'Die britische Starlektorin Diana Athill erzählt vom Altwerden, von berühmten Autoren und leidenschaftlichen Affären - erfrischend und mit viel Esprit. Diana Athill ist 92 und die Grande Dame der britischen Verlagsbranche. In ihrem Buch denkt sie über die Bedeutung langjähriger Freundschaften nach, setzt sich mit Religion auseinander und spricht über Liebe und Sex im Alter. Das alles tut sie mit großer Offenheit und Ehrlichkeit, viel britischem Humor und erstaunlich unsentimental. Sie erzählt auch, warum alltägliche Dinge für sie einen ganz neuen Wert erlangt haben, und schaut mit klarem Blick zurück auf ein bewegtes Leben, in dem sie zahlreiche berühmte Schriftsteller kennengelernt hat - wie Norman Mailer, John Updike, Jean Rhys, Philip Roth oder V. S. Naipaul.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010Mit neunundachtzig auf der Überholspur
Ein ganzes Liebesleben lang im Dienst der englischen Literatur: Diana Athill hat eine faszinierende Biographie. Bloß erzählt sie wenig davon.
Von Felicitas von Lovenberg
Ein Buch wie dieses wäre unter ihrer eigenen Ägide im Verlagswesen niemals erschienen, hätte doch ein Essay über Alter und Tod in der Nachkriegszeit keine Leser gefunden. Das hat sich mit der alternden Gesellschaft geändert. Aber wer sich von "Irgendwo ein Ende - Vom guten Leben im Alter" eine philosophische Auseinandersetzung, einen zum Ratgeber taugenden versöhnlichen Lebensrückblick verspricht, gar eine englische Antwort auf Silvia Bovenschens Wunderwerk "Älter werden", liegt daneben.
Diana Athill, geboren 1917, seit 1993 im sogenannten Ruhestand und im vergangenen Jahr für ihre Verdienste von der Königin in den Order of the British Empire erhoben, als die große alte Dame, ja Doyenne der britischen Literatur zu bezeichnen, könnte leicht einen falschen Eindruck erwecken. Denn diese Frau ist alles mögliche, nur keine gesetzte Großmutter, die bei Nachmittagstee und Plätzchen ihre bewegte Vergangenheit mit mildem Amüsement Revue passieren lässt. Nein, wenn Diana Athill, die am 21. Dezember ihren dreiundneunzigsten Geburtstag feiert, ihr Leben ins Visier nimmt, ähnelt sie, wie ein Gast einmal treffend bemerkte, vielmehr einer hungrigen Katze, die frustriert den leeren Vogelkäfig anstarrt.
Zu den Paradiesvögeln, die sie über fünf Jahrzehnte hinweg im renommierten Literaturverlag André Deutsch bewachte (hüten wäre eine zu harmlose Beschreibung), gehörten Schriftsteller wie John Updike, Philip Roth, Norman Mailer, Mordecai Richler, Jean Rhys, Brian Moore und V. S. Naipaul. Für den legendär schwierigen Umgang mit letzterem mag sie die Bekanntschaft mit Elias Canetti zu Beginn ihrer Karriere gestählt haben, der seine Werke erst nach langer Weigerung in Großbritannien veröffentlichen ließ und dann darauf bestand, dass sie der amerikanischen Ausgabe "bis zum letzten Komma folgten". Diana Athill blieb als Lektorin nichts weiter zu tun, als die Bücher zu lesen - "doch das reichte, um mich auf die Palme zu bringen: was für eine schreckliche Wichtigtuerei!"
Diana Athill ist keineswegs ungnädig, sondern lediglich unwirsch. Nachdem sie ihr halbes Leben lang anderen beim Schreiben geholfen hat, ist sie selbst in den letzten Jahren zu einer gefeierten Autorin geworden. In dem Bemühen, die vergangene Zeit aufzuholen, verströmen ihre Schriften eine Art majestätischer Ungeduld, die ohne Umschweife und höchst autoritativ zum Punkt kommt und dabei alles wegwedelt, was nach Bedenkenträgerei, Angepasstheit oder gar, pfui Deifi, Konventionalität aussieht. Im Englischen besitzt die Unverblümtheit, mit der sie zu Werk geht, durchaus Geist, Humor und Tiefe: Für "Somewhere Towards the End", das von der englischen Kritik hochgelobte sechste Buch aus ihrem Leben, gewann Athill 2008 den angesehenen Costa-Preis in der Kategorie Biographie und begeisterte ein breites Publikum. Aber jetzt, da das Werk unter dem weichgespülten und überdies irreführenden Titel "Irgendwo ein Ende. Vom guten Leben im Alter" in deutscher Übersetzung vorliegt, ist man fassungslos über die Geschmacklosigkeiten und Banalitäten, die hier apodiktisch aneinandergereiht werden.
Es fängt damit an, dass die Autorin, eine begeisterte Hobbygärtnerin, für achtzehn Pfund bei einem Pflanzenversand einen Baumfarn ordert und völlig entgeistert ist, als sie statt des erwarteten stattlichen Farns zum Schnäppchenpreis, der in einem gewaltigen Paket und per Spezialtransport geliefert wird, einen winzigen Blumentopf auspackt, aus dem "vier zarte Blättchen sprießen": "Ich werde ihn, solange ich kann, im Topf pflegen und hoffe noch zu erleben, dass er groß genug wird, um ausgepflanzt zu werden."
Aber die Pflege eines Gartens, dessen Gedeihen sie womöglich nicht mehr erleben wird, befriedigt Athill verständlicherweise nicht, und so beackert sie lieber die Vergangenheit. Dabei folgt sie der unausgesprochenen Maxime: Was einen nicht umbringt, darüber muss man schreiben. So schildert Athill Alter und Siechtum der Mutter, die sie aufopfernd pflegt, bis sie darüber selbst fast zusammenbricht; einen Autounfall, den sie mit neunundachtzig auf der Überholspur baut, der ihr aber die Freude am Fahren nicht verderben kann; und schließlich bekennt sie, dass sie, nach kurzem Kummer über eine Fehlgeburt, im Grunde froh war, nie Mutter geworden zu sein - eine Regung übrigens, in der sich ihr "zentraler Egoismus" am deutlichsten zeige. Nicht zum ersten Mal kommt Athill auf die großen Lieben ihres Lebens zu sprechen, von Paul, in den sie sich mit fünfzehn verliebte und der wenige Jahre später das Verlöbnis brach, um eine andere zu heiraten (eine Enttäuschung, die sie in dem 1963 erschienenen Band "Instead of a Letter" verarbeitete), über den jamaikanischen Theaterautor Barry Reckord, ihr Gefährte über vierzig Jahre (einschließlich einer mehrjährigen Menage à trois mit seiner Geliebten) und den alkohol- und spielsüchtigen Ägypter Didi, der sich in ihrer Wohnung das Leben nahm (worüber sie 1986 in "After a Funeral" schrieb), bis hin zu Sam, ihrem letzten Liebhaber. Dieser trat gewissermaßen in letzter Sekunde in ihr Leben, als "ich gerade erst zu dem Schluss gekommen war, dass meine sexuell aktive Zeit vorbei war". Sieben angenehme Jahre folgen: "Uns verbanden schmerzende Füße, was beinah genauso wichtig war wie die Freude am Sex, denn wenn man das Alter so nach und nach spürt, ist es tröstlich, mit einem Menschen in der gleichen Lage zusammen zu sein."
Auch wenn man die Ehrlichkeit, die hier so plakativ ausgestellt wird, nicht unbedingt bewundern mag, respektieren muss man sie. Woran es Diana Athills Schreiben in seiner stilistischen und gedanklichen Schnörkellosigkeit fehlt, ist ausgerechnet das, was ihre Arbeit als Lektorin einst so erfüllend machte und was diese Beichte in Literatur verwandelt hätte: imaginative Energie. Diana Athill ist so auf "Wahrhaftigkeit" erpicht, dass sie in ihrem Rundumschlag den Leser völlig vergisst. Sie verspüre "nicht mehr das Bedürfnis, über menschliche Beziehungen nachzudenken", bemerkt sie etwa angesichts des Umstands, dass Romane sie nicht mehr interessieren. "Das Alter hat mich mäkelig gemacht wie jemanden, dessen Appetit abgenommen hat, so dass man ihn nur noch mit raren Delikatessen locken kann." Jegliches Bedauern gelebten Lebens scheint ihr fremd. Stattdessen verrät gerade die Art, wie sie mit sich selbst ins Gericht geht und immer wieder auf ihre zentralen Eigenschaften, "jenes Stückchen Kälte im Mittelpunkt und Trägheit", zu sprechen kommt, eine Selbstgefälligkeit, die mehr als distanziertes Interesse an ihrer Lebensgeschichte nicht zulässt.
Als Kind, so Athill, habe man ihr folgende Grundsätze eingebleut: "Man durfte kein Feigling sein, nicht lügen und vor allem nicht eitel und prahlerisch sein." An die beiden ersten Regeln hat Diana Athill sich mustergültig gehalten.
Diana Athill: "Irgendwo ein Ende". Vom guten Leben im Alter. Aus dem Englischen von Reinhild Bönke. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 219 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein ganzes Liebesleben lang im Dienst der englischen Literatur: Diana Athill hat eine faszinierende Biographie. Bloß erzählt sie wenig davon.
Von Felicitas von Lovenberg
Ein Buch wie dieses wäre unter ihrer eigenen Ägide im Verlagswesen niemals erschienen, hätte doch ein Essay über Alter und Tod in der Nachkriegszeit keine Leser gefunden. Das hat sich mit der alternden Gesellschaft geändert. Aber wer sich von "Irgendwo ein Ende - Vom guten Leben im Alter" eine philosophische Auseinandersetzung, einen zum Ratgeber taugenden versöhnlichen Lebensrückblick verspricht, gar eine englische Antwort auf Silvia Bovenschens Wunderwerk "Älter werden", liegt daneben.
Diana Athill, geboren 1917, seit 1993 im sogenannten Ruhestand und im vergangenen Jahr für ihre Verdienste von der Königin in den Order of the British Empire erhoben, als die große alte Dame, ja Doyenne der britischen Literatur zu bezeichnen, könnte leicht einen falschen Eindruck erwecken. Denn diese Frau ist alles mögliche, nur keine gesetzte Großmutter, die bei Nachmittagstee und Plätzchen ihre bewegte Vergangenheit mit mildem Amüsement Revue passieren lässt. Nein, wenn Diana Athill, die am 21. Dezember ihren dreiundneunzigsten Geburtstag feiert, ihr Leben ins Visier nimmt, ähnelt sie, wie ein Gast einmal treffend bemerkte, vielmehr einer hungrigen Katze, die frustriert den leeren Vogelkäfig anstarrt.
Zu den Paradiesvögeln, die sie über fünf Jahrzehnte hinweg im renommierten Literaturverlag André Deutsch bewachte (hüten wäre eine zu harmlose Beschreibung), gehörten Schriftsteller wie John Updike, Philip Roth, Norman Mailer, Mordecai Richler, Jean Rhys, Brian Moore und V. S. Naipaul. Für den legendär schwierigen Umgang mit letzterem mag sie die Bekanntschaft mit Elias Canetti zu Beginn ihrer Karriere gestählt haben, der seine Werke erst nach langer Weigerung in Großbritannien veröffentlichen ließ und dann darauf bestand, dass sie der amerikanischen Ausgabe "bis zum letzten Komma folgten". Diana Athill blieb als Lektorin nichts weiter zu tun, als die Bücher zu lesen - "doch das reichte, um mich auf die Palme zu bringen: was für eine schreckliche Wichtigtuerei!"
Diana Athill ist keineswegs ungnädig, sondern lediglich unwirsch. Nachdem sie ihr halbes Leben lang anderen beim Schreiben geholfen hat, ist sie selbst in den letzten Jahren zu einer gefeierten Autorin geworden. In dem Bemühen, die vergangene Zeit aufzuholen, verströmen ihre Schriften eine Art majestätischer Ungeduld, die ohne Umschweife und höchst autoritativ zum Punkt kommt und dabei alles wegwedelt, was nach Bedenkenträgerei, Angepasstheit oder gar, pfui Deifi, Konventionalität aussieht. Im Englischen besitzt die Unverblümtheit, mit der sie zu Werk geht, durchaus Geist, Humor und Tiefe: Für "Somewhere Towards the End", das von der englischen Kritik hochgelobte sechste Buch aus ihrem Leben, gewann Athill 2008 den angesehenen Costa-Preis in der Kategorie Biographie und begeisterte ein breites Publikum. Aber jetzt, da das Werk unter dem weichgespülten und überdies irreführenden Titel "Irgendwo ein Ende. Vom guten Leben im Alter" in deutscher Übersetzung vorliegt, ist man fassungslos über die Geschmacklosigkeiten und Banalitäten, die hier apodiktisch aneinandergereiht werden.
Es fängt damit an, dass die Autorin, eine begeisterte Hobbygärtnerin, für achtzehn Pfund bei einem Pflanzenversand einen Baumfarn ordert und völlig entgeistert ist, als sie statt des erwarteten stattlichen Farns zum Schnäppchenpreis, der in einem gewaltigen Paket und per Spezialtransport geliefert wird, einen winzigen Blumentopf auspackt, aus dem "vier zarte Blättchen sprießen": "Ich werde ihn, solange ich kann, im Topf pflegen und hoffe noch zu erleben, dass er groß genug wird, um ausgepflanzt zu werden."
Aber die Pflege eines Gartens, dessen Gedeihen sie womöglich nicht mehr erleben wird, befriedigt Athill verständlicherweise nicht, und so beackert sie lieber die Vergangenheit. Dabei folgt sie der unausgesprochenen Maxime: Was einen nicht umbringt, darüber muss man schreiben. So schildert Athill Alter und Siechtum der Mutter, die sie aufopfernd pflegt, bis sie darüber selbst fast zusammenbricht; einen Autounfall, den sie mit neunundachtzig auf der Überholspur baut, der ihr aber die Freude am Fahren nicht verderben kann; und schließlich bekennt sie, dass sie, nach kurzem Kummer über eine Fehlgeburt, im Grunde froh war, nie Mutter geworden zu sein - eine Regung übrigens, in der sich ihr "zentraler Egoismus" am deutlichsten zeige. Nicht zum ersten Mal kommt Athill auf die großen Lieben ihres Lebens zu sprechen, von Paul, in den sie sich mit fünfzehn verliebte und der wenige Jahre später das Verlöbnis brach, um eine andere zu heiraten (eine Enttäuschung, die sie in dem 1963 erschienenen Band "Instead of a Letter" verarbeitete), über den jamaikanischen Theaterautor Barry Reckord, ihr Gefährte über vierzig Jahre (einschließlich einer mehrjährigen Menage à trois mit seiner Geliebten) und den alkohol- und spielsüchtigen Ägypter Didi, der sich in ihrer Wohnung das Leben nahm (worüber sie 1986 in "After a Funeral" schrieb), bis hin zu Sam, ihrem letzten Liebhaber. Dieser trat gewissermaßen in letzter Sekunde in ihr Leben, als "ich gerade erst zu dem Schluss gekommen war, dass meine sexuell aktive Zeit vorbei war". Sieben angenehme Jahre folgen: "Uns verbanden schmerzende Füße, was beinah genauso wichtig war wie die Freude am Sex, denn wenn man das Alter so nach und nach spürt, ist es tröstlich, mit einem Menschen in der gleichen Lage zusammen zu sein."
Auch wenn man die Ehrlichkeit, die hier so plakativ ausgestellt wird, nicht unbedingt bewundern mag, respektieren muss man sie. Woran es Diana Athills Schreiben in seiner stilistischen und gedanklichen Schnörkellosigkeit fehlt, ist ausgerechnet das, was ihre Arbeit als Lektorin einst so erfüllend machte und was diese Beichte in Literatur verwandelt hätte: imaginative Energie. Diana Athill ist so auf "Wahrhaftigkeit" erpicht, dass sie in ihrem Rundumschlag den Leser völlig vergisst. Sie verspüre "nicht mehr das Bedürfnis, über menschliche Beziehungen nachzudenken", bemerkt sie etwa angesichts des Umstands, dass Romane sie nicht mehr interessieren. "Das Alter hat mich mäkelig gemacht wie jemanden, dessen Appetit abgenommen hat, so dass man ihn nur noch mit raren Delikatessen locken kann." Jegliches Bedauern gelebten Lebens scheint ihr fremd. Stattdessen verrät gerade die Art, wie sie mit sich selbst ins Gericht geht und immer wieder auf ihre zentralen Eigenschaften, "jenes Stückchen Kälte im Mittelpunkt und Trägheit", zu sprechen kommt, eine Selbstgefälligkeit, die mehr als distanziertes Interesse an ihrer Lebensgeschichte nicht zulässt.
Als Kind, so Athill, habe man ihr folgende Grundsätze eingebleut: "Man durfte kein Feigling sein, nicht lügen und vor allem nicht eitel und prahlerisch sein." An die beiden ersten Regeln hat Diana Athill sich mustergültig gehalten.
Diana Athill: "Irgendwo ein Ende". Vom guten Leben im Alter. Aus dem Englischen von Reinhild Bönke. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 219 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies ist kein Ratgeber für Rentner!, warnt uns Felicitas von Lovenberg. Und wenn doch, dann nur in ungewollter Hinsicht. Insofern höchstens, als die 92-jährige ehemalige Lektorin von John Updike und Philip Roth, die sich Lovenberg um nichts in der Welt als gütiges Großmütterchen vorstellen kann, in ihren jetzt auf Deutsch vorliegenden Erinnerungen ganz und gar zweifellos und selbstgefällig auftritt, dass es die Rezensentin geradezu abstößt: So also soll man es nicht machen. Liegt es nun an der Übersetzung oder ist sie wirklich so unwirsch und autoritär und unbelehrbar unkonventionell? Lovenberg jedenfalls kann die "Geschmacklosigkeiten und Banalitäten", die sie da lesen muss, kaum glauben. Stilistische und gedankliche Geradlinigkeit in allen Ehren, findet sie, aber etwas Vorstellungskraft wäre fein gewesen - auch in einem autobiografischen Buch wie diesem.
© Perlentaucher Medien GmbH
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