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Eine beeindruckende historische Studie zur erzwungenen Kooperation von Juden mit dem NS-Regime - am Beispiel Wien.
Spätestens seit Hannah Arendts Eichmann-Buch und ihrer Kritik an der Rolle der Judenräte in der Zeit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden wird die Frage der Zusammenarbeit von jüdischen Repräsentanten mit dem NS-Regime äußerst kontrovers diskutiert. Wie konnten Menschen gezwungen werden, an ihrer eigenen Vernichtung mitzuwirken? Wer verstehen will, wie die Judenräte entstanden, muß sich mit den Wiener Verhältnissen auseinandersetzen. In Wien entwickelte und…mehr

Produktbeschreibung
Eine beeindruckende historische Studie zur erzwungenen Kooperation von Juden mit dem NS-Regime - am Beispiel Wien.

Spätestens seit Hannah Arendts Eichmann-Buch und ihrer Kritik an der Rolle der Judenräte in der Zeit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden wird die Frage der Zusammenarbeit von jüdischen Repräsentanten mit dem NS-Regime äußerst kontrovers diskutiert. Wie konnten Menschen gezwungen werden, an ihrer eigenen Vernichtung mitzuwirken?
Wer verstehen will, wie die Judenräte entstanden, muß sich mit den Wiener Verhältnissen auseinandersetzen. In Wien entwickelte und erprobte Eichmann ab 1938 sein "Modell" nationalsozialistischer Judenpolitik. Hier wurde die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" - wie sie euphemistisch genannt wurde - installiert, mit der die Nazis erst die Massenvertreibung, dann die Deportation in die Vernichtungslager organisierten. Zugleich wurde ab 1938 die jüdische Administration in Wien systematisch umstrukturiert und in einer vom NS-Regime erzwungenen Kooperation schrittweise in die Vertreibung und schließlich Verschleppung der österreichischen Juden in die Vernichtungslager hineingezogen. Die Wiener jüdische Gemeindeleitung wurde zum Prototyp aller späteren Judenräte.
Doron Rabinovici versucht in seiner Studie der Situation der Verfolgten gerecht zu werden. Er lenkt immer wieder den Blick auf einzelne jüdische Funktionsträger und zeigt, wie das verzweifelte Bemühen, wenigstens so viele Menschen wie möglich zu schützen und zu retten, die Verfolgten zugleich ihren Verfolgern zuarbeiten ließ. Die jüdischen Verwaltungsorgane waren unter den vorgegebenen Bedingungen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems nichts als Instanzen der Ohnmacht .
"Die Perspektive der Verfolgten offenbart, wie unfaßbar und wie widersinnig all das erscheinen mußte, was ihnen angetan wurde. Ihre verzweifelten Hoffnungen und ihre Ohnmacht spiegeln das Ausmaß und den Charakter des Verbrechens wider."

Autorenporträt
Doron Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren, lebt seit 1964 in Wien.

Er ist Schriftsteller, Essayist und Historiker.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2001

Die Ohnmacht der Täter
Der besondere Skandal – Doron Rabinovicis große Studie über den Weg zum Wiener Judenrat
Wilhelm Reisz war seit 1941 Gruppenführer der jüdischen Ordner unter dem SS-Scharführer Gerbing, einem so verbummelten wie brutalen Medizinstudenten aus besserem Hause. Reisz war ein Jude, der in Wien mit den Nazis kollaborierte und Juden in den Tod schickte. Als 1941 die systematische Deportation begann, wandte sich die SS an die Wiener Israelitische Kultusgemeinde und forderte jüdische Ordner an, die bei den Aushebungen behilflich sein sollten. Reisz, der vorher in der Auswanderungsabteilung Juden und Jüdinnen geholfen hatte, vor den Nazis zu fliehen, konnte sich dieser Weisung der SS nicht entziehen.
Eine Weigerung hätte unweigerlich den Tod bedeutet. Reisz musste tödliche Kompromisse eingehen. Doch Augenzeugen berichten, dass er auch als Gruppenführer noch zahlreiche Juden vor der Auslieferung rettete. Nach dem Krieg verurteilte das österreichische Volksgericht den Schätzmeister der Gestapo, Bernhard Wittke, zu drei Jahren Haft. Der „Judenreferent” Johann Rixinger, während der Deportationen entscheidend am Massenmord beteiligt, erhielt zehn Jahre Gefängnis. Wilhelm Reisz aber, ein Opfer, das gezwungen wurde, mit den Tätern zu kooperieren, wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nach dem Schuldspruch brachte Reisz sich um.
Nicht nur die Rechtsprechung, auch die österreichische Nachkriegsöffentlichkeit empfand jene Juden, die nicht dem Prototyp des Opfers entsprachen, als besonderen Skandal: „Dem Opfer wird vorgeworfen, mit den totalitären Verbrechern in Tatzusammenhang geraten zu sein. Die Verantwortung für dieses Nahverhältnis wird nicht dem Täter, sondern dem Opfer angelastet, als wäre es an dieser tödlichen Konstellation vorrangig interessiert gewesen”, schreibt Doron Rabinovici. An genau diesem Punkt der ungerechten Wahrnehmung der jüdischen Kollaborateure und ihrer tragischen Lage setzt sein Buch Instanzen der Ohnmacht an. Nicht um eine Entschuldigung der jüdischen Ausheber geht es dem Autor dabei, sondern um „das Ungleichgewicht im Urteil”. Wie konnte es kommen, dass die kritische Öffentlichkeit die Zwangslage der Angeklagten, ihre Todesangst und ihre Leistungen übersehen hat?
Rabinovicis bitteres Fazit ist, dass die „nationalistische Taktik aufgegangen” ist. Auch nach dem Krieg greift die psychologische Mechanik des nationalsozialistischen Täter-Opfer-Schemas. Das Opfer, das sich nicht in seine passive Leidensrolle fügte, sondern – zwangsweise – zum Täter werden musste, wird strenger verurteilt als der Täter selbst. So werden für Rabinovici die Leidtragenden des Dritten Reichs nach 1945 ein zweites Mal zum Opfer: „Keine Opfergruppe hätte unter ähnlichen Bedingungen anders reagieren können; keine könnte heute anders handeln. Beruhigendere und behaglichere Ergebnisse sind diesen Erörterungen nicht abzugewinnen. ”
Der 1961 geborene Doron Rabinovici ist ein vorzüglicher Erzähler. Das hat er nicht zuletzt mit seinem Roman Suche nach M. bewiesen, einem virtuos tragikomischen Stück über die Kinder zweier Holocaust-Überlebender und ihren Umgang mit dem Begriff der Schuld. Mit der vorliegenden umfangreichen Schilderung des „Wegs zum Judenrat” im Wien von 1938–1945 hat Rabinovici nun jedoch eine wissenschaftliche Darstellung vorgelegt, denn „von diesem Thema leichthin zu erzählen war mir nicht möglich”. Dennoch sind die erzählerischen Passagen die stärksten des Buchs. Es ist die erzählerische Kraft Rabinovicis, die Daten und Materialien der historischen Anonymität entreißt und sie zu Schicksalen verdichtet. Diese spiegeln die Ohnmacht deutlicher, als eine wissenschaftliche These es vermöchte. Adam Czerniakow etwa, Vorsitzender des Judenrats in Warschau, nahm sich das Leben, als er für den folgenden Tag einen Kindertransport zusammenstellen sollte. In seiner letzten Notiz an die Gemeindeverwaltung schreibt Czerniakow: „Damit ist mein bitterer Kelch bis zum Rand gefüllt, denn ich kann doch nicht wehrlose Kinder dem Tod ausliefern. Ich habe beschlossen abzutreten. Betrachtet dies nicht als Akt der Feigheit. Ich bin machtlos, mir bricht das Herz vor Trauer und Mitleid, länger kann ich das nicht ertragen . . .”
CHRISTIAN JÜRGENS
DORON RABINOVICI: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat. Jüdischer Verlag, Frankfurt 2000. 495 Seiten, 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2000

Handlanger der eigenen Henker
Auch die Judenräte waren Opfer des nationalsozialistischen Terrors

Doron Rabinovici: Instanzen der Ohnmacht. Wien 1938-1945. Der Weg zum Judenrat. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 360 Seiten, 49,80 Mark.

Am 16. März 1938, drei Tage nach dem "Anschluss", kommt Adolf Eichmann aus Berlin nach Wien. Bislang war er ein untergeordneter Beamter in der nationalsozialistischen Bürokratie. Jetzt aber übernimmt er im neu gegründeten SS-Oberabschnitt Österreich die Führung des Referats II-112. Er ist 32 Jahre alt, und es ist die Chance seines Lebens. Er nimmt sie wahr: Eichmann probt die Vernichtung der Juden. Er ist der richtige Mann am richtigen Ort.

In seinem glänzend geschriebenen Buch weist Doron Rabinovici nach, warum die erst später geplante "Endlösung" in Österreichs Hauptstadt ihren Anfang nehmen konnte. Anders als in Deutschland hatte Bürgermeister Karl Lueger den Antisemitismus schon um die Jahrhundertwende zu einem legitimen Versatzstück der Wiener Lokalpolitik gemacht.

Was in Berlin noch Jahre nach der "Machtergreifung" nicht abgeschlossen war, ging in der Metropole des ehemaligen Vielvölkerstaates reibungslos voran: "Die Beraubung der Juden wurde in Österreich gründlicher und schneller vollzogen als im ,Altreich'. Bis zum Mai 1939 waren in Berlin nach sechs Jahren Naziherrschaft noch dreißig Prozent der selbstständigen Juden erwerbstätig, in Wien waren es nach einem Jahr nur mehr sechs Prozent."

Der 1961 in Tel Aviv geborene Rabinovici lebt seit seiner frühen Kindheit in Wien. Die umfangreichen Recherchen zu diesem Buch fielen in eine Zeit, in der Jörg Haider sein Land noch einmal in Verruf brachte. Es verwundert daher kaum, dass Rabinovici zu den Sprechern einer Massendemonstration gegen die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei Österreichs gehörte.

Rabinovici ist nicht nur Historiker, sondern auch Schriftsteller und Essayist. Der Erzählband "Papirnik" aus dem Jahr 1994 und der Roman "Suche nach M" aus dem Jahr 1999 haben ihn bekannt gemacht: surrealistische Texte über jüdische Existenz in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen er seiner überschäumenden Phantasie freien Lauf lässt.

Der Phantastik seiner Prosa steht hier die Akribie des Quellenforschers gegenüber. Für den Leser ist es ein Glücksfall, dass er nicht nur die Fakten zu berichten weiß, sondern auch ihrer psychologischen Zwiespältigkeit einen literarischen Ausdruck gibt.

Hitlers Schergen beraubten, verfolgten und ermordeten schließlich die Juden. Aber sie taten noch mehr: Sie zwangen ihnen auch die Bürokratie ihrer eigenen Vernichtung auf. Das Buch beschreibt die Entstehung der Judenräte, die die Opfer für den tödlichen Zugriff zu organisieren hatten. Sie waren die unfreiwilligen Handlanger der eigenen Henker, die Schattenbilder der nationalsozialistischen Herrschaftsstruktur, und der Titel des Buches gibt ihnen ihren hintergründigen Namen: Sie waren die Instanzen der Ohnmacht.

Die Judenräte gehören zu den heikelsten Themen der Holocaustforschung. Angesichts eines Verbrechens, das sich allen juristischen und ethischen Kategorien entzieht, werfen sie die Frage auf, wie die von den Mördern erzwungene Kollaboration der Opfer zu beurteilen sei. Als junger Student durfte Raul Hilberg dies in einer Seminararbeit nicht einmal erwähnen. Später, anlässlich des Eichmann-Prozesses, sprach Hannah Arendt die Judenräte schuldig und löste eine internationale Debatte aus. Rabinovici greift die Frage jetzt noch einmal auf und geht subtiler vor.

Er hält fest, dass die hier konstruierte "Komplizenschaft" der Juden nicht nur das Werk, sondern auch die langfristige, noch in der Nachkriegszeit wirksame Strategie der Nazis war. "Die nationalsozialistische Taktik, das Täuschungsmanöver, war aufgegangen und wirkte nach dem Sieg über das Deutsche Reich weiter. Sogar nach 1945 wurden Opfer mit Tätern verwechselt und willentlich vertauscht."

Rabinovici stellt klar, dass die Funktionäre der jüdischen Gemeindeverwaltung nie eigenständig, sondern immer unter Zwang handelten. "Sie agierten, ob sie kooperierten oder die staatlichen Erlasse zu unterlaufen trachteten, immer unter direkter nationalsozialistischer Kontrolle. Immer muss klar zwischen Tätern und Opfern, zwischen der Macht und den Ohnmächtigen unterschieden werden."

Die Verurteilung der Opfer über das Grab hinaus gehört zur moralischen Korruption, die das "Dritte Reich" gesät hat. Keineswegs aber will Rabinovici das Verhalten jüdischer Funktionäre reinwaschen. Unter anderem lässt er Rabbiner Benjamin Murmelstein zu Wort kommen, der den Nazis zunächst in Wien zur Hand ging und dann in Theresienstadt Judenältester wurde. 1963 wehrte er Hannah Arendts Unterstellungen ab. Rabinovici zitiert seine Argumente, fügt aber hinzu: "Nicht einmal im Nachhinein bringt Murmelstein Trauer oder Skrupel zum Ausdruck. Auch noch nach zwanzig Jahren zweifelt er nicht daran, durch seine Strategie Juden gerettet und die Nationalsozialisten von der Sinnhaftigkeit der Erhaltung des Ghettos überzeugt zu haben."

Der Historiker Rabinovici schreibt das nicht ohne bittere Ironie. Murmelstein unterliegt einem Fehlschluss, denn er konnte niemanden retten. Die Judenräte, Instanzen der Ohnmacht, berührten den Ablauf der Dinge nicht, und deshalb ist alle Anklage hinfällig - aber auch alle Verteidigung.

JAKOB HESSING

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Gabriele Anderl findet Rabinovicis Geschichte der "Wiener Judenräte" überzeugend. Der Autor führt ihrer Ansicht nach deutlich vor, wie selbstgerecht die Kritik nach dem Krieg an den Judenräten war, die häufig der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt wurden. So zeige Rabinovici, dass die jüdische Selbstverwaltung keineswegs "eigenständig" handeln konnte, sondern immer von den Nationalsozialisten abhängig war. Auch wenn man die Handlungen einiger jüdischer Funktionäre durchaus kritisieren könne - als Beispiel wird der Rabbi Benjamin Murmelstein genannt, der seine Macht "unübersehbar genoss" - letztlich waren die Nationalsozialisten die Mörder. Zwar sind die Fakten nicht neu, aber Thesen und Schlussfolgerungen Rabinovicis findet die Rezensentin "beachtlich".

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