Produktdetails
  • Vienna School of Crime
  • Verlag: Medusa, W.
  • Seitenzahl: 223
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 296g
  • ISBN-13: 9783854461005
  • Artikelnr.: 25012262
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2009

Die Abenteuer eines Zwetschkenrösters
Wie Milo Dor und Reinhard Federmann ihren Freund Paul Celan in den Krimi „Internationale Zone” (1952) hineinschrieben
Manchmal sieht man Dinge nicht oder nur undeutlich, wenn sie in der Nähe, aber ein wenig abseits der eigenen Wege liegen. Die Celan-Forschung etwa ist einer der exklusiveren germanistischen Zirkel und durch ihre Freude an Details und Tiefe bekannt. Neben generellen Befunden zum oft schwierigen Dichterleben des Czernowitzer Juden in der literarischen Bundesrepublik findet man viele schöne, feinmaschige Untersuchungen zu Celans immer komplexer werdenden Gedichten.
Deren Verfasser gehört längst zu den säkularen Heiligengestalten des Forschungs- und Literaturbetriebs. Seine Liebesgeschichte mit Ingeborg Bachmann wurde schon zur Legende, bevor im vergangenen Herbst endlich der Briefwechsel zwischen den beiden erschien. Dass Paul Celan aber auch zu den Hauptfiguren eines Nachkriegskrimis gehört, ist weniger bekannt.
Dieser Krimi mit dem Titel „Internationale Zone” erschien im Jahre 1953, verfasst von Milo Dor und Reinhard Federmann, einem der ersten Autorenduos der neueren deutschsprachigen Literatur. Entgangen ist er der Celan–Forschung natürlich nicht. Gelegentlich weist sie in einer Randbemerkung auf die Existenz des Werkes hin. Und es gibt einen Aufsatz, dem man anmerkt, dass seine Autorin das Buch gelesen hat. Er findet sich im Katalog der Ausstellung „Displaced – Paul Celan in Wien. 1947/48”, die 2001 im Wiener Jüdischen Museum stattfand. Daniela Strigl setzt darin Zitate aus dem Roman an den Anfang ihrer Schilderung der Wiener Nachkriegs-Kaffeehaus-Szene. In ihr verkehrten, trotz Geldmangel, sowohl Celan als auch seine Freunde: der in Budapest geborene Serbe Milo Dor und der Wiener „Vierteljude” Reinhard Federmann.
Im Krimi „Internationale Zone” ist Paul Celan in die Figur des jungen Dichters Petre Margul eingegangen. Das ist etwas verwirrend ist, denn es gibt Alfred Margul-Sperber eine Persönlichkeit des Czernowitzer Literaturlebens, die ebenfalls im damaligen Wien bekannt war. Margul-Sperber hat denn auch seinen Anteil an der Figur. Doch einige biographische Details stützen die Aussage des 2005 verstorbenen Milo Dor, mit der Figur Margul sei Celan gemeint: das Studium in Frankreich, die Reise nach Paris am Ende des Romans und die Veröffentlichung von Gedichten in einer Literaturzeitschrift – beim realen Celan war es die von Otto Basil von 1945 bis 1948 herausgegebene Zeitschrift Der Plan.
Dass Bukarest auf einer alten Karte „nur einen Katzensprung” entfernt wirkt, kommentiert Petre Margul mit einem lakonischen „Das habe ich gar nicht gemerkt”. Celans hatte nach mehrtägigem anstrengenden Fußmarsch aus Rumänien am 17. Dezember 1947 Wien erreicht. Der kriminelle Hauptakteur, Petres Jugendfreund George Maniu, nennt sich Georges Manin. Die Verwandlung von Namen war zeittypisch. Paul Antschel hatte sich schon in Paul Celan verwandelt. Milan Dor, der Sohn von Milo Dor, verfilmte „Internationale Zone” im Jahre 1994, mit David Steffen in der Rolle des Petre Margul, der im Film Paul Weisz heißt.
Das Porträt, das Dor und Federmann 1952 von Celan-Margul-Weisz zeichneten, und die Situation, in die sie ihren Freund stellten, zeigen ihn als ängstlichen Lebensgenießer, der in einen Albtraum von Realität versetzt wird. Zuvor aber darf er an den schönen Seiten teilhaben, die das Genre für seine Figuren bereithält: „Petre Margul lehnte sich bequem zurück und schloss halb die Augen. Seit seiner Kindheit war es eine seiner Lieblingsgewohnheiten, Dinge, deren Anblick er genießen wollte, durch die Wimpern zu betrachten.” Was Petre besichtigt, ist seine Geliebte Kyra, die ihm der windige Georges zugeführt hat. Sie liegt um 12 Uhr mittags in ihrem seidenen Schlafrock auf seiner Couch. Kyra war Balletteuse am Bukarester Nationaltheater, hat sich jedoch im Nachkriegswien in eine Nackttänzerin verwandelt.
Da liegt „Internationale Zone” natürlich völlig falsch. In seiner Wiener Zeit überschüttete Paul Celan Ingeborg Bachmann mit Mohnblumen – allerdings erst im April 48, kurz bevor er im Juni nach Paris zog. Wien war damals ein sehr lebendiger Ort, eine geteilte Stadt, mit einem russischen, einem amerikanischen einem britischen und einem französischen Sektor, und abends trafen sich die Lebenslustigen in den Nachtbars.
Die Affäre mit der Tänzerin ist längst nicht die heikelste, in die der Kriminelle Georges Manin seinen Jugendfreund Petre Margul hineinzieht. Der Kumpel aus der Studienzeit, den Petre, selber völlig abgebrannt, in der internationalen Zone des ersten Wiener Bezirks trifft, ist über seine finanziellen Interessen nicht nur im Zentrum des Schwarzmarkts, sondern auch bei Menschenschiebereien angelangt. Er gehört zu den zeittypischen Verbrechern, ein gefallener Idealist, der keine Skrupel kennt, nur manchmal etwas Sentimentalität erkennen lässt.
Anfangs trickst er seinen Gauner-Mentor Freddie Hirsch aus. Dessen Lastwagen, mit aus dem Freihafen Tanger stammenden amerikanischen Zigaretten, die damals über Ungarn nach Wien gelangten, verliert auf der Straße ein Rad, die Zigaretten purzeln, und Freddie ist aufgeflogen. Unangenehm ist nur, dass Georges Manin als Rumäne mehr für die russische Besatzungsarmee tun muss. Bei Hirsch reichte Geld. Georges muss desertierte Russen kidnappen, wofür er sich zwar schämt, aber er tut es. Und gibt vor, vom Schicksal, das den Ausgelieferten in Stalins Russland bevorsteht, nichts zu wissen.
Die „Internationale Zone” ist mehrfach aufgelegt worden, zuletzt 1994 anlässlich der Verfilmung, nach wie vor gespenstert der Nachkriegskrimi durch den Antiquariatsbuchhandel. An den „Dritten Mann” reicht er nicht heran, kann aber in seinem Genre mithalten. Seiner kargen Sprache setzt er gelegentlich sarkastische Glanzlichter auf, mischt kühlen Humor mit herber Melancholie und Milieutreue. Petre Marguls Situation wird heikel, als Georges selber in Gefangenschaft gerät. Petre soll hundert Dollar organisieren, um die Wachen zu bestechen, macht es und wird bei Georges‘ Flucht beinahe selber getroffen. Aber er hat Glück, während Georges zwischen die Fronten gerät und, von den Russen verraten, von den Amerikanern erschossen wird. In Milan Dors Verfilmung hat übrigens auch der Dichter keine Chance.
Am Ende des Romans sitzt der Dichter, einen falschen Namen und Geburtsort im Pass, im Zug nach Paris und trifft Freddie Hirsch, den Schwarzhändler alter Schule. Der fragt „Haben Sie die Katastrophe überlebt?” und meint den Tod Georges Manins. Dann zieht er das lapidare Fazit – „Überhaupt: Zigaretten . . . das ist doch vorbei” – und deutet auf einen Haufen Schrott neben den Gleisen: „Die Welt rüstet wieder. Damit verdient man heute die Millionen!”
Es mag verwundern, dass der legendär ernste Paul Celan Milan Dor zufolge seine Verwandlung in die Figur eines Unterhaltungsromans genossen haben soll. Aber er war eben nicht immer ernst und verachtete auch in seiner Dichtung Sprachspiele und Kalauer nicht. Noch 1962 witzelt er in einem Brief an Reinhard Federmann über die Platzhirsche der damaligen Kaffeehaus-Szene: „Alle diese Schlangeneier legenden Enten”, und unterschreibt blödelnd mit „Dein alter Freund und (Nichtnur-)Zwetschkenröster bzw. mit seinen Zwetschken gerösteter Paul”. HANS-PETER KUNISCH
„Er liebte es, Dinge, deren Anblick er genießen wollte, durch die Wimpern zu betrachten.”
Paul Celan, über dessen Doppelgänger der Krimi schreibt: „Er griff nervös in die Brusttasche und nahm die falsche Identitätskarte heraus. Die Fotografie war das einzig echte daran.” Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr