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Die Aufstellung der Bundeswehr ab 1955 war ein Ergebnis der weltpolitischen Frontstellung im Kalten Krieg. Sie erfolgte im Rahmen der NATO, die Strategie, Struktur und Aufgaben nachhaltig bestimmte. Auf allen Ebenen mussten sich die Streitkräfte in die schon ausgebildete politische, ökonomische und gesellschaftliche Struktur der Bundesrepublik konkurrierend einordnen. Im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts zur Militärgeschichte der Bundesrepublik untersucht diese Studie den spezifischen Anteil, den vornehmlich neu gegründete Bundeswehrstandorte an den sozioökonomischen Wandlungsprozessen…mehr

Produktbeschreibung
Die Aufstellung der Bundeswehr ab 1955 war ein Ergebnis der weltpolitischen Frontstellung im Kalten Krieg. Sie erfolgte im Rahmen der NATO, die Strategie, Struktur und Aufgaben nachhaltig bestimmte. Auf allen Ebenen mussten sich die Streitkräfte in die schon ausgebildete politische, ökonomische und gesellschaftliche Struktur der Bundesrepublik konkurrierend einordnen. Im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts zur Militärgeschichte der Bundesrepublik untersucht diese Studie den spezifischen Anteil, den vornehmlich neu gegründete Bundeswehrstandorte an den sozioökonomischen Wandlungsprozessen der 50er bis 70er Jahre in Westdeutschland hatten. Der Bogen spannt sich dabei von der Makroebene des Bundes bis zur Mikroebene einzelner Kommunen und ermöglicht so differenzierte gesamtgesellschaftliche Analysen.
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Autorenporträt
Wolfgang Schmidt, geboren 1958, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2007

Standort und Standpunkt
Geschichte der Bundeswehr als erfolgreicher Prozess der Integration in Staat und Gesellschaft

Der Bürgermeister von Laufen an der Salzach, einer kleinen bayerischen Grenzstadt, vermochte seine Enttäuschung nicht zu verbergen. Am 23. September 1957 - die Gemeinde sollte entgegen ihrer Hoffnung nun doch nicht Bundeswehrstandort werden - richtete er die Frage an Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, ob "man denn wirklich unserem armen Städtchen nicht zu Hilfe kommen" könne - in der Nachbarschaft sei schließlich auch gerade der Grundstein für eine Kaserne gelegt worden: "In Ihren Händen, sehr geehrter Herr Bundesminister, liegt das Wohl und Wehe unserer Stadt."

Wie sehr das Wohl und Wehe vieler Städte und Gemeinden, zumal in strukturschwachen Regionen, in den fünfziger und sechziger Jahren mit dem Ausbau der Bundeswehr verknüpft war, wird in Wolfgang Schmidts Buch nun anschaulich deutlich. Während sich die ersten Publikationen im Rahmen der seit dem vergangenen Jahr vom Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebenen Schriftenreihe "Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland" vor allem mit der Entwicklung von Heer, Luftwaffe und Marine beschäftigen und den Zusammenhang von Nato-Vorgaben und nationaler Verteidigungsplanung betonen, erzählt Schmidt die Geschichte der Bundeswehr als einen nicht unproblematischen, aufs Ganze gesehen jedoch erfolgreichen Prozess der Integration in Staat und Gesellschaft.

Die vordringliche Aufgabe der militärischen Planung lag Mitte der fünfziger Jahre im materiellen Aufbau der Bundeswehr. Tatsächlich war, wie Schmidt zu Recht betont, die materielle Integration, sprich: der Aus- und Neubau von Kasernen und Unterkünften, jenseits aller politischen Großkonflikte, die "eigentliche Nagelprobe für die gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr". Eine solche Akzeptanz konnte, nicht zuletzt eingedenk der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, kaum stillschweigend vorausgesetzt werden. Nicht überall lag Laufen an der Salzach. Und während der Bürgermeister einer anderen Provinzgemeinde in der Stationierung einer Garnison 1955 "eine feine Sache" sah, ging etwa die Freilichtaufführung eines Films über "Die ersten Schritte der Bundeswehr" in der Eifelgemeinde Speicher 1956 in Tumult und Pfeifkonzert unter. Gerade in der infrastrukturellen Diaspora des ländlichen Raumes, der schließlich zum eigentlichen Profiteur der Wiederbewaffnung werden sollte, existierten Denk- und Verhaltensmuster, die jedem technischen und sozialen Wandel skeptisch bis ablehnend begegneten. Der Bau von Kasernen wurde hier vorrangig nicht als Investition in die Sicherheit, sondern als Triebfeder eines Wandlungsprozesses wahrgenommen, der nicht als Chance, sondern als Risiko galt. Nach der mehr oder minder gelungenen Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen empfanden viele Menschen im ländlichen Raum die Stationierung von Bundeswehreinheiten nur mehr als neue "Belastungstatbestände".

Die politischen Eliten in Ländern und Gemeinden hingegen erkannten - jenseits parteipolitischer Denkmuster - bereits früh die positiven Auswirkungen des Ausbaus der Streitkräfte. Der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner etwa, als Sozialdemokrat bekanntlich nicht gerade ein rückhaltloser Befürworter der Wiederbewaffnung, versuchte die neuen Truppenstandorte "im Sinne seiner Politik der inneren Kolonisierung . . . als ein strukturpolitisches Mittel für die Entwicklung seines Landes zu nutzen". Und der Logik dieser Politik vermochte sich bald kaum jemand mehr zu entziehen. Nachdem erste Vorbehalte vergessen waren, buhlten die Kommunen schließlich geradezu um einen Bundeswehrstandort. Mitte der sechziger Jahre befanden sich von 357 Kasernen denn auch immerhin 135 in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern.

Gerade in diesem Kontext erwies sich die Garnison als "Katalysator lokaler Modernisierung" - allerdings weniger mit Blick auf ökonomische Effekte, die Schmidt zufolge durchweg gering zu veranschlagen sind, als hinsichtlich der Infrastruktur: Bedingt durch den Zuzug der Soldaten und ihrer Familien, wurden die Investitionen in Verkehr, Straßenbau und Leitungsnetz, aber auch in "Folgeeinrichtungen" wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser, drastisch erhöht. Das Programm der Modernisierung war freilich auch den Kasernen selbst eingeschrieben. Ungeachtet der baulichen Kontinuitäten zwischen dem "Dritten Reich" und der Bundesrepublik, zeichnete sich die architektonische Gestaltung der Kasernen seit den fünfziger Jahren durch einen betont funktionalistischen, sachlichen, ja nüchternen Stil aus, der nicht selten den Charme des sozialen Wohnungsbaus besaß. Die neue Transparenz der demokratischen Streitkräfte, wie sie sich insbesondere in überdimensionierten Glasfassaden ausdrückte, stieß allerdings nicht allenthalben auf Zustimmung - das Veteranenblatt "Alte Kameraden" etwa sprach hämisch von "Soldatenvitrinen".

Die künstlerische Ausgestaltung der neuen Kasernen fand nicht überall positive Resonanz. Die Fresken, Plastiken und Mosaike, die sich bewusst vom "Heldenkitsch" der nationalsozialistischen Ära distanzierten, um mit geometrischen Mustern und abstrakten Formen der Moderne zum Durchbruch zu verhelfen und dem demokratischen Wandel ein Gesicht zu geben, stießen bei den Soldaten nicht selten auf harsche Ablehnung. Die ästhetische Modernisierung der Kasernen, die sich auch als Urbanisierung der deutschen Provinz deuten ließe, war nicht überall willkommen. Und das Sgraffito dreier junger Frauen im Speisesaal der Kaserne in Augustdorf wurde, wie der Inspekteur des Heeres an den Staatssekretär im Verteidigungsministerium berichtete, von der Truppe gar "als entartete Kunst angesehen". Indem Wolfgang Schmidt die Konflikte und Widersprüche dieser Integrationsleistung offenlegt, weist er der Bundeswehr einen neuen Platz im vieldiskutierten Modernisierungs- und Demokratisierungsprozess nach 1945 zu. Sein Gespür für die Selbst- und Fremdwahrnehmungen der Truppe öffnet die Geschichte der Bundeswehr zudem für kulturwissenschaftliche Fragestellungen. Auf weitere Ergebnisse darf man gespannt sein.

CARSTEN KRETSCHMANN

Wolfgang Schmidt: Integration und Wandel. Die Infrastruktur der Streitkräfte als Faktor sozioökonomischer Modernisierung in der Bundesrepublik 1955 bis 1975. R. Oldenbourg Verlag, München 2007. 515 S., 34,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Instruktiv findet Rezensent Carsten Kretschmann diese Studie von Wolfgang Schmidt, die sich mit der Rolle der Bundeswehr bei der sozioökonomischen Modernisierung der Bundesrepublik von 1955 bis 1975 befasst. Die Darstellung der Geschichte der Bundeswehr als ein insgesamt erfolgreicher Integrationsprozess in Staat und Gesellschaft scheint ihm überaus gelungen. Der Autor führt für ihn überzeugend vor Augen, wie etwa der Bau von Kasernen für die Streitkräfte in den 1950er und 1960er Jahren gerade in der Provinz und in strukturschwachen Regionen zum bedeutenden Faktor lokaler Modernisierung der Infrastruktur wurde. Kretschmann unterstreicht, dass Schmidt Konflikte und Widersprüche bei der Integration der Bundeswehr nicht unter den Tisch fallen lässt. Darüber wird für ihn aber auch der Platz der Bundeswehr im Modernisierungs- und Demokratisierungsprozess nach 1945 deutlich. Zudem bescheinigt er Schmidts Studie, die Geschichte der Bundeswehr für kulturwissenschaftliche Fragestellungen zu öffnen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Studie von Wolfgang Schmidt darf als gelungenes Beispiel einer zur Gesellschaft geöffneten und für die allgemeine Zeitgeschichtsschreibung anschlussfähigen Militärgeschichtsschreibung gelten." Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 9/10 2011