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Eric Hobsbawm erzählt, wie die Geschichte des 20.Jahrhunderts sein eigenes Leben bestimmt und aus ihm den großen linken Historiker des Widerstands gemacht hat.

Produktbeschreibung
Eric Hobsbawm erzählt, wie die Geschichte des 20.Jahrhunderts sein eigenes Leben bestimmt und aus ihm den großen linken Historiker des Widerstands gemacht hat.
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Autorenporträt
Eric Hobsbawm is a Fellow of the British Academy and the American Academy of Arts and Sciences. Before retirement he taught at Birkbeck College, University of London, and after retirement at the New School for Social Research in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Nicht für die Wissenschaft, für das Leben lehren wir
Eric Hobsbawm erzählt in seiner Autobiographie von einem Gelehrten, der dem Kommunismus treu blieb, ohne sich zu langweilen / Von Michael Jeismann

Eric Hobsbawm ist einer der namhaftesten Historiker der Gegenwart. Seine Wirkung auf das Fach begann mit wegweisenden Publikationen aus den fünfziger Jahren über Außenseiter, setzte sich fort mit einer Geschichte des Zeitalters der Revolutionen, ging über die sprichwörtliche "Erfindung der Tradition" bis hin zum "Zeitalter der Extreme", einer viel beachteten Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts.

Seine professionelle Biographie ist zum größten Teil also die eines Historikers, der damit beschäftigt ist zu schreiben oder Material für das Schreiben zu finden. Seine Autobiographie aber, die soeben unter dem Titel "Gefährliche Zeiten" erschienen ist, kann nicht als die eines Mannes gelten, der als Fachhistoriker hinreichend beschrieben wäre. Gerade einmal ein einziges Kapitel widmet Eric Hobsbawm der Geschichtswissenschaft im engeren Sinn mit ihren Methoden, Polemiken und Schulbildungen. Es heißt "Unter Historikern" und läßt an den Aufenthalt unter einem besonderen Menschenstamm denken - was ja auch gar nicht so falsch ist. Sonst aber steht in dieser ungewöhnlichen Lebenserzählung eines Historikers, der "B-Seite des Zeitalters der Extreme", wie der Jazzliebhaber Hobsbawm in einer sympathischen Synästhesie verschiedener Lebenssphären schreibt, nicht die Wissenschaft im Vordergrund, sondern das Leben. Nicht gerade das Leben im dionysischen Sinn Nietzsches, sondern vielmehr in einem eminent politischen Sinn, verstanden als Teilhabe an den großen Konflikten der Gegenwart, in denen Stellung zu beziehen nicht nur eine fast lebenspraktische Selbstverständlichkeit, sondern auch einer der stärksten geistigen Impulse war, der eine gewisse Lebensfreude nicht ausschloß.

Der Index der Autobiographie spricht für sich: Er umreißt von Hortensia und Salvador Allende über Enrico Berlinguer, Wolf Biermann, Bob Dylan, Gabriel García Márquez, Olof Palme, den Rolling Stones bis zu Andy Warhol und Women's Liberation einen kulturellen Kosmos, in dem Protest, politisches Engagement und Künstlertum eine enge Verbindung eingingen. Sie wirkt heute vielleicht etwas fremd und ferngerückt, naiv gelegentlich und voller maßloser Selbstüberschätzung. Aber sie gab einer geistigen Welt die Richtungen an und beflügelte zu außerordentlichen Leistungen. Sie konnte wohl Gefahr laufen, dogmatisch zu werden, aber in der Weite und Internationalität, wie Eric Hobsbawm sie sich erschloß, war diese Existenz als politischer Zeitgenosse mehr als ein Abenteuer: Sie war notwendig, weil die Zeiten, die Hobsbawm erlebte, wirklich gefährliche Zeiten waren - zumal für einen jüdischen Intellektuellen - und politisches Bewußtsein forderten, wenn man Entscheidungen für sein Leben zu treffen hatte.

Eric Hobsbawms Autobiographie ist die spannende Erzählung einer Selbstbehauptung, die auch darin bestand, den Idealen des Kommunismus und den Impulsen des Marxismus auf die Geschichtswissenschaft selbst dann nicht abzuschwören, als die Barbarei des real existierenden Sozialismus offen zutage trat und viele Intellektuelle seiner Generation zu eifernden Renegaten wurden. Wie das? War Hobsbawm herzlos oder verblendet? Nein, nichts dergleichen. Die Geschichte der Motive, die Hobsbawm zu seiner Beharrlichkeit bewogen, enthält einen Kern der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts selbst.

Wer beginnt, diese Motive zu verstehen, hat das politische zwanzigste Jahrhundert in einem seiner wesentlichen Elemente begriffen. Die "Gefährlichen Zeiten" erzählen davon, wie eng Denken und Leben miteinander verbunden sind, wie man bei allen Wechselfällen des Schicksals immer noch seine eigene Entscheidung suchen kann - eine fast antimaterialistische, existentialistische Pointe in der Selbstbeschreibung eines Historikers, der die Schule des Historischen Materialismus bestens kennt. Hobsbawms Suche nach der eigenen Vergangenheit, nach dem "verschütteten Fremden", zu dem man für sich selbst aus einem Abstand von achtzig Jahren wird, beginnt mit einem Foto, mit zweien genauer gesagt.

Das erste ist ein Babyfoto von Eric aus seinem Geburtsjahr 1917, aufgenommen in Alexandria, wo sich die österreichische Mutter und der englische Vater, der eine Anstellung in einem Fracht- und Handelskontor hatte, kennenlernten. Im Ersten Weltkrieg erhielt der Vater vom britischen Außenminister Sir Edward Grey selbst die Erlaubnis, die Untertanin Kaiser Franz Josephs zu heiraten - ein Hinweis auf fortbestehende Reste einer Liberalität, die zwischen Staats- und Herzensangelegenheiten noch zu unterscheiden wußte. Nach dem Krieg zogen die Eltern nach Wien, woher die zweite Aufnahme stammt, die der begeisterte Pfadfinder Hobsbawm als weiteren Hinweis auf seiner Schnitzeljagd in die Vergangenheit nutzt. Dieses Foto zeigt fünf kleine Kinder Anfang der zwanziger Jahre auf der Terrasse einer Villa in Wien: Eric mit seiner Schwester Nancy sowie die Schwestern einer benachbarten Familie mitsamt zwei Kindermädchen. Es ist dieses Bild, das Hobsbawm den Weg zurück in seine Jugend in Wien öffnet. Zehn Jahre nachdem die fünf Kinder in die Kamera geblickt hatten, waren Hobsbawms Eltern tot, der Nachbar, ruiniert durch die Weltwirtschaftskrise, bot seine bankkaufmännischen Kenntnisse einer Bank in Persien an, und noch wenige Jahre später, und die Welt war eine völlig andere und viele der Menschen, die Hobsbawm in Wien kannte, deportiert und umgebracht.

Es war im Wien der zwanziger Jahre nicht möglich zu vergessen, daß man Jude war, schreibt Hobsbawm, auch wenn man religiös eher indifferent war und die Kultur, in der man lebte, nicht eine jüdische war, wie so viele Identitätsapostel heute es gern hätten, sondern eine Wiener bürgerliche Kultur. Zu ihr gehörten viele der zweihunderttausend Juden, die damals in Wien lebten und die etwa zehn Prozent der Stadtbevölkerung ausmachten.

Bezeichnend für Hobsbawms Temperament ist jene Anekdote, die er von seinem jüdischen Religionsunterricht erzählt: Auf die etwas stereotyp wiederholte Frage der Lehrerin, wer denn der wichtigste der Söhne Jakobs war, antwortete Hobsbawm, der nicht glauben wollte, daß es immer nur um Joseph gehen sollte, daß Juda der wichtigste seiner Söhne gewesen sei - schließlich seien die Juden nach ihm benannt worden. Die Jahre, die Hobsbawm in Wien verbrachte, waren geprägt durch eine durchgreifende Politisierung des Alltagslebens, durch den sozialen Abstieg des Vaters, dem es immer schwerer fiel, die Familie zu ernähren, und der erschöpft im Alter von 48 Jahren abends im Hausflur tot zusammenbrach. Ein Schock, den die Mutter nicht verwand: Sie starb nur wenige Jahre darauf, und die beiden Kinder Hobsbawm waren nun auf die Hilfe der Verwandten angewiesen. Es folgen für Eric kurze, aber wichtige Jahre in Berlin, bis er 1933 angesichts des Nazi-Terrors nach England übersiedelt. Es sind schwere Jahre, die Hobsbawm zu einem Heimatlosen machen, der bei Pflegeeltern für sich intellektuell sublimiert, was er an jugendlichem Überschwang nicht ausleben darf. In Berlin geht er auf der letzten legalen Massendemonstration der KP am 25. Januar 1933 mit: Dieses Gefühl der Massenekstase, neben dem Mitgefühl für die Ausgebeuteten, dem ästhetischen Reiz des intellektuellen Systems des "Dialektischen Materialismus", eine "Portion Spießerfeindlichkeit" und ein wenig "neues Jerusalem" bildeten damals die wesentlichen Bestandteile seines Kommunismus. Ein Lehrer am Prinz-Heinrichs-Gymnasium, das stockpreußisch und konservativ und gar nicht nationalsozialistisch war, stellte fest, daß der junge Hobsbawm zwar vom Kommunismus schwärme, aber offenkundig keine Ahnung von dem habe, wovon er rede. Er forderte ihn deshalb auf, sich in der Schulbibliothek kundig zu machen. So geriet Hobsbawm an das "Kommunistische Manifest". Man könnte vielleicht fragen: Und die Demokratie, der Parlamentarismus? Man versteht aber ganz gut, wie die politische Polarisierung zwischen rechts und links alles verblassen ließ, was nach Mittelweg aussah und nach Schwäche. Für die Jungen hieß es ja oder nein, rot oder braun. Warum so viele Menschen davon überzeugt sein können, daß das Heil allein in der Radikalität liegen könne, ist ein merkwürdiger Vorgang, der zuallererst sozialpsychologischer Natur ist. So wie Hobsbawm seine Jugend beschreibt, ist diese Wahl nachvollziehbar. Politische Leidenschaft als einer der Dämonen des zwanzigsten Jahrhunderts.

Davon war im England der frühen dreißiger Jahre trotz aller Sorgen um die künftige deutsche Außenpolitik wenig zu spüren. Die englischen Arbeiter und Gewerkschaften besaßen sehr wenig von dem, was einer romantisierenden Vorstellung von Proletariat entgegengekommen wäre. Eric Hobsbawm schafft es, ein Begabten-Stipendium in Cambridge zu erhalten, und erschließt sich die Welt der "Pelican-Books", die intellektuelle Taschenbuchreihe, die Allen Lane 1930 im Penguin-Verlag herausbrachte. Um 1934 herum ist dem Tagebuchschreiber Hobsbawm klar, daß er Historiker werden will, und wie jene später berühmt gewordenen marxistischen Historiker, unter ihnen E. P. Thompson, Raymond Williams oder Christopher Hill, teilte auch er ihre Liebe zur Literatur. Es ist ihren Büchern und Gedanken anzumerken. Hobsbawm trat 1936 in die Kommunistische Partei ein. Der Kommunismus war für ihn die intellektuelle Heimat von Freunden, war seine Methode, die Geisteswissenschaften zu verstehen, und eine politische Grundhaltung. Vielleicht war der Kommunismus für Hobsbawm auch ein Vehikel, bewußt jemand Besonderes zu sein. Die Enttäuschung, die er während des Zweiten Weltkriegs über seine ziemlich reizlose Aufgabe in der Armee spielen mußte, deuten in diese Richtung. Dieser englische Kommunismus hatte nicht sehr viel mit dem zu tun, was darunter in Deutschland verstanden wurde. Er war eine Frage von Temperament, Gefühl und gesellschaftlicher Ironie, die Hobsbawm in viele Länder auch der "Dritten Welt" zu einem vielgefragten Gast werden ließen. Mit den Arbeitern oder der Arbeiterbewegung hatte er dagegen nur indirekt zu tun.

Aus alldem wird verständlich, warum Hobsbawm weder die Verbrechen Stalins noch der sowjetische Einmarsch in Ungarn oder in die Tschechoslowakei und auch nicht die absurden Rechtfertigungsstrategien dazu bewegen konnten, aus der Partei auszutreten. Hobsbawm war nicht nur zu stolz, sondern auch zu intelligent, hinterhältige Parteigeister mit dem zu verwechseln, wofür die Partei seinem Verständnis nach einstehen sollte: die Weltrevolution. Sie war Standort und Ziel zugleich, erschloß ihm die Welt, bevor die Welt beschloß, daß die Weltrevolution nicht die des Kommunismus sein sollte, sondern die des Kapitals.

Eric Hobsbawm geht in seiner Autobiographie weite Wege, findet aber immer wieder Zeit für Miniaturporträts seiner Zeitgenossen, die zu lesen ein Genuß ist. So werden sich nicht wenige freuen, hier Clemens Heller geehrt zu finden, den originellsten akademischen Impresario im Europa der Nachkriegszeit, dessen Großzügigkeit und Spürsinn für Talente legendär waren. Es spricht entschieden gegen unsere Zeit, daß solche Genies der Kommunikation und Organisation heute verkümmern. Gemeinsam mit Fernand Braudel errichtete Clemens Heller die Maison des Scienes de L'Homme, ein Institut, dessen programmatische Internationalität menschlich wie wissenschaftlich eine Oase der Offenheit und Qualität war. In diesem Sinn gehört Hobsbawms Autobiographie zur Gattung der "Denkwürdigkeiten" im Sinn des neunzehnten Jahrhunderts - und so ist das ganze Buch ein Dreiklang von Jahrhunderten, der in einem Leben anklingt.

Eric Hobsbawm: "Gefährliche Zeiten". Ein Leben im 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Udo Rennert. Carl Hanser Verlag, München 2003. 499 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

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