Iran, das sind zwei Welten in einem Land. Während Tugendwächter und islamische Traditionen der Freiheit im öffentlichen Leben enge Grenzen setzen, gehen die Menschen im Privaten einen anderen Weg. Westlicher, offener und freier. Bestseller-Autor Stephan Orth sieht hinter die Kulissen und erzählt in diesem Bildband von Menschen, die davon träumen, ein freies Leben zu führen. Die sensiblen Bilder sprechen eine starke Sprache und zeigen die mutigen, hoffnungsvollen Menschen ganz persönlich. Dieses Buch gibt Einblicke in eine Welt voller Vielfalt und dem Wunsch nach Selbstbestimmtheit.
NEUES REISEBUCH
Für den Tisch "Freiheit im Geheimen", so lautet eine der Überschriften in diesem Buch über Iran, und genau diese Geschichte will es seinen Lesern vermitteln. Es will ein Land, das bei vielen Vorbehalte bis hin zu blanker Angst auslöst, in seiner Schönheit zeigen. Und ein wenig die Gratwanderung unternehmen, Iran vom Ruf der Unfreiheit zu rehabilitieren.
Ersteres gelingt auf jeden Fall. Der Garten am Tschehel-Sotun-Palast in Teheran, die Moschee von Yazd, die Ruinen von Persepolis - das alles möchte man selbstverständlich sofort besuchen. Doch die Ansichten, die zwei Fotografen in dem Band "Iran - Tausend und ein Widerspruch" präsentieren, haben eine Agenda. Sie suchen sehr gezielt nach den Momenten und Orten der versteckten Freiheit. Junge Menschen bahnen von Auto zu Auto Beziehungen an, weil das die Regeln der Geschlechtertrennung formal nicht verletzt. Jedenfalls nicht, solange nur Telefonnummern auf kleinen Zetteln herübergereicht werden. In der Kabine eines Sesselliftes in Rashd umarmen sich ein Mann und eine Frau offenbar unbemerkt, das Foto wurde von hinten geschossen. Was in der urbanen Öffentlichkeit kaum möglich sei, erklärt einer der vielen, sehr kurzen Texte, suchten viele bei Ausflügen in die Natur. Und so geht es weiter. Es werden fensterlose Hinterzimmer von Restaurants gezeigt, in denen Alkohol ausgeschenkt werde. Nächtliche Picknickszenen im Park, versteckt zwischen Bäumen. Wasserpfeifenrunden, bei denen junge Frauen und Männer im Hotelzimmer zusammensitzen. Der Rauch verdeckt die Gesichter.
So arbeitet das Buch engagiert an der Darstellung, dass es den freizügigen, westlichen, modernen Teil der Gesellschaft auch in Iran gibt. Er muss sich, wenn er nicht gerade fotografiert wird, eben nur sehr gut verstecken.
Wenn es das Buch schafft, ein aufregendes Bild Irans zu zeichnen, liegt das einerseits an den oft phantastischen Bildern: Verhüllte Frauen verkaufen Eis auf der Straße, die Männer und Jungs daneben tragen, was sie wollen. Und aus den Gesichtern scheint vieles zu sprechen, von Gleichmut über Resignation bis hin zu Einverständnis und affirmativer Freude, wie etwa bei der Jüngsten aus dem Kreis. Andererseits wirkt dieses Buch mit historischen Fakten und dem Wissen über das soziale Leben enorm kenntnisreich. Wer weiß schon, dass vor Jahrhunderten angelegte Vogelhotels für 4000 Vögel dazu dienten, Kot als Dünger zu sammeln (oder, dass sie heute wie schöne, geheimnisvolle Artefakte aussehen)? Wer ahnt, wie weit die berühmte Gastfreundschaft geht, wenn eine Couchsurfing-Gastgeberin sich bei ihrer Arbeit krankmeldet, nur um den Reportern eine spektakuläre Sandsteinformation in der Kalut-Wüste bei Kerman zu zeigen, obwohl sie selbst diese schon oft gesehen hat?
In einem großen Kapitel über Frauen sieht man eine tanzende Frau im einfachen Kleid in ihrer Wohnung - draußen könnte sich das keine Frau erlauben. Man sieht, wie sich eine Frau schminkt, und erfährt, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Make-up nirgends so hoch sei wie hier. Und man liest von der Frau, die mehrere Tage ins Gefängnis musste, weil sie auf einer Party geraucht hatte. So bleibt ein deprimierendes Bild, auch das erschütternde Kapitel über den Krieg trägt dazu bei - mit Fotos von Gläubigen, die sich stolz an eine alte Kanone stellen. Ein trauriges Bild eines andererseits auch bezaubernd schönen Landes. Beides kann man in diesen Bildern erfahren.
tlin
Mina Esfandiari, Stephan Orth, Samuel Zuder: "Iran. Tausend und ein Widerspruch". National Geographic, 192 Seiten, 40 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Tisch "Freiheit im Geheimen", so lautet eine der Überschriften in diesem Buch über Iran, und genau diese Geschichte will es seinen Lesern vermitteln. Es will ein Land, das bei vielen Vorbehalte bis hin zu blanker Angst auslöst, in seiner Schönheit zeigen. Und ein wenig die Gratwanderung unternehmen, Iran vom Ruf der Unfreiheit zu rehabilitieren.
Ersteres gelingt auf jeden Fall. Der Garten am Tschehel-Sotun-Palast in Teheran, die Moschee von Yazd, die Ruinen von Persepolis - das alles möchte man selbstverständlich sofort besuchen. Doch die Ansichten, die zwei Fotografen in dem Band "Iran - Tausend und ein Widerspruch" präsentieren, haben eine Agenda. Sie suchen sehr gezielt nach den Momenten und Orten der versteckten Freiheit. Junge Menschen bahnen von Auto zu Auto Beziehungen an, weil das die Regeln der Geschlechtertrennung formal nicht verletzt. Jedenfalls nicht, solange nur Telefonnummern auf kleinen Zetteln herübergereicht werden. In der Kabine eines Sesselliftes in Rashd umarmen sich ein Mann und eine Frau offenbar unbemerkt, das Foto wurde von hinten geschossen. Was in der urbanen Öffentlichkeit kaum möglich sei, erklärt einer der vielen, sehr kurzen Texte, suchten viele bei Ausflügen in die Natur. Und so geht es weiter. Es werden fensterlose Hinterzimmer von Restaurants gezeigt, in denen Alkohol ausgeschenkt werde. Nächtliche Picknickszenen im Park, versteckt zwischen Bäumen. Wasserpfeifenrunden, bei denen junge Frauen und Männer im Hotelzimmer zusammensitzen. Der Rauch verdeckt die Gesichter.
So arbeitet das Buch engagiert an der Darstellung, dass es den freizügigen, westlichen, modernen Teil der Gesellschaft auch in Iran gibt. Er muss sich, wenn er nicht gerade fotografiert wird, eben nur sehr gut verstecken.
Wenn es das Buch schafft, ein aufregendes Bild Irans zu zeichnen, liegt das einerseits an den oft phantastischen Bildern: Verhüllte Frauen verkaufen Eis auf der Straße, die Männer und Jungs daneben tragen, was sie wollen. Und aus den Gesichtern scheint vieles zu sprechen, von Gleichmut über Resignation bis hin zu Einverständnis und affirmativer Freude, wie etwa bei der Jüngsten aus dem Kreis. Andererseits wirkt dieses Buch mit historischen Fakten und dem Wissen über das soziale Leben enorm kenntnisreich. Wer weiß schon, dass vor Jahrhunderten angelegte Vogelhotels für 4000 Vögel dazu dienten, Kot als Dünger zu sammeln (oder, dass sie heute wie schöne, geheimnisvolle Artefakte aussehen)? Wer ahnt, wie weit die berühmte Gastfreundschaft geht, wenn eine Couchsurfing-Gastgeberin sich bei ihrer Arbeit krankmeldet, nur um den Reportern eine spektakuläre Sandsteinformation in der Kalut-Wüste bei Kerman zu zeigen, obwohl sie selbst diese schon oft gesehen hat?
In einem großen Kapitel über Frauen sieht man eine tanzende Frau im einfachen Kleid in ihrer Wohnung - draußen könnte sich das keine Frau erlauben. Man sieht, wie sich eine Frau schminkt, und erfährt, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Make-up nirgends so hoch sei wie hier. Und man liest von der Frau, die mehrere Tage ins Gefängnis musste, weil sie auf einer Party geraucht hatte. So bleibt ein deprimierendes Bild, auch das erschütternde Kapitel über den Krieg trägt dazu bei - mit Fotos von Gläubigen, die sich stolz an eine alte Kanone stellen. Ein trauriges Bild eines andererseits auch bezaubernd schönen Landes. Beides kann man in diesen Bildern erfahren.
tlin
Mina Esfandiari, Stephan Orth, Samuel Zuder: "Iran. Tausend und ein Widerspruch". National Geographic, 192 Seiten, 40 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main