Süddeutsche ZeitungSherpas in Oxford
Unscharf: Peter J. Conradis Biografie über Iris Murdoch
Der Satz des griechischen Weisen, keines Menschen Leben sei glücklich zu nennen, bevor es nicht an sein Ende gekommen ist, scheint in der Geschichte der Iris Murdoch eine augenfällige Bestätigung zu finden. Schon kurz nach ihrem Tod 1999 wurde ein Film über ihr Schicksal gedreht, der – nach flüchtigen Blicken auf ihr Leben – in Wahrheit ein Film über ihr Sterben war. Die erfolgreiche Romanautorin und Philosophin litt an der Alzheimerkrankheit. Der Film, ein Kunstwerk von hohen Graden, ist in seinen ergreifendsten Passagen ein Bericht über den Verlauf dieser Krankheit. Er wirkt vielleicht auch deshalb so erschütternd, weil er, wie die ältesten Tragödien, mit einer extrem großen Fallhöhe der Titelheldin operiert.
Peter J. Conradis Biografie, im englischen Original 2001 erschienen, vermeidet solchen Effekt. Iris Murdochs überreiches Leben wird mit erschöpfender Ausführlichkeit vorgestellt: Die Kindheit in einer glücklichen Mittelklassefamilie, Liebe, Fürsorge, Umsicht und Zärtlichkeit in allem, was das heranwachsende Mädchen auf seinem Weg in die Welt begleitet. Ein Stipendium ermöglicht das Studium in Oxford. Freundinnen und Lehrerinnen sind wichtig.
Jetzt kommen die Eigenheiten, die im weiteren Leben der Heldin für eine Fülle verwirrender Konstellationen verantwortlich sein werden. Iris, die auch bei dem deutsch-jüdischen, emigrierten Altphilologen Eduard Fränkel studiert – trotz dessen Neigung, Studentinnen zu betatschen, was warnend und zugleich beruhigend kolportiert wird – entwickelt eine Vorliebe für die Themen kontinentaler Gelehrsamkeit. Und: Sie überlässt sich ihrer Begabung, sich oft zu verlieben, und dies auch versuchsweise und ohne sich Grenzen zu setzen. Sie hat Verhältnisse mit strahlenden Vertretern der nachrückenden englischen Elite sowie mit wunderlichen jungen Akademikern, aber auch mit älteren Geistesheroen wie dem Althistoriker Arnoldo Momigliano oder dem Dichter Elias Canetti, mit diesem das in jeder Hinsicht intensivste.
Schließlich heiratete sie einen durchschnittlichen Literaturkritiker, und das war richtig. John Bayley lebte mit ihr, die eine wohlhabende Frau wird, stets in mählich verwahrlosenden Wohnungen; er blieb bei ihr fast bis zu ihrem Tod und schrieb ein Buch darüber. Conradis Buch liest sich wie eine gigantische, überall wohlgeordnete Stoffsammlung für einen Roman, den Murdoch hätte schreiben können. Aber trotz langer, die Bücher im Blick auf die Autorin referierender Passagen entsteht kein klares Bild der Murdoch als Schriftstellerin. Weil ihre Romane das für einen anspruchsvollen Leser nicht hergeben?
Noch krasser tritt diese Unschärfe in Conradis Umgang mit der Philosophie Murdochs hervor. Gewiss, mit ihren Schwerpunkten – Kierkegaard, Heidegger, Sartre – war sie im Oxford der Analytiker und Sprachphilosophen eine Außenseiterin. Aber die Biografie tut so, als sei das, was diese Philosophin beschäftigte, wenig anderes als die Gedanken in den Gute-Nacht- Geschichten indischer Sherpas. Allerdings gilt das auch umgekehrt: So wenig man sich an den Herdfeuern in der Himalaya-Region dafür interessieren mag, was in Oxford über die eigenen Gute-Nacht-Geschichten gedacht wird, so wenig interessierte man sich an den großen Universitäten des Kontinents dafür, was diese Frau in Oxford über Platon, die Ontologie, den Existentialismus dachte. Oder schrieb.
Ihr Biograf scheint diese Sicht zu teilen. Seine Erzählung häuft Indizien für Oberflächlichkeit an. Nun, Iris Murdoch wurde nie als britische Simone de Beauvoir oder als eine entfernte Verwandte von Hannah Arendt empfunden, und nicht im Mindesten wird sie hier so präsentiert. Aber ist das kluge Zurückhaltung oder ein nicht zu verheimlichender Befund?
Es ist schon merkwürdig, wenn sich bei der Lektüre der Biografie einer derart fruchtbaren Romanautorin und respektabel publizierenden Philosophin der Eindruck ergibt, diese habe, was in ihr steckte, eher gelebt als in ihren Schriften versammelt. Wohl darf der Biograf über den Eindruck zufrieden sein, denn was Fleiß vermochte, galt zuerst diesem Leben. Aber worum ging es Iris Murdoch? Da verweist Conradi seine Leser an viele Oberflächen. Das kann überlegte Strategie sein. Nur sieht man dafür die Gründe nicht. War Iris Murdoch glücklich, bevor die Krankheit sie bei lebendigem Leibe auslöschte, über sie kam? Das schien so. Nach der Lektüre dieser Biografie jedoch sollten wir sagen: Wir wissen es nicht.
JÜRGEN BUSCHE
PETER J. CONRADI: Iris Murdoch – Ein Leben. Aus dem Englischen von Juliane Gräbner-Müller und Marion Balkenhol. Deuticke Verlag, Wien 2002. 843 Seiten, 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Unscharf: Peter J. Conradis Biografie über Iris Murdoch
Der Satz des griechischen Weisen, keines Menschen Leben sei glücklich zu nennen, bevor es nicht an sein Ende gekommen ist, scheint in der Geschichte der Iris Murdoch eine augenfällige Bestätigung zu finden. Schon kurz nach ihrem Tod 1999 wurde ein Film über ihr Schicksal gedreht, der – nach flüchtigen Blicken auf ihr Leben – in Wahrheit ein Film über ihr Sterben war. Die erfolgreiche Romanautorin und Philosophin litt an der Alzheimerkrankheit. Der Film, ein Kunstwerk von hohen Graden, ist in seinen ergreifendsten Passagen ein Bericht über den Verlauf dieser Krankheit. Er wirkt vielleicht auch deshalb so erschütternd, weil er, wie die ältesten Tragödien, mit einer extrem großen Fallhöhe der Titelheldin operiert.
Peter J. Conradis Biografie, im englischen Original 2001 erschienen, vermeidet solchen Effekt. Iris Murdochs überreiches Leben wird mit erschöpfender Ausführlichkeit vorgestellt: Die Kindheit in einer glücklichen Mittelklassefamilie, Liebe, Fürsorge, Umsicht und Zärtlichkeit in allem, was das heranwachsende Mädchen auf seinem Weg in die Welt begleitet. Ein Stipendium ermöglicht das Studium in Oxford. Freundinnen und Lehrerinnen sind wichtig.
Jetzt kommen die Eigenheiten, die im weiteren Leben der Heldin für eine Fülle verwirrender Konstellationen verantwortlich sein werden. Iris, die auch bei dem deutsch-jüdischen, emigrierten Altphilologen Eduard Fränkel studiert – trotz dessen Neigung, Studentinnen zu betatschen, was warnend und zugleich beruhigend kolportiert wird – entwickelt eine Vorliebe für die Themen kontinentaler Gelehrsamkeit. Und: Sie überlässt sich ihrer Begabung, sich oft zu verlieben, und dies auch versuchsweise und ohne sich Grenzen zu setzen. Sie hat Verhältnisse mit strahlenden Vertretern der nachrückenden englischen Elite sowie mit wunderlichen jungen Akademikern, aber auch mit älteren Geistesheroen wie dem Althistoriker Arnoldo Momigliano oder dem Dichter Elias Canetti, mit diesem das in jeder Hinsicht intensivste.
Schließlich heiratete sie einen durchschnittlichen Literaturkritiker, und das war richtig. John Bayley lebte mit ihr, die eine wohlhabende Frau wird, stets in mählich verwahrlosenden Wohnungen; er blieb bei ihr fast bis zu ihrem Tod und schrieb ein Buch darüber. Conradis Buch liest sich wie eine gigantische, überall wohlgeordnete Stoffsammlung für einen Roman, den Murdoch hätte schreiben können. Aber trotz langer, die Bücher im Blick auf die Autorin referierender Passagen entsteht kein klares Bild der Murdoch als Schriftstellerin. Weil ihre Romane das für einen anspruchsvollen Leser nicht hergeben?
Noch krasser tritt diese Unschärfe in Conradis Umgang mit der Philosophie Murdochs hervor. Gewiss, mit ihren Schwerpunkten – Kierkegaard, Heidegger, Sartre – war sie im Oxford der Analytiker und Sprachphilosophen eine Außenseiterin. Aber die Biografie tut so, als sei das, was diese Philosophin beschäftigte, wenig anderes als die Gedanken in den Gute-Nacht- Geschichten indischer Sherpas. Allerdings gilt das auch umgekehrt: So wenig man sich an den Herdfeuern in der Himalaya-Region dafür interessieren mag, was in Oxford über die eigenen Gute-Nacht-Geschichten gedacht wird, so wenig interessierte man sich an den großen Universitäten des Kontinents dafür, was diese Frau in Oxford über Platon, die Ontologie, den Existentialismus dachte. Oder schrieb.
Ihr Biograf scheint diese Sicht zu teilen. Seine Erzählung häuft Indizien für Oberflächlichkeit an. Nun, Iris Murdoch wurde nie als britische Simone de Beauvoir oder als eine entfernte Verwandte von Hannah Arendt empfunden, und nicht im Mindesten wird sie hier so präsentiert. Aber ist das kluge Zurückhaltung oder ein nicht zu verheimlichender Befund?
Es ist schon merkwürdig, wenn sich bei der Lektüre der Biografie einer derart fruchtbaren Romanautorin und respektabel publizierenden Philosophin der Eindruck ergibt, diese habe, was in ihr steckte, eher gelebt als in ihren Schriften versammelt. Wohl darf der Biograf über den Eindruck zufrieden sein, denn was Fleiß vermochte, galt zuerst diesem Leben. Aber worum ging es Iris Murdoch? Da verweist Conradi seine Leser an viele Oberflächen. Das kann überlegte Strategie sein. Nur sieht man dafür die Gründe nicht. War Iris Murdoch glücklich, bevor die Krankheit sie bei lebendigem Leibe auslöschte, über sie kam? Das schien so. Nach der Lektüre dieser Biografie jedoch sollten wir sagen: Wir wissen es nicht.
JÜRGEN BUSCHE
PETER J. CONRADI: Iris Murdoch – Ein Leben. Aus dem Englischen von Juliane Gräbner-Müller und Marion Balkenhol. Deuticke Verlag, Wien 2002. 843 Seiten, 39,90 Euro.
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