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Nach Grönland fahren, um sich selbst zu finden? In den Inuit, den Ureinwohnern dieses Landes, die Paradigmen der eigenen Existenz entdecken? Genau das beschreibt Anna Kim in ihrem Bericht über diese polare Insel, deren landschaftliche Schönheiten so weit weg sind von allem, was die Touristik uns als schön anpreist: die Kargheit, die Leere, die Farben und Formen von Eis, Schnee und Wasser.Anna Kim blättert die Kolonialgeschichte dieses Landes auf, eine Kolonialgeschichte, die so unerbittlich und so erniedrigend für seine Bewohner ablief wie jede andere koloniale Geschichte auf der Erde und die…mehr

Produktbeschreibung
Nach Grönland fahren, um sich selbst zu finden? In den Inuit, den Ureinwohnern dieses Landes, die Paradigmen der eigenen Existenz entdecken? Genau das beschreibt Anna Kim in ihrem Bericht über diese polare Insel, deren landschaftliche Schönheiten so weit weg sind von allem, was die Touristik uns als schön anpreist: die Kargheit, die Leere, die Farben und Formen von Eis, Schnee und Wasser.Anna Kim blättert die Kolonialgeschichte dieses Landes auf, eine Kolonialgeschichte, die so unerbittlich und so erniedrigend für seine Bewohner ablief wie jede andere koloniale Geschichte auf der Erde und die zu extrem beschädigten Identitäten führte und zu einem, bevölkerungspolitisch gesehen, großen Anteil an dänisch-grönländischen 'Mischlingen' - eine Mischkultur, die unter Zwang und unter großen Verlusten zustande kam. Was es bedeutet, hier Dänisch oder Grönländisch zu sprechen, was es bedeutet, anders auszusehen, als Teil welcher der beiden Kulturen man durchgeht oder eben nicht, welcher Preis an Geborgenheit bzw. Fremdheit zu bezahlen ist, wenn man sich in die Identitäts-Maschinerie von Einschluss/Ausschluss begibt - das zeigt Anna Kim, die in Südkorea geborene österreichische deutschsprachige Schriftstellerin, auf beklemmende Weise anhand von Beobachtungen und Gesprächen auf, die sie in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands, führte.Und noch etwas rückt dieser wichtige Essay zurecht: dass Reisen auch das Ventil für die Sehnsucht sein kann, als eine existenziell Fremde endlich in adäquater Umgebung zu sein, endlich mit Fug und Recht fremd zu sein, freiwillig.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2011

NEUE REISEBÜCHER

Für die Tasche "Der Reisende ist der Zwilling des Fremden, die verborgene Seite unserer Identität. Er ist heimatlos, zeitlos, bindungslos, ohne Ursprung, ohne Erinnerung", schreibt Anna Kim in ihrem Buch "Invasionen des Privaten". Ihre Reise nach Grönland wird zu einer Reise zu sich selbst: Sie, die 1977 in Südkorea geboren wurde und in Österreich aufwuchs, kennt Sprachverlust und die Kolonisierung der eigenen Identität durch die Zuschreibungen anderer: "Die Reisende ist ein Großteil meiner Identität, ich bin eine Vollzeitreisende." In Grönland wird sie für eine Grönländerin gehalten, nicht aber für eine Asiatin oder gar Österreicherin.

In acht Kapiteln fügt Kim sehr subjektiv fein beobachtete Details zusammen, um die Welt zu lesen - die grönländische, weil sie neu ist, und die eigene, die durch das Reisen neu erscheint. Ihre Essays sind mehr als eine Beschreibung Grönlands, der Natur, der Architektur, der Geschichte. Sie fragt nach Identität, Heimat, dem Sinn des selbstgewählten Nomadentums.

Bei ihren Recherchen merkt Kim, wie stark die Kolonialgeschichte die Gegenwart Grönlands prägt. Noch bis vor zehn Jahren wurden Kinder separiert; waren sie Mischlinge, kamen sie in die dänischen Klassen, waren sie Grönländer, kamen sie in die grönländischen Klassen. Karen, eine Grönländerin, die von Dänen adoptiert wurde, spürt als Erwachsene stärker als je zuvor, dass sie weder in die dänische noch in die grönländische Welt passt. "Wir sind identitätswahnsinnig", sagt Karen. "Identität heutzutage ist ein Entweder-Oder, ein Ver- oder Gebot, erlassen von der Mehrheit." Die Frage, die jeder Reisende kennt, woher kommst du, bekommt eine andere Bedeutung.

Das Warten auf das Polarlicht, "die Spur, die die wandernden Seelen hinterlassen sollen", verdichtet Kim auf einen Absatz; für das Polarlicht selbst hat sie nur einen Satz übrig, der das ganze Kapitel krönt: "Gegen neun Uhr abends, ehe der Mond die Erde in sein gläsernes Gefäß sperrt, bekommt die Schwärze silbrige Risse, gelblich-grünes Licht fließt aus, langsam, aber stetig: als würden die Sterne auslaufen."

Die Inuit glauben, dass im Inlandeis Dämonen und Monster wohnen. Auch die Dämonen des Kalten Krieges hausen dort, Dynamit und Minen, die die amerikanische Armee in Militärübungen abgeladen hat. Zugleich ist es der Ort, an dem Kim "eine Mischung aus Fernweh und Heimweh, Sehnsucht und Freiheit" spürt. Die Einsamkeit, mitunter Isolation des Reisenden ist bei aller Monstrosität zugleich der größtmögliche Grad der Freiheit, denn sie bringt mit sich - Glück.

eve

Anna Kim: "Invasionen des Privaten", Droschl 2011, 107 Seiten, 15 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Offensichtlich fasziniert hat Rezensentin Sibylle Cramer dieses Buch Anna Kims gelesen, das von einer Reise der Autorin nach Grönland erzählt, die offenbar zu sehr wundersamen Erfahrungen geführt hat. Kim ist koreanischer Herkunft, in Österreich aufgewachsen und in Grönland, wo Dänen einen deutlich privilegierter Status genießen als Grönländer selbst, sieht sie, die Touristin, grönländischer aus als jeder Grönländer. Aber auch dem Ausflug der Autorin zur Inlandeiskante folgt die Rezensentin staunend, denn hier in der Eiswüste, lernt sie, versagen die Augen ihren Dienst, das Gehirn füllt die Leerstelle, und die Leserin versinkt mit der Autorin in "Himmelsmasse".

© Perlentaucher Medien GmbH