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Examines the difficulties in applying international law to recent armed conflicts known as 'new wars'.

Produktbeschreibung
Examines the difficulties in applying international law to recent armed conflicts known as 'new wars'.
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Autorenporträt
Christine Chinkin is Emerita Professor of International Law and Director of the Centre for Women, Peace and Security at the London School of Economics and Political Science, and William Cook overseas faculty member of the University of Michigan Law School. She is a leading expert on international law and human rights law, especially the international human rights of women.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2017

Mehr Frauen in Friedensprozesse!
Antwort auf die "Neuen Kriege": Christine Chinkin und Mary Kaldor plädieren für ein Völkerrecht, das den Bedürfnissen der Menschen nach Sicherheit Rechnung trägt

Seit rund zwanzig Jahren ist die Rede von sogenannten "Neuen Kriegen". Nun hat die Erfinderin des Begriffs, die Politikwissenschaftlerin Mary Kaldor, zusammen mit der Völkerrechtlerin Christine Chinkin ein weiteres wegweisendes Buch geschrieben. In ihm geht es um die Auswirkungen der "Neuen Kriege" für das Internationale Recht. Das ausgewogene Werk widmet sich jenen bewaffneten Konflikten, die derzeit die schwierigste Herausforderung der Außenpolitik darstellen und vermutlich auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, bleiben werden. Die Autorinnen bestechen durch ihre klare Systematik und durchdachten Reformvorschläge, die freilich Nadelstiche gegenüber der derzeitigen Staatenpraxis sind.

Ob die Neuen Kriege wirklich neu sind, ist eine umstrittene Frage. Man kann mit guten Gründen auf historische Kriegspraktiken in und außerhalb Europas verweisen, die wesentliche Elemente vorwegnahmen. Die Völkerrechtsgeschichte legt nahe, dass bestimmte europäische Konflikte in den vergangenen hundertfünfzig Jahren bei der Schaffung des völkerrechtlichen Rahmens Modell gestanden haben. Andere Konstellationen, etwa die Unterwerfung und beispiellose Gewalt in den Kolonien, blieben hingegen ausgeblendet. Entsprechend schwer tut sich das klassische Völkerrecht, heute Antworten auf die Neuen Kriege zu finden: Es ist auf Staaten als Akteure fixiert und hat auch sonst seine blinden Flecken.

Kennzeichen dieser neuen gewalttätigen Konflikte sind vielfach Zustände, die sich weder eindeutig als Krieg noch als Frieden bezeichnen lassen. Hinzu kommen neue Formen der Kriegsführung, -begründung und -finanzierung. Sie werden teils mit Drohnen, gezielten Tötungen und Anschlägen ausgefochten. Manche Gewaltformen lassen sich nur schwer von Terror oder Banditentum unterscheiden, und interessanterweise haben bestimmte Akteure auch ein manifestes Interesse daran, den Konflikt aufrechtzuerhalten: Frieden ist keine Option, wenn die eigene politische Legitimität, soziale Reputation und auch die Einnahmen am Status quo hängen.

Kaldor entwickelte ihr Modell ursprünglich an den Beobachtungen, die sie im postjugoslawischen Bosnien machte. Heute sind es Konflikte in Afghanistan, Syrien, im Irak, in Libyen, im Jemen, in Sudan, Südsudan, Mali, der Ukraine und der Demokratischen Republik Kongo, in denen die beiden Autorinnen die Logik der Neuen Kriege wiederfinden. Eine große Stärke des Buches liegt in der Rückbindung der Theorie an die gegenwärtige Praxis der internationalen Beziehungen: Die Argumentation ist jederzeit anschaulich und auch für fachfremde Leser leicht nachzuvollziehen, weil sie sich auf tatsächliche Akteure, Strategien und Normen einlässt. Während der geopolitische Horizont erfreulich global ist, bleiben die Fußnoten der beiden Londoner Professorinnen bedauerlicherweise rein anglophon.

Um den Lesern zu verdeutlichen, was Neue Kriege sind, sezieren die beiden Autorinnen in vorbildlicher Klarheit und darstellerischer Transparenz das Problem. Jeder Zentralbegriff wird erläutert, politische und juristische Deutungsstreitigkeiten werden auf ihre Relevanz und Konsequenzen hin abgeklopft. Im inhaltlichen Zentrum stehen die verschiedenen Sicherheitsstrategien, um mit den Neuen Kriegen umzugehen. Kaldor und Chinkin typisieren mit Mut und Geschick vier Zugänge: die Geopolitik, den "War on Ter-ror"-Ansatz, das Modell der humanitären Intervention und den "liberalen Frieden".

Der realpolitische Kassensturz bringt die Defizite und dunklen Seiten derzeitiger Praktiken zum Vorschein: Eingriffe scheitern, ziehen groteske Folgen nach sich oder bewirken geradezu das Gegenteil des Erhofften. Hier kommen auch strukturelle Defizite des heutigen Kriegsvölkerrechts zum Ausdruck. Seine Normen und Verbote zielten auf eine Welt, die den Militärs Krieg erlauben sollte - unter Maßgabe der Schonung alles Nichtmilitärischen. Diese Unterscheidung ist wie so viele andere Gegensatzpaare fragwürdig geworden: Innen- und Außenpolitik, Kombattanten und Nichtkombattanten, staatlich und nichtstaatlich, Befreiung und Besatzung, Krieg und Frieden.

Kaldor und Chinkin leiten aus ihrer Völkerrechtskritik Ideen für Reformen der normativen Regelungen ab. Der Ansatz des Buches geht insofern weit über das geltende Völkerrecht hinaus, ethische Überlegungen und ihre Konfrontation mit realpolitischen Dilemmata ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk. Die Kategorie "globaler Verbrechen" könnte etwa einen Ausweg aus den Gegensatzpaaren schaffen, auf denen die klassischen Rechtsregime basieren. Der Leser hat immer den Eindruck einer intellektuellen Redlichkeit, die sich auch noch in ihren Therapievorschlägen bescheiden und selbstkritisch gibt.

Abhilfe soll eine weitere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen leisten. Anders als bisher sollen aber mehrere Faktoren und Akteure stärker berücksichtigt werden. Die Autorinnen plädieren für einen Bottom-up-Ansatz, die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure und vor allem eine systematische Berücksichtigung von Frauen in ihren verschiedenen Rollen. Tatsächlich ist die konsequent durchgehaltene Gender-Perspektive einer der besonders innovativen Aspekte des Buches. Zwischendurch rufen die Autorinnen Statistiken auf, in denen sich die radikale Disproportionalität und Nichtrepräsentation von Frauen in Friedensprozessen und Friedensschlüssen widerspiegeln. Dies ist umso misslicher, da sie gerade in der Konstellation der Neuen Kriege besonders leicht verwundbar geworden sind. Die Hinwendung zu ihnen repräsentiert den menschenrechtlichen Ansatz der Autorinnen wie vermutlich kein anderes Feld.

Ihr Ideal ist ein Völkerrecht, das nicht auf Staaten- sondern auf Individualrechten basiert und dem Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit zur praktischen Durchsetzung verhilft, auch mit Hilfe des Völkerstrafrechts. Diese Idee von Sicherheit geht weit über die bloße Abwesenheit von physischer Gewalt hinaus, sie umfasst Rechte auf Freiheit, soziale und ökonomische Entwicklung, Inklusion und Erziehung, den Kampf gegen Armut, Krankheit und Hunger. Kaldor und Chinkin sind so ehrlich, dieses sympathische Wunschkonzert mit der nüchternen Botschaft zu verbinden, dass das nicht nur schwierig, sondern auch teuer werden wird. Stimmt man ihrer Argumentation zu, dann fällt es umso schwerer, sich den Konsequenzen zu entziehen. Womöglich braucht das Völkerrecht 222 Jahre nach Kants "Ewigem Frieden" eine neue Utopie.

MILOS VEC

Christine Chinkin und

Mary Kaldor: "International Law and New Wars".

Cambridge University Press, Cambridge 2017.

592 S., br., 41,70 [Euro].

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