Twenty years after the collapse of the German Democratic Republic, historians still struggle to explain how an apparently stable state imploded with such vehemence. This book shows how 'national' identity was invented in the GDR and how citizens engaged with it. Jan Palmowski argues that it was hard for individuals to identify with the GDR amid the threat of Stasi informants and with the accelerating urban and environmental decay of the 1970s and 1980s. Since socialism contradicted its own ideals of community, identity and environmental care, citizens developed rival meanings of nationhood and identities and learned to mask their growing distance from socialism beneath regular public assertions of socialist belonging. This stabilized the party's rule until 1989. However, when the revolution came, the alternative identifications citizens had developed for decades allowed them to abandon their 'nation', the GDR, with remarkable ease.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2010Raum für den Heimattraum
Die SED wollte eine andersartige Form von nationaler Identität schaffen
Diktaturen sind ebenso wie Demokratien gezwungen, ihr Regime gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren. Totalitäre oder autoritäre Machthaber haben es allerdings ungleich schwerer, einen - wie Max Weber es nannte - Legitimitätsglauben zu erzeugen und die fehlende Akzeptanz der Bürger zu kompensieren. Deren Unterstützung zum Zwecke des Machterhalts einzuholen kann für Diktaturen zur zentralen Herausforderung werden. In den sozialistischen Systemen nahm neben Zwang oder Gewalt vor allem die Ideologie einen zentralen Platz ein. Eine weitere Legitimierungsstrategie basierte darauf, fehlende Identifizierung mit dem Regime durch den Rekurs auf eine besondere nationale Identität auszugleichen.
Diesem Muster konnte die DDR-Spitze im geteilten Deutschland nicht folgen. Gerade aber die Existenz des westlichen Teils machte die Konstruktion einer einzigartigen Identität notwendig, die die angestrebte moralische und kulturelle Erneuerung und Überlegenheit widerspiegeln sollte. Die politische Führung befand sich daher in einer besonders prekären Situation, zumal die Teilung höchst unpopulär war. Sie musste "eine sozialistische Nation erfinden". Den britischen Historiker Jan Palmowski interessiert nun, wie die SED versuchte, eine andersartige Form von nationaler Identität zu schaffen und auf diese Weise sowohl ihre Macht zu konsolidieren als auch die Zustimmung der Bürger zu gewinnen.
Das zentrale Argument des Autors lautet, dass die Konstruktion dieser Identität über die Idee der Heimat geschah. Denn der Sozialismus sei nie ausreichend gewesen, um die DDR zu definieren. Zugleich konnte man im geteilten Deutschland die nationale Frage nicht unbeantwortet lassen. Außerdem konnte auch die SED-Führung das Bedürfnis der Bürger nicht ignorieren, ihr alltägliches Leben mit seinen typischerweise heimatbezogenen kulturellen Praktiken weiterzuführen. Die Strategie der Parteielite bestand in einer Verknüpfung der sozialistischen Ideale, an die die Gesellschaft herangeführt werden sollte, mit dem Heimatkonzept. "Sozialistische Heimat" war somit eine Schablone, auf der die Bürger eine patriotische Verbundenheit mit dem DDR-Staat entwickeln sollten und gleichzeitig ihren kulturellen Aktivitäten folgen konnten - von Vogelbeobachtung und Baumbestimmung über museale Projekte bis hin zu Karneval und Dorffest.
Der ertragreiche Ansatz des Buches besteht darin, dass es diese DDR-spezifische Identitätskonstruktion aus zwei Perspektiven untersucht: Zum einen wird analysiert, wie die SED-Parteieliten mit dem Konstrukt der "sozialistischen Heimat" ihre Macht in den Massen zu festigen suchten. Zum anderen zeigt der Autor, wie die Bürger auf diese staatlich vereinnahmte und umgedeutete Heimat-Narrative reagierten. Palmowski stützt sich dabei auf zwei Fallstudien, nämlich Kleinstädte und Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, und führte zahlreiche Interviews. Bisweilen ermüdet zwar das unsystematische Nebeneinander der Beispiele und Zeugnisse, im Ergebnis aber zeichnet es ein überaus anschauliches Bild von Alltagsleben und Freizeit zwischen staatlichem Oktroy sozialistischer Werte und der Persistenz eigener Heimatvorstellungen.
Dabei stellt sich heraus, dass die Bevölkerung im Alltag eine Doppeltechnik entwickelte, bei der sie vordergründig der staatlichen Vorgabe entsprach, um gleichzeitig die sozialistischen Elemente des von der SED betriebenen Heimatkonstrukts auszublenden. Die Bürger nutzen somit erfolgreich den von der Partei vorgegebenen Rahmen für ihre eigentlichen kulturellen Interessen und konnten auf diese Weise, zum Beispiel durch Stadt- oder Landschaftsverschönerung, ihren Lebensstandard erhöhen. Dagegen erreichte die SED ihr Ziel, jene angestrebte Identität zwischen Staat und Bürger, nicht. Daher - so das überzeugende Resümee - kollabierte 1989 die konstruierte Identität ebenso wie der Sozialismus selbst. Was blieb, war eine weiterhin heimatbezogene Bedeutung von Gemeinschaft und Identität, die eine gemeinsame Plattform des Verstehens zwischen Ost- und Westdeutschen darstellte.
Die bemerkenswerte Studie vertieft das Verständnis des Machterhalts im DDR-Staat und belegt, dass nicht nur der Analyse formalpolitischer Mechanismen, sondern auch der kulturellen Geschichte Erklärungskraft innewohnt. Nicht zuletzt aufgrund des umfassenden Zeitraums - von 1945 bis 1990 - wird die Studie sicher fruchtbaren Boden für weitere Arbeiten bieten. Das Buch ist zudem höchst anschaulich geschrieben.
MARIANNE KNEUER
Jan Palmowski: Inventing a Socialist Nation. Heimat and the Politics of Everyday Life in the GDR, 1945-1990. Cambridge University Press, Cambridge 2009. 342 S., 71,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die SED wollte eine andersartige Form von nationaler Identität schaffen
Diktaturen sind ebenso wie Demokratien gezwungen, ihr Regime gegenüber der Bevölkerung zu legitimieren. Totalitäre oder autoritäre Machthaber haben es allerdings ungleich schwerer, einen - wie Max Weber es nannte - Legitimitätsglauben zu erzeugen und die fehlende Akzeptanz der Bürger zu kompensieren. Deren Unterstützung zum Zwecke des Machterhalts einzuholen kann für Diktaturen zur zentralen Herausforderung werden. In den sozialistischen Systemen nahm neben Zwang oder Gewalt vor allem die Ideologie einen zentralen Platz ein. Eine weitere Legitimierungsstrategie basierte darauf, fehlende Identifizierung mit dem Regime durch den Rekurs auf eine besondere nationale Identität auszugleichen.
Diesem Muster konnte die DDR-Spitze im geteilten Deutschland nicht folgen. Gerade aber die Existenz des westlichen Teils machte die Konstruktion einer einzigartigen Identität notwendig, die die angestrebte moralische und kulturelle Erneuerung und Überlegenheit widerspiegeln sollte. Die politische Führung befand sich daher in einer besonders prekären Situation, zumal die Teilung höchst unpopulär war. Sie musste "eine sozialistische Nation erfinden". Den britischen Historiker Jan Palmowski interessiert nun, wie die SED versuchte, eine andersartige Form von nationaler Identität zu schaffen und auf diese Weise sowohl ihre Macht zu konsolidieren als auch die Zustimmung der Bürger zu gewinnen.
Das zentrale Argument des Autors lautet, dass die Konstruktion dieser Identität über die Idee der Heimat geschah. Denn der Sozialismus sei nie ausreichend gewesen, um die DDR zu definieren. Zugleich konnte man im geteilten Deutschland die nationale Frage nicht unbeantwortet lassen. Außerdem konnte auch die SED-Führung das Bedürfnis der Bürger nicht ignorieren, ihr alltägliches Leben mit seinen typischerweise heimatbezogenen kulturellen Praktiken weiterzuführen. Die Strategie der Parteielite bestand in einer Verknüpfung der sozialistischen Ideale, an die die Gesellschaft herangeführt werden sollte, mit dem Heimatkonzept. "Sozialistische Heimat" war somit eine Schablone, auf der die Bürger eine patriotische Verbundenheit mit dem DDR-Staat entwickeln sollten und gleichzeitig ihren kulturellen Aktivitäten folgen konnten - von Vogelbeobachtung und Baumbestimmung über museale Projekte bis hin zu Karneval und Dorffest.
Der ertragreiche Ansatz des Buches besteht darin, dass es diese DDR-spezifische Identitätskonstruktion aus zwei Perspektiven untersucht: Zum einen wird analysiert, wie die SED-Parteieliten mit dem Konstrukt der "sozialistischen Heimat" ihre Macht in den Massen zu festigen suchten. Zum anderen zeigt der Autor, wie die Bürger auf diese staatlich vereinnahmte und umgedeutete Heimat-Narrative reagierten. Palmowski stützt sich dabei auf zwei Fallstudien, nämlich Kleinstädte und Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, und führte zahlreiche Interviews. Bisweilen ermüdet zwar das unsystematische Nebeneinander der Beispiele und Zeugnisse, im Ergebnis aber zeichnet es ein überaus anschauliches Bild von Alltagsleben und Freizeit zwischen staatlichem Oktroy sozialistischer Werte und der Persistenz eigener Heimatvorstellungen.
Dabei stellt sich heraus, dass die Bevölkerung im Alltag eine Doppeltechnik entwickelte, bei der sie vordergründig der staatlichen Vorgabe entsprach, um gleichzeitig die sozialistischen Elemente des von der SED betriebenen Heimatkonstrukts auszublenden. Die Bürger nutzen somit erfolgreich den von der Partei vorgegebenen Rahmen für ihre eigentlichen kulturellen Interessen und konnten auf diese Weise, zum Beispiel durch Stadt- oder Landschaftsverschönerung, ihren Lebensstandard erhöhen. Dagegen erreichte die SED ihr Ziel, jene angestrebte Identität zwischen Staat und Bürger, nicht. Daher - so das überzeugende Resümee - kollabierte 1989 die konstruierte Identität ebenso wie der Sozialismus selbst. Was blieb, war eine weiterhin heimatbezogene Bedeutung von Gemeinschaft und Identität, die eine gemeinsame Plattform des Verstehens zwischen Ost- und Westdeutschen darstellte.
Die bemerkenswerte Studie vertieft das Verständnis des Machterhalts im DDR-Staat und belegt, dass nicht nur der Analyse formalpolitischer Mechanismen, sondern auch der kulturellen Geschichte Erklärungskraft innewohnt. Nicht zuletzt aufgrund des umfassenden Zeitraums - von 1945 bis 1990 - wird die Studie sicher fruchtbaren Boden für weitere Arbeiten bieten. Das Buch ist zudem höchst anschaulich geschrieben.
MARIANNE KNEUER
Jan Palmowski: Inventing a Socialist Nation. Heimat and the Politics of Everyday Life in the GDR, 1945-1990. Cambridge University Press, Cambridge 2009. 342 S., 71,99 [Euro].
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Review of the hardback: 'East Germany's selective use of homeland culture in its reconstruction is illuminating.' Gareth Dale, The Times Higher Education Supplement