Produktdetails
- Verlag: Harper Perennial
- ISBN-13: 9780007257393
- ISBN-10: 0007257392
- Artikelnr.: 22719119
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2008Die Mutter Chiles
Betreibt Isabel Allendes neuer Roman den "dummen Kult der starken Frauen", wie ein Kritiker meinte? Unser Rezensent hat sich das Buch auf Spanisch und auf Deutsch vorgeknöpft.
Isabel Allende mag sich manchmal von deutschsprachigen Literaturkritikern verfolgt und mit Häme bedacht fühlen, was ihre gute Laune bei ihren zahlreichen Deutschlandbesuchen und auch den Verkaufserfolg ihrer Bücher in deutschen Übersetzungen allerdings nicht beeinträchtigt. Dass sie nach den beiden großen Romanen "Das Geisterhaus" und "Von Liebe und Schatten" eine Reihe von spannend zu lesenden, doch inhaltlich wenig ergiebigen und in ihrer Schwarzweißmalerei und ihrer übertriebenen Sentimentalität manchmal den Kitsch streifenden Büchern veröffentlichte, das weiß sie selbst - ein großer Roman von Allende, ein Buch mit einem bedeutenden Thema lässt seit langem auf sich warten. Kann "Inés meines Herzens", die Geschichte der spanischen Eroberung Chiles, nun dieser große Roman sein?
Isabel Allende hat nicht der Mode der historischen Bestseller folgen wollen. Sie wollte vielmehr das abenteuerliche Leben von Inés Suárez, der Gründerin ihrer Geburtsstadt Santiago de Chile, nacherzählen. Inés Suárez, eine Näherin der spanischen Stadt Plasencia, spielte an der Seite des spanischen Eroberers Pedro de Valdivia eine wichtige Rolle bei dem entbehrungsreichen Marsch der Spanier von Cuzco über die Anden und durch die heiße Atacama-Wüste wie auch bei der Konquista des südlichen Teils von Südamerika, der dann zum Königreich Chile und in der gleichen Ausdehnung zur heutigen Republik Chile wurde.
Schon über siebzig Jahre alt, erzählt Inés ihrer Tochter Isabel ihr Leben an der Seite von drei Männern: dem Lebemann und Hallodri Juan de Málaga, auf dessen Suche sie sich zusammen mit einer Nichte in die gerade eroberte Neue Welt begibt. Ihr Mann war allerdings schon vor ihrer Ankunft in Cuzco im Heer von Francisco Pizarro gefallen. Als spanische Kriegerwitwe erhält sie Land von Pizarro und begegnet dann in Cuzco dem besten Feldherrn unter den Eroberern, Pedro de Valdivia, dessen Geliebte sie wird.
Das Buch wird während des langen Marsches durch die Wüste Nordchiles immer mehr zu einer Liebesgeschichte. Ihr dritter Mann ist nach dem grässlichen Tod des Gouverneurs Pedro de Valdivia dessen Freund Rodrigo de Quiroga, der Vater Isabels. Inés' Kunstfertigkeit mit der Wünschelrute verhindert, dass der Zug der einhundert Soldaten und einer Schar von Indios in der heißesten Wüste der Welt verdurstet. Schließlich gelangen die Spanier in die fruchtbaren Täler Mittelchiles. Auf dem Cerro Santa Lucía, dem Berg mitten im heutigen Santiago de Chile, wird die spanische Flagge gehisst. In dem Tal bauen die Spanier und die aus Cuzco gekommenen Indios unter Anweisung von Inés Suárez eine Stadt, die zunächst Santiago de la Nueva Extremadura hieß. Aus der westspanischen Region Extremadura stammen Pedro de Valdivia wie auch seine unersetzliche Gefährtin Inés Suárez. Die Soldaten verteidigen diese Stadt, können aber nicht die völlige Zerstörung durch die Mapuche-Indianer verhindern, worauf Inés mit ihren Indios eine neue Stadt baut. Valdivia gründete danach noch zahlreiche andere Städte südlich von Santiago, von denen eine auch heute noch seinen Namen trägt. Während er sich in grausamen Auseinandersetzungen mit den Indios der mutigen Mapuche-Stämme schlagen muss, bleibt Inés in der heutigen Hauptstadt Chiles, wo sie als eine Art Bürgermeisterin fungiert. Isabel Allende verschweigt nicht die Grausamkeit auf beiden Seiten bei der Eroberung, ohne diese aber auszumalen. Die Vorfahren der Autorin sind baskisch-kastilischer Herkunft, zum Teil aber auch Mapuche-Indios. Für Allende entspricht die Brutalität der Kriegsführung bei den Eroberungen einfach den Normen der damaligen Zeit und wird weder verharmlost noch angeprangert. Im ersten Kapitel des Buches werden die schlimmen Ausschreitungen der Söldner des deutschen Kaisers bei der Eroberung Roms, an der Pedro de Valdivia teilnimmt, geschildert. Die Autorin weiß zu differenzieren zwischen den Greueltaten etwa der Brüder Pizarro, die mit Grausamkeit und Terror die Indios verängstigen, um sie so leichter zu beherrschen, und den Ausschreitungen der Soldaten Valdivias, die Antworten auf die Angriffe der Mapuche sind.
Isabel Allende, die vier Jahre lang für dieses Buch recherchiert hat, schmückt die private Geschichte von Inés Suárez, von der die Geschichtsbücher in Spanien und Chile wenig erzählen, mit einiger schriftstellerischer Phantasie aus. Inés ist eine starke Frau, stärker und selbstbewusster noch als die Heldinnen in anderen Büchern Allendes. Man hat Isabel Allende vorgeworfen, Anleihen in Sachen des "Magischen Realismus" bei Gabriel García Márquez gemacht zu haben. Doch es ist, abgesehen von der Wünschelrute und den Prophezeiungen einer alten Indianerin, von Magie nichts zu spüren. Die starke Frau hat einen offensichtlich frauenfeindlichen deutschen Kritiker so verärgert, dass er eine Rezension mit dem Titel "Der dumme Kult der starken Frauen" veröffentlichte.
Isabel Allende kann es egal sein. Sie lässt sich gerne "Cuentacuentos" (Geschichtenerzählerin) nennen und versorgt ihre Gesprächspartner beim Aperitif oder Nachtisch mit unterhaltsamen, brillant formulierten Geschichten. Was ihr jüngstes Buch betrifft, so verkneift sie sich frühere Sentimentalitäten. Historische Ereignisse drängen die privaten weitgehend zurück; die Guten sind nicht immer gut, die Bösen nicht ganz so böse. Und sie schreibt hier ein präzises, ausdrucksstarkes, ja, sogar klangvolles Spanisch, dessen Schönheit die Übersetzerin ins Deutsche hinübergerettet hat. Es ist vielleicht noch nicht das große Buch, auf das seit dem "Geisterhaus" so viele warten, aber unterhaltsam allemal.
WALTER HAUBRICH
Isabel Allende: "Inés meines Herzens". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 397 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Betreibt Isabel Allendes neuer Roman den "dummen Kult der starken Frauen", wie ein Kritiker meinte? Unser Rezensent hat sich das Buch auf Spanisch und auf Deutsch vorgeknöpft.
Isabel Allende mag sich manchmal von deutschsprachigen Literaturkritikern verfolgt und mit Häme bedacht fühlen, was ihre gute Laune bei ihren zahlreichen Deutschlandbesuchen und auch den Verkaufserfolg ihrer Bücher in deutschen Übersetzungen allerdings nicht beeinträchtigt. Dass sie nach den beiden großen Romanen "Das Geisterhaus" und "Von Liebe und Schatten" eine Reihe von spannend zu lesenden, doch inhaltlich wenig ergiebigen und in ihrer Schwarzweißmalerei und ihrer übertriebenen Sentimentalität manchmal den Kitsch streifenden Büchern veröffentlichte, das weiß sie selbst - ein großer Roman von Allende, ein Buch mit einem bedeutenden Thema lässt seit langem auf sich warten. Kann "Inés meines Herzens", die Geschichte der spanischen Eroberung Chiles, nun dieser große Roman sein?
Isabel Allende hat nicht der Mode der historischen Bestseller folgen wollen. Sie wollte vielmehr das abenteuerliche Leben von Inés Suárez, der Gründerin ihrer Geburtsstadt Santiago de Chile, nacherzählen. Inés Suárez, eine Näherin der spanischen Stadt Plasencia, spielte an der Seite des spanischen Eroberers Pedro de Valdivia eine wichtige Rolle bei dem entbehrungsreichen Marsch der Spanier von Cuzco über die Anden und durch die heiße Atacama-Wüste wie auch bei der Konquista des südlichen Teils von Südamerika, der dann zum Königreich Chile und in der gleichen Ausdehnung zur heutigen Republik Chile wurde.
Schon über siebzig Jahre alt, erzählt Inés ihrer Tochter Isabel ihr Leben an der Seite von drei Männern: dem Lebemann und Hallodri Juan de Málaga, auf dessen Suche sie sich zusammen mit einer Nichte in die gerade eroberte Neue Welt begibt. Ihr Mann war allerdings schon vor ihrer Ankunft in Cuzco im Heer von Francisco Pizarro gefallen. Als spanische Kriegerwitwe erhält sie Land von Pizarro und begegnet dann in Cuzco dem besten Feldherrn unter den Eroberern, Pedro de Valdivia, dessen Geliebte sie wird.
Das Buch wird während des langen Marsches durch die Wüste Nordchiles immer mehr zu einer Liebesgeschichte. Ihr dritter Mann ist nach dem grässlichen Tod des Gouverneurs Pedro de Valdivia dessen Freund Rodrigo de Quiroga, der Vater Isabels. Inés' Kunstfertigkeit mit der Wünschelrute verhindert, dass der Zug der einhundert Soldaten und einer Schar von Indios in der heißesten Wüste der Welt verdurstet. Schließlich gelangen die Spanier in die fruchtbaren Täler Mittelchiles. Auf dem Cerro Santa Lucía, dem Berg mitten im heutigen Santiago de Chile, wird die spanische Flagge gehisst. In dem Tal bauen die Spanier und die aus Cuzco gekommenen Indios unter Anweisung von Inés Suárez eine Stadt, die zunächst Santiago de la Nueva Extremadura hieß. Aus der westspanischen Region Extremadura stammen Pedro de Valdivia wie auch seine unersetzliche Gefährtin Inés Suárez. Die Soldaten verteidigen diese Stadt, können aber nicht die völlige Zerstörung durch die Mapuche-Indianer verhindern, worauf Inés mit ihren Indios eine neue Stadt baut. Valdivia gründete danach noch zahlreiche andere Städte südlich von Santiago, von denen eine auch heute noch seinen Namen trägt. Während er sich in grausamen Auseinandersetzungen mit den Indios der mutigen Mapuche-Stämme schlagen muss, bleibt Inés in der heutigen Hauptstadt Chiles, wo sie als eine Art Bürgermeisterin fungiert. Isabel Allende verschweigt nicht die Grausamkeit auf beiden Seiten bei der Eroberung, ohne diese aber auszumalen. Die Vorfahren der Autorin sind baskisch-kastilischer Herkunft, zum Teil aber auch Mapuche-Indios. Für Allende entspricht die Brutalität der Kriegsführung bei den Eroberungen einfach den Normen der damaligen Zeit und wird weder verharmlost noch angeprangert. Im ersten Kapitel des Buches werden die schlimmen Ausschreitungen der Söldner des deutschen Kaisers bei der Eroberung Roms, an der Pedro de Valdivia teilnimmt, geschildert. Die Autorin weiß zu differenzieren zwischen den Greueltaten etwa der Brüder Pizarro, die mit Grausamkeit und Terror die Indios verängstigen, um sie so leichter zu beherrschen, und den Ausschreitungen der Soldaten Valdivias, die Antworten auf die Angriffe der Mapuche sind.
Isabel Allende, die vier Jahre lang für dieses Buch recherchiert hat, schmückt die private Geschichte von Inés Suárez, von der die Geschichtsbücher in Spanien und Chile wenig erzählen, mit einiger schriftstellerischer Phantasie aus. Inés ist eine starke Frau, stärker und selbstbewusster noch als die Heldinnen in anderen Büchern Allendes. Man hat Isabel Allende vorgeworfen, Anleihen in Sachen des "Magischen Realismus" bei Gabriel García Márquez gemacht zu haben. Doch es ist, abgesehen von der Wünschelrute und den Prophezeiungen einer alten Indianerin, von Magie nichts zu spüren. Die starke Frau hat einen offensichtlich frauenfeindlichen deutschen Kritiker so verärgert, dass er eine Rezension mit dem Titel "Der dumme Kult der starken Frauen" veröffentlichte.
Isabel Allende kann es egal sein. Sie lässt sich gerne "Cuentacuentos" (Geschichtenerzählerin) nennen und versorgt ihre Gesprächspartner beim Aperitif oder Nachtisch mit unterhaltsamen, brillant formulierten Geschichten. Was ihr jüngstes Buch betrifft, so verkneift sie sich frühere Sentimentalitäten. Historische Ereignisse drängen die privaten weitgehend zurück; die Guten sind nicht immer gut, die Bösen nicht ganz so böse. Und sie schreibt hier ein präzises, ausdrucksstarkes, ja, sogar klangvolles Spanisch, dessen Schönheit die Übersetzerin ins Deutsche hinübergerettet hat. Es ist vielleicht noch nicht das große Buch, auf das seit dem "Geisterhaus" so viele warten, aber unterhaltsam allemal.
WALTER HAUBRICH
Isabel Allende: "Inés meines Herzens". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 397 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2007Der dumme Kult der starken Frau
Isabel Allende erzählt den Gründungsmythos der chilenischen Nation als Privatgeschichte
„Meine Bücher”, sagt Isabel Allende, und der Verlag druckt es als Empfehlung auf die hintere Umschlagseite, „kreisen alle um starke Frauen.” Wo kommt sie her, die Achtung, die Liebe, die an Heiligsprechung grenzende Bewunderung für die „starke Frau”? An sich sollte Stärke an beiden Geschlechtern zunächst einmal ein quantitatives Faktum sein; ihre Qualität empfängt sie aus dem, wofür sie eingesetzt wird. Stärke kann auch als die Versuchung zur Gewalt in Erscheinung treten oder als der Dampfhammer, mit dem Dummheit, Bosheit, Gier ihre Ziele durchrammen, und an diesen Dingen haben ja auch wohl die Frauen ihr gerüttelt Teil. Zweifellos war Attila der Hunne ein starker Mann, aber niemandem fiele es ein, ihn allein dafür schon zu rühmen. Sollte sich aber erweisen oder feurig phantasiert werden, dass hinter ihm auf dem Sattel eine beherzte Sozia saß, so wäre sie als starke Frau sofort Gegenstand der lebendigsten Anteilnahme, selbst wenn sie sich unter den Sattel ein paar Scheiben vom Fleisch ihrer Feinde gepackt hätte, um sie mürbe zu reiten und aufzuessen. So etwas käme nur als sprechendes Detail in Betracht, das die Stärke beleuchtet. Stärke bei Frauen scheint ein Wert an sich. Starke Frauen genießen einen Generaldispens von der Geschichte.
„. . . aber Inés Suárez ist die stärkste von ihnen allen”, fährt Allende fort. Inés Suárez, das ist die Gefährtin von Pedro de Valdivia, dem spanischen Eroberer Chiles. Er bricht von Peru aus, das sich nach der Zerstörung des Inka-Reichs schon einige Jahre in spanischem Besitz befindet, unter unzähligen Strapazen nach Süden auf und gründet Santiago de Chile. Die dort ansässigen Mapuche-Indianer sind jedoch aus anderem Holz geschnitzt als die sanften Quechua im Norden, die sich fast ohne Widerstand vom alten in das neue Joch fügten; sie stellen regelrechte Heere auf, bringen das Siedlungsprojekt an den Rand des Zusammenbruchs, brandschatzen die neue Hauptstadt und töten zuletzt Valdivia selbst. Die Geschichte vollzieht sich unter den barbarischsten Handlungen auf beiden Seiten.
Geschichte als Familiensaga
Hierbei, so findet Allende, wurde bislang die Frau an Valdivias Seite nicht gebührend gewürdigt. Ihren Roman, vorgetragen in der ersten Person der alt gewordenen Heldin selbst, versteht sie als einen Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit. War sie es nicht, die in der Atacama-Wüste durch ihre Wünschelrutenkünste den ganzen Heereszug vor dem Verdursten gerettet hat? Die während der langen kriegerischen Abwesenheiten ihres Mannes faktisch als die Regentin des jungen Gemeinwesens auftrat, die Gemeinschaftsküche organisierte, Knochenbrüche behandelte, den kämpfenden Soldaten Mut zusprach?
Wer noch nicht völlig darauf geeicht ist, sich Geschichte grundsätzlich in der reduzierten Form von Familiensagas darbieten zu lassen, muss vor allem über die Beschränktheit dieses Blickwinkels staunen. Ist an einem brutalen Kolonisierungsfeldzug wirklich vor allem beachtlich, dass „auch” die Frauen der Kolonisatoren das Ihrige beigetragen haben? Dieses „auch” ist die Grundfigur jener Gleichberechtigungsbestrebungen, die ihr Muster am Scheidungsprozess haben: egal, womit der Mann sein Geld verdient hat, der Frau steht die Hälfte zu! Erinnert sich noch jemand an die Aufregung, die vor einigen Jahren um Einsteins Relativitätstheorie entbrannt ist? Da seine Frau gleichfalls Physikerin war, so suchte man ihr, mit dem publizistischen Gegenstück einer Unterhaltsklage, die Hälfte des Ruhms daran zuzuschanzen. Dass es damit Essig war, und Einstein, wie sich schließlich herausstellte, die Theorie doch ganz allein ausgeheckt hatte, erscheint daran weniger bemerkenswert, als dass hier Leute sich zu empörten Stellungnahmen veranlasst sahen, die einen Quantensprung nicht vom Sackhüpfen unterscheiden können. Wen schert es, was es mit der Relativität auf sich hat – der Frau steht die Hälfte zu!
Und zwar die bessere Hälfte. Bisher war sie das bloß, jetzt kriegt sie sie auch. Zu dieser Art zu schreiben gehört eine Selbstzufriedenheit, die sich den Männern lächelnd überlegen weiß. Dieses Lächeln gibt zu verstehen: Männer sind ja solche Kinder! Ihre Eitelkeit, ihre Ambitionen, ihr verquerer Ehrbegriff, all das lässt selbst ein blutiges Großunternehmen wie die Eroberung der Neuen Welt zur Dimension einer Märklin-Eisenbahn schrumpfen. Die unmittelbare Folge dieser Betrachtungsweise ist, dass Allende jedes Gefühl für das Schreckliche der Geschichte entschwindet. Die „Kassandra” von Christa Wolf verdient es zwar im Großen und Ganzen, das deutsche Pendant zur „Inés” genannt zu werden; aber dieses Buch kannte immerhin den Affekt der historischen Trauer, durch den es einen Abglanz, eine Idee von Größe erhielt. Davon kann bei Allende nicht die Rede sein. Nicht als ob sie die Tatsachen unterschlägt, es steht viel schlimmer. Man erfährt von allen Gräueln, beiläufig und keineswegs in beunruhigtem Ton: Dass die Spanier, wo sie auf Widerstand treffen, komplette Stämme lebendig verbrennen; dass die Vergewaltigung sämtlicher Indianerfrauen, denen sie begegnen, zu ihrem eugenischen Programm für den neuen Kontinent gehört; dass sie selbst im belagerten Santiago sich gezwungen sehen, die Toten auszugraben, um deren Schenkel zu braten. Zweihundert gefangenen Indianern lässt Valdivia die Nase und die rechte Hand abhauen (der Stumpf wird in siedendes Öl getaucht, schließlich sollen die Delinquenten nicht verbluten), dann jagt er sie in den Wald zurück. Es berührt die Erzählerin nicht. Nahezu ungerührt auch gibt sich ihr Bericht von der Rache der Mapuche, als ihnen Valdivia in die Hände fällt und sie ihn zwingen, sein eigenes Fleisch zu essen. So ist die Welt. Wenn tausend indianische Träger verschmachten oder massakriert werden, so wird dies zwar mitgeteilt, aber es sind eben doch nur Indianer. Noch zu Inés’ Lebzeiten, und unter ihrer aktiven Beteiligung, nimmt die starre Schichtung der chilenischen Gesellschaft in Großgrundbesitzer und landlose Bauern Gestalt an, die sich erst im
20. Jahrhundert, unter großen Transformationsschmerzen, zu lockern beginnt. Das alles stößt bei der Nichte von Salvador Allende auf kein Interesse. Stattdessen erzählen Inés und Allende die Eroberung Amerikas vor allem als Liebesgeschichte.
Das ist schamlos. Allende fehlt jedes Gespür, dass die Liebe in einem Umfeld des Grässlichen selbst zu etwas Grässlichem werden muss, entweder weil die Liebenden selber zu den Tätern zählen (und das tun sie hier, obwohl es Inés schlecht wird, wenn sie Folterungen mit ansehen muss, womit sie sozusagen ein humaneres Bild abgibt als ihr Gefährte), oder auch bloß durch den Kontrast. Da die Liebe so sehr die Hauptsache ist, werden Zeit und Ort zur Kulisse; die Schilderungen haben, trotz offensichtlich gründlicher Recherche, etwas eigentümlich Nebelhaftes und Unwirkliches. Drei Männer hat Inés im Lauf ihres Lebens, das gibt dem Buch den Takt, erst den unzuverlässigen Juan, einen Hallodri, aber begnadeten Liebhaber, dann Valdivia, dem die Macht später zu Kopf steigt und der ihr den Laufpass gibt, schließlich den jüngeren und gefügigen Quiroga, zwei Krieger ohne erotisches Raffinement, die von ihr erst lernen müssen, wie man mit einer Frau umgeht. Ihr Leben erzählt sie als Überlebende und dreifache Witwe, was nochmals ihre Stärke zu beglaubigen hat, aber sie, wenigstens für den männlichen Leser, nicht unbedingt zur Sympathieträgerin macht.
Allende schreibt routiniert. Stilistische Schwankungen wie bei dem Roman des deutschen Autors Markus Orths, der in seiner „Catalina” gleichfalls eine einzelne energische Heldin in das Südamerika der Conquistadorenzeit geschickt hatte, stehen nicht zu befürchten. Auch werden bei ihr nicht, wie es sonst gern bei historischen Romanen geschieht, die Dialoge zu Offenbarungen von der Uneinholbarkeit des Vergangenen, sei es dass sie sich Patina durch den geschraubten Ton, sei es dass sie sich Frische durch Flapsigkeit verschaffen wollen; Allendes Dialoge sind alt und jung zugleich, man nimmt den Sprechern ab, was sie zu sagen haben, das genügt. Dass ihre Sprache sie so sicher und gleichmäßig durch die langen Strecken des Buchs trägt wie ein Lama über die Pässe der Anden, verdankt die Autorin im Deutschen jedenfalls der Übersetzerin Svenja Becker. Allende vergreift sich nicht, sie erreicht, was sie will. Sie will bloß das ärgerlich Verkehrte; sie will, wo es um die Welt zu gehen hätte, um jeden Preis das borniert Private.BURKHARD MÜLLER
ISABEL ALLENDE: Inés meines Herzens. Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 395 S., 19,80 Euro.
Die Spore von Don Pedro de Valdivia, seine Statue steht in Santiago in Chile, steht für Entschlossenheit und Tatkraft. Isabel Allende setzt den Einfluss der starken Frau an seiner Seite daneben. Fotos: John Hicks/Corbis; Peter Peitsch
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Isabel Allende erzählt den Gründungsmythos der chilenischen Nation als Privatgeschichte
„Meine Bücher”, sagt Isabel Allende, und der Verlag druckt es als Empfehlung auf die hintere Umschlagseite, „kreisen alle um starke Frauen.” Wo kommt sie her, die Achtung, die Liebe, die an Heiligsprechung grenzende Bewunderung für die „starke Frau”? An sich sollte Stärke an beiden Geschlechtern zunächst einmal ein quantitatives Faktum sein; ihre Qualität empfängt sie aus dem, wofür sie eingesetzt wird. Stärke kann auch als die Versuchung zur Gewalt in Erscheinung treten oder als der Dampfhammer, mit dem Dummheit, Bosheit, Gier ihre Ziele durchrammen, und an diesen Dingen haben ja auch wohl die Frauen ihr gerüttelt Teil. Zweifellos war Attila der Hunne ein starker Mann, aber niemandem fiele es ein, ihn allein dafür schon zu rühmen. Sollte sich aber erweisen oder feurig phantasiert werden, dass hinter ihm auf dem Sattel eine beherzte Sozia saß, so wäre sie als starke Frau sofort Gegenstand der lebendigsten Anteilnahme, selbst wenn sie sich unter den Sattel ein paar Scheiben vom Fleisch ihrer Feinde gepackt hätte, um sie mürbe zu reiten und aufzuessen. So etwas käme nur als sprechendes Detail in Betracht, das die Stärke beleuchtet. Stärke bei Frauen scheint ein Wert an sich. Starke Frauen genießen einen Generaldispens von der Geschichte.
„. . . aber Inés Suárez ist die stärkste von ihnen allen”, fährt Allende fort. Inés Suárez, das ist die Gefährtin von Pedro de Valdivia, dem spanischen Eroberer Chiles. Er bricht von Peru aus, das sich nach der Zerstörung des Inka-Reichs schon einige Jahre in spanischem Besitz befindet, unter unzähligen Strapazen nach Süden auf und gründet Santiago de Chile. Die dort ansässigen Mapuche-Indianer sind jedoch aus anderem Holz geschnitzt als die sanften Quechua im Norden, die sich fast ohne Widerstand vom alten in das neue Joch fügten; sie stellen regelrechte Heere auf, bringen das Siedlungsprojekt an den Rand des Zusammenbruchs, brandschatzen die neue Hauptstadt und töten zuletzt Valdivia selbst. Die Geschichte vollzieht sich unter den barbarischsten Handlungen auf beiden Seiten.
Geschichte als Familiensaga
Hierbei, so findet Allende, wurde bislang die Frau an Valdivias Seite nicht gebührend gewürdigt. Ihren Roman, vorgetragen in der ersten Person der alt gewordenen Heldin selbst, versteht sie als einen Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit. War sie es nicht, die in der Atacama-Wüste durch ihre Wünschelrutenkünste den ganzen Heereszug vor dem Verdursten gerettet hat? Die während der langen kriegerischen Abwesenheiten ihres Mannes faktisch als die Regentin des jungen Gemeinwesens auftrat, die Gemeinschaftsküche organisierte, Knochenbrüche behandelte, den kämpfenden Soldaten Mut zusprach?
Wer noch nicht völlig darauf geeicht ist, sich Geschichte grundsätzlich in der reduzierten Form von Familiensagas darbieten zu lassen, muss vor allem über die Beschränktheit dieses Blickwinkels staunen. Ist an einem brutalen Kolonisierungsfeldzug wirklich vor allem beachtlich, dass „auch” die Frauen der Kolonisatoren das Ihrige beigetragen haben? Dieses „auch” ist die Grundfigur jener Gleichberechtigungsbestrebungen, die ihr Muster am Scheidungsprozess haben: egal, womit der Mann sein Geld verdient hat, der Frau steht die Hälfte zu! Erinnert sich noch jemand an die Aufregung, die vor einigen Jahren um Einsteins Relativitätstheorie entbrannt ist? Da seine Frau gleichfalls Physikerin war, so suchte man ihr, mit dem publizistischen Gegenstück einer Unterhaltsklage, die Hälfte des Ruhms daran zuzuschanzen. Dass es damit Essig war, und Einstein, wie sich schließlich herausstellte, die Theorie doch ganz allein ausgeheckt hatte, erscheint daran weniger bemerkenswert, als dass hier Leute sich zu empörten Stellungnahmen veranlasst sahen, die einen Quantensprung nicht vom Sackhüpfen unterscheiden können. Wen schert es, was es mit der Relativität auf sich hat – der Frau steht die Hälfte zu!
Und zwar die bessere Hälfte. Bisher war sie das bloß, jetzt kriegt sie sie auch. Zu dieser Art zu schreiben gehört eine Selbstzufriedenheit, die sich den Männern lächelnd überlegen weiß. Dieses Lächeln gibt zu verstehen: Männer sind ja solche Kinder! Ihre Eitelkeit, ihre Ambitionen, ihr verquerer Ehrbegriff, all das lässt selbst ein blutiges Großunternehmen wie die Eroberung der Neuen Welt zur Dimension einer Märklin-Eisenbahn schrumpfen. Die unmittelbare Folge dieser Betrachtungsweise ist, dass Allende jedes Gefühl für das Schreckliche der Geschichte entschwindet. Die „Kassandra” von Christa Wolf verdient es zwar im Großen und Ganzen, das deutsche Pendant zur „Inés” genannt zu werden; aber dieses Buch kannte immerhin den Affekt der historischen Trauer, durch den es einen Abglanz, eine Idee von Größe erhielt. Davon kann bei Allende nicht die Rede sein. Nicht als ob sie die Tatsachen unterschlägt, es steht viel schlimmer. Man erfährt von allen Gräueln, beiläufig und keineswegs in beunruhigtem Ton: Dass die Spanier, wo sie auf Widerstand treffen, komplette Stämme lebendig verbrennen; dass die Vergewaltigung sämtlicher Indianerfrauen, denen sie begegnen, zu ihrem eugenischen Programm für den neuen Kontinent gehört; dass sie selbst im belagerten Santiago sich gezwungen sehen, die Toten auszugraben, um deren Schenkel zu braten. Zweihundert gefangenen Indianern lässt Valdivia die Nase und die rechte Hand abhauen (der Stumpf wird in siedendes Öl getaucht, schließlich sollen die Delinquenten nicht verbluten), dann jagt er sie in den Wald zurück. Es berührt die Erzählerin nicht. Nahezu ungerührt auch gibt sich ihr Bericht von der Rache der Mapuche, als ihnen Valdivia in die Hände fällt und sie ihn zwingen, sein eigenes Fleisch zu essen. So ist die Welt. Wenn tausend indianische Träger verschmachten oder massakriert werden, so wird dies zwar mitgeteilt, aber es sind eben doch nur Indianer. Noch zu Inés’ Lebzeiten, und unter ihrer aktiven Beteiligung, nimmt die starre Schichtung der chilenischen Gesellschaft in Großgrundbesitzer und landlose Bauern Gestalt an, die sich erst im
20. Jahrhundert, unter großen Transformationsschmerzen, zu lockern beginnt. Das alles stößt bei der Nichte von Salvador Allende auf kein Interesse. Stattdessen erzählen Inés und Allende die Eroberung Amerikas vor allem als Liebesgeschichte.
Das ist schamlos. Allende fehlt jedes Gespür, dass die Liebe in einem Umfeld des Grässlichen selbst zu etwas Grässlichem werden muss, entweder weil die Liebenden selber zu den Tätern zählen (und das tun sie hier, obwohl es Inés schlecht wird, wenn sie Folterungen mit ansehen muss, womit sie sozusagen ein humaneres Bild abgibt als ihr Gefährte), oder auch bloß durch den Kontrast. Da die Liebe so sehr die Hauptsache ist, werden Zeit und Ort zur Kulisse; die Schilderungen haben, trotz offensichtlich gründlicher Recherche, etwas eigentümlich Nebelhaftes und Unwirkliches. Drei Männer hat Inés im Lauf ihres Lebens, das gibt dem Buch den Takt, erst den unzuverlässigen Juan, einen Hallodri, aber begnadeten Liebhaber, dann Valdivia, dem die Macht später zu Kopf steigt und der ihr den Laufpass gibt, schließlich den jüngeren und gefügigen Quiroga, zwei Krieger ohne erotisches Raffinement, die von ihr erst lernen müssen, wie man mit einer Frau umgeht. Ihr Leben erzählt sie als Überlebende und dreifache Witwe, was nochmals ihre Stärke zu beglaubigen hat, aber sie, wenigstens für den männlichen Leser, nicht unbedingt zur Sympathieträgerin macht.
Allende schreibt routiniert. Stilistische Schwankungen wie bei dem Roman des deutschen Autors Markus Orths, der in seiner „Catalina” gleichfalls eine einzelne energische Heldin in das Südamerika der Conquistadorenzeit geschickt hatte, stehen nicht zu befürchten. Auch werden bei ihr nicht, wie es sonst gern bei historischen Romanen geschieht, die Dialoge zu Offenbarungen von der Uneinholbarkeit des Vergangenen, sei es dass sie sich Patina durch den geschraubten Ton, sei es dass sie sich Frische durch Flapsigkeit verschaffen wollen; Allendes Dialoge sind alt und jung zugleich, man nimmt den Sprechern ab, was sie zu sagen haben, das genügt. Dass ihre Sprache sie so sicher und gleichmäßig durch die langen Strecken des Buchs trägt wie ein Lama über die Pässe der Anden, verdankt die Autorin im Deutschen jedenfalls der Übersetzerin Svenja Becker. Allende vergreift sich nicht, sie erreicht, was sie will. Sie will bloß das ärgerlich Verkehrte; sie will, wo es um die Welt zu gehen hätte, um jeden Preis das borniert Private.BURKHARD MÜLLER
ISABEL ALLENDE: Inés meines Herzens. Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 395 S., 19,80 Euro.
Die Spore von Don Pedro de Valdivia, seine Statue steht in Santiago in Chile, steht für Entschlossenheit und Tatkraft. Isabel Allende setzt den Einfluss der starken Frau an seiner Seite daneben. Fotos: John Hicks/Corbis; Peter Peitsch
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