Produktdetails
- Verlag: Edition Korrespondenzen
- Seitenzahl: 139
- Abmessung: 190mm
- Gewicht: 295g
- ISBN-13: 9783902113412
- ISBN-10: 3902113413
- Artikelnr.: 14767250
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- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2006Das Wort tut, was es sagt
Zsuszanna Gahses Prosatexte gegen die Leere im Deutschen
"Instabile Texte" lautet der Titel des neuen Buchs der Chamisso-Preisträgerin Zsuzsanna Gahse, das nicht Lyrik in Rhythmus und Reim enthält, sondern dreizehn Prosakapitel, die ihre jeweils eigene Konzentration suchen. Der Titel bezeichnet eine von Gahse geschaffene Gattung, deren Merkmal der Scharfsinn ist. Die Heldin im Text "Sammlungen" schließt alarmiert: "Ich muß mich unbedingt sammeln." Der eine Wortsinn (das Sammeln) ist durch den anderen (der Konzentration) ersetzt, das Wortmaterial hat eine neue Bedeutung gewonnen. Das ist Gahses Verfahren: Sie macht die Reflexion zur materialen Realität der lyrischen Prosa.
Das Denken als Bewegung nimmt die Wanderung, das Fahren, den Tagesablauf, den ständigen Ortswechsel zum Medium. Den "instabilen Texten" geht so eine "Kleine instabile Ortskunde" voraus, wie sie einem Kapitel den Namen gibt und die in dieser Bezeichnung offenhält, ob die Orte instabil sind oder das Schwanken sich nicht doch eher auf die "Kunde", also das Wissen von ihrer Instabilität bezieht. Die Wortverbindung tut, was sie sagt: Die "instabile Ortskunde" wird zu einem kleinen instabilen Text. Gahse setzt alles daran, den simplen Vergleich zwischen Text und Ortskunde zu überwinden, denn das Wörtchen "wie" trenne die Welten und untersage die tropische Figur: "Nichts ist wie. Etwas das wie ist, ist weder so noch so." Wie also wandert es sich in den Texten buchstäblich? Welche Gewißheiten kann es dort zwischen den Absätzen geben?
"Aquamarin springt der See aus seinem Becken. Was ist ihm zugestoßen am helllichten Morgen!" So beginnt das "Licht-Logbuch". Das Blau ist hier keine Farbe mehr, sondern kennzeichnet eine Bewegung, die sich aus dem Licht des Morgens ergeben hat. Etwas später läßt sich das besser verstehen: Das Ich hat im Lexikon sub voce "Licht" nachgeschlagen: "Das Licht sei die Idee." Und davon geht nun alles aus. Im Lexikon hat sich die Verbildlichung niedergeschlagen: Das Licht sollte den Begriff der Idee erläutern und ist nun zu einem Wort für die Idee geworden. Gahses Text kehrt diesen Vorgang um. Was mittels des Bildes erläutert wurde, die Idee, erläutert, erfaßt das Bild samt seiner ganzen, zunächst gar nicht gemeinten Umgebung. Die Redefiguren bilden sich in Gahses Idiom zurück, nach Maßgabe des Reichtums der Welt, der Vielfalt ihrer Orte, der Vitalität, die bemeistert, anerkannt sein will, wächst die Instabilität der Wörter.
In dem Maß, in dem der Dichterin diese Art von linguistischer Übertragung gelingt, verbessern sich ihre Texte: "Logbuch" ist 1996 schon einmal erschienen, doch die Sprache hatte sich im Konkreten da noch weniger durchgesetzt. Weil das, was sich ereignet, sprachlich ist, gilt es vorsichtig zu formulieren, vor allem, wenn es um Nacht, um Dunkelheit geht. Denn ohne Licht keine Realität: "Daß es den ganzen Tag geregnet hat" und das Licht ausgeblieben sei, "ist ein Satz. Nicht mehr." Das Ich prüft die Sätze und zeigt, im Nachsatz, den Ausweg: "Nichts ist immer, nichts." Im Paradoxon, das einem äußeren Vernunftwillen gehorcht, wird der Satz kontrolliert, die Nacht zum Tag: Ein Tag ohne Licht ist undenkbar. Wenn schließlich am Ende des Tags, dem das Licht-Logbuch gilt, das Licht "gebrochen" ist, so nicht aufgrund der Spektraltheorie, sondern in dem neuen idiomatischen Sinn, den die Kennwörter dieser Landschaft - Berg, See, Nebel, Licht - gewonnen haben. Das Ende sei erreicht.
Weil Zsuszanna Gahse die Welt wörtlich nimmt, sucht ihre Sehnsucht, die der "Sammlung" gilt, nach Wortkernen, ja, sogar nach dem einen Wort, das für sich keine Bedeutung mehr hat. Wörtlichkeit hat den klugen Dichtern stets schon eine Bastion gegen die programmatischen, ideologischen, sakralen Ansprüche von außen gegeben, ausdrücklich etwa bei Paul Celan. Soll sich nun alles in einem Wort bündeln, so ist Vorsicht geboten. Daß die Wörter, auf die die Sehnsucht zuläuft, von Text zu Text wechseln, ist ein Zeichen dieser Vorsicht. Noch mehr zeigt sie sich im Wortinnenraum, den Gahse konstruiert und in dem eine Strenge herrscht, die sich dem Lexikon, der Etymologie, der Onomastik, vor allem aber der Grammatik verdankt. Wenn das Wort das Ursprüngliche ist, dann ist jedes Sprechen ein Übersetzen, und die Syntax im Sprechen macht wett, was vom Original verlorengegangen ist.
Das kennt die heute vor sechzig Jahren in Budapest geborene Übersetzerin Gahse vom Übergang des Ungarischen ins Deutsche. "Beinahe alles ist Übersetzung, leider, das Original wäre das Ideale, wer möchte nicht lieber das Original, die Nichtübersetzung ist das Erwünschte." So hilft die Syntax gegen die eigene Wortsehnsucht, um die (im Deutschen) drohende mystische Leere zu vermeiden.
Ein Ton ist solch ein Wort, er verfängt sich in der Bergwirklichkeit und gewinnt seine Partikularität: "Aber weil sich der Ton von jeder Seite her anders ausnimmt, ist es nicht gleichgültig, wer wie und wie schnell er spricht, und so hängt die Sprache von der Landschaft ab, von der Topographie." Das gilt gerade für Orte, an denen zwölf Sprachen gesprochen werden. Haften bleibt in der Erzählererinnerung genau ein Ton, das vielfach modulierbare "Jaaa" der Hochtal-Herta, die darin ebenso Sagen auffängt wie Fragen beantwortet: "Am nächsten Tag fragte ich sie, ob sie oft verreisen würde und wie der Sommer sei, und beide Male sagte sie mir darauf ein lang gedehntes Jaaa. / Ich fragte sie, ob es gefährlich sei, bei diesem Wind mit der Gondel zu fahren, und sie sagte Ja, und zwar so, daß sie für das Wort bei einem hohen Ton ansetzte, dann fuhr ihre Stimme in die Tiefe, nicht sehr tief, aber viel tiefer als der hohe Anfangston, schließlich aber stieg die Stimme wieder weit hinauf, es war ein dreiteiliges verschlungenes Ja, was ich kaum verstand." Der Ton erhält einen topographischen Sinn - er hat sich mittlerweile, kraft seines Gebrauchs, in ein Wort verwandelt.
CHRISTOPH KÖNIG
Zsuszanna Gahse: "Instabile Texte. zu zweit." Mit sechs Textzeichnungen der Autorin. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 139 S., geb., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zsuszanna Gahses Prosatexte gegen die Leere im Deutschen
"Instabile Texte" lautet der Titel des neuen Buchs der Chamisso-Preisträgerin Zsuzsanna Gahse, das nicht Lyrik in Rhythmus und Reim enthält, sondern dreizehn Prosakapitel, die ihre jeweils eigene Konzentration suchen. Der Titel bezeichnet eine von Gahse geschaffene Gattung, deren Merkmal der Scharfsinn ist. Die Heldin im Text "Sammlungen" schließt alarmiert: "Ich muß mich unbedingt sammeln." Der eine Wortsinn (das Sammeln) ist durch den anderen (der Konzentration) ersetzt, das Wortmaterial hat eine neue Bedeutung gewonnen. Das ist Gahses Verfahren: Sie macht die Reflexion zur materialen Realität der lyrischen Prosa.
Das Denken als Bewegung nimmt die Wanderung, das Fahren, den Tagesablauf, den ständigen Ortswechsel zum Medium. Den "instabilen Texten" geht so eine "Kleine instabile Ortskunde" voraus, wie sie einem Kapitel den Namen gibt und die in dieser Bezeichnung offenhält, ob die Orte instabil sind oder das Schwanken sich nicht doch eher auf die "Kunde", also das Wissen von ihrer Instabilität bezieht. Die Wortverbindung tut, was sie sagt: Die "instabile Ortskunde" wird zu einem kleinen instabilen Text. Gahse setzt alles daran, den simplen Vergleich zwischen Text und Ortskunde zu überwinden, denn das Wörtchen "wie" trenne die Welten und untersage die tropische Figur: "Nichts ist wie. Etwas das wie ist, ist weder so noch so." Wie also wandert es sich in den Texten buchstäblich? Welche Gewißheiten kann es dort zwischen den Absätzen geben?
"Aquamarin springt der See aus seinem Becken. Was ist ihm zugestoßen am helllichten Morgen!" So beginnt das "Licht-Logbuch". Das Blau ist hier keine Farbe mehr, sondern kennzeichnet eine Bewegung, die sich aus dem Licht des Morgens ergeben hat. Etwas später läßt sich das besser verstehen: Das Ich hat im Lexikon sub voce "Licht" nachgeschlagen: "Das Licht sei die Idee." Und davon geht nun alles aus. Im Lexikon hat sich die Verbildlichung niedergeschlagen: Das Licht sollte den Begriff der Idee erläutern und ist nun zu einem Wort für die Idee geworden. Gahses Text kehrt diesen Vorgang um. Was mittels des Bildes erläutert wurde, die Idee, erläutert, erfaßt das Bild samt seiner ganzen, zunächst gar nicht gemeinten Umgebung. Die Redefiguren bilden sich in Gahses Idiom zurück, nach Maßgabe des Reichtums der Welt, der Vielfalt ihrer Orte, der Vitalität, die bemeistert, anerkannt sein will, wächst die Instabilität der Wörter.
In dem Maß, in dem der Dichterin diese Art von linguistischer Übertragung gelingt, verbessern sich ihre Texte: "Logbuch" ist 1996 schon einmal erschienen, doch die Sprache hatte sich im Konkreten da noch weniger durchgesetzt. Weil das, was sich ereignet, sprachlich ist, gilt es vorsichtig zu formulieren, vor allem, wenn es um Nacht, um Dunkelheit geht. Denn ohne Licht keine Realität: "Daß es den ganzen Tag geregnet hat" und das Licht ausgeblieben sei, "ist ein Satz. Nicht mehr." Das Ich prüft die Sätze und zeigt, im Nachsatz, den Ausweg: "Nichts ist immer, nichts." Im Paradoxon, das einem äußeren Vernunftwillen gehorcht, wird der Satz kontrolliert, die Nacht zum Tag: Ein Tag ohne Licht ist undenkbar. Wenn schließlich am Ende des Tags, dem das Licht-Logbuch gilt, das Licht "gebrochen" ist, so nicht aufgrund der Spektraltheorie, sondern in dem neuen idiomatischen Sinn, den die Kennwörter dieser Landschaft - Berg, See, Nebel, Licht - gewonnen haben. Das Ende sei erreicht.
Weil Zsuszanna Gahse die Welt wörtlich nimmt, sucht ihre Sehnsucht, die der "Sammlung" gilt, nach Wortkernen, ja, sogar nach dem einen Wort, das für sich keine Bedeutung mehr hat. Wörtlichkeit hat den klugen Dichtern stets schon eine Bastion gegen die programmatischen, ideologischen, sakralen Ansprüche von außen gegeben, ausdrücklich etwa bei Paul Celan. Soll sich nun alles in einem Wort bündeln, so ist Vorsicht geboten. Daß die Wörter, auf die die Sehnsucht zuläuft, von Text zu Text wechseln, ist ein Zeichen dieser Vorsicht. Noch mehr zeigt sie sich im Wortinnenraum, den Gahse konstruiert und in dem eine Strenge herrscht, die sich dem Lexikon, der Etymologie, der Onomastik, vor allem aber der Grammatik verdankt. Wenn das Wort das Ursprüngliche ist, dann ist jedes Sprechen ein Übersetzen, und die Syntax im Sprechen macht wett, was vom Original verlorengegangen ist.
Das kennt die heute vor sechzig Jahren in Budapest geborene Übersetzerin Gahse vom Übergang des Ungarischen ins Deutsche. "Beinahe alles ist Übersetzung, leider, das Original wäre das Ideale, wer möchte nicht lieber das Original, die Nichtübersetzung ist das Erwünschte." So hilft die Syntax gegen die eigene Wortsehnsucht, um die (im Deutschen) drohende mystische Leere zu vermeiden.
Ein Ton ist solch ein Wort, er verfängt sich in der Bergwirklichkeit und gewinnt seine Partikularität: "Aber weil sich der Ton von jeder Seite her anders ausnimmt, ist es nicht gleichgültig, wer wie und wie schnell er spricht, und so hängt die Sprache von der Landschaft ab, von der Topographie." Das gilt gerade für Orte, an denen zwölf Sprachen gesprochen werden. Haften bleibt in der Erzählererinnerung genau ein Ton, das vielfach modulierbare "Jaaa" der Hochtal-Herta, die darin ebenso Sagen auffängt wie Fragen beantwortet: "Am nächsten Tag fragte ich sie, ob sie oft verreisen würde und wie der Sommer sei, und beide Male sagte sie mir darauf ein lang gedehntes Jaaa. / Ich fragte sie, ob es gefährlich sei, bei diesem Wind mit der Gondel zu fahren, und sie sagte Ja, und zwar so, daß sie für das Wort bei einem hohen Ton ansetzte, dann fuhr ihre Stimme in die Tiefe, nicht sehr tief, aber viel tiefer als der hohe Anfangston, schließlich aber stieg die Stimme wieder weit hinauf, es war ein dreiteiliges verschlungenes Ja, was ich kaum verstand." Der Ton erhält einen topographischen Sinn - er hat sich mittlerweile, kraft seines Gebrauchs, in ein Wort verwandelt.
CHRISTOPH KÖNIG
Zsuszanna Gahse: "Instabile Texte. zu zweit." Mit sechs Textzeichnungen der Autorin. Edition Korrespondenzen, Wien 2005. 139 S., geb., 18,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Liebevoll und fasziniert schreibt Nico Bleutge über Zsuzsanna Gahses "Instabile Texte", eine Sammlung von poetischen Miniaturen, die sich, so der Rezensent, auf den ersten Blick ausnehmen "wie kleine Knäuel". Offenbar hatte Bleutge viel Vergnügen beim Entrollen, Entfalten und Belauschen dieser Knäuel. Er selbst jedenfalls ist ganz poetisch geworden, und so gibt es nicht sehr viel mehr zu referieren als den Eindruck einer großen Begeisterung, einer Infizierung beinahe. Das ist bei einem poetischen Werk ja Qualitätsurteil genug. Was feststeht nach Lektüre der Rezension: Der eigentliche Protagonist von Gahses Texten ist die Sprache, den Wörtern gilt die "eigentliche amour fou"; Referenzfiguren sind Helmut Heissenbüttel, Witold Gombrowicz und Gertrude Stein. Mit ihrer von ihr selbst so genannten "mechanischen Darstellungsweise" erzeugt Gahse auf sehr schöne, gauklerische, fragile Art und Weise Welten - Landschaften, Berghänge - sie betreibt eine Form von sprachlicher Äquilibristik, vorgebracht in einem Ton, der, so Bleutge, noch lange nachklingen möge.
© Perlentaucher Medien GmbH
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