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Iran hat 1979 als erstes Land der islamischen Welt das Experiment des Islamismus unternommen. Heute trägt Iran, in mancher Hinsicht stellvertretend für viele Länder des Nahen und Mittleren Ostens, das für lange Zeit vielleicht letzte große Gefecht aus, um den Irrtum des 20. Jahrhunderts zu korrigieren: den Glauben an das Heil, das aus der politischen Heilslehre erwächst. Dieser Kampf war längst im Gange, bevor der Reformprozess mit der Wahl Mohammad Chatamis zum Staatspräsidenten im Jahr 1997 die politische Oberfläche erreichte. Künstler, Intellektuelle und auch reformwillige Geistliche tragen…mehr

Produktbeschreibung
Iran hat 1979 als erstes Land der islamischen Welt das Experiment des Islamismus unternommen. Heute trägt Iran, in mancher Hinsicht stellvertretend für viele Länder des Nahen und Mittleren Ostens, das für lange Zeit vielleicht letzte große Gefecht aus, um den Irrtum des 20. Jahrhunderts zu korrigieren: den Glauben an das Heil, das aus der politischen Heilslehre erwächst.
Dieser Kampf war längst im Gange, bevor der Reformprozess mit der Wahl Mohammad Chatamis zum Staatspräsidenten im Jahr 1997 die politische Oberfläche erreichte. Künstler, Intellektuelle und auch reformwillige Geistliche tragen zur Formierung einer kritischen Öffentlichkeit und zum fundamentalen Wandel religiöser und moralischer Vorstellungen bei. Kermani stellt die Kontrahenten und Fraktionen vor, die die politische Bühne beherrschen, und erklärt gleichzeitig, warum die Hoffnung auf grundlegende Veränderungen sich weniger auf einzelne Reformpolitiker, als auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung richten sol lte. Eindringlich beschreibt er aber auch, mit welcher Brutalität sich die beharrenden Kräfte gegen den Wandel wehren und wie sie die Anwendung von Gewalt religiös rechtfertigen.
Autorenporträt
Navid Kermani, geboren 1967, promovierter Islamwissenschaftler und Publizist, gilt als führender Iran-Experte in Deutschland und hat zwischen 1995 und 2000 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung in Iran verfolgt. Für das Studienjahr 2000/2001 ist er an das Wissenschaftskolleg in Berlin berufen worden. 2010 wurde Navid Kermani mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille 2011" ausgezeichnet und 2011 erhielt er den "Hannah-Arendt-Preis" für seine "lagerüberwindenden, religionswissenschaftlichen und politischen Analysen". Im Jahr 2012 wurde er für seine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Religionen sowie den von ihm betriebenen Dialog der Kulturen mit dem "Kölner Kulturpreis" ausgezeichnet, im Oktober erhielt er den "Cicero Rednerpreis" für "herausragende rhetorische Leistungen". Im November desselben Jahres wurde ihm der "Kleist-Preis" verliehen. 2014 erhielt er den "Joseph-Breitbach-Preis" für sein Gesamtwerk, 2015 wurde ihm der "Friedenspreis des Deutschen Buchhand

els" verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2001

Der Revolution entgegen rennen
Die Orthodoxen im Iran sind an der Macht, aber ihre Kinder rüsten zum Aufstand
Sein letztes Buch „Gott ist schön” handelte von Sprache und Ästhetik des Koran. Für dieses Buch hätte der Autor einen anderen Koranvers als Titel verwenden können: Gott ist mit den Geduldigen. Denn wenn sich die Islamische Republik auch verändert, tiefgreifend und unaufhaltsam, so reift diese Wandlung als Folge der Machtverhältnisse doch nur langsam heran.
Kermani stellt keine pessimistischen Prognosen. Aber es ist bezeichnend, dass er seine Schilderung auf einem Friedhof, mit dem Begräbnis des dissidenten Schriftstellers Huschang Golschiri enden lässt. Falls es ein Fazit gibt, dann hat dies schon Mehdi Basargan gezogen, der erste Ministerpräsident des Revolutionsführers Ayatollah Chomeini. Bevor er 1995 starb, sagte er zu Kermani:„Wer könnte (die Macht) übernehmen? Das ist, was einen so quält. Soll es ein zweites Afghanistan werden?” Um ihr Fortbestehen zu sichern, hätten die Regierenden alles getan, damit es neben ihnen keine Option gibt. „Die Nationalisten mussten gehen, seien sie religiös motiviert oder nicht, die Kommunisten, die Volksmudschaheddin, alle anderen auch, damit am Ende die einzige Lösung darin besteht, dass diese Herrschaften an den Schalthebeln bleiben. Sie haben alle Freiheitsbewegungen im Keim erstickt. Die Zukunftsaussichten sind äußerst beängstigend. ”
Das Interview des 88jährigen Basargan mit Kermani ist eine der vielen Perlen des Buches. Von denen, die über Iran berichten, nehmen die meisten als Ausländer nur einen Teil vom vielfarbigen Spektrum des Lebens in diesem Land wahr. Perser wiederum schreiben über ihre Heimat in aller Regel mit Leidenschaft, Bitterkeit und Poesie, doch nicht immer mit Augenmaß. Und nur selten ist jemand sowohl Analytiker als auch Reporter in einer Person. Dieser Autor aber kann Iran von drinnen und von draussen sehen. Er ist in Deutschland aufgewachsen.
Doch weil er Iraner ist, hat er durch Kenntnis von Sprache, Kultur, Gesellschaft, vor allem durch seine persönlichen Beziehungen zu wichtigen Akteuren einen besonderen Zugang. Als Islam-Wissenschaftler bewegt sich Kermani auf sicherem Boden, wenn er von den religiösen und ideologischen Grundlagen des Systems spricht. Wohl selten ist in deutscher Sprache so eindrucksvoll geschildert worden, wie die hohe schiitische Hierarchie funktioniert, ihre Mentalität, ihr Einfluss auf die gläubigen Anhänger, die finanzielle Basis ihrer Macht, die Subtilität ihrer Rivalitäten – so etwa „die Geschmeidigkeit der Argumentation, der Reichtum an Nuancen sowie ritualisierten Gesten der Höflichkeit, die exakt dosiert, häufig auch ins Ironische gewendet eingesetzt werden, vor allem aber die unglaubliche Fähigkeit zum Konsens”. Nur so ist zu verstehen, weshalb die beiden großen Gegenspieler, der geistliche Führer Chamenei und Präsident Chatami, „eine gemeinsame Ebene des Redens, des Sichverständigens, wahrscheinlich auch des Plauderns und Scherzens haben, obwohl ihr Konflikt zweifellos echt und - denkt man an die Gefährdung, die für Chameneis Position vom Reformprojekt ausgeht, und die Verhaftungen und Anschläge, denen Chatamis Mitstreiter ausgesetzt sind - sogar existentiell ist”.
In der Zeit, in welcher der Autor sein Manuskript abschloss, demonstrierte die orthodoxe Rechte beinahe täglich, mit welcher Zielgenauigkeit sie unter Einhaltung dieses Kodex die Gefolgsleute des Präsidenten zu eliminieren versteht, ihn selber aber ausspart. Die skrupellose Brutalität des Unterdrückungsapparats wird in dem Buch sehr deutlich. Exemplarisch dafür ist die Laufbahn des Geheimdienstagenten Emami, der Schlüsselfigur für die Ausführung von Morden an Dissidenten.
Seine kritische Grundhaltung hindert Kermani nicht daran, zu erkennen, dass der Gottesstaat auch Erfolge hatte. Trotz acht Jahren Krieg mit dem Irak, internationaler Isolierung, Flucht von Kapital und Fachleuten und raschem Bevölkerungswachstum wurde die Infrastruktur auf dem Lande und in den ärmeren Stadtvierteln erheblich verbessert. Teheran wurde sauberer und grüner. Viele einst vernachlässigte Dörfer erhielten Strom, Telefon, Wasser und Strassenanschluss. Mit seiner Hoffnung, dass die Revolution der Kinder langfristig an ihr Ziel gelangen wird, steht Kermani nicht allein. Die Überzeugung, dass die große Zahl der Nachwachsenden zusammen mit der Masse der Unzufriedenen und im Zusammenwirken mit der beinahe geschlossenen Opposition der Intellektuellen gleichsam automatisch einen qualitativen Reform-Sprung bewirken wird, ist in Iran weit verbreitet. Wahrscheinlich trägt diese Variante von Fortschrittsglauben sogar dazu bei, dass Regimegegner bisher vor Gewalt zurückschrecken.
Rennen und Laufen, so eine Beobachtung des Autors, sind ein Leitmotiv im iranischen Film. Die Generation der Orthodoxen ist hingegen alt. Doch ihr Beharrungsvermögen wird unterschätzt. Noch ist ihre Machtbasis weitgehend unerschüttert. Sie kontrollieren weiterhin den Staatsapparat und das Wirtschaftsimperium der religiösen Stiftungen.
RUDOLF CHIMELLI
NAVID KERMANI: Iran, die Revolution der Kinder, C.H. Beck Verlag, München 2001. 264 Seiten, 39,80 Mark.
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