Ulrich von Bülow resümiert er die Stationen seines Wegs zur und in der Philosophie, den Gang seines Denkens sowie die Begegnungen mit Lehrern, Zeitgenossen und Weggefährten. Dazu zählen Hans-Georg Gadamer, Martin Heidegger, Theodor W. Adorno, Hilary Putnam oder auch Sergiu Celibidache und Alexander Mitscherlich, der ihm nach einigen Sitzungen bescheinigte, keine Psychoanalyse zu benötigen.

Als Kind ist er lange Zeit schwer krank gewesen. Heute erkennt er darin einen der Gründe, warum die Philosophie zu seiner Lebensaufgabe wurde. Dieter Henrichs philosophische Autobiographie ist reich an prägnanten Erinnerungen an Personen und Begebenheiten in vielen Lebenssphären und Weltgegenden. Er wurde zu einem der einflussreichsten Philosophen seiner Zeit, mit einer ergebnisoffenen, undogmatischen Philosophie, in der die Freiheit des Subjekts als eine ermöglichte und nicht als eine aus Selbstmacht initiierte verstanden wird. In mit großer Offenheit geführten Gesprächen lernen wir einen eleganten, altersweisen Metaphysiker ohne System und ohne Lehrsätze kennen, der der menschlichen Subjektivität in ihrem Glück und ihren Nöten, ihren Wirrungen und befreienden Momenten nachgeht und dabei die Perspektiven und Konflikte erkundet, in die ein Denken zieht, das den Mut hat, sich auch letzten Fragen auszusetzen.
Autorenporträt
Dieter Heinrich ist einer der einflussreichsten deutschen Philosophen. Er ist Mitglied vieler nationaler und internationaler Akademien sowie Träger zahlreicher Ehren und Auszeichnungen, darunter des Deutschen Sprachpreises. Matthias Bormuth ist Medizinethiker und Kulturwissenschaftler. Er hat seit 2012 die Heisenberg-Professur für Vergleichende Ideengeschichte an der Universität Oldenburg inne und leitet dort das Karl-Jaspers-Haus. Ulrich von Bülow ist seit 2006 Leiter der Abteilung Archiv im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Thomas Steinfeld räumt ein, dass Dieter Henrichs intellektuelle Biografie in Form eines Gesprächs mit Matthias Bormuth und Ulrich von Bülow die komplexen Themen von Henrichs Wirken nicht wirklich erschließen kann, weil hier die Begegnung mit Menschen, Lehrern, Kollegen, im Vordergund steht, nicht die mit Argumenten. Dass das Gespräch mitunter dennoch "intellektuelle Szenarien" entwirft, freut Steinfeld umso mehr. Das gilt laut Steinfeld für Henrichs Berlin-Zeit, die dem Leser die damalige Bedeutung von Theorie nahebringt, sowie für seine Jahre als Repräsentant einer "kontinentalen Philosophie" in den USA.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2021

Das Ich, das viel besagt

Denken lehren, ohne eine Lehre zu haben: Dieter Henrich hat seine philosophische Autobiographie im Dialog entwickelt.

Der Titel des Buches könnte täuschen. Die autobiographischen Erinnerungen des Philosophen Dieter Henrich verantwortet er nur zur Hälfte. Vor uns liegt die Dokumentation eines sehr langen Gesprächs, das Henrichs Kollegen - er nennt sie "Mitautoren" - Matthias Bormuth und Ulrich von Bülow mit ihm über seinen Werdegang geführt haben. Der inzwischen 94-jährige Henrich hat sich wiederholt auf diese Gattung des gesprächsweisen Erinnerns eingelassen. Es gibt ein Hörbuch mit solchen Gesprächen und eine ganze Reihe von Interviews.

Henrichs Rückblicke verdienen ein mehrfaches Interesse. Eines ist das zeitgeschichtliche. Der Philosoph gehört einer Generation an, die Kindheit und frühe Jugend am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus verbrachte. Als einziger die Kindheit überlebender Nachkomme eines religiösen und bedrückten Elternhauses hat er sehr früh Krankheit und Tod vor Augen - und dass ein lieber Gott weder ihm noch den Eltern half.

Den Vater verliert er mit elf Jahren. Die Segnung des Sohnes am Sterbebett verlässt ihn, der sich keiner Konfession zuordnen wird, ein Leben lang nicht. In seiner Heimatstadt Marburg erlebt er den Nationalsozialismus, der die Jahre fast seiner gesamten Schulzeit bestimmt. Er kommt ihm als Kult vor, der jungen Menschen wie ihm Gefühle der Erregung und einen "hochfliegenden Gestus" ermöglichte, ohne dass sie dazu viel hätten tun müssen. Es wird viel gesungen und Soldat gespielt. "Es war" beim nationalsozialistischen Jungvolk außerdem "eine Welt ohne Erwachsene".

Was die Schule kaum bot, fand dort statt: die Möglichkeit zu eigener Aktivität. Der durch seine Krankheiten zuvor isolierte Henrich genießt sie, nicht ohne die Beunruhigung über das, was der Elfjährige auch erlebt: Antisemitismus, Kriegsbegeisterung, "Ich habe die Vorstellung gehabt, dass es zum Jungvolk nicht essentiell gehöre, antisemitisch zu sein. Das war natürlich ein beschönigender Irrtum", so Henrich. Eindrucksvoll ist die Erinnerung an einen zwanzigjährigen "Bannführer", der Henrichs Protest, Deutschland dürfe den Krieg aus moralischen Gründen gar nicht gewinnen, nicht mit einer Bestrafung, sondern mit der Aufforderung beantwortet, er solle das einmal unabhängig von Stimmen seiner Umgebung selbst durchdenken. Nicht, dass der nationalsozialistisch Überzeugte recht gehabt hätte, aber der Appell zum Selbstdenken blieb hängen.

Als der Krieg zu Ende ging, war Henrich achtzehn Jahre alt. Ohne zum Kriegsdienst eingezogen worden zu sein, verbindet er mit den letzten Jahren des Krieges eine besondere wache Grundspannung seiner Generation. Das unwahrscheinliche Überleben motivierte den Lernwillen danach. Sein Studium führt Henrich von der Urgeschichte recht bald zur Philosophie. Hier findet er die Möglichkeit, Lebensprobleme in Bezug auf anspruchsvolle Texte zu klären, die sie behandeln.

Fast möchte man sagen, in Paris wäre Henrich damals Existentialist geworden, in Marburg wurde er Kantianer. Er lernt Hans Georg Gadamer kennen und wird dadurch auf einen Weg maßvoller Haltungen gelenkt, der ihn bis heute bestimmt und von philosophischen Generationsgenossen wie Hans Blumenberg, Robert Spaemann, Michael Theunissen und Niklas Luhmann unterscheidet.

An dieser Stelle ein Satz zu den Mitautoren im Spiel mit dem Befragten. Sie umgehen gemeinsam in ihren Fragen und Antworten zumeist die Auseinandersetzungen innerhalb jener Generation. Das ist ein Versäumnis. Immerhin gehörte ja zu den Bedingungen jener außerordentlichen Produktivität der Jahrgänge von 1925 bis 1930 nicht nur die gemeinsame zeithistorische Erfahrung, sondern auch das Wissen voneinander. Sie, zu denen man beispielsweise auch Jürgen Habermas und Ernst Tugendhat zählen darf, schrieben in Bezug auf ihresgleichen.

Es gab Konkurrenz, auch wenn nicht alle Kontroversen ausgeführt wurden. Im vorliegenden Band kommen die Beteiligten aber meistens nur als Kollegen am Fachbereich vor oder als Mitherausgeber irgendwelcher durchaus verdienstvoller Suhrkamp-Bände. Die geistige Konfliktmasse der Zeit von 1950 bis 1990 wird dagegen leider wenig berührt. Das verwischt ein wenig den Unterschied zwischen einer philosophischen Autobiographie und der Biographie eines Philosophen.

Mitunter blitzt dieser Unterschied trotzdem auf. Henrich studiert ein Semester in Frankfurt, weil Gadamer dort kurzzeitig lehrt, und lernt Theodor W. Adorno kennen, der sich brieflich in den höchsten Tönen über ihn äußert: Ein Wunderkind, das 22-jährig sich mit den subtilsten Problemen der auswendig präsenten "Kritik der reinen Vernunft" befasse. Aber Henrich findet, Adorno argumentiere unter seinem, Henrichs Niveau. Das Urteil, Adornos damalige Vorlesung über Dialektik habe einen journalistischen Zuschnitt gehabt, ist angesichts des vorliegenden Textes anspruchsvoll. Man wird auch an anderen Punkten Henrichs Auskünfte als sehr selbstbewusst empfinden.

Doch warum nicht, wenn ein Lebenswerk vorliegt? Mit 33 Jahren ist er Professor für Philosophie in Berlin, und sein Ruf als einer der besten Kenner der von Kant bis Hegel entwickelten Argumente ist unumstritten. Sein Thema ist vor allem die Theorie des Selbstbewusstseins, also die Frage, wie es sein kann, dass wir ein Wissen von uns haben, das allem anderen Wissen vorangeht. Henrich hat sich in sehr komplexe Gedanken zu dieser Frage auf eine Weise hineingedacht, die ihm die Möglichkeit nahelegte, in einer Art von Zeitsprung genauso wie Autoren denken zu können, die sich dieser Frage erstmals widmeten: Kant, Fichte, Hölderlin und Hegel.

Während er zunehmend dieser Möglichkeit in Studien zu klassischen Texten des Idealismus wie der philologischen Arbeit ihrer Erschließung nachging, wechselte Henrich zunächst an die Heidelberger Universität und schließlich nach München. Die Berufungsgeschichten werden mit manchen Anekdoten nachgezeichnet.

Früh werden in dieser Zeit amerikanische Universitäten auf Henrich aufmerksam, er lehrt aber nicht nur in New York und Boston, samt einer Marihuana-Party in Ann Arbor, sondern wendet sich auch der sogenannten analytischen Philosophie zu. Es ist die Zeit, in der die Philosophie den absurden Unterschied von "kontinentalem" und "anglo-amerikanischem" Denken einerseits pflegt und andererseits abstreift. Henrichs amerikanische Vorlesungen, die keine europäischen Sonderwege mit Nietzsche und Heidegger betraten, sondern den Idealismus samt Hegel als nachvollziehbare Argumentation vortrugen, gehören zum Besten, was er geschrieben hat.

Aus dem Gesprächsband erfahren wir an dieser Stelle viel über die universitäre Lage der Zeit um 1970. Beispielsweise über den Begriff "Theorie", der in dieser Zeit in aller Munde war, ohne dass die meisten eine hatten. Oder darüber, welche Verwüstungen die angeblich emanzipatorischen Absichten der Studentenbewegung an den Universitäten anrichteten, die längst nicht mehr in der Hand alter Talarträger waren, aber so bekämpft wurden. Oder über die amerikanische Diskussionsart, die sich von der verbiesterten deutschen stark unterschied, ohne daraus aber Folgerungen zu ziehen. Wenn man an einer Stelle Gedanken Spinozas berührte, sagt Henrich, baten die Amerikaner darum, es möge nicht weitererzählt werden. Er zitiert einen Satz des Philosophen Stanley Cavell, in Harvard werde "Exzellenz um den Preis von Engstirnigkeit" gesucht.

Diese Frage, wie wissenschaftliche Spezialisierung in der Philosophie mit dem Durchhalten ihres Anspruchs auf allgemeine Erkenntnis verbunden werden kann, bleibt lebendig. Henrich hat sie durch die Aufteilung seiner Forschungen beantwortet. Es gibt die Studien zur Herkunft idealistischer Argumente, und es gibt die Aufsätze über Lebensprobleme der modernen Existenz, über Selbsterhaltung, Glück und Not, Dankbarkeit als Quelle von Religion oder die Gründe dafür, nicht zu verzweifeln.

Henrich teilt an verschiedenen Stellen des langen Gesprächs mit, er habe keine Lehre anbieten können. Soll heißen: Den Titeln seiner intellektuellen Klassenkameraden wie Habermas, Luhmann und Blumenberg vermochte er kein Hauptwerk entgegenzusetzen. Das Buch über "Kunst und Leben" von 2001, da war er vierundsiebzig, sei seine erste systematische Publikation in Buchform. Bis dahin habe er Denken gelehrt, aber keine eigenen Positionen.

Mit anderen Worten: Er war zeit seines langen Lebens an die Deutung der Texte anderer Autoren gebunden. Das ist nicht zuletzt der Ausdruck einer historischen Situation, in der die überlieferten Gedanken einem Autor zu schwerwiegend erscheinen, als dass er sich von ihnen lösen könnte. Warum aber originell um den Preis des Daherredens erscheinen, wenn man es gar nicht ist?

Der Gesprächsband mit Dieter Henrich wirft viele solcher Fragen auf. Er weist Wege in seine Schriften. Er ist trotzdem nicht frei von den kuriosen Formulierungen, die autobiographische Fragen hervortreiben. Dass Platon "der Größte" ist - gibt es denn eine Ranglisten des Denkens? -, gehört ebenso dazu wie der erste Satz des Buches, "Früh hatte ich beschlossen, niemals eine Autobiographie zu schreiben". Doch es hat ihn dazu gedrängt, sich eine solche Rückerinnerung abverlangen zu lassen. Über die Geschichte seiner Zeit, über die Universität und über die Motive eines Denkers, der um die Vereinbarkeit von philosophischer Argumentation und Lebensnähe bemüht war, erfahren die Leser hier sehr viel. Es ist ein Buch zum Weiterfragen und Weiterlesen, und zwar auf jeder seiner Seiten.

JÜRGEN KAUBE.

Dieter Henrich: "Ins Denken ziehen. Eine philosophische Autobiographie". C.H. Beck, 282 Seiten, 28 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2021

Einmal noch
ums Ganze
Der Philosoph Dieter Henrich
im autobiografischen Gespräch
Als die Philosophie nach dem Tod Hegels aufhörte, eine universale Wissenschaft sein zu wollen, blieben ihr im wesentlichen drei Arbeitsgebiete: die Geschichte des eigenen Faches, die Ethik und die Erkenntnistheorie. Einen Fortschritt gibt es in dieser Dreiheit allenfalls im Historischen, und er wendet sich rückwärts: Wer wann auf welchen Gedanken kam, wie diese Gedanken zu verstehen und wie sie aufeinander bezogen sind, lässt sich in immer feineren Abstufungen herausfinden. Was man dürfen, können, wollen oder müssen soll, in einem ethischen Sinn, ist hingegen wohl nur im Bezug auf die jeweiligen Umstände zu klären. Und was Erkenntnis darstellt, jenseits alles Erkannten, ist eine Frage, bei der schon das bloße Vorhandensein unzähliger Ansätze oder Schulen von der durchschlagenden Folgenlosigkeit der entsprechenden Bemühungen zeugt.
Die Bedeutung, die der 1927 in Marburg geborene Philosoph Dieter Henrich von den Sechzigern bis ins neue Jahrtausend nicht nur für die deutsche Philosophie besaß, beruht auf seinem Versuch, in vollem Ernst zum Idealismus, das heißt: zur Philosophie als Wissenschaft, zurückzugehen. Im Nachvollzug der Lehren von Kant, Fichte und Hegel (mit einer finalen Verbeugung vor Hölderlin) entwickelte er eine Theorie des Bewusstseins, in der es noch einmal um das Ganze des Wissens um sich selbst zu gehen schien. Ob er damit Hegels „Phänomenologie“ oder der „Logik“ etwas tatsächlich Anderes und Richtiges hinzufügte, dürfte zwar zumindest unsicher sein. Doch blieben seine Werke für viele Philosophen interessant, zum einen, weil sie als Zugang zu den gedanklich schwierigsten Werken der Geistesgeschichte dienten, zum anderen, weil sie offensiv auf dem Bewusstsein als einem metaphysischen Faktum beharrten, wider vor allem die angelsächsische Philosophie. Beginnend in den Achtzigern, widmete sich Dieter Henrich darüber hinaus einer höchst aufwendigen historischen Forschung zu den geistigen „Konstellationen“ zwischen den Philosophen des deutschen Idealismus, aus denen die Systementwürfe dieser Denkrichtung hervorgingen.
Eine Art von „Konstellationenforschung“ bildet auch das Buch mit Gesprächen, das Matthias Bormuth, Professor für Ideengeschichte an der Uni Oldenburg, und Ulrich von Bülow vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach, dem mittlerweile 94 Jahre alten Philosophen widmen. Es ersetzt eine intellektuelle Biografie, und es tut mehr als das: Es zeigt Dieter Henrich als „Systementwurf“ eigenen Rechts, von den Anfängen eines „Ich-Bewusstseins“ in einer lebensbedrohlichen Krankheit, die das zweijährige Einzelkind befiel, bis zur großen Affirmation des „Lebens“, als die Dieter Henrich die Musik des Dirigenten Sergiu Celibidache beschreibt. Das Verkehrsnetz der Marburger Tram wurde ihm zur Grundlage für das systematische Denken, der Fähnleinführer in der Hitlerjugend machte erste Erfahrung in Leitungsfunktionen, dem akademischen Lehrer Hans-Georg Gadamer wurde er zur Herausforderung in Sachen Scharfsinn. In Frankfurt lobt Theodor W. Adorno den Studenten als „ein wahres Wunderkind“, bei Karl Jaspers in Heidelberg wird das „harte Urgestein des Denkens“ vermisst, von einer lebensfrohen Freundin musste er sich „losreißen“, weil sie die Konzentration auf die Arbeit „unterminierte“.
Es liegt in der Natur einer solchen Selberlebensbeschreibung, „komplexe und schwer zu erschließende Problemlagen“ nicht wirklich entfalten zu können. Menschen treten einander nicht als Argumente entgegen. In einigen Passagen jedoch entwerfen die Gesprächen intellektuelle Szenarien. Das gilt für das Kapitel über Berlin, wo Henrich zwischen 1960 und 1965 lehrte, wo Michael Theunissen sein Assistent wurde, wo er Peter Szondi kennenlernte und wo er Suhrkamp-Autor wurde. Nebenbei erfährt man, wie weitgespannt das Programm dieses Verlags auch damals schon war, weiter, als die spätere Verengung zur „Suhrkamp-Kultur“ ahnen ließe, und welche hohe Absichten sich damals mit dem Wort „Theorie“ verbanden. Und es gilt für die Ausführungen über Henrichs Jahre in den Vereinigten Staaten, wo er zum strengen Repräsentanten einer „kontinentalen Philosophie“ wurde, von der man sich, wie er ironisch anmerkt, etwas „trapezkünstlerisch Verwegenes“ erwartete.
In München, wohin Dieter Henrich im Jahr 1981 berufen wurde und wo er auch nach seiner Emeritierung 1994 blieb, widmete sich Dieter Henrich den im engeren Sinn historischen Forschungen: der „archäologischen Aufklärung“ über die Ursprünge und Beweggründe der idealistischen Philosophie. Über die Konstellationsforschung zum philosophischen Idealismus sagt Dieter Henrich, sie sei nie Kalkül gewesen, sondern der „Erschließung von Grundzügen eines Universums“ gewidmet, in „das man sein eigenes Leben einschreiben kann“. Es gibt nur einen Philosophen der einen solchen Satz äußern und mit dem „eigenen Leben“ spezifisch das seine meinen könnte: Dieter Henrich.
THOMAS STEINFELD
Dieter Henrich: Ins Denken ziehen. Eine philosophische Autobiographie. München, Verlag C. H. Beck, München 2021.
282 Seiten, 28 Euro.
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