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After their father's death, two grieving brothers experience new interludes in their lives: "a period of desire, despair, and possibility; a chance to find out how much one life might hold inside itself without breaking"--

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Produktbeschreibung
After their father's death, two grieving brothers experience new interludes in their lives: "a period of desire, despair, and possibility; a chance to find out how much one life might hold inside itself without breaking"--
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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2024

Keine Liebe ohne Schmerzen
„Intermezzo“ ist komplexer und reifer als Sally Rooneys bisherige Romane.
Es geht um die ganz große Frage, wie man aus Verletzung wieder Nähe schafft.
VON CHRISTIANE LUTZ
Intermezzo“, der Information konnte man in den vergangenen Monaten kaum entgehen, wird der heißeste Roman des Herbstes. International ersehnt, von hier bis in die USA. „Are You Cool Enough for the Latest Sally Rooney Novel?“, fragte das britische Magazin Esquire und kürte das Buch und seine spärlich verschickten Vorab-Kopien zum „Statussymbol“ für jeden, der sich damit sehen lassen kann – ohne auch nur eine Zeile davon zu kennen.
Die irische Autorin Sally Rooney hat mit 33 Jahren schon drei Bestseller geschrieben, wurde zur „Stimme einer Generation“ gekürt, zwei ihrer Romane („Conversations With Friends“ von 2017 und „Normal People“ von 2018) wurden erfolgreich verfilmt. Als sie 2021 die Übersetzung ihres Romans „Schöne Welt, wo bist du“ ins Hebräische und damit sein Erscheinen in Israel verhinderte, musste man sich fragen, was sie mit einem solchen Privatboykott zu bewirken glaubte. Ihrem internationalen Erfolg schadete die Angelegenheit offenbar nicht, auf ihren vierten Roman „Intermezzo“ richtet sich jetzt alle Aufmerksamkeit. Die deutsche Übersetzung bringt der Claassen-Verlag aus der Ullstein-Gruppe heraus, in Schwarz und Königsblau gehalten, mit prächtigem Farbschnitt.
Gerade noch hat sich Sally Rooney in einem Interview mit der New York Times auffallend zurückhaltend über eine literarische Fortschrittsidee geäußert. Alles müsse sich „immer weiterentwickeln und wachsen. Größer werden, mehr verkaufen, anders sein“ – auch Literatur: „Das finde ich nicht sehr interessant.“ Das war die Antwort auf eine Frage, in der womöglich ein kleiner Vorwurf mitschwang: Ob nicht in jeden ihrer Romane problemlos eine beliebige Figur aus einem ihrer anderen Romane hereinspazieren könne. Und wenn schon, sagt Rooney, das sei doch bei Austen und Dostojewski genauso.
Obwohl es interessant wäre zu wissen, ob sich beispielsweise ein Jonathan Franzen diese Frage auch schon gefallen lassen musste, kann man sagen: Rooney hat nicht recht. Sie entwickelt sich sehr wohl. „Intermezzo“ ist ein fantastischer Roman, der alles hat, was sich nicht nur Leser wünschen können, die sich nach „Stimmen einer Generation“ sehnen. Er ist anders als Rooneys frühere Romane. Wärmer. Nachsichtiger. Komplexer. Und reifer. Das Altkluge ist fast gänzlich verschwunden, die leicht nervigen, philosophierenden, sexuell aufgeschlossenen Studentinnen ohne BH sind es auch (bis auf eine, zu der kommen wir noch). Marxistische Debatten führt keiner mehr, Rooney bewegt sich zwar weiterhin in dem vertrauten Milieu des Dubliner akademischen Mittelstands, in dem man am Wochenende ans Meer fährt und eher links wählt, es geht weiterhin vor allem um (Liebes-)Beziehungen. Aber die Figuren unterscheiden sich diesmal mehr, was ihr Alter, den Job, ihre Lebenserfahrung angeht. Das tut dem Roman gut.
Im Mittelpunkt stehen die sehr unterschiedlichen Brüder Peter und Ivan. Peter ist 33, Anwalt, legt Wert auf Erfolg, schöne Frauen und hat einen Hang zu Alkohol und Selbstzerstörung. Ivan ist 22 und ein Schach-Nerd. Er trägt eine feste Zahnspange und kaut Fingernägel, sonderlich attraktiv scheint er nicht auf Frauen zu wirken – denkt Peter. Der Roman beginnt mit der Beerdigung ihres Vaters. Ihre Trauer, die diese Brüder einander näher bringen könnte, sie aber eher auseinandertreibt, wird zum emotionalen Subtext der Geschichte. Ein Grundsummen, das Rooney meisterhaft durchzieht. Es ist kein Trauer-Roman, aber auch ein Roman über Trauer, darüber, was sie mit den Beziehungen trauernder Menschen macht. Die Entfremdung von den anderen und sich selbst, das Gefühl von Orientierungslosigkeit, unvermittelte emotionale Ausbrüche, Reue und die Gefahr, den Nächsten und der Welt im Allgemeinen gegenüber ungerecht zu werden, gehören jetzt zum Leben der Brüder.
Wie auch drei Frauen: Naomi, 23, Studentin (voilà, die wiedererkennbare Rooney-Figur!), Peters jüngste Eroberung. Sie hat früher mal erotische Bilder produziert und lebt eher sorglos in den Tag. Dass Peter sie finanziell aushält, ist kein großes Thema. Seine große Liebe ist eigentlich Sylvia: Anfang 30, Professorin, die seit einem schweren Unfall unter chronischen Schmerzen leidet und Peter verlassen hat. Zwischen diesen beiden Frauen steht er, heillos überfordert.
Die vielleicht interessanteste Figur des Romans aber ist Margaret, 36, die sich Hals über Kopf in Ivan verliebt (und er sich in sie), als er bei einem Schach-Event im Kulturzentrum ihrer Kleinstadt auftaucht. Ihre Liebe wird von Anfang an von starren Konventionen getrübt: Sie ist 14 Jahre älter als er und geschieden. Was sagen da die Leute? Peter, dem Ivan sich anvertraut, sagt: „Glaubst du, eine normale Frau in ihrem Alter würde sich mit jemandem in deiner Situation einlassen?“ Ivan quittiert: „In Wirklichkeit hasse ich dich. Ich hasse dich schon mein ganzes Leben.“ So ist der Ton zwischen den Brüdern.
Fulminant schreibt Sally Rooney gegen die emotionalen Unsicherheiten an, die gerade die frischen Verbindungen durchziehen. Alle Figuren sind beschädigt, durchlässig, missverstanden. Alle sehen und bekommen durch andere gespiegelt, was sie als Beziehungsmaterial zu bieten haben – und was nicht. Naomi ist vielleicht jung und straff, aber auch zu unbedarft, impulsiv und eben nicht Sylvia. Sylvia ist intelligent und erfolgreich, aber mit sich und ihrer Krankheit beschäftigt. Sie und Peter führen lange Gespräche, hyperreflektiert ermutigt sie ihn, seine Beziehung zu Naomi zu pflegen: „Niemals durchblicken lassen, dass es sie stört: aus höflicher Entfernung verfolgen, wie sie ausgetauscht wird. Verbessertes Modell, voll funktionsfähig.“ Ivan ist zu jung, Margaret gewissermaßen zu alt und Peter gefährdet durch Tablettenkonsum und den Drang, sich von Frauen retten zu lassen.
Ständig wird sich in „Intermezzo“ rückversichert, ob etwas „okay“ ist, Ivan fragt Margaret, ob er etwas falsch gemacht hat, entschuldigt sich für Nichtigkeiten. Das hat weniger mit dem zeitgemäßen Wunsch nach Einvernehmlichkeit zu tun, als mit einer tiefen persönlichen Unsicherheit aller. Vielleicht gerade deshalb geht Rooney großzügig mit den großen Begriffen Liebe und Hass um – „Ich liebe dich“, „ich hasse dich nicht“, „Wären wir zusammengeblieben, hättest du mich irgendwann gehasst“. Starke Gefühle auf der Suche nach der richtigen Dosierung, vielleicht auch nach einer angemesseneren Übersetzung.
Das klingt vermutlich alles anstrengend, aber es liest sich überhaupt nicht so. „Intermezzo“ ist keine Geschichte über Liebesökonomie, Dating und die generelle Einsamkeit. Sondern über die Frage, wie man sich durch seine Beziehungen manövriert, ohne den anderen zu beschädigen oder sich selbst. Wie viel Wahrheit schuldet man einander? Wie viel Verantwortung hat man füreinander? Und wann ist es klüger, loszulassen?
Rooney schreibt atemlos, ohne Anführungszeichen, stellenweise im stream of consciousness: Aufzählungen, halbfertige Sätze, perfekt übersetzt von Zoë Beck. Dann wieder fällt Rooney in einen schwärmerischen, fast ehrfürchtigen Ton: „Sie öffnet die Lippen und schmeckt das feuchte Salz auf seiner Zunge. Spürt seine Hand in ihrem Haar“, heißt es, nachdem Margaret und Ivan in stürmischer See schwimmen waren. „Das Wunder, auch nur einen Moment auf diese Weise in vollkommener Gemeinsamkeit auf Gottes Erdboden zu existieren, denkt sie.“
Es hilft übrigens ganz grundsätzlich, dass Rooney unpeinlich über Sex schreiben kann und sich nicht darum drückt, Worte zu finden für verstolperte Lust, Unbeholfenheit oder starkes Begehren. Wie eine Großmeisterin – dieses Bild muss schon einmal sein – schiebt sie ihre Figuren auf dem Schachbrett der Erzählung aufeinander zu, lässt sie ausweichen, taktiert, wartet ab.
Als Leserin kommt man ihnen nahe, um dann wieder von ihnen abzurücken. Bis kurz vor Ende weiß man nicht, wer gewinnt, oder was: Ignoranz und Kleingeist oder Loyalität und Großzügigkeit.
Beziehungen öffnen sich in „Intermezzo“ nicht aus Lifestylegründen, sondern aus schierer emotionaler Not. Irgendwann, die Brüder haben wochenlang nicht gesprochen, alle Bösartigkeiten sind ausgeteilt – „Deine Trauerrede war schrecklich, sie war peinlich“, „Ich stand Dad viel näher“, „Fick dich“ –, bricht Peter zusammen. Und dann sind beide Frauen da, Naomi und Sylvia, in freundlicher Eintracht, nachdem er die eine rausgeschmissen und die andere mit überbordender Erwartung vergrault hatte.
Man muss ja nicht gleich von Polyamorie reden, um festzustellen, dass das Leben manchmal komplizierter ist als die schöne Idee der Monogamie und der Ehe. Der Grenzbereich zwischen dem, was gesellschaftlich akzeptiert ist und was nicht, hat Rooney schon früher interessiert. In „Intermezzo“ führt sie alle Figuren an diese Grenze und man folgt ihnen bereitwillig. Die Entscheidung, einander zu vergeben, sich über Alter, Status, Monogamie oder brüderliche Kränkung hinwegzusetzen, bringt alle auch sich selbst näher. Es macht sie zu den Menschen, die sie füreinander sein wollen. Darin besteht ihre Chance auf eine Entwicklung, die Gelegenheit zu wachsen.
„Sie öffnet die Lippen
und schmeckt das feuchte
Salz auf seiner Zunge.“
Sie findet Worte für
Lust, Unbeholfenheit
oder starkes Begehren
Sally Rooney:
Intermezzo.
Roman. Aus dem
Englischen von Zoë Beck. Claassen, Berlin 2024.
496 Seiten, 24 Euro.
„Größer werden, mehr verkaufen, anders sein. Das finde ich nicht sehr interessant“, sagte die irische Autorin. Sich selbst kann sie damit nicht gemeint haben.
Foto: Kalpesh Lathigra
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