This biography of statesman Edmund Burke (1730¿1797), covering three decades, is the first to attend to the complexity of Burke¿s thought as it emerges in both the major writings and private correspondence. David Bromwich reads Burke¿s career as an imperfect attempt to organize an honorable life in the dense medium he knew politics to be.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2015Edmund Burkes liberale Moral
David Bromwich empfiehlt in seiner intellektuellen Burke-Biographie Liberalen und Linken, die Schriften des großen britisch-irischen Gegners der Französischen Revolution wieder zu lesen.
Heute würde kein ernstzunehmender Historiker den Gemeinplatz wiederholen, Burke sei der Vater des modernen Konservatismus." So David Bromwich, ein in Yale lehrender Anglist, in seiner Biographie des irisch-britischen Staatsmanns und politischen Denkers, deren erster Teil ("The Intellectual Life of Edmund Burke. From the Sublime and Beautiful to American Independence", Harvard 2014) bereits viel Beachtung erfahren hat. Dass Bromwich diese Behauptung mit einem Zitat des Historikers W. E. H. Lecky aus dem Jahr 1888 stützt, könnte zur Annahme verleiten, er wolle sich über die neuere Diskussion erheben.
Da böten sich lohnende Ziele: Der Politikwissenschaftler Corey Robin etwa veröffentlichte 2011 mit "The Reactionary Mind" eine Kritik des "Konservatismus von Edmund Burke bis Sarah Palin", was nicht als Ehre für den Erstgenannten gemeint war. Differenziertere Ideengeschichte betrieb in seinem 2006 erschienenen Buch "Les anti-Lumières" der Historiker Zeev Sternhell, der immerhin zugesteht, Burke sei kein Reaktionär gewesen, aber doch ein konsequenter Verächter der Aufklärung. Schon Karl Marx hatte Burke als "Sykophanten, der im Sold der englischen Oligarchie den Romantiker gegenüber der Französischen Revolution spielte", bezeichnet - und als "durch und durch ordinären Bourgeois". Es scheint daher angebracht zu fragen, wie dies der Kritiker Ferdinand Mount unlängst in der "London Review of Books" tat, warum Burke nach wie vor so viele Linke und Liberale auf die Palme bringt.
Bromwich geht diese Frage nicht frontal an, sondern rekonstruiert Burkes Denken aus seiner Zeit heraus. Wie vor ihm Burke-Interpreten wie J. G. A. Pocock gibt Bromwich nicht viel auf Fronten, die sich erst mit der Französischen Revolution bildeten, und betont, dass es Burke zunächst um die Rechtfertigung der mit der englischen "Glorious Revolution" von 1688 etablierten antiabsolutistischen Ordnung unter protestantischer Führung ging. Der mit dieser Ordnung identifizierten Partei, den proto-liberalen Whigs, blieb Burke trotz zahlreicher Rückschläge zeit seines Lebens treu. Ein zweites prägendes Ereignis, die amerikanische Revolution von 1776, hieß Burke zwar nicht von Anfang an gut, befand aber, die britische Krone habe das Vertrauen der Kolonisten verspielt. Er konnte sich mit dem Ergebnis schließlich abfinden. Burke argumentierte jeweils, es sei darum gegangen, die überlieferte politische Kultur und deren Geist wieder in ihr Recht zu setzen.
"Vertrauen" ist für Bromwich denn auch ein zentraler Begriff in seiner Rekonstruktion des Burkeschen Denkwegs, in der er sich gelegentliche Vorgriffe auf den zweiten Band und die "Betrachtungen über die Französische Revolution" erlaubt. In seinem frühen philosophischen Hauptwerk, "Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen", habe Burke bereits eine Moralpsychologie entwickelt, die auf den Ausgleich zwischen der anti-sozialen Erregung des Erhabenen und den zentripetalen Kräften von Sitte und Tradition zielte. Diese Suche nach Ausgleich sollte für Burke bestimmend bleiben. Ein weiteres für Bromwich zentrales Motiv ist Burkes leidenschaftlicher Hass auf die absolute Macht und deren Missbrauch. Burke habe sich immer auf der Seite des "Underdogs" gefunden, etwa der unterdrückten Katholiken Irlands oder den Indern unter der Knute der East India Company. 1789 war der Underdog eben das vom Mob drangsalierte französische Königspaar gewesen, wofür Burke - insbesondere seiner an die Ritterlichkeit appellierenden Darstellung Marie Antoinettes wegen - viel Häme kassierte.
Ohne Zeev Sternhell zu nennen, findet Bromwich aber auch Gegenbeweise zu dessen These, Burke habe sich weder für Juden noch für Schwarze eingesetzt. Burkes Vorschläge gegen die Sklaverei sind allerdings insofern bezeichnend, als sie nicht auf eine plötzliche Abschaffung zielen, sondern auf deren allmähliche Erosion durch zunehmende gesetzliche Regulierung, die zugleich auch den Betroffenen den Übergang in die Freiheit erleichtern sollte.
Bromwichs intellektuelle Biographie ist als Werk entworfen, dass auf Jahre Geltung beanspruchen will. Direkt aus den Quellen entsteht eine Darstellung, die durch ihre Eigenständigkeit beeindrucken soll. Seine Prosa ist gemessen, ja klassizistisch. Es werden keine Rechnungen beglichen, keine Kollegen und Rivalen zurechtgewiesen. Trotzdem steht dieses Buch nicht über aller tagespolitischen Polemik. Bromwich hat nämlich seit 9/11 auch eine umfangreiche politische Essayistik entfaltet, in der er etwa den "Krieg gegen den Terror" scharf (und zwar von links) kritisiert und aus seiner Enttäuschung über die Präsidentschaft Barack Obamas keinen Hehl macht. In der Zeitschrift "Harper's" etwa veröffentlichte Bromwich unlängst den Aufsatz "What went wrong" - ohne Fragezeichen. Darin begreift er Obama bereits als scheidenden Präsidenten, dem er Schwäche und Zögern vorwirft, insbesondere aber Untätigkeit gegenüber der Aushöhlung der verfassungsmäßigen Ordnung der Vereinigten Staaten durch Militär und Nachrichtendienste.
Einige frühere Aufsätze Bromwichs ("Moral Imagination", Princeton 2014) versammelt ein parallel zur Burke-Biographie erschienener Band, in dem Burke unter anderem als Zeuge gegen die Täuschung der Bevölkerung durch Euphemismen wie "regime change" auftritt - und gegen die Bereitschaft der Wähler, sich derart täuschen zu lassen. In der Zeitschrift "The Nation" sah der Historiker Samuel Moyn Bromwich denn auch das Projekt einer "burkeanischen Linken" heraufziehen. Zum Vorbild für seine Anklagen nehme sich Bromwich den Rhetoriker Burke, insbesondere dessen Reden gegen Warren Hastings, den Generalgouverneur von Bengalen, dem er Korruption und Machtmissbrauch vorwarf. Bromwich betrachte Burke als großen Reformer, dem er einen Platz im liberalen Pantheon verschaffen wolle - ein Unternehmen, das Moyn mit Skepsis betrachtet. Denn Burke tauge als Vorbild wenig: Nicht, weil er ein Reaktionär, sondern weil er selbst zu zögernd gewesen sei, seine universalistische Vision einer die gesamte Menschheit umfassende moralische Gemeinschaft mit seinem Respekt für Tradition und Herkommen zu versöhnen. Insofern sei Obama selbst zu sehr Burkeaner, dem Kompromiss, dem Pragmatismus verhaftet. Das amerikanische Problem sei gerade zu viel Burke in der Politik und damit die Verweigerung vor der Herausforderung, Reform im Namen demokratischer Gleichheit anzugehen.
Es liegt nahe, dass Burke gerade in den Vereinigten Staaten so intensiv gelesen und diskutiert wird, wo einerseits selbst die Konservativen sich positiv auf eine Revolution beziehen und andererseits eine Linke im europäischen Sinn nie Fuß fassen konnte und deren politische Geschichte stark von der Dialektik zwischen Gründungsprinzipien und deren evolutionärer Weiterentwicklung geprägt ist. Mit Blick auf die europäische Diskussion fällt auf, dass Bromwich in Burke eher einen "conservationist" als einen "conservative" sieht. Tatsächlich treten die Unterschiede zu Zeitgenossen wie Joseph de Maistre und späteren Denkern der Gegenrevolution klar hervor. Weit davon entfernt, die Theokratie als "Ideal reaktionären Denkens" (Emil Cioran) hochzuhalten, habe Burke stets die Diesseitigkeit politischer Institutionen betont und Vertrauen in die menschliche Natur gehabt. Seine Moraltheorie gründe sich folglich ganz auf "natürliche" menschliche Gefühlsregungen.
Unter diesen hebt Bromwich besonders die "moral imagination" hervor, ein Begriff, der auch in den "Betrachtungen" vorkommt, wo Friedrich von Gentz ihn etwas prosaisch als "moralische Gefühle" übersetzte. Burke verstand darunter "den ganze Schmuck der köstlichen Nebenideen, welche das Herz umfasst und selbst der Verstand billigt". Bromwich betont im Titelstück seiner gleichnamigen Aufsatzsammlung, dass Burke diese "moral imagination" gerade nicht als Leistung seltener Tugendvirtuosen betrachtet habe, sondern als in Konventionen gelebter Sittlichkeit gegründet und daher grundsätzlich jedermann zugänglich. Eine solche ins Politische gewendete Empathie, die Burke stets geleitet habe, macht Bromwich auch bei Abraham Lincoln aus, nicht aber bei dessen vermeintlichem Nachfolger Obama.
Was aber die moralische Einbildungskraft auszeichne, sei, es nicht beim Mitleid zu belassen und stattdessen den eigenen Anteil am Geschehen zu begreifen: "Bei Lincolns Äußerungen zur Sklaverei, wie bei jenen Burkes über das Empire, entspringt der Reformdruck einer Neudefinition der Selbstachtung oder der Sympathie mit mir selbst." Bromwichs Forderung, von Burke nicht durch Gehorsam, sondern durch Neu- und Nachdenken zu lernen, kann freilich auch als Ausweichen vor einer Festlegung verstanden werden. Mit der moralischen Einbildungskraft hat er aber einen Begriff aktualisiert, der eine hohe Forderung enthält: sich als Täter vorzustellen und zu kritisieren. Seinerseits wird Burke geahnt haben, dass er selbst hätte Revolutionär werden können. Bromwichs Deutung dieses letzten Lebensabschnitts steht noch aus. Doch schon der erste Band zeigt, welch großen Fürsprecher die revolutionäre Sache an Burke verloren hat.
JOE PAUL KROLL
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David Bromwich empfiehlt in seiner intellektuellen Burke-Biographie Liberalen und Linken, die Schriften des großen britisch-irischen Gegners der Französischen Revolution wieder zu lesen.
Heute würde kein ernstzunehmender Historiker den Gemeinplatz wiederholen, Burke sei der Vater des modernen Konservatismus." So David Bromwich, ein in Yale lehrender Anglist, in seiner Biographie des irisch-britischen Staatsmanns und politischen Denkers, deren erster Teil ("The Intellectual Life of Edmund Burke. From the Sublime and Beautiful to American Independence", Harvard 2014) bereits viel Beachtung erfahren hat. Dass Bromwich diese Behauptung mit einem Zitat des Historikers W. E. H. Lecky aus dem Jahr 1888 stützt, könnte zur Annahme verleiten, er wolle sich über die neuere Diskussion erheben.
Da böten sich lohnende Ziele: Der Politikwissenschaftler Corey Robin etwa veröffentlichte 2011 mit "The Reactionary Mind" eine Kritik des "Konservatismus von Edmund Burke bis Sarah Palin", was nicht als Ehre für den Erstgenannten gemeint war. Differenziertere Ideengeschichte betrieb in seinem 2006 erschienenen Buch "Les anti-Lumières" der Historiker Zeev Sternhell, der immerhin zugesteht, Burke sei kein Reaktionär gewesen, aber doch ein konsequenter Verächter der Aufklärung. Schon Karl Marx hatte Burke als "Sykophanten, der im Sold der englischen Oligarchie den Romantiker gegenüber der Französischen Revolution spielte", bezeichnet - und als "durch und durch ordinären Bourgeois". Es scheint daher angebracht zu fragen, wie dies der Kritiker Ferdinand Mount unlängst in der "London Review of Books" tat, warum Burke nach wie vor so viele Linke und Liberale auf die Palme bringt.
Bromwich geht diese Frage nicht frontal an, sondern rekonstruiert Burkes Denken aus seiner Zeit heraus. Wie vor ihm Burke-Interpreten wie J. G. A. Pocock gibt Bromwich nicht viel auf Fronten, die sich erst mit der Französischen Revolution bildeten, und betont, dass es Burke zunächst um die Rechtfertigung der mit der englischen "Glorious Revolution" von 1688 etablierten antiabsolutistischen Ordnung unter protestantischer Führung ging. Der mit dieser Ordnung identifizierten Partei, den proto-liberalen Whigs, blieb Burke trotz zahlreicher Rückschläge zeit seines Lebens treu. Ein zweites prägendes Ereignis, die amerikanische Revolution von 1776, hieß Burke zwar nicht von Anfang an gut, befand aber, die britische Krone habe das Vertrauen der Kolonisten verspielt. Er konnte sich mit dem Ergebnis schließlich abfinden. Burke argumentierte jeweils, es sei darum gegangen, die überlieferte politische Kultur und deren Geist wieder in ihr Recht zu setzen.
"Vertrauen" ist für Bromwich denn auch ein zentraler Begriff in seiner Rekonstruktion des Burkeschen Denkwegs, in der er sich gelegentliche Vorgriffe auf den zweiten Band und die "Betrachtungen über die Französische Revolution" erlaubt. In seinem frühen philosophischen Hauptwerk, "Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen", habe Burke bereits eine Moralpsychologie entwickelt, die auf den Ausgleich zwischen der anti-sozialen Erregung des Erhabenen und den zentripetalen Kräften von Sitte und Tradition zielte. Diese Suche nach Ausgleich sollte für Burke bestimmend bleiben. Ein weiteres für Bromwich zentrales Motiv ist Burkes leidenschaftlicher Hass auf die absolute Macht und deren Missbrauch. Burke habe sich immer auf der Seite des "Underdogs" gefunden, etwa der unterdrückten Katholiken Irlands oder den Indern unter der Knute der East India Company. 1789 war der Underdog eben das vom Mob drangsalierte französische Königspaar gewesen, wofür Burke - insbesondere seiner an die Ritterlichkeit appellierenden Darstellung Marie Antoinettes wegen - viel Häme kassierte.
Ohne Zeev Sternhell zu nennen, findet Bromwich aber auch Gegenbeweise zu dessen These, Burke habe sich weder für Juden noch für Schwarze eingesetzt. Burkes Vorschläge gegen die Sklaverei sind allerdings insofern bezeichnend, als sie nicht auf eine plötzliche Abschaffung zielen, sondern auf deren allmähliche Erosion durch zunehmende gesetzliche Regulierung, die zugleich auch den Betroffenen den Übergang in die Freiheit erleichtern sollte.
Bromwichs intellektuelle Biographie ist als Werk entworfen, dass auf Jahre Geltung beanspruchen will. Direkt aus den Quellen entsteht eine Darstellung, die durch ihre Eigenständigkeit beeindrucken soll. Seine Prosa ist gemessen, ja klassizistisch. Es werden keine Rechnungen beglichen, keine Kollegen und Rivalen zurechtgewiesen. Trotzdem steht dieses Buch nicht über aller tagespolitischen Polemik. Bromwich hat nämlich seit 9/11 auch eine umfangreiche politische Essayistik entfaltet, in der er etwa den "Krieg gegen den Terror" scharf (und zwar von links) kritisiert und aus seiner Enttäuschung über die Präsidentschaft Barack Obamas keinen Hehl macht. In der Zeitschrift "Harper's" etwa veröffentlichte Bromwich unlängst den Aufsatz "What went wrong" - ohne Fragezeichen. Darin begreift er Obama bereits als scheidenden Präsidenten, dem er Schwäche und Zögern vorwirft, insbesondere aber Untätigkeit gegenüber der Aushöhlung der verfassungsmäßigen Ordnung der Vereinigten Staaten durch Militär und Nachrichtendienste.
Einige frühere Aufsätze Bromwichs ("Moral Imagination", Princeton 2014) versammelt ein parallel zur Burke-Biographie erschienener Band, in dem Burke unter anderem als Zeuge gegen die Täuschung der Bevölkerung durch Euphemismen wie "regime change" auftritt - und gegen die Bereitschaft der Wähler, sich derart täuschen zu lassen. In der Zeitschrift "The Nation" sah der Historiker Samuel Moyn Bromwich denn auch das Projekt einer "burkeanischen Linken" heraufziehen. Zum Vorbild für seine Anklagen nehme sich Bromwich den Rhetoriker Burke, insbesondere dessen Reden gegen Warren Hastings, den Generalgouverneur von Bengalen, dem er Korruption und Machtmissbrauch vorwarf. Bromwich betrachte Burke als großen Reformer, dem er einen Platz im liberalen Pantheon verschaffen wolle - ein Unternehmen, das Moyn mit Skepsis betrachtet. Denn Burke tauge als Vorbild wenig: Nicht, weil er ein Reaktionär, sondern weil er selbst zu zögernd gewesen sei, seine universalistische Vision einer die gesamte Menschheit umfassende moralische Gemeinschaft mit seinem Respekt für Tradition und Herkommen zu versöhnen. Insofern sei Obama selbst zu sehr Burkeaner, dem Kompromiss, dem Pragmatismus verhaftet. Das amerikanische Problem sei gerade zu viel Burke in der Politik und damit die Verweigerung vor der Herausforderung, Reform im Namen demokratischer Gleichheit anzugehen.
Es liegt nahe, dass Burke gerade in den Vereinigten Staaten so intensiv gelesen und diskutiert wird, wo einerseits selbst die Konservativen sich positiv auf eine Revolution beziehen und andererseits eine Linke im europäischen Sinn nie Fuß fassen konnte und deren politische Geschichte stark von der Dialektik zwischen Gründungsprinzipien und deren evolutionärer Weiterentwicklung geprägt ist. Mit Blick auf die europäische Diskussion fällt auf, dass Bromwich in Burke eher einen "conservationist" als einen "conservative" sieht. Tatsächlich treten die Unterschiede zu Zeitgenossen wie Joseph de Maistre und späteren Denkern der Gegenrevolution klar hervor. Weit davon entfernt, die Theokratie als "Ideal reaktionären Denkens" (Emil Cioran) hochzuhalten, habe Burke stets die Diesseitigkeit politischer Institutionen betont und Vertrauen in die menschliche Natur gehabt. Seine Moraltheorie gründe sich folglich ganz auf "natürliche" menschliche Gefühlsregungen.
Unter diesen hebt Bromwich besonders die "moral imagination" hervor, ein Begriff, der auch in den "Betrachtungen" vorkommt, wo Friedrich von Gentz ihn etwas prosaisch als "moralische Gefühle" übersetzte. Burke verstand darunter "den ganze Schmuck der köstlichen Nebenideen, welche das Herz umfasst und selbst der Verstand billigt". Bromwich betont im Titelstück seiner gleichnamigen Aufsatzsammlung, dass Burke diese "moral imagination" gerade nicht als Leistung seltener Tugendvirtuosen betrachtet habe, sondern als in Konventionen gelebter Sittlichkeit gegründet und daher grundsätzlich jedermann zugänglich. Eine solche ins Politische gewendete Empathie, die Burke stets geleitet habe, macht Bromwich auch bei Abraham Lincoln aus, nicht aber bei dessen vermeintlichem Nachfolger Obama.
Was aber die moralische Einbildungskraft auszeichne, sei, es nicht beim Mitleid zu belassen und stattdessen den eigenen Anteil am Geschehen zu begreifen: "Bei Lincolns Äußerungen zur Sklaverei, wie bei jenen Burkes über das Empire, entspringt der Reformdruck einer Neudefinition der Selbstachtung oder der Sympathie mit mir selbst." Bromwichs Forderung, von Burke nicht durch Gehorsam, sondern durch Neu- und Nachdenken zu lernen, kann freilich auch als Ausweichen vor einer Festlegung verstanden werden. Mit der moralischen Einbildungskraft hat er aber einen Begriff aktualisiert, der eine hohe Forderung enthält: sich als Täter vorzustellen und zu kritisieren. Seinerseits wird Burke geahnt haben, dass er selbst hätte Revolutionär werden können. Bromwichs Deutung dieses letzten Lebensabschnitts steht noch aus. Doch schon der erste Band zeigt, welch großen Fürsprecher die revolutionäre Sache an Burke verloren hat.
JOE PAUL KROLL
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