“Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor.” Diesen Hinweis stellt Heinrich Böll seinem “Irischen Tagebuch” voran. Ersatzansprüche geltend zu machen, wäre schwierig. Der deutsche Nobelpreisträger von 1972 ist schließlich seit fast dreißig
Jahren tot. Und es ist auch nicht notwendig, denn dieses kleine, feine Büchlein erklärt auch heute…mehr“Es gibt dieses Irland: wer aber hinfährt und es nicht findet, hat keine Ersatzansprüche an den Autor.” Diesen Hinweis stellt Heinrich Böll seinem “Irischen Tagebuch” voran. Ersatzansprüche geltend zu machen, wäre schwierig. Der deutsche Nobelpreisträger von 1972 ist schließlich seit fast dreißig Jahren tot. Und es ist auch nicht notwendig, denn dieses kleine, feine Büchlein erklärt auch heute noch auf wunderbare Weise den Zauber der grünen Insel und ihrer Bewohner.
Der Schriftsteller verbrachte 1957 einige Monate mit seiner Familie im County Mayo, genauer auf Achill Island an der dortigen Küste. Sein ehemaliges Cottage gibt es noch. Es wird seit 1992 als Gästehaus für irische und internationale Künstler genutzt. Im Vorwort der Ausgabe von 1993 findet sich ein Zitat aus der Stuttgarter Zeitung: “Das Geheimnis dieses Buches ist, dass kaum ein Wort über die verzwickte Ökonomie und die noch verzwicktere Geschichte dieses kleinen Staates gesagt wird und dass dennoch das ganze Irland in diesem Tagebuch eingefangen zu sein scheint.” Dieser Satz trifft es nach meinem Empfinden recht gut, denn Böll beschreibt seine Erlebnisse und die Gefühle die sie in ihm hervorrufen: “Das Frühstück war gut, der Tee des Ruhmes würdig, und kostenlos hinzu gab es da Lächeln der jungen Irin, die ihn servierte.” Auf ein freundliches Lächeln der Einheimischen stießen wir bei unserem diesjährigen Besuch allenthalben. Aber es gibt noch mehr Punkte, die sich heute und damals finden.
Im Kapitel “Als Gott die Zeit machte” beschreibt Böll das gelassene Verhältnis der Iren dazu. “Der Kinobeginn ist auf 21.00 Uhr angesetzt, doch wenn irgend etwas unverbindlich ist, dann diese Uhrzeit. Selbst unsere vagste Verabredungsformel, wenn wir so gegen 9.00 Uhr sagen, hat den Charakter äußerster Präzision, denn unser so gegen 9.00 Uhr ist um halb zehn zu Ende, dann fängt so gegen 10 an; dieses 21.00 Uhr hier, ist die reine Hochstapelei. Seltsam genug, dass sich niemand über die Verspätung ärgert. Nicht im geringsten.” In unserem Feriendomizil fragten wir nach einem Pub mit Live-Musik. Wir bekamen einen guten Tipp mit dem Hinweis, das Konzert sei zwar für 21.00 Uhr angesetzt, aber wir sollten uns nicht wundern, wenn es erst gegen 23.00 Uhr oder gar noch später anfinge. Das sei normal. Wunderten wir uns? Nein, wir hatten schließlich Böll gelesen!
Auch das Kapitel “Redensarten“ fand ich sehr treffend: “Passiert einem in Deutschland etwas, so sagen wir: Schlimmer hätte es nicht kommen können. Immer ist das was passiert, gleich das Schlimmste, bei den Iren ist es fast umgekehrt. Sie sagen: It could bei worse - es könnte schlimmer sein. Was passiert ist nie das Schlimmste, sondern das Schlimmste ist nie passiert. Brennt der Hof ab, die Hühner werden aber gerettet, so hätten ja auch die Hühner noch verbrennen können. Die Zwillingsschwester von Es könnte schlimmer sein, ist die Redensart, ebenso häufig gebraucht: I shouldn’t worry- ich würde mir keine Sorgen machen, und das bei einem Volk, das allen Grund hätte, weder bei Tag noch bei Nacht auch nur eine Minute ohne Sorge zu sein.”
Bezieht Böll die Sorgen noch auf die Auswirkungen der große Hungersnot und ihrer Dezimierung der Bevölkerung, sind es heute beispielsweise die sichtbaren Hinweise auf das Platzen der Immobilienblase oder die strukturschwachen Landstriche, die aufgrund der Finanzkrise nicht mehr gefördert werden können, die man nennen könnte. Aber auch hier siegt der unerschütterliche Optimismus und im Gespräch mit Einheimischen wird der Status quo zwar thematisiert aber nie beklagt. Es ist, wie es ist. Don’t worry - kein Grund zur Sorge.
“Das irische Tagebuch” kann ich jedem Irlandfahrer als Reiselektüre empfehlen. Es ist ein Begleiter der besonderen Art, in dem es weniger um Orte und Sehenswürdigkeiten, als um Stimmungen geht, die man immer noch findet wenn man Irland Herz und Augen öffnet.