»Seid einig!« war das Motto der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur - blanker Hohn angesichts einer in feindliche Lager gespaltenen Gesellschaft, angesichts von Bürgerkrieg und Attentaten. Der »Ständestaat« blieb von seiner Intention her nur Schimäre, das Unterfangen, die Souveränität Österreichs, des »besseren« deutschen Staates, zu erhalten, scheiterte.
Es waren Jahre voller dramatische Ereignisse, die, wie Bertrand Michael Buchmann eindrucksvoll zeigt, wichtige Einblicke in die Mechanismen einer autoritären Staatsführung gewähren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2019Der Versuch, Hitler mit dessen eigenen Waffen zu schlagen
Von Dollfuß zu Schuschnigg: Bertrand M. Buchmann über das autoritäre Regime in Österreich in den Jahren 1933 bis 1938
Die Österreicher sind bis heute nicht einer Meinung, wie sie jene fünf Jahre, in denen das Land eine hausgemachte Diktatur vorzuweisen hatte, benennen sollen. Herrschte in der Alpenrepublik zwischen 1933 und 1938 der Austrofaschismus? Diesen Begriff verwenden linke und liberale Österreicher ganz selbstverständlich, er hat auch Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Das Land wies in diesen fünf Jahren viele Parallelen mit anderen faschistischen oder faschistoiden Regimen Europas in jener Zeit auf: Einheitspartei, Einheitsgewerkschaft, Einschränkung der persönlichen Freiheit, politische Verfolgung, Anhaltelager, Führerkult, Militarisierung der Gesellschaft, gleichgeschaltete Medien, gesteuertes Rechtswesen und abhängige Gerichte. Wie der italienische Faschismus in den frühen zwanziger Jahren hatte sich auch das österreichische autoritäre Regime mehr oder weniger kontinuierlich aus einer parlamentarischen Demokratie heraus entwickelt, die Schritt für Schritt beseitigt wurde. Aber anders als in Italien konnte in Österreich keine Identität von Volk - Partei - Regierung hergestellt werden.
Konservative und rechte Österreicher sprechen über diese fünf Jahre lieber als von einem "autoritären Ständestaat", eine Sprachregelung, der vor allem die derzeit gemeinsam mit der sehr rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) anhängt. Die ÖVP gilt als Nachfolgepartei der ab 1933 regierenden Christlichsozialen (später: Vaterländische Front) und hatte bis 2017 (!) in ihren Klubräumlichkeiten im Parlament ein Porträt des autoritären Kanzlers Engelbert Dollfuß hängen. Abgehängt wurde es de facto zwangsweise, weil das ganze Parlamentsgebäude ausgeräumt werden musste, um einer Generalsanierung unterzogen zu werden. In den Containern, in welche die Abgeordneten übersiedeln mussten, war dafür kein Platz, das Bild wurde dem Niederösterreichischen Landesmuseum als Dauerleihgabe vermacht, nach erfolgter Parlamentsrenovierung soll es nicht wieder zurückkehren.
Der österreichische Historiker Bertrand Michael Buchmann findet beide Begriffe nicht ganz passend, weder Austrofaschismus noch autoritärer Ständestaat ("Autoritär gewiss, aber die Stände spielten in dem grundsätzlich antidemokratischen System nur eine sehr geringe Rolle."), Buchmann bevorzugt die Bezeichnung "Dollfuß-Schuschnigg-Regime". Die Insel-Metapher, welche der Titel seines Buchs über Österreich in den Jahren 1933 bis 1938 aufnimmt, geht auf einen Ausspruch zurück, den Papst Paul VI. 1971 gegenüber dem damaligen österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas gemacht haben soll, Österreich sei eine "isola felice", eine glückliche Insel. In den Jahren der folgenden Kreisky-Regierung wurde daraus das Schlagwort von der "Insel der Seligen" für den weitgehend konfliktfreien österreichische Sozialstaat in Neutralität zwischen Ost und West.
War Österreich zwischen 1933 und 1938 tatsächlich eine Insel? Wenn, dann als Teil eines Archipels von autoritär regierten Inseln in Europa: In Russland die Bolschewiken, in Italien die Faschisten, in Spanien Generalissimus Franco, in der Türkei das totalitäre Einparteiensystem Atatürks, in Polen jenes des Diktators Pilsudski, in Jugoslawien eine Königsdiktatur, in Deutschland der Nationalsozialismus. "Autoritäre Herrschaftsformen", schreibt Buchmann, "entsprachen damals dem Zeitgeist." Und wenn wir das heutige Europa ansehen? Werden da nicht auch wieder zunehmend vielerorts Demokratie und Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und freie Medien in Frage gestellt?
Das österreichische Parlament habe sich im März 1933 "selbst ausgeschaltet", wie es in der konservativen Geschichtsschreibung gerne dargestellt wird. Tatsächlich war es nach einer Abstimmungspanne am 4. März nur etwas ratlos, wie es weitergehen sollte. Als für den 15. März eine neue Nationalratsversammlung einberufen wurde, hatte Dollfuß schon staatsstreichartig die Macht an sich gerissen, die Polizei angewiesen, das Haus zu umstellen, und also das Parlament "gezielt und unter Aufbietung der gesamten exekutiven Macht (. . .) ausgeschaltet", wie Buchmann schreibt und anhand von Parlamentsprotokollen und Zeitungsberichten belegt. Auch der Verfassungsgerichtshof konnte nicht mehr eingreifen, er wurde durch die Abberufung seiner christlichsozialen Mitglieder einfach lahmgelegt. Systematisch wurde der Polizeistaat auf-, der Sozialstaat abgebaut. Verringerungen der Sozialleistungen trafen die Ärmsten der Armen aus allen politischen Lagern und trieben sie der anfangs noch nicht verbotenen österreichischen NSDAP zu.
Nach den deutschen Reichstagswahlen vom März 1933 begann in Österreich eine Phase intensiver, von Deutschland finanzierter NS-Agitation. In Großkundgebungen wurde Dollfuß' Rücktritt gefordert. "Auf mehreren Wegen", schreibt Buchmann, "trachtete Dollfuß, Hitler mit dessen eigenen Waffen zu schlagen, ihn zu ,überhitlern'". Er bemühte eine ähnlich aggressive Rhetorik wie der Reichkanzler, trug wie dieser Uniform und versuchte durch Aufmärsche (. . .) einen entsprechenden Führerkult aufzubauen."
Teile der österreichischen Sozialdemokratie versuchten im Februar 1934 einen von Anfang an chancenlosen bewaffneten Aufstand. Resultat: Ausschaltung der (roten) Wiener Gemeindeverwaltung, die Verkündigung einer faschistischen Verfassung, das Verbot der sozialdemokratischen Partei, die Auflösung der freien Gewerkschaften. Die österreichischen Nationalsozialisten verübten Anfang 1934 in nur einer Woche 140 Sprengstoffanschläge. Im Juli 1934 scheiterte ein NS-Putsch, bei dem jedoch Dollfuß ermordet wurde. Rudolf Henz, der 1945 erster Programmdirektor des Österreichischen Rundfunks werden sollte, dichtete nach dem Dollfuß-Mord: "Ihr Jungen, schließt die Reihen gut!/Ein Toter führt uns an."
An die Macht und ins Kanzleramt folgte Kurt Schuschnigg. "Er war", schrieb später Bruno Kreisky, "mehr noch als Dollfuß die Inkarnation des Kleriko-Faschismus." Schuschnigg, dem es selbst an Charisma mangelte, betrieb einen wahren Dollfuß-Kult, zahlreiche Denkmäler wurden errichtet, Brunnen und Aussichtswarten nach dem Toten benannt, Reliefs und Porträts angefertigt und Sterbebilder verkauft: "Der tote Kanzler sollte wie ein christlicher Märtyrer verehrt werden." Außenpolitisch war Österreich immer isolierter, Mussolini, der eine Zeitlang als Schutzpatron des Austrofaschismus angesehen worden war, näherte sich Hitler an. So musste auch Schuschnigg auf Wunsch seines italienischen Protektors diesen Weg einschlagen, der 1938 im erzwungenen "Anschluss" an das Deutsche Reich endete.
MICHAEL SCHROTT
Bertrand Michael Buchmann: "Insel der Unseligen". Das autoritäre Österreich 1933-1938.
Molden Verlag, Wien 2019. 256 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Dollfuß zu Schuschnigg: Bertrand M. Buchmann über das autoritäre Regime in Österreich in den Jahren 1933 bis 1938
Die Österreicher sind bis heute nicht einer Meinung, wie sie jene fünf Jahre, in denen das Land eine hausgemachte Diktatur vorzuweisen hatte, benennen sollen. Herrschte in der Alpenrepublik zwischen 1933 und 1938 der Austrofaschismus? Diesen Begriff verwenden linke und liberale Österreicher ganz selbstverständlich, er hat auch Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Das Land wies in diesen fünf Jahren viele Parallelen mit anderen faschistischen oder faschistoiden Regimen Europas in jener Zeit auf: Einheitspartei, Einheitsgewerkschaft, Einschränkung der persönlichen Freiheit, politische Verfolgung, Anhaltelager, Führerkult, Militarisierung der Gesellschaft, gleichgeschaltete Medien, gesteuertes Rechtswesen und abhängige Gerichte. Wie der italienische Faschismus in den frühen zwanziger Jahren hatte sich auch das österreichische autoritäre Regime mehr oder weniger kontinuierlich aus einer parlamentarischen Demokratie heraus entwickelt, die Schritt für Schritt beseitigt wurde. Aber anders als in Italien konnte in Österreich keine Identität von Volk - Partei - Regierung hergestellt werden.
Konservative und rechte Österreicher sprechen über diese fünf Jahre lieber als von einem "autoritären Ständestaat", eine Sprachregelung, der vor allem die derzeit gemeinsam mit der sehr rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) anhängt. Die ÖVP gilt als Nachfolgepartei der ab 1933 regierenden Christlichsozialen (später: Vaterländische Front) und hatte bis 2017 (!) in ihren Klubräumlichkeiten im Parlament ein Porträt des autoritären Kanzlers Engelbert Dollfuß hängen. Abgehängt wurde es de facto zwangsweise, weil das ganze Parlamentsgebäude ausgeräumt werden musste, um einer Generalsanierung unterzogen zu werden. In den Containern, in welche die Abgeordneten übersiedeln mussten, war dafür kein Platz, das Bild wurde dem Niederösterreichischen Landesmuseum als Dauerleihgabe vermacht, nach erfolgter Parlamentsrenovierung soll es nicht wieder zurückkehren.
Der österreichische Historiker Bertrand Michael Buchmann findet beide Begriffe nicht ganz passend, weder Austrofaschismus noch autoritärer Ständestaat ("Autoritär gewiss, aber die Stände spielten in dem grundsätzlich antidemokratischen System nur eine sehr geringe Rolle."), Buchmann bevorzugt die Bezeichnung "Dollfuß-Schuschnigg-Regime". Die Insel-Metapher, welche der Titel seines Buchs über Österreich in den Jahren 1933 bis 1938 aufnimmt, geht auf einen Ausspruch zurück, den Papst Paul VI. 1971 gegenüber dem damaligen österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas gemacht haben soll, Österreich sei eine "isola felice", eine glückliche Insel. In den Jahren der folgenden Kreisky-Regierung wurde daraus das Schlagwort von der "Insel der Seligen" für den weitgehend konfliktfreien österreichische Sozialstaat in Neutralität zwischen Ost und West.
War Österreich zwischen 1933 und 1938 tatsächlich eine Insel? Wenn, dann als Teil eines Archipels von autoritär regierten Inseln in Europa: In Russland die Bolschewiken, in Italien die Faschisten, in Spanien Generalissimus Franco, in der Türkei das totalitäre Einparteiensystem Atatürks, in Polen jenes des Diktators Pilsudski, in Jugoslawien eine Königsdiktatur, in Deutschland der Nationalsozialismus. "Autoritäre Herrschaftsformen", schreibt Buchmann, "entsprachen damals dem Zeitgeist." Und wenn wir das heutige Europa ansehen? Werden da nicht auch wieder zunehmend vielerorts Demokratie und Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und freie Medien in Frage gestellt?
Das österreichische Parlament habe sich im März 1933 "selbst ausgeschaltet", wie es in der konservativen Geschichtsschreibung gerne dargestellt wird. Tatsächlich war es nach einer Abstimmungspanne am 4. März nur etwas ratlos, wie es weitergehen sollte. Als für den 15. März eine neue Nationalratsversammlung einberufen wurde, hatte Dollfuß schon staatsstreichartig die Macht an sich gerissen, die Polizei angewiesen, das Haus zu umstellen, und also das Parlament "gezielt und unter Aufbietung der gesamten exekutiven Macht (. . .) ausgeschaltet", wie Buchmann schreibt und anhand von Parlamentsprotokollen und Zeitungsberichten belegt. Auch der Verfassungsgerichtshof konnte nicht mehr eingreifen, er wurde durch die Abberufung seiner christlichsozialen Mitglieder einfach lahmgelegt. Systematisch wurde der Polizeistaat auf-, der Sozialstaat abgebaut. Verringerungen der Sozialleistungen trafen die Ärmsten der Armen aus allen politischen Lagern und trieben sie der anfangs noch nicht verbotenen österreichischen NSDAP zu.
Nach den deutschen Reichstagswahlen vom März 1933 begann in Österreich eine Phase intensiver, von Deutschland finanzierter NS-Agitation. In Großkundgebungen wurde Dollfuß' Rücktritt gefordert. "Auf mehreren Wegen", schreibt Buchmann, "trachtete Dollfuß, Hitler mit dessen eigenen Waffen zu schlagen, ihn zu ,überhitlern'". Er bemühte eine ähnlich aggressive Rhetorik wie der Reichkanzler, trug wie dieser Uniform und versuchte durch Aufmärsche (. . .) einen entsprechenden Führerkult aufzubauen."
Teile der österreichischen Sozialdemokratie versuchten im Februar 1934 einen von Anfang an chancenlosen bewaffneten Aufstand. Resultat: Ausschaltung der (roten) Wiener Gemeindeverwaltung, die Verkündigung einer faschistischen Verfassung, das Verbot der sozialdemokratischen Partei, die Auflösung der freien Gewerkschaften. Die österreichischen Nationalsozialisten verübten Anfang 1934 in nur einer Woche 140 Sprengstoffanschläge. Im Juli 1934 scheiterte ein NS-Putsch, bei dem jedoch Dollfuß ermordet wurde. Rudolf Henz, der 1945 erster Programmdirektor des Österreichischen Rundfunks werden sollte, dichtete nach dem Dollfuß-Mord: "Ihr Jungen, schließt die Reihen gut!/Ein Toter führt uns an."
An die Macht und ins Kanzleramt folgte Kurt Schuschnigg. "Er war", schrieb später Bruno Kreisky, "mehr noch als Dollfuß die Inkarnation des Kleriko-Faschismus." Schuschnigg, dem es selbst an Charisma mangelte, betrieb einen wahren Dollfuß-Kult, zahlreiche Denkmäler wurden errichtet, Brunnen und Aussichtswarten nach dem Toten benannt, Reliefs und Porträts angefertigt und Sterbebilder verkauft: "Der tote Kanzler sollte wie ein christlicher Märtyrer verehrt werden." Außenpolitisch war Österreich immer isolierter, Mussolini, der eine Zeitlang als Schutzpatron des Austrofaschismus angesehen worden war, näherte sich Hitler an. So musste auch Schuschnigg auf Wunsch seines italienischen Protektors diesen Weg einschlagen, der 1938 im erzwungenen "Anschluss" an das Deutsche Reich endete.
MICHAEL SCHROTT
Bertrand Michael Buchmann: "Insel der Unseligen". Das autoritäre Österreich 1933-1938.
Molden Verlag, Wien 2019. 256 S., geb., 26,- [Euro].
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