Die Erzählerin verliebt sich "kraft der Blicke" in eine zehn Jahre ältere Ärztin und stürzt sich drei Monate lang in das Abenteuer einer nicht zu erfüllenden Liebe.
Die drei Teile des Romans schildern die kampfartige Liebesgeschichte und den voraussehbaren Bruch mit der Geliebten, den selbstquälerischen Versuch seiner Verarbeitung und erst zum Schluß die inzestuösen Momente der Vorgeschichte der Protagonistin. Zusammen verdichten die Teile sich zu einer literarischen Spurensuche nach dem, was sich nicht erzählen läßt: den Gründen und Abgründen dieser unmöglichen Liebe.
All das findet Ausdruck in Angots atemloser, pulsierender Erzählweise, deren Rhythmus das Ringen nach Worten im Moment des Schreibens widerspiegelt. Faszinierend und eindringlich zugleich ist es die emotionale wie sprachliche Kraft, die den Roman so beeindruckend macht. Mit radikaler Offenheit, die auch vor ihrem direkten Umfeld keinen Halt macht, läßt die Autorin biographische Fakten mit ihrer Fiktion eins werden.
Die drei Teile des Romans schildern die kampfartige Liebesgeschichte und den voraussehbaren Bruch mit der Geliebten, den selbstquälerischen Versuch seiner Verarbeitung und erst zum Schluß die inzestuösen Momente der Vorgeschichte der Protagonistin. Zusammen verdichten die Teile sich zu einer literarischen Spurensuche nach dem, was sich nicht erzählen läßt: den Gründen und Abgründen dieser unmöglichen Liebe.
All das findet Ausdruck in Angots atemloser, pulsierender Erzählweise, deren Rhythmus das Ringen nach Worten im Moment des Schreibens widerspiegelt. Faszinierend und eindringlich zugleich ist es die emotionale wie sprachliche Kraft, die den Roman so beeindruckend macht. Mit radikaler Offenheit, die auch vor ihrem direkten Umfeld keinen Halt macht, läßt die Autorin biographische Fakten mit ihrer Fiktion eins werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2002Der Antigone-Komplex
Illusionslos: Christine Angot schreibt über Inzest und die Folgen
Christine Angot hat ein Jugendtrauma zum Roman gemacht. In "Inzest" erzählt die Französin vom Alltag einer Schriftstellerin ihres Namens, die eine homoerotische Beziehung eingeht. Das lesbische Verhältnis sprengt den Kokon der Normalität und bringt Verdrängtes zu Bewußtsein. Die Protagonistin setzt sich nicht nur mit den aktuellen Widerständen und Neigungen gegenüber dem eigenen Geschlecht auseinander, sondern auch mit dem ihr einst widerfahrenen väterlichen Inzest. Zusätzliche Brisanz erhält der Knoten von Tabuthemen durch Angots Einbeziehung ihrer Tochter und die ungehemmte Reflexion auf sexuelle Komponenten mütterlicher Liebe. Die Erzählerin ist Opfer und Täter zugleich, sie bewegt sich mit einer geradezu hysterischen Direktheit auf den Demarkationslinien des Denkbaren, klagt an und entschuldigt, sammelt vor allem emotionale Fakten. Man könnte ihre Innenschau als eine Spätform der Empfindsamkeit bezeichnen, eine Selbstprüfung, die immer wieder ins Politische umschlägt und die Gesellschaft vor allem da zur Verantwortung zieht, wo sie den Blick abwenden möchte.
Empörung löste in Frankreich nicht nur die plastische Beschreibung der "Liebesspiele" aus, in denen der Vater Christine instruierte. Als unverzeihlich wurde die autobiographische Beibehaltung der Namen empfunden, die Auslieferung von Tochter, Vater und Geliebter an das von Talk-Shows entfachte Publikum. Dabei ist Angots Buch alles andere als eine Skandalerzählung. Die Autorin kennt sich in der Psychoanalyse ebenso aus wie in neueren, dekonstruktiven Sprachtheorien. Die öffentliche Beichte ist zugleich ein detektivisches Unternehmen. Angot geht den Spuren des Inzests in Versprechern und Fehlhandlungen nach und läßt ihrer panischen Befindlichkeit in einer gehetzten, von erratischen Satzzeichen durchschossenen Rede freien Lauf: "Anfangs war ich unbefriedigt. Und dann. War ich es nicht mehr. Ich war es mehr und mehr nicht mehr. Bis auf eine Sache (ich komme später darauf zurück), die ich nie mit Lust getan habe." Der Roman überträgt das Inzest-Prinzip der Grenzschleifung auf die Literatur. Seitenweise fehlt jede Interpunktion, dann wieder jagen sich die Zäsuren, arretieren den Ausdruck mitten in der Formulierung, lassen Gedanken untertauchen, sich übereinanderschieben, "meinen üblichen Brei", nennt das Angot, "meine typische inzestuöse Vermengung".
Die Protagonistin wurde von ihrem Vater nicht vergewaltigt, sondern verführt. Er mißbrauchte die schwärmerische Neugier des vierzehnjährigen Scheidungskindes, das seinem Erzeuger nie begegnet war, und ging die Verbindung wie eine gewöhnliche Affäre an. Das Ergebnis ist ein vergewaltigtes Bewußtsein: "Verschmelzung von Persönlichkeit, Verbindung, Vermengung, das ist meine mentale Struktur." Angots Roman ist ein Rundumschlag, der sich wie Laokoon in den Banden der Sittlichkeit windet. Zu den Peinlichkeiten des Buches gehört auch das ungalante Urteil über Unzulänglichkeiten der Geliebten. In einer Art von kindischem Loyalitätstest spielt die Erzählerin nicht etwa die Intensität der Gefühle gegen ihre Freundin aus, sondern - pervers genug - das, was Flaubert "idées reçus", vorgefaßte Meinungen nannte. Indem "man das Klonen von Menschen untersagt", heißt es zum Beispiel, "verpflichtet man zur Fortpflanzung, und das ist gut". Die intendierte Gemeinheit, die in solchen Sätzen steckt, vergleicht die Autorin mit dem unbarmherzigen Laufwerk einer Maschine, "einer Verbalmaschine, einer Maschinerie, äußerst effektiv, äußerst destruktiv, äußerst hinterhältig, äußerst sadistisch vor allem".
Angot vergleicht den inzestuösen Seelenzustand mit einem "Haus ohne Wände", in dem nichts verborgen bleibt: "Mein Vater leidet an Alzheimer, wie sein Vater auch. Ich leide an der entgegengesetzten Krankheit." Und doch sind die fehlenden Scheidewände geradezu die Bedingung für das Eingeschlossensein, funktioniert Öffentlichkeit doch nur, solange sie dem anderen Raum läßt, ihn nicht mit Projektionen überwältigt. "Er hat mich nicht anerkannt", sagt Angot über ihren Vater. Der Respekt, an dem er es fehlen ließ, erzeugt paradoxerweise eine Großmannssucht, die gegen alle Distanzierungsversuche der Geliebten Sturm läuft. Gab es noch Zweifel, ob sich dem Ödipus- ein Antigone-Komplex zur Seite stellen läßt, so räumt Angot diese Vorbehalte aus. Nicht zufällig ist die griechische Königstochter für sie eine zentrale Identifikationsfigur. Der Inzest enthält der Tochter die Erfahrung von den Grenzen des Begehrens vor. Ein Hauptthema des Buches sind die zermürbenden, endlos wiederholten Telefonate, mit denen sie ihre Freundin terrorisiert; "geistige Folter" nennt das Angot.
Zum pathologischen Narzißmus der Autorin gehört der vehemente Wunsch, nicht von ein, zwei Menschen, sondern von der ganzen Welt geliebt zu werden. In ihrem nächsten Buch, das - mit Anspielung auf den Antigone-Stoff - "Quitter la ville", "Die Stadt verlassen" heißt, hat Angot sich mit der Rezeption von "Inzest" auseinandergesetzt. Nichts ist ihr, wie sie freimütig zugibt, so wichtig wie die Verkaufszahlen ihres Bestsellers, die sie wie Liebesbeweise feiert. Bei nachlassendem Kaufinteresse stürzt sie in eine Depression, und der Haß gegen den Vater kehrt sich der Öffentlichkeit zu. Von ihr verlangt Angot, was jener nicht geleistet hat, Zuneigung bei gleichzeitigem Respekt, Souveränität und Empathie. Bitter verwünscht sie ihre überforderten Leser, besonders, wenn sie ihnen persönlich begegnet, gar Rede und Antwort stehen soll.
Zum geschlossenen System des Wahns, das "Inzest" und das Folgebuch präsentieren, gehört auch die quälende Selbstzerfleischung. Die Aggression gegenüber der Freundin erklärt Angot masochistisch über die Identifikation mit dem Objekt. Unterscheidungsschwäche bei gleichzeitiger mentaler Hyperaktivität scheint das Hauptresultat des inzestuösen Einschnitts. Der Kopf kommt nicht zur Ruhe in seinem Versuch, das Geschehene zu begreifen. Was dem "Roman" seine ungewöhnliche Schärfe gibt, ist das Bewußtsein, untröstlich und weitgehend ohne Sympathie zu sein. Der Inzest, sagt die Autorin, das sind die anderen. Das literarische Begräbnis des Vaters, der kurz nach der Veröffentlichung des Skandalbuchs tatsächlich starb, unternimmt den Versuch, dem Inzest in der Kultur einen Platz einzuräumen. Doch Angot präsentiert ihn nicht als eine wie auch immer problematische Form, sondern als ein offenes, weiter wucherndes Geschwür, vor dem nur die Verdrängung rettet. Die Leser haben den Inzest nicht mitvollzogen, sondern ihn als skurriles Phänomen isoliert und begafft. Gerade dadurch jedoch fühlt Angot sich mißbraucht und unverstanden. "Inzest" nimmt deren Reaktion schon vorweg, verteilt die Rollen. Angots herbe Wehklage zeigt, daß es keinen Ausweg aus den Strukturen ihres beschädigten Ich-Bewußtseins gibt. Es müßte sich einer anderen Autorität anvertrauen, doch das Vermögen dazu hat deren Urbild, der Vater, ein für allemal demoliert. Die Bitterkeit des explosiven Buches liegt darin, daß es sich in dieser Hinsicht keine Illusionen macht.
INGEBORG HARMS
Christine Angot: "Inzest". Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Colette Demoncy. Tropen Verlag, Köln 2001. 186 S., geb., 16,80.
Christine Angot: "Die Stadt verlassen". Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Tropen Verlag, Köln 2002. 184 S., geb., 17,80.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Illusionslos: Christine Angot schreibt über Inzest und die Folgen
Christine Angot hat ein Jugendtrauma zum Roman gemacht. In "Inzest" erzählt die Französin vom Alltag einer Schriftstellerin ihres Namens, die eine homoerotische Beziehung eingeht. Das lesbische Verhältnis sprengt den Kokon der Normalität und bringt Verdrängtes zu Bewußtsein. Die Protagonistin setzt sich nicht nur mit den aktuellen Widerständen und Neigungen gegenüber dem eigenen Geschlecht auseinander, sondern auch mit dem ihr einst widerfahrenen väterlichen Inzest. Zusätzliche Brisanz erhält der Knoten von Tabuthemen durch Angots Einbeziehung ihrer Tochter und die ungehemmte Reflexion auf sexuelle Komponenten mütterlicher Liebe. Die Erzählerin ist Opfer und Täter zugleich, sie bewegt sich mit einer geradezu hysterischen Direktheit auf den Demarkationslinien des Denkbaren, klagt an und entschuldigt, sammelt vor allem emotionale Fakten. Man könnte ihre Innenschau als eine Spätform der Empfindsamkeit bezeichnen, eine Selbstprüfung, die immer wieder ins Politische umschlägt und die Gesellschaft vor allem da zur Verantwortung zieht, wo sie den Blick abwenden möchte.
Empörung löste in Frankreich nicht nur die plastische Beschreibung der "Liebesspiele" aus, in denen der Vater Christine instruierte. Als unverzeihlich wurde die autobiographische Beibehaltung der Namen empfunden, die Auslieferung von Tochter, Vater und Geliebter an das von Talk-Shows entfachte Publikum. Dabei ist Angots Buch alles andere als eine Skandalerzählung. Die Autorin kennt sich in der Psychoanalyse ebenso aus wie in neueren, dekonstruktiven Sprachtheorien. Die öffentliche Beichte ist zugleich ein detektivisches Unternehmen. Angot geht den Spuren des Inzests in Versprechern und Fehlhandlungen nach und läßt ihrer panischen Befindlichkeit in einer gehetzten, von erratischen Satzzeichen durchschossenen Rede freien Lauf: "Anfangs war ich unbefriedigt. Und dann. War ich es nicht mehr. Ich war es mehr und mehr nicht mehr. Bis auf eine Sache (ich komme später darauf zurück), die ich nie mit Lust getan habe." Der Roman überträgt das Inzest-Prinzip der Grenzschleifung auf die Literatur. Seitenweise fehlt jede Interpunktion, dann wieder jagen sich die Zäsuren, arretieren den Ausdruck mitten in der Formulierung, lassen Gedanken untertauchen, sich übereinanderschieben, "meinen üblichen Brei", nennt das Angot, "meine typische inzestuöse Vermengung".
Die Protagonistin wurde von ihrem Vater nicht vergewaltigt, sondern verführt. Er mißbrauchte die schwärmerische Neugier des vierzehnjährigen Scheidungskindes, das seinem Erzeuger nie begegnet war, und ging die Verbindung wie eine gewöhnliche Affäre an. Das Ergebnis ist ein vergewaltigtes Bewußtsein: "Verschmelzung von Persönlichkeit, Verbindung, Vermengung, das ist meine mentale Struktur." Angots Roman ist ein Rundumschlag, der sich wie Laokoon in den Banden der Sittlichkeit windet. Zu den Peinlichkeiten des Buches gehört auch das ungalante Urteil über Unzulänglichkeiten der Geliebten. In einer Art von kindischem Loyalitätstest spielt die Erzählerin nicht etwa die Intensität der Gefühle gegen ihre Freundin aus, sondern - pervers genug - das, was Flaubert "idées reçus", vorgefaßte Meinungen nannte. Indem "man das Klonen von Menschen untersagt", heißt es zum Beispiel, "verpflichtet man zur Fortpflanzung, und das ist gut". Die intendierte Gemeinheit, die in solchen Sätzen steckt, vergleicht die Autorin mit dem unbarmherzigen Laufwerk einer Maschine, "einer Verbalmaschine, einer Maschinerie, äußerst effektiv, äußerst destruktiv, äußerst hinterhältig, äußerst sadistisch vor allem".
Angot vergleicht den inzestuösen Seelenzustand mit einem "Haus ohne Wände", in dem nichts verborgen bleibt: "Mein Vater leidet an Alzheimer, wie sein Vater auch. Ich leide an der entgegengesetzten Krankheit." Und doch sind die fehlenden Scheidewände geradezu die Bedingung für das Eingeschlossensein, funktioniert Öffentlichkeit doch nur, solange sie dem anderen Raum läßt, ihn nicht mit Projektionen überwältigt. "Er hat mich nicht anerkannt", sagt Angot über ihren Vater. Der Respekt, an dem er es fehlen ließ, erzeugt paradoxerweise eine Großmannssucht, die gegen alle Distanzierungsversuche der Geliebten Sturm läuft. Gab es noch Zweifel, ob sich dem Ödipus- ein Antigone-Komplex zur Seite stellen läßt, so räumt Angot diese Vorbehalte aus. Nicht zufällig ist die griechische Königstochter für sie eine zentrale Identifikationsfigur. Der Inzest enthält der Tochter die Erfahrung von den Grenzen des Begehrens vor. Ein Hauptthema des Buches sind die zermürbenden, endlos wiederholten Telefonate, mit denen sie ihre Freundin terrorisiert; "geistige Folter" nennt das Angot.
Zum pathologischen Narzißmus der Autorin gehört der vehemente Wunsch, nicht von ein, zwei Menschen, sondern von der ganzen Welt geliebt zu werden. In ihrem nächsten Buch, das - mit Anspielung auf den Antigone-Stoff - "Quitter la ville", "Die Stadt verlassen" heißt, hat Angot sich mit der Rezeption von "Inzest" auseinandergesetzt. Nichts ist ihr, wie sie freimütig zugibt, so wichtig wie die Verkaufszahlen ihres Bestsellers, die sie wie Liebesbeweise feiert. Bei nachlassendem Kaufinteresse stürzt sie in eine Depression, und der Haß gegen den Vater kehrt sich der Öffentlichkeit zu. Von ihr verlangt Angot, was jener nicht geleistet hat, Zuneigung bei gleichzeitigem Respekt, Souveränität und Empathie. Bitter verwünscht sie ihre überforderten Leser, besonders, wenn sie ihnen persönlich begegnet, gar Rede und Antwort stehen soll.
Zum geschlossenen System des Wahns, das "Inzest" und das Folgebuch präsentieren, gehört auch die quälende Selbstzerfleischung. Die Aggression gegenüber der Freundin erklärt Angot masochistisch über die Identifikation mit dem Objekt. Unterscheidungsschwäche bei gleichzeitiger mentaler Hyperaktivität scheint das Hauptresultat des inzestuösen Einschnitts. Der Kopf kommt nicht zur Ruhe in seinem Versuch, das Geschehene zu begreifen. Was dem "Roman" seine ungewöhnliche Schärfe gibt, ist das Bewußtsein, untröstlich und weitgehend ohne Sympathie zu sein. Der Inzest, sagt die Autorin, das sind die anderen. Das literarische Begräbnis des Vaters, der kurz nach der Veröffentlichung des Skandalbuchs tatsächlich starb, unternimmt den Versuch, dem Inzest in der Kultur einen Platz einzuräumen. Doch Angot präsentiert ihn nicht als eine wie auch immer problematische Form, sondern als ein offenes, weiter wucherndes Geschwür, vor dem nur die Verdrängung rettet. Die Leser haben den Inzest nicht mitvollzogen, sondern ihn als skurriles Phänomen isoliert und begafft. Gerade dadurch jedoch fühlt Angot sich mißbraucht und unverstanden. "Inzest" nimmt deren Reaktion schon vorweg, verteilt die Rollen. Angots herbe Wehklage zeigt, daß es keinen Ausweg aus den Strukturen ihres beschädigten Ich-Bewußtseins gibt. Es müßte sich einer anderen Autorität anvertrauen, doch das Vermögen dazu hat deren Urbild, der Vater, ein für allemal demoliert. Die Bitterkeit des explosiven Buches liegt darin, daß es sich in dieser Hinsicht keine Illusionen macht.
INGEBORG HARMS
Christine Angot: "Inzest". Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Colette Demoncy. Tropen Verlag, Köln 2001. 186 S., geb., 16,80
Christine Angot: "Die Stadt verlassen". Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska. Tropen Verlag, Köln 2002. 184 S., geb., 17,80
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einer großen Besprechung setzt sich Thomas Laux mit mehreren Büchern französischer Autorinnen auseinander, die in oft drastischer Weise von der eigenen, weiblichen Sexualität handeln. Es handelt sich hierbei um die Romane "Wölfe fangen" und "Pauline und Claudine" von Virginie Despentes, um Catherine Breillats "Ein Mädchen" und um Christine Angots "Inzest". Zwar stellt er resümierend fest, dass der "literarische Zugewinn" bei all diesen Büchern (vielleicht mit der Ausnahme Breillats) bescheiden ausfalle, doch zeigt schon der Umfang seiner Besprechung, dass ihn die Bücher trotz alledem interessiert haben.
1) Catherine Breillat: "Ein Mädchen"
Breillat, so ruft Laux in Erinnerung, erregte vor zwei Jahren mit ihrem Film "Romance" großes Aufsehen in Frankreich. Ihr Roman "Ein Mädchen" datiert bereits von 1973 und schildert mit einer offensichtlich bis an die Ekelgrenze gehenden Konkretheit die sexuellen Entdeckungen eines pubertierenden Mädchens. Laux gefällt dabei aber die unverstellte Neugierde des jungen Mädchens, die sich im Roman widerzuspiegeln scheint: Auch wenn sich die Perspektive der erwachsenen Erzählerin manchmal in die Sprache der Jugendlichen einzuschleichen scheint, gelingt es Breillat nach Laux doch, "Sexualität als etwas Sinnliches, Erstes oder Neues" erfahrbar zu machen.
2) Virginie Despentes: "Wölfe fangen"
Auch hier steht ein Film im Hintergrund, denn "Wölfe fangen" ist das Buch zu Despentes' in Frankreich auf den Index gesetztem Film "Baise-moi". Laux schildert das Buch (wie den Film) als eine Umdrehung der üblichen Gewaltperspektiven. Hier sind es die Frauen, die ihre Sexualität mit Gewalt verbinden, so dass sich das Buch für Laux wie eine Art Rache an männlicher Pornografie liest: "Mit gleicher Münze wird heimgezahlt."
3) Virginie Despentes: "Pauline und Claudine"
Der zweite Roman Despentes', der von zwei Zwillingsschwestern handelt, stößt eher auf Laux' Gegenliebe, auch wenn er ihm nur einen Absatz widmet. Reine Sexszenen seien relativ selten, um so mehr fällt ihm die Bemühung um Authentizität durch den Jugendslang des Stils auf: Geschildert werde hier eher eine psychologische als eine körperliche Nacktheit.
4) Christine Angot: "Inzest"
Glaubt man Laux, so handelt es sich hier eher um einen Selbsttherapieversuch durch einen Roman als um Literatur im eigentlichen Sinne. Gespiegelt werden die lesbische Episode der Erzählerin mit ihrer Ärztin, in der der Sex zum Heilungsversuch für ein Trauma wird - denn im Hintergrund steht, dass die Erzählerin in ihrer Kindheit von ihrem Vater vergewaltigt wurde. Der Wunsch nach Heilung wird hier nach Laux in "atemlos vorgetragenen Staccato-Sätzen vorgetragen". Was man allerdings nicht erwarten könne - und dies scheint für alle hier besprochenen Romane zu gelten - sei Erotik.
© Perlentaucher Medien GmbH
1) Catherine Breillat: "Ein Mädchen"
Breillat, so ruft Laux in Erinnerung, erregte vor zwei Jahren mit ihrem Film "Romance" großes Aufsehen in Frankreich. Ihr Roman "Ein Mädchen" datiert bereits von 1973 und schildert mit einer offensichtlich bis an die Ekelgrenze gehenden Konkretheit die sexuellen Entdeckungen eines pubertierenden Mädchens. Laux gefällt dabei aber die unverstellte Neugierde des jungen Mädchens, die sich im Roman widerzuspiegeln scheint: Auch wenn sich die Perspektive der erwachsenen Erzählerin manchmal in die Sprache der Jugendlichen einzuschleichen scheint, gelingt es Breillat nach Laux doch, "Sexualität als etwas Sinnliches, Erstes oder Neues" erfahrbar zu machen.
2) Virginie Despentes: "Wölfe fangen"
Auch hier steht ein Film im Hintergrund, denn "Wölfe fangen" ist das Buch zu Despentes' in Frankreich auf den Index gesetztem Film "Baise-moi". Laux schildert das Buch (wie den Film) als eine Umdrehung der üblichen Gewaltperspektiven. Hier sind es die Frauen, die ihre Sexualität mit Gewalt verbinden, so dass sich das Buch für Laux wie eine Art Rache an männlicher Pornografie liest: "Mit gleicher Münze wird heimgezahlt."
3) Virginie Despentes: "Pauline und Claudine"
Der zweite Roman Despentes', der von zwei Zwillingsschwestern handelt, stößt eher auf Laux' Gegenliebe, auch wenn er ihm nur einen Absatz widmet. Reine Sexszenen seien relativ selten, um so mehr fällt ihm die Bemühung um Authentizität durch den Jugendslang des Stils auf: Geschildert werde hier eher eine psychologische als eine körperliche Nacktheit.
4) Christine Angot: "Inzest"
Glaubt man Laux, so handelt es sich hier eher um einen Selbsttherapieversuch durch einen Roman als um Literatur im eigentlichen Sinne. Gespiegelt werden die lesbische Episode der Erzählerin mit ihrer Ärztin, in der der Sex zum Heilungsversuch für ein Trauma wird - denn im Hintergrund steht, dass die Erzählerin in ihrer Kindheit von ihrem Vater vergewaltigt wurde. Der Wunsch nach Heilung wird hier nach Laux in "atemlos vorgetragenen Staccato-Sätzen vorgetragen". Was man allerdings nicht erwarten könne - und dies scheint für alle hier besprochenen Romane zu gelten - sei Erotik.
© Perlentaucher Medien GmbH
"In Angots Arbeit, dieser Kraft und Gewalt, steckt die Idee von Literatur als Mittel, allem Gemeinschaftlichen und allen Bindungen zu entfliehen, um sich in seiner Singularität zu denken und zu schreiben. Christine Angot steht erst am Beginn eines Werkes, aber sie hat auf radikale Weise ihre Stimme gefunden." (Le Monde)
"Ein Charakterzug, eine Kratzspur, eine Handschrift. Kurz das, was man vor nicht allzulanger Zeit eine ecriture nannte. Das ist selten, wissen Sie." (Le Figaro)
"Christine Angot bringt alles durcheinander, erlaubt sich alles, hält sich dabei aber immer strikt an die Grenzen der Literatur. Sie weiß wovon sie spricht, wenn sie zeigt, daß im Gegensatz zu dem, was im Leben geschieht, Verbote für den Schriftsteller nicht existieren oder nur da sind, um übertreten zu werden." (Liberation)
"Die Sätze der Schriftstellerin krümmen sich zusammen in dem Maße, wie sie ihr körperliches Unwohlsein zum Ausdruck bringt." (L'Express)
"Inzest rüttelt an vorgefaßten Ideen und an derMor alität. Ist es Provokation? Die Autorin wehrt sich dagegen und die Worte machen ihr keine Angst. Ein weiblicher Louis-Ferdinand Celine?" (Officiel)
"Angot ist brutal und subversiv, eine Unerbittliche, die Erlösung in der Literatur findet. Unerträglich und faszinierend zugleich, versteht sie es, die Sätze zum Äußersten zu treiben. Immer anspuchsvoll, manchmal schmerzlich." (Virgin Megapresse)
"Ein Buch, so geschrieben, wie es sich liest: Außer Atem." (La Nouvelle Republique)
"Ein Kondensat von Literatur a la Angot: Der Rhythmus im Vordergrund, die Gefährdung des Ich, eine radikal zeitgenössische Auffassung vom Schreiben. Ganz sicher der Roman des Jahres." (Max)
"Ein Charakterzug, eine Kratzspur, eine Handschrift. Kurz das, was man vor nicht allzulanger Zeit eine ecriture nannte. Das ist selten, wissen Sie." (Le Figaro)
"Christine Angot bringt alles durcheinander, erlaubt sich alles, hält sich dabei aber immer strikt an die Grenzen der Literatur. Sie weiß wovon sie spricht, wenn sie zeigt, daß im Gegensatz zu dem, was im Leben geschieht, Verbote für den Schriftsteller nicht existieren oder nur da sind, um übertreten zu werden." (Liberation)
"Die Sätze der Schriftstellerin krümmen sich zusammen in dem Maße, wie sie ihr körperliches Unwohlsein zum Ausdruck bringt." (L'Express)
"Inzest rüttelt an vorgefaßten Ideen und an derMor alität. Ist es Provokation? Die Autorin wehrt sich dagegen und die Worte machen ihr keine Angst. Ein weiblicher Louis-Ferdinand Celine?" (Officiel)
"Angot ist brutal und subversiv, eine Unerbittliche, die Erlösung in der Literatur findet. Unerträglich und faszinierend zugleich, versteht sie es, die Sätze zum Äußersten zu treiben. Immer anspuchsvoll, manchmal schmerzlich." (Virgin Megapresse)
"Ein Buch, so geschrieben, wie es sich liest: Außer Atem." (La Nouvelle Republique)
"Ein Kondensat von Literatur a la Angot: Der Rhythmus im Vordergrund, die Gefährdung des Ich, eine radikal zeitgenössische Auffassung vom Schreiben. Ganz sicher der Roman des Jahres." (Max)