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Im Zentrum des Mittelalterbildes der Romantik steht die Vorstellung, dass alles Denken der Menschen auf das Leben im Jenseits gerichtet gewesen sei. Doch sie wussten sehr wohl zwischen dem irdischen und dem Himmlischen Jerusalem zu unterscheiden. Im Unterschied zum apokalyptischen Saeculum des Spätmittelalters und der Reformation motivierte die Menschen im »Zeitalter des Glaubens« jedoch eher eine Kontinuität zwischen dem irdischen und dem künftigen Reich denn eine Umkehr.In der genauen Beobachtung der Medien und der sozialen Stellung der Adressaten wird deutlich, dass das Weltbild der…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum des Mittelalterbildes der Romantik steht die Vorstellung, dass alles Denken der Menschen auf das Leben im Jenseits gerichtet gewesen sei. Doch sie wussten sehr wohl zwischen dem irdischen und dem Himmlischen Jerusalem zu unterscheiden. Im Unterschied zum apokalyptischen Saeculum des Spätmittelalters und der Reformation motivierte die Menschen im »Zeitalter des Glaubens« jedoch eher eine Kontinuität zwischen dem irdischen und dem künftigen Reich denn eine Umkehr.In der genauen Beobachtung der Medien und der sozialen Stellung der Adressaten wird deutlich, dass das Weltbild der Apokalypse durch die Schrift und die theologische Arbeit der Kommentare zwar weitergetragen, in der Pragmatik der Rituale - in den Osterspielen, bei Bestattungen, auf den Kreuzzügen - aber präsentisch ausgelegt wird: eine unapokalyptische Lesart der Apokalypse.Christoph Auffarth nimmt als Historiker und Religionswissenschaftler die Problemstellung der Mentalitätsgeschichte auf, weitet sie aber - inbewusster Anknüpfung an die großen Entwürfe um 1900 - zu einer Kulturwissenschaft aus. Mit diesen Untersuchungen liegt nicht weniger als ein Modell für das Programm einer Europäischen Religionsgeschichte vor.
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Autorenporträt
Christoph Auffarth (1951) ist Professor emeritus der Religionswissenschaft, zuletzt an der Universität Bremen. Seine Forschungsgebiete sind die Religionen der Antike samt ihrem altorientalischen Hintergrund (Diss. zur Odyssee 1991; Habil. zur Polis-Religion 1995; Orientalische Religionen 2007. 2008. 2022; Mysterienkulte 2013; Christentum als antike Religion), die Europäische Religionsgeschichte (Kreuzzüge Diss. 1996, mittealterliche "Ketzer" 2005, ³2016, Städtereformation 2020, Religion des Dritten Reiches 2015, 2022) und Wissenschaftsgeschichte. Mitherausgeber der Lexika Metzler Lexikon Religion 4 Bände 1999-2002; engl. 2006; Wörterbuch der Religionen 2006. Herausgeber der Zeitschrift für Religionswissenschaft 2000-2008.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2002

Wenn's ums Ende geht, sind sich Christen und Muslime nicht nur übers Fegefeuer einig: Märtyrer gelangen direkt ins Paradies

Tod, Gericht, Himmel, Hölle - so faßte man früher "die vier letzten Dinge" zusammen, und die Theologie nennt dieses Thema Eschatologie. An der Art, wie das Christentum jedenfalls bis vor kurzem darüber dachte, hat das Mittelalter wesentlichen Anteil gehabt (unsere Abbildung einer Buchmalerei zeigt Dante und Beatrice im "Paradiso" vor dem Licht Gottes). Die Entwicklung der christlichen Lehre im hohen Mittelalter wird dabei oft auch vom Islam geteilt, so etwa die Lehre vom Zwischenzustand. Und viele Anschauungen, die den Zeitgenossen heute muslimisch zu sein scheinen, sind in Wahrheit seinerzeit Gemeingut von Christen und Muslimen gewesen, wie etwa, daß Märtyrer direkt nach dem Tod ins Paradies gelangen. Wobei beide Traditionen sehr genau zwischen Märtyrern (Opfern) und Mördern (Tätern) unterschieden haben. Ein im elften und zwölften Jahrhundert besonders ausgeformtes Thema betrifft die individuelle Eschatologie, also das Ergehen jedes einzelnen nach seinem Tod, und zwar vor dem Weltende und dem Weltgericht. Dabei sprach man öfter als früher vom Fegefeuer - besonders zur Zeit der Kreuzzüge, eine Epoche intensivster Begegnungen und Konfrontation der Kulturen. So ist das, was man vom Paradies dachte, wesentlich durch die islamische Architektur des umfriedeten Gartens bestimmt. Originell und interessant sind an diesem vor Material förmlich platzenden Buch des Religionswissenschaftlers Christoph Auffarth vor allem zwei Dinge. Einmal die Beobachtung, welch große Rolle die jüdischen makkabäischen Märtyrer des vorchristlichen zweiten Jahrhunderts und die ihnen gewidmeten Makkabäerbücher (1 bis 4) zur Zeit der Kreuzzüge spielten. Denn hier fand das hohe Mittelalter, was man im Neuen Testament vermißte: Krieg aus religiösen Gründen und recht genaue Angaben über das, was Märtyrer nach ihrem Tod zu erwarten hatten, nämlich totale Rückerstattung ihres Lebens aus Gottes Hand, und zwar vielleicht schon nach den Makkabäerbüchern direkt im Anschluß an den Tod. Zur Zeit der Kreuzzüge wurden diese Märtyrer vor allem deshalb hoch geschätzt, weil Antiochien, ihr Sterbeort, nun wieder eine große Rolle spielte. Instruktiv ist sicher auch Auffarths letztes Kapitel, nämlich die Bewertung der mittelalterlichen Eschatologie durch das neunzehnte Jahrhundert, speziell in Deutschland, inklusive weitreichender Folgen. Hier gab es ein Gemenge verschiedenster, aus heutiger Sicht von Anfang an verkorkster Ideologien. Zwar wurde das Wort "Zukunft" im Deutschen einstmals wesentlich durch den Pietismus geprägt - im Sinne der Wiederkunft Christi -, aber derartiges galt nur bis zu dem berühmten Satz Ernst Troeltschs auf dem Eisenacher Theologenkongreß von 1896: "Meine Herren, es wackelt alles!" Denn in demselben Augenblick, in dem das deutsche Kaiserreich Abschied nahm von christlicher Eschatologie, die als nicht mehr zumutbar erschien und einen aufgeklärten Protestantismus zur "Zukunftsreligion" erklärte, kehrte die "Zukunft" in säkularisierter und peinlicher Form zurück als protestantische, katholische und später nationalsozialistische Reichseschatologie. An theologischem Fachwissen hapert es in diesem Buch öfter einmal. Der Satz, "die" Eschatologie des Mittelalters sehe nicht den Weltuntergang vor, ist schlicht falsch. Kaum richtig ist sicher auch Auffarths Idee, das Mittelalter habe im wesentlichen nur präsentische Eschatologie gekannt. Theologen meinen damit die absolute Vollendung schon in der Gegenwart nach dem Motto "Weltende und -gericht liegen schon ganz hinter uns". Darum aber konnte es im Mittelalter nicht gehen. Auch das strengste Kloster war nie das endgültige Paradies oder das endgültige himmlische Jerusalem, und das war ganz klar; die Ausdrücke sind bildhaft realsymbolisch zu verstehen. Vieles, was Auffarth mit dem zwölften Jahrhundert verbindet, gibt es schon in der Alten Kirche, besonders in deren Märtyrertheologie, aber auch in der altkirchlichen Apokalyptik. Die Reichseschatologie beruht nicht erst auf Sibyllen, sondern auf älterem Chiliasmus. Und daß Bernhard von Clairvaux eine himmlische Braut ersehnt, mit der er - unerotisch - das Lager teilen will, bezeichnen alle Fachkenner als Unsinn. Vielmehr ist bei Bernhard und in der gesamten bekannten Zisterziensermystik stets Gott oder Christus der Bräutigam, der Mensch oder seine Seele die Braut. Dem Leser wird eine total ideologisierte Welt vorgeführt. Moderne Ideologien sind vielleicht weniger naiv - bedrohlich und gewalttätig sind sie allemal. Außerdem aber waren die alten Programme fromm, was insofern gut war, als man damit nicht nur leben, sondern auch sterben konnte. Genau das zeigt dieses Buch.

KLAUS BERGER.

Christoph Auffarth: "Irdische Wege und himmlischer Lohn". Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002. 320 S., geb., 36,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Buch des Religionswissenschaftlers Christoph Auffarth zeigt, wie nahe sich die Vorstellungen der christlichen und der muslimischen Religion von den "letzten Dingen" im Mittelalter standen. "Originell" in diesem - "vor Material förmlich platzenden" Buch - findet der Rezensent Klaus Berger den Hinweis auf die wichtige Rolle des Makkabäerbuchs für die christliche Märtyrervorstellung zur Zeit der Kreuzzüge; spannend erscheint Berger auch das letzte Kapitel, das sich mit der Bewertung der mittelalterlichen Eschatologie im 19. Jahrhundert beschäftigt. Einwände gibt es freilich auch, sie betreffen das "theologische Fachwissen", an dem es dem Autor, bemängelt der Rezensent, ein ums andere Mal zu fehlen scheint.

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