Produktdetails
  • Verlag: Jung und Jung
  • Seitenzahl: 111
  • Deutsch
  • Abmessung: 13mm x 120mm x 189mm
  • Gewicht: 184g
  • ISBN-13: 9783902144034
  • ISBN-10: 3902144033
  • Artikelnr.: 09636644
Autorenporträt
Gert Jonke, geboren 1946 in Klagenfurt. Er machte während der Mittelschule eine Klavierausbildung am Landeskonservatorium in seiner Heimatstadt, ab 1968 studierte er Germanistik, Geschichte, Philosophie und Musikwissenschaft in Wien. Er hielt sich längere Zeit in London, Argentinien und Deutschland auf. 1980 war er Stadtschreiber in Graz. Er erhielt den Ingeborg Bachmann Preis 1977, den manuskripte-Preis 1984 und den Österreichischen Staatspreis für Literatur 2001. Jonkes Stil ist beeinflußt von Techniken und Schreibweisen konkreter Poesie und gesellschaftskritisch. Sein Werk umfaßt Erzählunge, Romane, Essays, Theaterstücke, Drehbücher und Hörspiele. Jonke verstarb im Januar 2009.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2001

Wie war noch mal mein Name?
Gert Jonke verleiht dem Bühnenvorhang eine Stimme

Unfaßbar ist die Welt, schlüpfrig und so komplex, daß Wörter nur einen Teil davon bannen können. Diese Einsicht beschäftigt den österreichischen Schriftsteller Gert Jonke wie kaum einen zweiten, sie schärft seinen Blick und lehrt ihn staunen über all das, was ehedem noch Routine war. Deshalb widersetzt er sich der leerlaufenden Semantik, verbiegt und krümmt seine Sprache nach Kräften, schneidet sie zurecht, bis sie dem Gegenstand wie angegossen paßt: Literatur als Maßanzug.

Es sind Momentaufnahmen des Lebens, die seine Theaterpoesie "Insektarium" ausmachen, Splitter eines großen Ganzen, das irgendwo jenseits der Schrift lauert. Aber aus diesem Kleinod zaubert Jonke die schönsten Phantasien, die alle Logik und Erdenschwere überwunden haben. Zunächst hebt sich der "Eiserne Vorhang", eigentlich ein gewohnter Ablauf, den man nicht weiter beachtet, weil er so selbstverständlich ist wie Scheinwerferlicht auf der Bühne. Aber bei Jonke beginnt die Eisenwand auf einmal zu erzählen, als gehöre sie schon zum Drama, als stifte sie das erregende Moment des Abends: "Beinahe hätte ich dem Komponisten Anton Webern, als er sich nach einer Operettenvorstellung, die er dort dirigierte, um das Geld zur Ernährung seiner Familie zu verdienen, als er sich verbeugte, den Kopf vom Rumpf abgeschnitten, ihn beinahe unabsichtlich guillotiniert." Gleichwohl wolle er dem Leser mit seinen Abenteuern nicht "noch gezielter zur Last fallen". Ein bißchen bedrohlich darf er schon seine Zähne blecken, schließlich hat ihm noch niemand dafür gedankt, daß er einen ganzen Theaterabend lang in seinem dunklen Versteck ausharrte und nicht einmal den Schlußapplaus empfangen durfte.

Jonke reißt einen Kosmos auf, der alle Gewißheiten eingebüßt hat, und es ist, als müßten sich seine Figuren erst zurechtfinden in der Fremde: "Ich weiß wirklich nicht mehr ganz genau, wie mein echter Vorname lauten sollte, und ist mir dies auch völlig gleichgültig, und wenn ich mich an die Jahre der letzten Zeit zurückerinnere, glaube ich, daß die meisten mich Elvira nannten, das ist schon möglich. Ungefähr Elvira heiße ich, mehr kann ich dir nicht sagen." Das sagt Sie zu einem nicht näher benannten Er im Kapitel "Elvira und die Vögel", als lösten sich die beiden Figuren im Augenblick ihrer Rede vollends in Sprache auf, verbissen an den Dialog geklammert wie an den letzten Rest einer fliehenden Identität.

Im nächsten Kapitel schließlich, das genausogut das übernächste oder das danach sein könnte, weil jedes für sich ein eigenständiges Minidrama entwirft, nennt der Theaterintendant Comelli das Problem der verlorenen Physis beim Namen, wenn er über den verstorbenen Dichter Kalkbrenner sagt: "Ich weiß es nicht, aber Kalkbrenners Leben war immer irgendwie epigonal und katastrophal, sein Werk hingegen war und ist original. Für ihn wäre es am besten gewesen, er hätte gar nicht gelebt, sondern nur sein Werk geschrieben und hinterlassen." Als Tribut an die flüchtige Wirklichkeit richtet sich "Insektarium" in einer Sphäre des "Irgendwie" und "Ungefähr" ein, nach allen Seiten hin offen für das Neue. Kaum eine Regieanweisung legt sich fest, alles könnte ebensogut ganz anders sein, zwei Meter nach links oder nach rechts verschoben. Es können auch drei sein.

Man hat oft Mühe, die neue Zeile zu erfassen, sie entschlüpft dem Auge, spielt mit ihrer Bedeutung, verkehrt oder verfälscht sie, denn Jonkes Einfälle schießen in alle Himmelsrichtungen. Eigentlich ist sein Werk ein schlanker Sammelband des Grotesken und Absonderlichen, das sich auf Satzförderbändern oft zeilenlang bis zum nächsten Punkt schiebt. Jonke erzählt von einem fliegenden Zimmer, das aus dem Klammergriff der Mauern floh und das Haus dadurch zum Einsturz brachte, von Traumräumen im Schlaf und vom beträchtlichen Appetit einer wohlgenährten Riesenfliege hinter der Küchentür. Seine Ideen sind so elastisch, daß sie den kühnsten Gedankenausritt zulassen, ohne zu reißen. Mit gesundem Übermut reiht der Autor eine Kuriosität an die nächste, geht dabei meist vom Alltäglichen aus, das irgendwo durch eine entlegene Seitengasse in die Fiktion gelangt.

Seine Wortschöpfungen als Ungetüme zu bezeichnen wäre rabiat, sie zeugen vielmehr von stilistischer Präzisionsarbeit, wenn sie sich, Buchstabe für Buchstabe, herantasten an einen realen Eindruck für den das vorhandene Vokabular offenbar unzureichend gewappnet ist. Wer einen gefallenen Seiltänzer, der unter seinem Gerät begraben liegt, als "Schiffstauverklumpungsaufhäufung" bezeichnen kann, muß seinerseits ein Sprachartist sein, einer, den man jeden Moment stürzen sieht, ehe er sich an der nächsten Satzschlinge wieder zum Salto aufschwingt.

ALEXANDER BARTL

Gert Jonke: "Insektarium". Verlag Jung und Jung, Salzburg 2001. 120 S., geb., 34,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lutz Hagestedt stellt Gert Jonkes "Insektarium" als auf vielerlei Weise anregende Lektüre vor. Einiges ist neu oder ungewöhnlich in diesen Texten, die zum Teil literarische Erwartungshaltungen evozieren oder zerstören, wie man Hagestedts Rezension entnehmen kann. Dies beginnt mit der Tatsache, dass Szenen wie der Besuch einer Fliege dem Leser aus der Literaturgeschichte meist als komische Szenen in Erinnerung seien. Im "Insektarium" seien es jedoch Dramolette, vage gehalten und mit vielen "Vielleichts" und "Irgendwies" behaftet, die der Rezensent als Programm entlarvt. Jonkes Dramolette sind Lesedramen, erklärt Hagestedt, auch wenn sie teilweise aufgeführt wurden. Am Beispiel von "Elvira und die Stubenfliege" erläutert er die bildhafte und Bilder weckende Sprache des Autors. Dieses Stück könne auf der Bühne nur als Variante der Mauerschau inszeniert werden, findet er. Gleichzeitig erinnere das Stück auch an Kafka, nicht allein wegen der monströsen Fliege, sondern auch, weil hier wie bei Kafka das Absurde zur Normalität werde. Jonkes Texte seien wie für Kinder gemacht, "voller Wunder, voller Staunen, voller Übertreibung". Abschließend lobt Hagestedt Jonkes sprachliche Gestaltung, die "genau kalkulierte Ökonomie des Erzählens", die, wie der Rezensent es beschreibt, zu kreativem Lesen anrege.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr