Die Griechen zählten die Perser zu den kulturlosen Barbaren - aus reiner Eifersuchtund Konkurrenzgefühlen, denn sie waren ihnen oft unterlegen. Trotzdemprägt diese Klassifizierung unser Geschichtsbild bis heute. Dabei ist derIran ein Weltreich des Geistes von ungeahnter Vielfalt und anhaltender Bedeutung.Schon früh entwickelten sich dort ein ausgeklügeltes Handelssystem, einedifferenzierte Religion und eine reichhaltige Literatur. Gerade die exponiertegeographische Lage zwischen zwei Kontinenten führte historisch zu einemstarken Einfluss auf Europa und Zentralasien.Der Autor unternimmt eine faszinierende Reise durch die Geschichte desunterschätzten Kulturlandes und lässt uns am Aufstieg und Niedergang derDynastien genauso teilhaben wie an den wegweisenden Umwälzungen etwa dergroßen Revolution 1979 unter Khomeini. An vielen Beispielen - wie der Stellungder Frau, der hochentwickelten Medizin und Astronomie, des Seidenhandelsund der Setzung juristischer Begriffe - zeigt er die Vorreiterrolle des Iran.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2012Sie haben die Macht des Lichts mit Füßen getreten
Von Zarathustra zum Atomprogramm: Der englische Historiker Michael Axworthy durchstreift die zweieinhalb unruhigen Jahrtausende des iranischen Geisteskosmos
Seit mehr als dreißig Jahren hat die Islamische Republik Iran selbst viel dazu beigetragen, ein ganz einseitiges Bild Irans zu zeichnen. Sie war angetreten, um die islamischen Traditionen gegen fremde Einflüsse zu verteidigen - und hat gerade deshalb einen großen Teil dieser Traditionen zerstört. Ja, selbst mit der Frömmigkeit hapert es, denn nur 1,4 Prozent der Bevölkerung nehmen regelmäßig am Freitagsgebet teil. Für einen Staat, der sich eine Erneuerung der Gesellschaft aus dem Geist des Schiitentums vorgenommen hatte, ist das beschämend. Ebenso, dass man außerhalb des Landes den Eindruck gewinnt, Iran sei längst zu einer Militärdiktatur verkommen und fröne bloßem Machtstreben in der Region - siehe Atomprogramm.
Michael Axworthys Iran ist hingegen ein geistiger und historischer Kosmos, an dessen Entschlüsselung gerade deutsche Iranisten schon früh maßgeblich mitgewirkt haben, von Georg Friedrich Grotefend (1775 bis 1853), dem Entzifferer der altpersischen Keilschrift, bis zu Walther Hinz. Diese Namen, vor allem der Grotefends, kommen in Axworthys Buch freilich gar nicht vor. Wie man überhaupt bemängeln kann, dass ein einführendes Kapitel über die wissenschaftliche Erschließung Irans fehlt. Was wäre eine Darstellung der ägyptischen Geschichte ohne ein Eingehen auf die Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion?
Ansonsten schildert das Buch mit der vielen englischen Autoren eigenen stilistischen Leichtigkeit gut lesbar zweitausendfünfhundert Jahre iranische Geschichte und Geistesgeschichte. Unser Bild vom antiken Iran wird bis heute von den alten Griechen bestimmt, die mit dem Großreich der Achaimeniden (Dareios, Xerxes) schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Für sie war "der Perser" ein aggressiver Barbar; von dieser aus damaliger Sicht verständlichen Wahrnehmung, die Aischylos mit seinem Drama festigte, sind wir noch immer nicht ganz frei. Der Autor, Professor an der Universität Exeter, zeigt jedoch, dass dieses Achaimenidenreich, etwa unter Kyros, alles andere als kulturlos oder intolerant war - es war nur anders. Neu ist das nicht, aber es muss immer wieder einmal gesagt werden. Schon Alexander der Große wollte dann beide Kultursphären miteinander verschmelzen: Das Resultat war der Hellenismus.
Wie ein roter Faden begleitet der altiranische Religionsstifter Zarathustra, der bei den Griechen Zoroaster hieß, das Buch, eine in vielem noch immer rätselhafte Gestalt. Seine Teilung der Welt in die Macht des Lichtes (Ahura Mazda) und die Sphäre der Lüge und des Trugs (drugvant, Ahriman), der Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis begleitet die menschliche Geschichte bis heute, nicht nur im Orient. Alle Religionen nach Zarathustra sind von diesem Dualismus beeinflusst worden, er prägte die religiös-ethischen Vorstellungen der Arsakiden (Parther) ebenso wie die der Sassaniden, in deren Herrschaftsbereich die Priesterkaste der "mobedan" noch immer Zarathustras Lehren huldigte - bevor der Islam Mitte des siebten Jahrhunderts nach Christus allmählich Iran eroberte. Persisch-dualistisches Gedankengut lässt sich bis hinein in die gnostischen Strömungen der Religionsgeschichte verfolgen, bis zu den Essenern in Qumran, in das Johannes-Evangelium und in die gnostischen Evangelien von Nag Hammadi, ganz zu schweigen von Mani, dessen extremer persischer Dualismus, der "Manichäismus", auch christliche Heterodoxien in Europa wie die Lehre der Katharer in Südfrankreich und der Bogomilen auf dem Balkan beeinflusste. Axworthy schildert darüber hinaus die komplexe Geschichte der vorislamischen Dynastien Persiens, ihre Auseinandersetzung mit Rom und danach mit Byzanz.
Der zweite Teil des Buches ist dem islamischen Iran gewidmet. Nach einem Kapitel über die Entstehung des Islams durch Mohammed und die frühislamische Geschichte erfährt der Leser etwas über die Eroberung Irans durch die muslimischen Heere, die keineswegs dazu führte, dass alle Perser sofort Muslime wurden. Dies war vielmehr ein Prozess, der sich viele Generationen lang hinzog. Und er war verknüpft mit jener erstaunlichen (samanidischen) Renaissance der persischen Sprache und Kultur, die mit der Islamisierung einherging und bis heute tiefe Spuren in vielen islamischen Ländern des Ostens hinterlassen hat. Die Kulturen der Seldschuken, der Osmanen, der Mongolen - soweit sie Muslime wurden -, ja auch der mittelasiatischen Dynastien und der Moghul in Indien sind ohne den Einfluss der persischen Sprache und Dichtung (Saadi, Hafis, Rumi), auch des persischen Sufismus und der persischen Gelehrsamkeit kaum vorstellbar.
Seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts folgt Iran der schiitischen Auslegung des Islam. Nicht ohne Grund. Der Schiismus war fast zu allen Zeiten das Bekenntnis der (wirklich oder vermeintlich) Zukurzgekommenen, der Später-Bekehrten oder der Benachteiligten. Und durch seine Entstehungsgeschichte aus dem grausamen Martyrium des Imams Hussein und seiner "letzten Getreuen" 680 bei Kerbela, welche die Welt abermals in die Kräfte des Guten und des Bösen schied, fand der iranische Dualismus sozusagen eine islamische Heimat; an sich will die koranische Lehre vom Tauhid, der Einheit und Einzigkeit Gottes, den Dualismus überwinden, doch bis heute prägen stark dualistische Elemente die schiitische Kultur Irans, von dem "Lichtmetaphysiker" Suhrawardi bis zu Mir Damad, Molla Sadra und der Schule von Isfahan und der Babi-Bewegung, aus der die - heute in Iran verfolgte - Bahai-Religion entstand.
Axworthy verfolgt das iranische Geistesleben parallel zur politischen Geschichte der Safawiden und Qadscharen, über das turbulente zwanzigste Jahrhundert mit Ajatollah Chomeinis Revolution hinweg bis in die heutige Zeit hinein, da die Islamische Republik vielfach die besten iranischen Traditionen mit Füßen tritt. Iran, so schließt der Autor, habe weit mehr zu bieten als Unterdrückung, Leiden und Unaufrichtigkeit. Einen geistigen Kosmos eben.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Michael Axworthy: "Iran". Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute.
Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 347 S., geb., 24, 90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von Zarathustra zum Atomprogramm: Der englische Historiker Michael Axworthy durchstreift die zweieinhalb unruhigen Jahrtausende des iranischen Geisteskosmos
Seit mehr als dreißig Jahren hat die Islamische Republik Iran selbst viel dazu beigetragen, ein ganz einseitiges Bild Irans zu zeichnen. Sie war angetreten, um die islamischen Traditionen gegen fremde Einflüsse zu verteidigen - und hat gerade deshalb einen großen Teil dieser Traditionen zerstört. Ja, selbst mit der Frömmigkeit hapert es, denn nur 1,4 Prozent der Bevölkerung nehmen regelmäßig am Freitagsgebet teil. Für einen Staat, der sich eine Erneuerung der Gesellschaft aus dem Geist des Schiitentums vorgenommen hatte, ist das beschämend. Ebenso, dass man außerhalb des Landes den Eindruck gewinnt, Iran sei längst zu einer Militärdiktatur verkommen und fröne bloßem Machtstreben in der Region - siehe Atomprogramm.
Michael Axworthys Iran ist hingegen ein geistiger und historischer Kosmos, an dessen Entschlüsselung gerade deutsche Iranisten schon früh maßgeblich mitgewirkt haben, von Georg Friedrich Grotefend (1775 bis 1853), dem Entzifferer der altpersischen Keilschrift, bis zu Walther Hinz. Diese Namen, vor allem der Grotefends, kommen in Axworthys Buch freilich gar nicht vor. Wie man überhaupt bemängeln kann, dass ein einführendes Kapitel über die wissenschaftliche Erschließung Irans fehlt. Was wäre eine Darstellung der ägyptischen Geschichte ohne ein Eingehen auf die Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion?
Ansonsten schildert das Buch mit der vielen englischen Autoren eigenen stilistischen Leichtigkeit gut lesbar zweitausendfünfhundert Jahre iranische Geschichte und Geistesgeschichte. Unser Bild vom antiken Iran wird bis heute von den alten Griechen bestimmt, die mit dem Großreich der Achaimeniden (Dareios, Xerxes) schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Für sie war "der Perser" ein aggressiver Barbar; von dieser aus damaliger Sicht verständlichen Wahrnehmung, die Aischylos mit seinem Drama festigte, sind wir noch immer nicht ganz frei. Der Autor, Professor an der Universität Exeter, zeigt jedoch, dass dieses Achaimenidenreich, etwa unter Kyros, alles andere als kulturlos oder intolerant war - es war nur anders. Neu ist das nicht, aber es muss immer wieder einmal gesagt werden. Schon Alexander der Große wollte dann beide Kultursphären miteinander verschmelzen: Das Resultat war der Hellenismus.
Wie ein roter Faden begleitet der altiranische Religionsstifter Zarathustra, der bei den Griechen Zoroaster hieß, das Buch, eine in vielem noch immer rätselhafte Gestalt. Seine Teilung der Welt in die Macht des Lichtes (Ahura Mazda) und die Sphäre der Lüge und des Trugs (drugvant, Ahriman), der Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis begleitet die menschliche Geschichte bis heute, nicht nur im Orient. Alle Religionen nach Zarathustra sind von diesem Dualismus beeinflusst worden, er prägte die religiös-ethischen Vorstellungen der Arsakiden (Parther) ebenso wie die der Sassaniden, in deren Herrschaftsbereich die Priesterkaste der "mobedan" noch immer Zarathustras Lehren huldigte - bevor der Islam Mitte des siebten Jahrhunderts nach Christus allmählich Iran eroberte. Persisch-dualistisches Gedankengut lässt sich bis hinein in die gnostischen Strömungen der Religionsgeschichte verfolgen, bis zu den Essenern in Qumran, in das Johannes-Evangelium und in die gnostischen Evangelien von Nag Hammadi, ganz zu schweigen von Mani, dessen extremer persischer Dualismus, der "Manichäismus", auch christliche Heterodoxien in Europa wie die Lehre der Katharer in Südfrankreich und der Bogomilen auf dem Balkan beeinflusste. Axworthy schildert darüber hinaus die komplexe Geschichte der vorislamischen Dynastien Persiens, ihre Auseinandersetzung mit Rom und danach mit Byzanz.
Der zweite Teil des Buches ist dem islamischen Iran gewidmet. Nach einem Kapitel über die Entstehung des Islams durch Mohammed und die frühislamische Geschichte erfährt der Leser etwas über die Eroberung Irans durch die muslimischen Heere, die keineswegs dazu führte, dass alle Perser sofort Muslime wurden. Dies war vielmehr ein Prozess, der sich viele Generationen lang hinzog. Und er war verknüpft mit jener erstaunlichen (samanidischen) Renaissance der persischen Sprache und Kultur, die mit der Islamisierung einherging und bis heute tiefe Spuren in vielen islamischen Ländern des Ostens hinterlassen hat. Die Kulturen der Seldschuken, der Osmanen, der Mongolen - soweit sie Muslime wurden -, ja auch der mittelasiatischen Dynastien und der Moghul in Indien sind ohne den Einfluss der persischen Sprache und Dichtung (Saadi, Hafis, Rumi), auch des persischen Sufismus und der persischen Gelehrsamkeit kaum vorstellbar.
Seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts folgt Iran der schiitischen Auslegung des Islam. Nicht ohne Grund. Der Schiismus war fast zu allen Zeiten das Bekenntnis der (wirklich oder vermeintlich) Zukurzgekommenen, der Später-Bekehrten oder der Benachteiligten. Und durch seine Entstehungsgeschichte aus dem grausamen Martyrium des Imams Hussein und seiner "letzten Getreuen" 680 bei Kerbela, welche die Welt abermals in die Kräfte des Guten und des Bösen schied, fand der iranische Dualismus sozusagen eine islamische Heimat; an sich will die koranische Lehre vom Tauhid, der Einheit und Einzigkeit Gottes, den Dualismus überwinden, doch bis heute prägen stark dualistische Elemente die schiitische Kultur Irans, von dem "Lichtmetaphysiker" Suhrawardi bis zu Mir Damad, Molla Sadra und der Schule von Isfahan und der Babi-Bewegung, aus der die - heute in Iran verfolgte - Bahai-Religion entstand.
Axworthy verfolgt das iranische Geistesleben parallel zur politischen Geschichte der Safawiden und Qadscharen, über das turbulente zwanzigste Jahrhundert mit Ajatollah Chomeinis Revolution hinweg bis in die heutige Zeit hinein, da die Islamische Republik vielfach die besten iranischen Traditionen mit Füßen tritt. Iran, so schließt der Autor, habe weit mehr zu bieten als Unterdrückung, Leiden und Unaufrichtigkeit. Einen geistigen Kosmos eben.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Michael Axworthy: "Iran". Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute.
Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011. 347 S., geb., 24, 90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Stefanie Peter stellt gleich zwei Bücher vor, die ihr den Iran als einst große Kulturnation nahe brachten. Der langjährige Diplomat Michael Axworthy rekapituliert auf 350 Seiten die 3000-jährige Kulturgeschichte des Iran, und die Rezensentin hat dabei eine Menge gelernt. Axworthy beginnt mit Zarathustra im 6. Jahrhundert, beschreibt die islamische Eroberung und kommt schließlich zu der Moderne. Sehr interessant findet Peter, wie Axworthy das gespaltene Verhältnis der iranischen Intellektuellen zum Westen beleuchtet, und mag als einzigen Punkt bemängeln, dass der Autor der iranischen Filmtradition zu wenig Platz einräumt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Es gibt in Deutschland keine richtige Vorstellung von Persien. Das Land ist nach wie vor eine Blackbox. Dieses Nichtwissen müssen wir beenden.« Alexander Kluge im Februar 2011