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Produktdetails
  • Verlag: Edition Korrespondenzen
  • Seitenzahl: 139
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 295g
  • ISBN-13: 9783902113412
  • ISBN-10: 3902113413
  • Artikelnr.: 14767250
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Siebenhundertzweiunddreißig Ohrwürmer aus den Tiefen der Erinnerung
Eine schöne europäische Tat: Zsuzsanna Gahse erzählt in „Instabile Texte” von den vielfachen Übersetzungen, aus denen das Leben besteht
Zsuzsanna Gahse interessiert sich nicht für das lineare Erzählen. Damit steht sie quer zum literarischen Zeitgeist. Was sie nicht daran hindert, in ihre ornamental verschlungene, immer wieder überraschend die Richtung wechselnde Prosa ein paar veritable Merksätze einzustreuen. In ihrem jüngsten Band „Instabile Texte” findet man zum Beispiel den Satz: „Es ist eine der schönsten europäischen Taten, dass viel übersetzt wird, trotz aller Missverständnisse, die dabei entstehen.” Die gebürtige Ungarin Zsuzsanna Gahse weiß, wovon sie redet, denn sie ist eine Übersetzerin von Rang. Aber sie übersetzt nicht nur von einer Sprache in die andere und umgekehrt, sondern trachtet als Schriftstellerin danach, weitere Möglichkeiten des Transfers auszuloten: Was geschieht bei dem Versuch, Landschaft in Worte zu übersetzen, einen Stadtplan in eine Grammatik, Zeit in Raum oder Licht in Sprachklang?
Dabei entstehen im Idealfall Texte von eigenwilliger Grazie, kleine Sprachteppiche, auf denen man hin- und herwandern kann, statt sich an einem Handlungsfaden entlangzuhangeln. In der Feinstruktur gibt der Verlauf der Schrift natürlich die Richtung vor, aber die Gedanken werden unablässig dazu verlockt, nach links oder rechts, nach oben oder unten auszuscheren und abzuschweifen. Manchmal dürfen sie sogar ein Knäuel bilden, dessen Form die Erzählerin wiederum kühn mit einem Kipferl in Verbindung bringt. Andererseits sind auch die riesigen Alpen „der Form nach ein Kipferl”, wenn man sie von oben betrachtet, und „innerhalb der Kipferlform zeichnet sich eine klare Semmelform ab, das ist die Schweiz, und die Schweiz ist Europa”.
Zu dem semmelförmigen Land hat Zsuzsanna Gahse ein spezielles Verhältnis, weil sie nach etlichen Stationswechseln „für eine Weile” dort lebt, im Thurgauer Durchgangsort Müllheim nämlich, dem sie mit ihrem Buch „durch und durch. Müllheim/Thur in drei Kapiteln” schon ein Denkmal gesetzt hat. Die alte Dame Europa aber, mit ihrem lavaähnlich zerfließenden Umriss, ihren vielen „Faltungen”, vielfältigen Stimmungen und Stimmen ist ihr so etwas wie eine Seelenverwandte. Die „Instabilen Texte”, dreizehn an der Zahl, sind mithin stark europahaltig, doch können sie ebensogut zur Schweiz-Literatur gerechnet werden, denn es kommen so viele Schweizer Ansichten und Aussichten darin vor, dass man sich über lange Strecken fühlt wie in einer jener berühmten Gebirgsbahnen, hinter deren Kurven die abenteuerlichsten Perspektivwechsel warten. Oder die hübschesten Veduten: „Der See liegt still im Abseits. Nicht melancholisch, sondern leer. So weit reicht meine Seele, dass sie die Landschaft entleert.”
Die Erzählerin, oder wie man sie auch immer nennen soll, benutzt für ihre bisweilen schwindelerregenden Augenwanderungen den Zug, die Gondelbahn, das Postauto oder ein kleines Flugzeug, und nicht selten geht sie einfach zu Fuß. Dass sie all das eigentlich „zu zweit” tut, wie der Untertitel des Bandes ein wenig geheimnistuerisch mitteilt, wird erst spät offenbar: Es erscheint ein Mann namens Pierre, mit dem sie in Lausanne zum „Seelenturnen” verabredet ist. Die Liebesgeschichte zwischen Mann und Frau findet jedoch nur in Andeutungen statt, während die Begegnung zwischen dem Deutschen und dem Französischen sich um so handfester vollzieht: „Die beiden Sprachen fressen sich gegenseitig auf, nehmen sich in den Mund. . .” In der zweisprachigen Stadt Lausanne, so heißt es, sei „praktisch jede Person übersetzt”. Vielleicht gilt das auch für die Figuren im Buch, insbesondere für Joe, den sprechenden Pelikan, und für das in die Arbeitslosigkeit entlassene Ich, das siebenhundertzweiunddreißig internationale Ohrwürmer aus den Tiefen seiner Erinnerung angelt. Aber der Grat zwischen Übersetzung und Erfindung ist schmaler, als manch einer denkt, und wo der Übersetzer jedes Wort auf die Goldwaage legen muss, kann der Dichter mit Mut zum Risiko balancieren. Zsuszanna Gahse, die in diesem Jahr den Adelbert-von-Chamisso-Preis erhält, tut das mit viel Anmut - auch das ist eine schöne europäische Tat. KRISTINA MAIDT-ZINKE
ZSUZSANNA GAHSE: Instabile Texte. Zu zweit. Mit 6 Textzeichnungen der Autorin. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 142 Seiten, 18,50 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Wort tut, was es sagt
Zsuszanna Gahses Prosatexte gegen die Leere im Deutschen

"Instabile Texte" lautet der Titel des neuen Buchs der Chamisso-Preisträgerin Zsuzsanna Gahse, das nicht Lyrik in Rhythmus und Reim enthält, sondern dreizehn Prosakapitel, die ihre jeweils eigene Konzentration suchen. Der Titel bezeichnet eine von Gahse geschaffene Gattung, deren Merkmal der Scharfsinn ist. Die Heldin im Text "Sammlungen" schließt alarmiert: "Ich muß mich unbedingt sammeln." Der eine Wortsinn (das Sammeln) ist durch den anderen (der Konzentration) ersetzt, das Wortmaterial hat eine neue Bedeutung gewonnen. Das ist Gahses Verfahren: Sie macht die Reflexion zur materialen Realität der lyrischen Prosa.

Das Denken als Bewegung nimmt die Wanderung, das Fahren, den Tagesablauf, den ständigen Ortswechsel zum Medium. Den "instabilen Texten" geht so eine "Kleine instabile Ortskunde" voraus, wie sie einem Kapitel den Namen gibt und die in dieser Bezeichnung offenhält, ob die Orte instabil sind oder das Schwanken sich nicht doch eher auf die "Kunde", also das Wissen von ihrer Instabilität bezieht. Die Wortverbindung tut, was sie sagt: Die "instabile Ortskunde" wird zu einem kleinen instabilen Text. Gahse setzt alles daran, den simplen Vergleich zwischen Text und Ortskunde zu überwinden, denn das Wörtchen "wie" trenne die Welten und untersage die tropische Figur: "Nichts ist wie. Etwas das wie ist, ist weder so noch so." Wie also wandert es sich in den Texten buchstäblich? Welche Gewißheiten kann es dort zwischen den Absätzen geben?

"Aquamarin springt der See aus seinem Becken. Was ist ihm zugestoßen am helllichten Morgen!" So beginnt das "Licht-Logbuch". Das Blau ist hier keine Farbe mehr, sondern kennzeichnet eine Bewegung, die sich aus dem Licht des Morgens ergeben hat. Etwas später läßt sich das besser verstehen: Das Ich hat im Lexikon sub voce "Licht" nachgeschlagen: "Das Licht sei die Idee." Und davon geht nun alles aus. Im Lexikon hat sich die Verbildlichung niedergeschlagen: Das Licht sollte den Begriff der Idee erläutern und ist nun zu einem Wort für die Idee geworden. Gahses Text kehrt diesen Vorgang um. Was mittels des Bildes erläutert wurde, die Idee, erläutert, erfaßt das Bild samt seiner ganzen, zunächst gar nicht gemeinten Umgebung. Die Redefiguren bilden sich in Gahses Idiom zurück, nach Maßgabe des Reichtums der Welt, der Vielfalt ihrer Orte, der Vitalität, die bemeistert, anerkannt sein will, wächst die Instabilität der Wörter.

In dem Maß, in dem der Dichterin diese Art von linguistischer Übertragung gelingt, verbessern sich ihre Texte: "Logbuch" ist 1996 schon einmal erschienen, doch die Sprache hatte sich im Konkreten da noch weniger durchgesetzt. Weil das, was sich ereignet, sprachlich ist, gilt es vorsichtig zu formulieren, vor allem, wenn es um Nacht, um Dunkelheit geht. Denn ohne Licht keine Realität: "Daß es den ganzen Tag geregnet hat" und das Licht ausgeblieben sei, "ist ein Satz. Nicht mehr." Das Ich prüft die Sätze und zeigt, im Nachsatz, den Ausweg: "Nichts ist immer, nichts." Im Paradoxon, das einem äußeren Vernunftwillen gehorcht, wird der Satz kontrolliert, die Nacht zum Tag: Ein Tag ohne Licht ist undenkbar. Wenn schließlich am Ende des Tags, dem das Licht-Logbuch gilt, das Licht "gebrochen" ist, so nicht aufgrund der Spektraltheorie, sondern in dem neuen idiomatischen Sinn, den die Kennwörter dieser Landschaft - Berg, See, Nebel, Licht - gewonnen haben. Das Ende sei erreicht.

Weil Zsuszanna Gahse die Welt wörtlich nimmt, sucht ihre Sehnsucht, die der "Sammlung" gilt, nach Wortkernen, ja, sogar nach dem einen Wort, das für sich keine Bedeutung mehr hat. Wörtlichkeit hat den klugen Dichtern stets schon eine Bastion gegen die programmatischen, ideologischen, sakralen Ansprüche von außen gegeben, ausdrücklich etwa bei Paul Celan. Soll sich nun alles in einem Wort bündeln, so ist Vorsicht geboten. Daß die Wörter, auf die die Sehnsucht zuläuft, von Text zu Text wechseln, ist ein Zeichen dieser Vorsicht. Noch mehr zeigt sie sich im Wortinnenraum, den Gahse konstruiert und in dem eine Strenge herrscht, die sich dem Lexikon, der Etymologie, der Onomastik, vor allem aber der Grammatik verdankt. Wenn das Wort das Ursprüngliche ist, dann ist jedes Sprechen ein Übersetzen, und die Syntax im Sprechen macht wett, was vom Original verlorengegangen ist.

Das kennt die heute vor sechzig Jahren in Budapest geborene Übersetzerin Gahse vom Übergang des Ungarischen ins Deutsche. "Beinahe alles ist Übersetzung, leider, das Original wäre das Ideale, wer möchte nicht lieber das Original, die Nichtübersetzung ist das Erwünschte." So hilft die Syntax gegen die eigene Wortsehnsucht, um die (im Deutschen) drohende mystische Leere zu vermeiden.

Ein Ton ist solch ein Wort, er verfängt sich in der Bergwirklichkeit und gewinnt seine Partikularität: "Aber weil sich der Ton von jeder Seite her anders ausnimmt, ist es nicht gleichgültig, wer wie und wie schnell er spricht, und so hängt die Sprache von der Landschaft ab, von der Topographie." Das gilt gerade für Orte, an denen zwölf Sprachen gesprochen werden. Haften bleibt in der Erzählererinnerung genau ein Ton, das vielfach modulierbare "Jaaa" der Hochtal-Herta, die darin ebenso Sagen auffängt wie Fragen beantwortet: "Am nächsten Tag fragte ich sie, ob sie oft verreisen würde und wie der Sommer sei, und beide Male sagte sie mir darauf ein lang gedehntes Jaaa. / Ich fragte sie, ob es gefährlich sei, bei diesem Wind mit der Gondel zu fahren, und sie sagte Ja, und zwar so, daß sie für das Wort bei einem hohen Ton ansetzte, dann fuhr ihre Stimme in die Tiefe, nicht sehr tief, aber viel tiefer als der hohe Anfangston, schließlich aber stieg die Stimme wieder weit hinauf, es war ein dreiteiliges verschlungenes Ja, was ich kaum verstand." Der Ton erhält einen topographischen Sinn - er hat sich mittlerweile, kraft seines Gebrauchs, in ein Wort verwandelt.

CHRISTOPH KÖNIG

Zsuszanna Gahse: "Instabile Texte. zu zweit." Mit sechs Textzeichnungen der Autorin. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 139 S., geb., 18,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Liebevoll und fasziniert schreibt Nico Bleutge über Zsuzsanna Gahses "Instabile Texte", eine Sammlung von poetischen Miniaturen, die sich, so der Rezensent, auf den ersten Blick ausnehmen "wie kleine Knäuel". Offenbar hatte Bleutge viel Vergnügen beim Entrollen, Entfalten und Belauschen dieser Knäuel. Er selbst jedenfalls ist ganz poetisch geworden, und so gibt es nicht sehr viel mehr zu referieren als den Eindruck einer großen Begeisterung, einer Infizierung beinahe. Das ist bei einem poetischen Werk ja Qualitätsurteil genug. Was feststeht nach Lektüre der Rezension: Der eigentliche Protagonist von Gahses Texten ist die Sprache, den Wörtern gilt die "eigentliche amour fou"; Referenzfiguren sind Helmut Heissenbüttel, Witold Gombrowicz und Gertrude Stein. Mit ihrer von ihr selbst so genannten "mechanischen Darstellungsweise" erzeugt Gahse auf sehr schöne, gauklerische, fragile Art und Weise Welten - Landschaften, Berghänge - sie betreibt eine Form von sprachlicher Äquilibristik, vorgebracht in einem Ton, der, so Bleutge, noch lange nachklingen möge.

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