Migration geht alle an: Migration ist ein globales Phänomen, Migrationspolitik wird aber oft nur im nationalen Kontext gedacht und gemacht. Dr. Uwe Hunger und Dr. Stefan Rother beleuchten die aktuellen Migrationsbewegungen, erklären die Ursachen von Arbeitsmigration und Flucht und zeigen, wie auf nationalstaatlicher und supranationaler Ebene mit Migration umgegangen wird.- Kompakte und zugleich umfassende Einführung für Studierende und alle, die sich für Migration und Migrationspolitik interessieren.- Mit vielen Beispielen aus dem eigenen Alltag oder den Medien - Mit Infoboxen, Grafiken und Lernkontrollfragen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2021Politisierungsschub durch Migration
Ein Handbuch zur Einwanderungspolitik will zum "Weiterdenken" anregen
Die Migrationspolitik ist seit spätestens 2015 eines der sowohl am kontroversesten diskutierten als auch inhaltlich komplexesten Themenfelder deutscher und internationaler Politik. Doch obwohl gerade im deutschsprachigen Raum eine reiche Literatur zu diesem Thema vorliegt, fehlte bislang ein kompaktes wissenschaftliches Werk, welches das Phänomen internationaler Bevölkerungswanderung in seiner sozialen, ökonomischen und politischen Bandbreite darstellen würde. Das von dem Fuldaer Professor für Politikwissenschaft Uwe Hunger und dem am Freiburger Arnold-Bergstraesser-Institut lehrenden Privatdozenten Stefan Rother nun vorgelegte Fachbuch "Internationale Migrationspolitik" schließt in dieser Hinsicht eine wichtige Lücke.
In ihrer als Einführung konzipierten Arbeit verbinden die beiden Autoren einen sozialwissenschaftlichen Teil, in welchem verschiedene Migrationstheorien präsentiert werden, mit einer Analyse von Migrationssystemen, Bewegungsursachen, Steuerungsstrategien und spezifischen Herausforderungen in den Bereichen Integration, Demokratie und Gender, welche sich für Migranten, Migrantinnen und Zielländer ergeben. So unterscheiden Hunger und Rother zwischen verschiedenen Migrationstypen wie Flucht und Vertreibung aufgrund staatlicher Verfolgung, aber auch Arbeits- und Wirtschaftsmigration und weisen darauf hin, dass die "mixed migration", also eine Kombination aus ökonomischen, sozialen, privaten und politischen Motiven, die mittlerweile häufigste Wanderungsursache ist. Komplementär werden verschiedene staatliche Einwanderungssysteme wie etwa das angebotsorientierte, von Australien und Kanada favorisierte Punktesystem analysiert und Vor- und Nachteile der jeweiligen Einwanderungsgesetzgebungen herausgearbeitet. Gleichzeitig wird nicht vergessen, den Verlust wichtigen Humankapitals zu untersuchen, welchen insbesondere Herkunftsländer des "globalen Südens" durch die Abwanderung von gut ausgebildeten, hochqualifizierten Fachkräften in Länder des "globalen Nordens" erleiden. Durch Überweisungen dieser Abwanderer an die Familien in den Herkunftsländern können diese allerdings langfristig auch profitieren.
Eine der interessantesten Beobachtungen in diesem Zusammenhang ist der Einfluss von Migranten und Migrantinnen auf die Demokratisierung von Herkunftsländern. Wie Hunger und Rother aufzeigen, erleben Auswanderer aus autoritären Staaten häufig einen Politisierungsschub, welcher zum Beispiel durch Selbstorganisation und Lobbying in Zielländern, aber auch durch transnationale Kommunikation mit Freunden, Partnern und Verwandten in Herkunftsländern in politische Reformbestrebungen münden kann. Jedoch trifft dieser Effekt zumeist weniger auf Eliten zu, die sich zum Beispiel temporär zum Studium an westlichen Universitäten aufhalten, als vielmehr auf Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, die aus wirtschaftlicher Not oder wegen politischer, ethnischer und sozialer Verfolgung in demokratischen Staaten leben. Diese Beobachtung hat weitreichende Folgerungen. So könnten zum Beispiel in Deutschland lebende Flüchtlinge durch gezielte Ausbildung, Förderung und staatsbürgerliche Integration zu einem strategischen Faktor in der deutschen Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik werden und zur langfristigen Demokratisierung und Liberalisierung von autoritär geführten Herkunftsländern beitragen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die politische Teilhabe von Einwanderern und Einwanderinnen in Zielländern zu verweisen, der Hunger und Rother breiten Raum widmen. Die beiden Politologen unterscheiden zwischen unterschiedlichen Strategien der Migrationsgesetzgebung und Stufen der Einbürgerung in verschiedenen Staaten. Dabei muss der Erhalt einer permanenten Bleibeberechtigung nicht unbedingt ein Recht auf politische Teilhabe implizieren. In dieser Hinsicht ist insbesondere die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft politisch relevant, da diese einerseits Demokratisierung befördern kann, andererseits jedoch durch autoritäre Regime, zum Beispiel durch das großzügige Verleihen von Pässen an Angehörige ethnischer Minderheiten, zur Einflussnahme auf die Politik anderer Staaten instrumentalisiert werden kann. Auch in Deutschland hat Integration unmittelbare Konsequenzen für die demokratische Repräsentation der Interessen von Migrantinnen und Migranten. Die Kandidatur des syrischen Flüchtlings und Grünenpolitikers Tareq Alaows für den Bundestag, dessen möglicher Einzug in das Parlament an die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft geknüpft ist, ist in dieser Hinsicht das beste Beispiel für einen Integrationsprozess, durch welchen Einwanderung in gesellschaftliche Teilhabe, politische Beteiligung und schließlich Interessenvertretung von Migranten und Migrantinnen münden kann.
Ein wichtiges Kapitel widmet sich schließlich der "Versicherheitlichung" (securitization) von Migrationsdebatten durch politische Entscheidungsträger, Parteien und Medien. Wie Hunger und Rother mit Verweis auf soziologische Sprachtheorien argumentieren, hat die Art, wie Menschen miteinander kommunizieren und die Welt beschreiben, unmittelbare Auswirkungen auf die politische Wirklichkeit. So hatten etwa Präsident Trumps Durchführungsverordnungen ("executive orders") und Tweets das Potenzial, die amerikanische Migrationsdebatte in eine Frage der nationalen Sicherheit zu verwandeln und Einwanderer aus Lateinamerika, Afrika und dem arabischen Raum als potentielle Kriminelle zu brandmarken, die durch eine Grenzmauer, Reisebeschränkungen und Visaverbote von einer Einreise in die Vereinigten Staaten abgehalten werden sollten.
Der Band hat einen ausgesprochenen Hand- und Lehrbuchcharakter, der durch Fragen und Literaturanregungen zum "Weiterdenken" einlädt. Auch wenn "Internationale Migrationspolitik" damit vor allem ein akademisches Fachpublikum erreichen wird, ist dieses gründlich recherchierte Buch auch denen zu empfehlen, die sich einen breiten, einführenden Überblick in diese nach wie vor hochrelevante Thematik verschaffen möchten.
CARLO MOLL
Uwe Hunger/Stefan Rother: Internationale Migrationspolitik.
utb. Verlagsgemeinschaft GmbH, Stuttgart 2021. 368 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Handbuch zur Einwanderungspolitik will zum "Weiterdenken" anregen
Die Migrationspolitik ist seit spätestens 2015 eines der sowohl am kontroversesten diskutierten als auch inhaltlich komplexesten Themenfelder deutscher und internationaler Politik. Doch obwohl gerade im deutschsprachigen Raum eine reiche Literatur zu diesem Thema vorliegt, fehlte bislang ein kompaktes wissenschaftliches Werk, welches das Phänomen internationaler Bevölkerungswanderung in seiner sozialen, ökonomischen und politischen Bandbreite darstellen würde. Das von dem Fuldaer Professor für Politikwissenschaft Uwe Hunger und dem am Freiburger Arnold-Bergstraesser-Institut lehrenden Privatdozenten Stefan Rother nun vorgelegte Fachbuch "Internationale Migrationspolitik" schließt in dieser Hinsicht eine wichtige Lücke.
In ihrer als Einführung konzipierten Arbeit verbinden die beiden Autoren einen sozialwissenschaftlichen Teil, in welchem verschiedene Migrationstheorien präsentiert werden, mit einer Analyse von Migrationssystemen, Bewegungsursachen, Steuerungsstrategien und spezifischen Herausforderungen in den Bereichen Integration, Demokratie und Gender, welche sich für Migranten, Migrantinnen und Zielländer ergeben. So unterscheiden Hunger und Rother zwischen verschiedenen Migrationstypen wie Flucht und Vertreibung aufgrund staatlicher Verfolgung, aber auch Arbeits- und Wirtschaftsmigration und weisen darauf hin, dass die "mixed migration", also eine Kombination aus ökonomischen, sozialen, privaten und politischen Motiven, die mittlerweile häufigste Wanderungsursache ist. Komplementär werden verschiedene staatliche Einwanderungssysteme wie etwa das angebotsorientierte, von Australien und Kanada favorisierte Punktesystem analysiert und Vor- und Nachteile der jeweiligen Einwanderungsgesetzgebungen herausgearbeitet. Gleichzeitig wird nicht vergessen, den Verlust wichtigen Humankapitals zu untersuchen, welchen insbesondere Herkunftsländer des "globalen Südens" durch die Abwanderung von gut ausgebildeten, hochqualifizierten Fachkräften in Länder des "globalen Nordens" erleiden. Durch Überweisungen dieser Abwanderer an die Familien in den Herkunftsländern können diese allerdings langfristig auch profitieren.
Eine der interessantesten Beobachtungen in diesem Zusammenhang ist der Einfluss von Migranten und Migrantinnen auf die Demokratisierung von Herkunftsländern. Wie Hunger und Rother aufzeigen, erleben Auswanderer aus autoritären Staaten häufig einen Politisierungsschub, welcher zum Beispiel durch Selbstorganisation und Lobbying in Zielländern, aber auch durch transnationale Kommunikation mit Freunden, Partnern und Verwandten in Herkunftsländern in politische Reformbestrebungen münden kann. Jedoch trifft dieser Effekt zumeist weniger auf Eliten zu, die sich zum Beispiel temporär zum Studium an westlichen Universitäten aufhalten, als vielmehr auf Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, die aus wirtschaftlicher Not oder wegen politischer, ethnischer und sozialer Verfolgung in demokratischen Staaten leben. Diese Beobachtung hat weitreichende Folgerungen. So könnten zum Beispiel in Deutschland lebende Flüchtlinge durch gezielte Ausbildung, Förderung und staatsbürgerliche Integration zu einem strategischen Faktor in der deutschen Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik werden und zur langfristigen Demokratisierung und Liberalisierung von autoritär geführten Herkunftsländern beitragen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die politische Teilhabe von Einwanderern und Einwanderinnen in Zielländern zu verweisen, der Hunger und Rother breiten Raum widmen. Die beiden Politologen unterscheiden zwischen unterschiedlichen Strategien der Migrationsgesetzgebung und Stufen der Einbürgerung in verschiedenen Staaten. Dabei muss der Erhalt einer permanenten Bleibeberechtigung nicht unbedingt ein Recht auf politische Teilhabe implizieren. In dieser Hinsicht ist insbesondere die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft politisch relevant, da diese einerseits Demokratisierung befördern kann, andererseits jedoch durch autoritäre Regime, zum Beispiel durch das großzügige Verleihen von Pässen an Angehörige ethnischer Minderheiten, zur Einflussnahme auf die Politik anderer Staaten instrumentalisiert werden kann. Auch in Deutschland hat Integration unmittelbare Konsequenzen für die demokratische Repräsentation der Interessen von Migrantinnen und Migranten. Die Kandidatur des syrischen Flüchtlings und Grünenpolitikers Tareq Alaows für den Bundestag, dessen möglicher Einzug in das Parlament an die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft geknüpft ist, ist in dieser Hinsicht das beste Beispiel für einen Integrationsprozess, durch welchen Einwanderung in gesellschaftliche Teilhabe, politische Beteiligung und schließlich Interessenvertretung von Migranten und Migrantinnen münden kann.
Ein wichtiges Kapitel widmet sich schließlich der "Versicherheitlichung" (securitization) von Migrationsdebatten durch politische Entscheidungsträger, Parteien und Medien. Wie Hunger und Rother mit Verweis auf soziologische Sprachtheorien argumentieren, hat die Art, wie Menschen miteinander kommunizieren und die Welt beschreiben, unmittelbare Auswirkungen auf die politische Wirklichkeit. So hatten etwa Präsident Trumps Durchführungsverordnungen ("executive orders") und Tweets das Potenzial, die amerikanische Migrationsdebatte in eine Frage der nationalen Sicherheit zu verwandeln und Einwanderer aus Lateinamerika, Afrika und dem arabischen Raum als potentielle Kriminelle zu brandmarken, die durch eine Grenzmauer, Reisebeschränkungen und Visaverbote von einer Einreise in die Vereinigten Staaten abgehalten werden sollten.
Der Band hat einen ausgesprochenen Hand- und Lehrbuchcharakter, der durch Fragen und Literaturanregungen zum "Weiterdenken" einlädt. Auch wenn "Internationale Migrationspolitik" damit vor allem ein akademisches Fachpublikum erreichen wird, ist dieses gründlich recherchierte Buch auch denen zu empfehlen, die sich einen breiten, einführenden Überblick in diese nach wie vor hochrelevante Thematik verschaffen möchten.
CARLO MOLL
Uwe Hunger/Stefan Rother: Internationale Migrationspolitik.
utb. Verlagsgemeinschaft GmbH, Stuttgart 2021. 368 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Carlo Moll empfiehlt das Buch der Politologen Uwe Hunger und Stefan Rother über internationale Migrationspolitik dem Fachpublikum wie dem interessierten Laien. Moll zufolge schließen die Autoren mit dem Fachbuch eine Lücke. Moll hebt den Lehrbuchcharakter des Bandes hervor, aber auch die Anregungen zum Weiterlesen. Besonders überzeugend findet er die Rechercheleistung des Autorenduos, den sozialwissenschaftlichen Teil des Buches, der unterschiedliche Migrationstheorien und Migrationstypen untersucht, sowie die Thematisierung der Rolle von Migranten im Demokratisierungsprozess der Herkunftsländer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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