Wie erleben wir die Welt und uns in ihr? In welcher Sprache, mit welchen Zeichen und Modellen und auf welcher Grundlage erklären wir sie uns? Und welche Erklärungsformen und welches Modell haben sich, zumindest im Westen, durchgesetzt und warum?
Für den Schriftsteller Jonas Lüscher, der mit "Frühling der Barbaren" und "Kraft" jetzt schon zu den am meisten beachteten Autoren der Gegenwartsliteratur zählt, sind dies ganz persönliche Fragen. Sie betreffen sein eigenes Schreiben. Und sind ausschlaggebend für seine Entscheidung, die universitäre Welt hinter sich zu lassen, im literarischen Werk aber dennoch nicht bloß auf das völlige Eintauchen ins Erzählen zu setzen. In diesem Buch entwickelt Lüscher seine Vorstellung vom Erzählen als beschreibende Erkenntnis des Einzelfalls, die sich dennoch Ordnungsprinzipien nicht entziehen kann. Und beschäftigt sich, weil es um Machtfragen geht, ausdrücklich mit dem Thema engagierte Literatur. Ein faszinierendes Buch über das, was nur die Literatur kann.
Für den Schriftsteller Jonas Lüscher, der mit "Frühling der Barbaren" und "Kraft" jetzt schon zu den am meisten beachteten Autoren der Gegenwartsliteratur zählt, sind dies ganz persönliche Fragen. Sie betreffen sein eigenes Schreiben. Und sind ausschlaggebend für seine Entscheidung, die universitäre Welt hinter sich zu lassen, im literarischen Werk aber dennoch nicht bloß auf das völlige Eintauchen ins Erzählen zu setzen. In diesem Buch entwickelt Lüscher seine Vorstellung vom Erzählen als beschreibende Erkenntnis des Einzelfalls, die sich dennoch Ordnungsprinzipien nicht entziehen kann. Und beschäftigt sich, weil es um Machtfragen geht, ausdrücklich mit dem Thema engagierte Literatur. Ein faszinierendes Buch über das, was nur die Literatur kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2020Ein Autor im Klischee
Jonas Lüscher ist der Gegenentwurf zum Popliteraten. Er will erkennen, was die Welt aus dem Innersten heraus zerfallen lässt, und bedient sich dazu anspruchsvoller Mittel der deutschen Klassiker: analytische Durchdringung und ironischen Ton. Bei aller Lust am Erzählen sind seine Bücher auch Thesenliteratur, verpackt in Rollenprosa. Vor einem Jahr stand Lüscher selbst für seine Meinung ein: als Dozent einer Poetikvorlesung der Hochschule St. Gallen, die nun als Buch erschienen ist. Lüscher erzählt darin vom eigenen Werdegang, der ihn nach einer Ausbildung zum Schweizer Grundschullehrer als Dramaturg für die Entwicklung von Drehbüchern ins deutsche Fernsehgeschäft brachte. Aus Widerwillen gegen dessen zunehmende Kommerzialisierung kündigte er und studierte Philosophie. Lüschers Promotion über die Bedeutung des Erzählens zur Bewältigung gesellschaftlicher Komplexität fiel dann seiner schriftstellerischen Karriere zum Opfer. Mit der Poetikvorlesung bekommt man nun eine Digest-Version des aufgegebenen Projekts.
Wären die Wirtschaftswissenschaftler aus St. Gallen unter den Zuhörern gewesen, wäre Lüscher mit seinen schlichten ökonomischen Ansichten nicht durchgekommen. Wer noch vom Minimax-Prinzip spricht - maximaler Ertrag bei minimalem Ressourceneinsatz -, der ist im Klischee steckengeblieben. Und da die zentrale Kritik Lüschers dem gilt, was er "quantitative Blendung" nennt, einer an Zahlen orientierten mathematisch-wissenschaftlichen Welterklärung, ist der Nachweis mangelnder Vertrautheit mit deren Behauptungen ein Manko von Gewicht. Das kann man nicht wegerzählen.
apl.
Jonas Lüscher: "Ins Erzählen flüchten". Poetikvorlesung. Verlag C.H. Beck, München 2020. 111 S., br., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jonas Lüscher ist der Gegenentwurf zum Popliteraten. Er will erkennen, was die Welt aus dem Innersten heraus zerfallen lässt, und bedient sich dazu anspruchsvoller Mittel der deutschen Klassiker: analytische Durchdringung und ironischen Ton. Bei aller Lust am Erzählen sind seine Bücher auch Thesenliteratur, verpackt in Rollenprosa. Vor einem Jahr stand Lüscher selbst für seine Meinung ein: als Dozent einer Poetikvorlesung der Hochschule St. Gallen, die nun als Buch erschienen ist. Lüscher erzählt darin vom eigenen Werdegang, der ihn nach einer Ausbildung zum Schweizer Grundschullehrer als Dramaturg für die Entwicklung von Drehbüchern ins deutsche Fernsehgeschäft brachte. Aus Widerwillen gegen dessen zunehmende Kommerzialisierung kündigte er und studierte Philosophie. Lüschers Promotion über die Bedeutung des Erzählens zur Bewältigung gesellschaftlicher Komplexität fiel dann seiner schriftstellerischen Karriere zum Opfer. Mit der Poetikvorlesung bekommt man nun eine Digest-Version des aufgegebenen Projekts.
Wären die Wirtschaftswissenschaftler aus St. Gallen unter den Zuhörern gewesen, wäre Lüscher mit seinen schlichten ökonomischen Ansichten nicht durchgekommen. Wer noch vom Minimax-Prinzip spricht - maximaler Ertrag bei minimalem Ressourceneinsatz -, der ist im Klischee steckengeblieben. Und da die zentrale Kritik Lüschers dem gilt, was er "quantitative Blendung" nennt, einer an Zahlen orientierten mathematisch-wissenschaftlichen Welterklärung, ist der Nachweis mangelnder Vertrautheit mit deren Behauptungen ein Manko von Gewicht. Das kann man nicht wegerzählen.
apl.
Jonas Lüscher: "Ins Erzählen flüchten". Poetikvorlesung. Verlag C.H. Beck, München 2020. 111 S., br., 16,- [Euro].
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