Auslöser für Martin Amis' bisher persönlichstes Werk war der Tod seines engsten Freundes Christopher Hitchens. Aus der tiefen und weitreichenden Freundschaft der beiden Schriftsteller entfaltet sich dieser autobiografische Roman. Christopher Hitchens war Martin Amis' Mitstreiter und Berater, seit ihren Anfängen in London bis hin zu den Jahren des Literatur- Klatsches, der romantischen Verwicklungen und beunruhigenden Obsessionen. Während Inside Story auch anderen wichtigen Personen in Amis' Leben nachspürt - darunter seinem Vater Kingsley Amis, seinem Idol Saul Bellow und dem Dichter Philip Larkin -, widmet sich die Geschichte zärtlich und humorvoll den schwierigsten Fragen: Wie lebt, wie trauert und wie stirbt man? Das Ergebnis ist ein Liebesbrief an das Leben, der Einblicke in die außergewöhnliche Welt des Schriftstellers eröffnet.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Sina hält Martin Amis' neues Buch für eine ziemliche Enttäuschung. Das liegt für Sina an der Unentschlossenheit des Unternehmens zwischen Roman und essayistischen Stücken. Weder lässt sich das Buch als Sammlung für sich stehender Texte lesen noch als durchgearbeitetes Werk, meint Sina genervt. Genervt auch, weil ihm der Autor erst einmal eine literaturhistorische Rechtfertigung dieser Zumutung mit auf den Weg gibt. Inhaltlich geht es laut Sina um die innige Beziehung des Autors zu seinen literarischen Kollegen Bellow, Hitchens und Larkin und deren Ableben. Im Grunde keine uninteressante Sache, findet Sina, aber leider ist das Buch "heillos überladen", und worauf Amis eigentlich hinauswill, erschließt sich dem Rezensenten leider auch nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2023Und danach hatte ich Nobodaddy
Wie das Leben, so das Lesen? Der englische Schriftsteller Martin Amis erzählt aus seiner Innenwelt
Wenn ein Autor seinen Lesern erst einmal erklären muss, wie sie mit dem vor ihnen liegenden Buch umzugehen haben, ist das meist kein gutes Zeichen. So endet das feierliche "Präludium", das Martin Amis seiner "Inside Story" voranstellt, mit einer Art Warnhinweis: Die mehr als sechshundert Seiten ließen sich nicht wie ein erzählerisch geschlossenes Werk lesen, weil sie "von einem Leben handeln, dem meinen". Was ist damit gesagt? Vermutlich will der Autor auf die Komplexität und Kontingenz des menschlichen Daseins hinaus, weshalb der Leser dasselbe von seinem Buch erwarten darf. Ohne es überhaupt einer der traditionellen Gattungen zuzuordnen, spricht Amis von einem "Ding", von einer "Ansammlung miteinander verbundener Kurzgeschichten mit essayistischen Abstechern". Die Einordnung auf dem Cover als "Roman" hätte dann lediglich verkaufsstrategische Gründe.
Dieser als lebensnah verstandenen, autobiographisch angelegten Poetik habe die Lektüre insofern zu entsprechen, so heißt es in der Vorrede weiter, als sie nicht geradlinig, sondern "sprunghaft und anfallartig, mit viel Überblättern, Aufschieben und Zurückblättern" vonstattengehen solle. Zu bemitleiden seien in dieser Hinsicht nur die Kritiker, deren Lektüre "in einem Rutsch und das auch noch gegen die Uhr" erfolgen müsse. Betriebsbedingt seien sie dazu gezwungen, das als Roman zu lesen, was nie als Roman gedacht war. Darin steckt eine Provokation: Weil die "Profis" aus Amis' Sicht gar nicht anders können, als sein Buch falsch zu lesen, sind sie, wie man schließen darf und soll, auch nicht in der Lage, darüber angemessen zu urteilen. "Arme Hunde" nennt er sie.
Man kann sich über die ironische Mitleidsgeste selbst dann ärgern, wenn man Amis zugutehalten möchte, dass er nicht nur das Geschäft der Kritik bestens kennt (unter anderem aus jahrelanger Tätigkeit als Literaturredakteur), sondern ihr außerdem im Laufe seines Schriftstellerlebens aufs Heftigste ausgesetzt war: Mit einem literarischen und essayistischen Werk voller antibürgerlicher Tabubrüche, das seit den Siebzigerjahren unter fortwährendem Einsatz der eigenen Biographie entstanden ist, wäre es noch untertrieben, ihn als 'umstritten' zu bezeichnen. Wie also kann man "Inside Story" als Kritiker lesen, ohne die schlechte Polemik des Autors unfreiwillig zu bestätigen?
Vielleicht indem man ihn versuchsweise beim Wort nimmt. Dann nämlich merkt man erst, dass die in ihm formulierte Lektüreanweisung ziemlicher Quatsch ist. Wer das Buch tatsächlich "sprunghaft" liest, wie vom Autor gefordert, wird gar nichts verstehen, weil es eben keine bloße "Ansammlung" von Einzelheiten ist, zwischen denen man frei hin- und herspringen könnte. So gibt es wiederkehrende Figuren, darunter sogar Haupt- und Nebenfiguren, kapitelübergreifende Handlungsstränge und einen Erzähler (namens Martin Amis), der zwar immer wieder, besonders wenn es für ihn peinlich wird, von der Ich- in die Er-Form wechselt, aber doch eine recht zuverlässige Orientierung ermöglicht.
Es gibt sogar ein Leitthema, was der Autor in Interviews auch gar nicht verschweigt, und zwar den Tod, auf den zum Ende des Buches hin alles zuläuft. In langen Passagen berichtet Amis über das Sterben dreier Autoren, Saul Bellow, Christopher Hitchens und Philip Larkin, die für ihn eine Ersatzfamilie gebildet haben. Dazu muss gesagt werden, dass Amis unter den gegenwärtigen Autoren den wohl ausgeprägtesten Vaterkomplex mit sich herumträgt: Erfüllt von Neid und Missgunst hat Kingsley Amis, der englische Großschriftsteller, keine Gelegenheit ausgelassen, um seinen zunehmend erfolgreichen Sohn öffentlich zu kritisieren. Nur hieraus erklären sich Martins wahlverwandtschaftliche Beziehungen, vor allem aber sein Verhältnis zu Saul Bellow: Solange er lebte, habe er sich "nie vollständig vaterlos" gefühlt, erklärt der Erzähler, "und danach, nach Sauls Tod, hatte ich - Nobodaddy." William Blakes lyrische Wortschöpfung für den unsichtbaren Gott des Christentums wird zur Chiffre für die Leerstelle, die Bellows Tod im Leben seines Freundes hinterlassen hat.
Es ist eine der schönsten, ergreifendsten Stellen der "Inside Story", deren Bedeutung sich im Zuge einer sprunghaft-zufälligen Lektüre allerdings nicht erschließt. Wer nichts weiß von der demütigenden Schroffheit, mit der Vater Amis seinen Sohn Martin behandelt, wird nicht verstehen, warum dieser Saul Bellow rundheraus ein "Phänomen der Liebe" nennt - und warum ihn dessen Demenzerkrankung, von der erstaunlich indiskret gesprochen wird, und schließlich dessen Tod bis ins Mark erschüttern. Strukturell vergleichbar gilt dies für die Schilderung der biographisch ebenfalls hochkomplexen Beziehungen zu Christopher Hitchens, in dem Martin einen geistigen Zwilling sieht, und zu Philip Larkin, seinem Spiritus Rector.
Und doch lässt sich dem "Präludium" nicht völlig widersprechen, denn die "Lektüre in einem Rutsch", die Amis auf Kritikerseite befürchtet, hat ebenfalls ihre Tücken. Das Buch ist nämlich heillos überladen. Man muss nur in das dreizehnseitige Personen- und Sachverzeichnis schauen, das nicht nur angesichts seines beträchtlichen Umfangs in einem solchen Buch eine Kuriosität darstellt, um davon einen Eindruck zu bekommen. Es reicht von A wie "Afghanistan" über I wie "Identitätskrise" und T wie Trump bis Z wie Zionismus, wobei kaum eines dieser Riesenthemen wirklich ausbuchstabiert wird. Hinzu kommen über das Buch eingestreute Abschnitte, in denen Amis in Ratgebergestalt seine Schreibprinzipien erläutert, wobei er sich vor allem auf Fragen des guten Stils konzentriert (daher auch der Untertitel des Ganzen: "Wie man schreibt"). Worauf aber möchte das alles hinaus? Geht es nur darum, zu unterstreichen, dass die Gedanken sich eher assoziativ als stringent, eher wuchernd als geordnet entfalten? Das wäre banal und würde auf einen nur schwach ausgeprägten literarischen Formwillen hindeuten.
Amis' Buch ist weder eine Ansammlung von individuellen Textstücken, die eine zappingartige Lektüre erlaubte, noch ein formal durchgearbeitetes Werk, das eine Lektüre in einem Zug nahelegte. Und vielleicht ist ihm diese Unentschiedenheit beim Schreiben auch bewusst gewesen, weshalb er einige Anstrengungen unternommen hat, sein Vorgehen in eine von D. H. Lawrence herkommende Tradition des "Life Writing" einzuordnen (wodurch er sich zugleich die Möglichkeit einräumt, reale und erfundene Figuren und Begebenheiten miteinander zu vermischen). Es ist ein allzu durchsichtiger Versuch des Autors, sein Vorgehen literarhistorisch zu rechtfertigen und zu veredeln, aber man sollte sich auch davon nicht einschüchtern lassen. "Inside Story" ist, daran können die übersetzerische Großtat von Eike Schönfeld und einige reizvolle Details leider nichts ändern, eine große Enttäuschung. KAI SINA
Martin Amis: "Inside Story". Wie man schreibt. Ein Roman.
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Kein & Aber Verlag, Zürich 2022. 752 S., geb., 40,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie das Leben, so das Lesen? Der englische Schriftsteller Martin Amis erzählt aus seiner Innenwelt
Wenn ein Autor seinen Lesern erst einmal erklären muss, wie sie mit dem vor ihnen liegenden Buch umzugehen haben, ist das meist kein gutes Zeichen. So endet das feierliche "Präludium", das Martin Amis seiner "Inside Story" voranstellt, mit einer Art Warnhinweis: Die mehr als sechshundert Seiten ließen sich nicht wie ein erzählerisch geschlossenes Werk lesen, weil sie "von einem Leben handeln, dem meinen". Was ist damit gesagt? Vermutlich will der Autor auf die Komplexität und Kontingenz des menschlichen Daseins hinaus, weshalb der Leser dasselbe von seinem Buch erwarten darf. Ohne es überhaupt einer der traditionellen Gattungen zuzuordnen, spricht Amis von einem "Ding", von einer "Ansammlung miteinander verbundener Kurzgeschichten mit essayistischen Abstechern". Die Einordnung auf dem Cover als "Roman" hätte dann lediglich verkaufsstrategische Gründe.
Dieser als lebensnah verstandenen, autobiographisch angelegten Poetik habe die Lektüre insofern zu entsprechen, so heißt es in der Vorrede weiter, als sie nicht geradlinig, sondern "sprunghaft und anfallartig, mit viel Überblättern, Aufschieben und Zurückblättern" vonstattengehen solle. Zu bemitleiden seien in dieser Hinsicht nur die Kritiker, deren Lektüre "in einem Rutsch und das auch noch gegen die Uhr" erfolgen müsse. Betriebsbedingt seien sie dazu gezwungen, das als Roman zu lesen, was nie als Roman gedacht war. Darin steckt eine Provokation: Weil die "Profis" aus Amis' Sicht gar nicht anders können, als sein Buch falsch zu lesen, sind sie, wie man schließen darf und soll, auch nicht in der Lage, darüber angemessen zu urteilen. "Arme Hunde" nennt er sie.
Man kann sich über die ironische Mitleidsgeste selbst dann ärgern, wenn man Amis zugutehalten möchte, dass er nicht nur das Geschäft der Kritik bestens kennt (unter anderem aus jahrelanger Tätigkeit als Literaturredakteur), sondern ihr außerdem im Laufe seines Schriftstellerlebens aufs Heftigste ausgesetzt war: Mit einem literarischen und essayistischen Werk voller antibürgerlicher Tabubrüche, das seit den Siebzigerjahren unter fortwährendem Einsatz der eigenen Biographie entstanden ist, wäre es noch untertrieben, ihn als 'umstritten' zu bezeichnen. Wie also kann man "Inside Story" als Kritiker lesen, ohne die schlechte Polemik des Autors unfreiwillig zu bestätigen?
Vielleicht indem man ihn versuchsweise beim Wort nimmt. Dann nämlich merkt man erst, dass die in ihm formulierte Lektüreanweisung ziemlicher Quatsch ist. Wer das Buch tatsächlich "sprunghaft" liest, wie vom Autor gefordert, wird gar nichts verstehen, weil es eben keine bloße "Ansammlung" von Einzelheiten ist, zwischen denen man frei hin- und herspringen könnte. So gibt es wiederkehrende Figuren, darunter sogar Haupt- und Nebenfiguren, kapitelübergreifende Handlungsstränge und einen Erzähler (namens Martin Amis), der zwar immer wieder, besonders wenn es für ihn peinlich wird, von der Ich- in die Er-Form wechselt, aber doch eine recht zuverlässige Orientierung ermöglicht.
Es gibt sogar ein Leitthema, was der Autor in Interviews auch gar nicht verschweigt, und zwar den Tod, auf den zum Ende des Buches hin alles zuläuft. In langen Passagen berichtet Amis über das Sterben dreier Autoren, Saul Bellow, Christopher Hitchens und Philip Larkin, die für ihn eine Ersatzfamilie gebildet haben. Dazu muss gesagt werden, dass Amis unter den gegenwärtigen Autoren den wohl ausgeprägtesten Vaterkomplex mit sich herumträgt: Erfüllt von Neid und Missgunst hat Kingsley Amis, der englische Großschriftsteller, keine Gelegenheit ausgelassen, um seinen zunehmend erfolgreichen Sohn öffentlich zu kritisieren. Nur hieraus erklären sich Martins wahlverwandtschaftliche Beziehungen, vor allem aber sein Verhältnis zu Saul Bellow: Solange er lebte, habe er sich "nie vollständig vaterlos" gefühlt, erklärt der Erzähler, "und danach, nach Sauls Tod, hatte ich - Nobodaddy." William Blakes lyrische Wortschöpfung für den unsichtbaren Gott des Christentums wird zur Chiffre für die Leerstelle, die Bellows Tod im Leben seines Freundes hinterlassen hat.
Es ist eine der schönsten, ergreifendsten Stellen der "Inside Story", deren Bedeutung sich im Zuge einer sprunghaft-zufälligen Lektüre allerdings nicht erschließt. Wer nichts weiß von der demütigenden Schroffheit, mit der Vater Amis seinen Sohn Martin behandelt, wird nicht verstehen, warum dieser Saul Bellow rundheraus ein "Phänomen der Liebe" nennt - und warum ihn dessen Demenzerkrankung, von der erstaunlich indiskret gesprochen wird, und schließlich dessen Tod bis ins Mark erschüttern. Strukturell vergleichbar gilt dies für die Schilderung der biographisch ebenfalls hochkomplexen Beziehungen zu Christopher Hitchens, in dem Martin einen geistigen Zwilling sieht, und zu Philip Larkin, seinem Spiritus Rector.
Und doch lässt sich dem "Präludium" nicht völlig widersprechen, denn die "Lektüre in einem Rutsch", die Amis auf Kritikerseite befürchtet, hat ebenfalls ihre Tücken. Das Buch ist nämlich heillos überladen. Man muss nur in das dreizehnseitige Personen- und Sachverzeichnis schauen, das nicht nur angesichts seines beträchtlichen Umfangs in einem solchen Buch eine Kuriosität darstellt, um davon einen Eindruck zu bekommen. Es reicht von A wie "Afghanistan" über I wie "Identitätskrise" und T wie Trump bis Z wie Zionismus, wobei kaum eines dieser Riesenthemen wirklich ausbuchstabiert wird. Hinzu kommen über das Buch eingestreute Abschnitte, in denen Amis in Ratgebergestalt seine Schreibprinzipien erläutert, wobei er sich vor allem auf Fragen des guten Stils konzentriert (daher auch der Untertitel des Ganzen: "Wie man schreibt"). Worauf aber möchte das alles hinaus? Geht es nur darum, zu unterstreichen, dass die Gedanken sich eher assoziativ als stringent, eher wuchernd als geordnet entfalten? Das wäre banal und würde auf einen nur schwach ausgeprägten literarischen Formwillen hindeuten.
Amis' Buch ist weder eine Ansammlung von individuellen Textstücken, die eine zappingartige Lektüre erlaubte, noch ein formal durchgearbeitetes Werk, das eine Lektüre in einem Zug nahelegte. Und vielleicht ist ihm diese Unentschiedenheit beim Schreiben auch bewusst gewesen, weshalb er einige Anstrengungen unternommen hat, sein Vorgehen in eine von D. H. Lawrence herkommende Tradition des "Life Writing" einzuordnen (wodurch er sich zugleich die Möglichkeit einräumt, reale und erfundene Figuren und Begebenheiten miteinander zu vermischen). Es ist ein allzu durchsichtiger Versuch des Autors, sein Vorgehen literarhistorisch zu rechtfertigen und zu veredeln, aber man sollte sich auch davon nicht einschüchtern lassen. "Inside Story" ist, daran können die übersetzerische Großtat von Eike Schönfeld und einige reizvolle Details leider nichts ändern, eine große Enttäuschung. KAI SINA
Martin Amis: "Inside Story". Wie man schreibt. Ein Roman.
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Kein & Aber Verlag, Zürich 2022. 752 S., geb., 40,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Krankheit und Verlust sind sowohl Auslöser als auch Stichwortgeber dieses Buchs, das einer der letzten großen Stars der angloamerikanischen Literaturwelt jetzt verfasst hat.« Katharina Teutsch, Die ZEIT, 22. Dezember 2022 ZEIT 20221222