Produktdetails
  • Verlag: Schöffling
  • Seitenzahl: 138
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 192g
  • ISBN-13: 9783895615528
  • ISBN-10: 3895615528
  • Artikelnr.: 24227027
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.1997

"Gaudí in Kappadokien - Türkische Begegnungen" von Juan Goytisolo. Carl Hanser Verlag, München 1996. 112 Seiten. Gebunden, 24 Mark. ISBN 3-446-18281-0.

"Frankreichfahrt - Von Boulogne nach Toulon" von Edith Warton. Mit einem Essay von Julian Barnes. Schöffling & Co., Frankfurt 1997. 179 Seiten. Gebunden, 28 Mark. ISBN 3-89561-558-7.

"Irish Times - Unterwegs in Irland und Schottland" von Elsemarie Maletzke. Schöffling & Co., Frankfurt 1996. 138 Seiten. Gebunden, 26 Mark. ISBN 3-89561-552-8.

"Frühstück in Timbuktu - Abenteuerliche Geschichten aus zwanzig Jahren Geo" herausgegeben von Peter-Matthias Gaede. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1997. 351 Seiten. Gebunden, 39,80 Mark. ISBN 3-455-11177-7.

"Der Wald ohne Schatten - Auf der Suche nach letzten Orten dieser Welt" von Alexander Smoltczyk. Ch. Links Verlag, Berlin 1996. 203 Seiten, Schwarzweißfotografien. Broschiert, 29,80 Mark. ISBN 3-86153-116-X.

"Kleine Reisen" von Stephan Wackwitz. Steidl Verlag, Göttingen 1997. 93 Seiten. Gebunden, 20 Mark. ISBN 3-88243-454-6.

"Room Service - Geschichten aus Europas Nahem Osten" von Richard Swartz. Erschienen in der Reihe: "Die andere Bibliothek". Eichborn Verlag, Frankfurt 1996. 372 Seiten. Gebunden, 48 Mark. ISBN 3-8218-4140-0.

"Der Weg nach Surabaya - Reportagen und kleine Prosa" von Christoph Ransmayr. Fischer Verlag, Frankfurt 1997. 238 Seiten, dreizehn Schwarzweißfotografien. Gebunden, 36 Mark. ISBN 3-10-062916-7.

Daß es für die Bezeichnung "Armchair Travel" auf deutsch keinen adäquaten Begriff gibt, hat einen einfachen Grund: Bei uns ist diese literarische Gattung, die keine Reiseführer ersetzen will, sondern die Reise selbst, die entführen will in fremdes, wenngleich nicht notwendigerweise fernes Terrain, nahezu unbekannt. Während im englischsprachigen Raum noch die kleinste Buchhandlung den Büchern für das sogenannte "Reisen im Sessel" etliche Regale widmet, hat man hierzulande ernsthaft Probleme, auch nur ein einziges Fach mit entsprechenden Titeln zu füllen. "Nach Rußland und anderswohin" von Wolfgang Koeppen, "Unterwegs" von Horst Krüger, "Ach, Europa" von Hans Magnus Enzensberger und natürlich die gesammelten Werke von Egon Erwin Kisch: Das sind längst Klassiker dieser Mischung aus Autobiographie, Kulturgeschichte und soziologischen Theorien, Tagebuch, Erzählung und Reportage, Stimmungsbildern, Reflexionen und scharfsichtigen Analysen. Zugleich aber sind es auch die einzigen Titel der deutschen Literatur unseres Jahrhunderts, die einem auf Anhieb in den Sinn kommen, wenn man nach Beispielen sucht für großartige Städte-, Länder- und Landschaftsporträts. Der Nachwuchs wurde bei den deutschen Verlagen kaum gepflegt, und es ist bezeichnend, daß etwa die wunderbare Reihe "Travel Books" des Hanser Verlags, die literarisch anspruchsvollen Reiseschilderungen gewidmet ist, fast nur ausländische Autoren präsentiert: Ondaatje, Tabucchi, Brodsky, Canetti, Chatwin, Theroux und zuletzt der Spanier Juan Goytisolo mit seinen "Türkischen Begegnungen". Da ist der Verlag Schöffling und Co. mit seiner ähnlichen, noch ein wenig schöner gestalteten Reihe mit Reise-Essays ungleich entdeckungsfreudiger. Texte prominenter, nicht selten längst gestorbener Autoren aus dem Ausland bilden hier nur einen Schwerpunkt - von Max Frischs Aufzeichnungen aus Amerika über Vita Sackville-Wests Beschreibung ihres Gartens Sissinghurst bis zu Daphne du Mauriers Schilderungen aus Cornwall, die für den Herbst angekündigt sind, oder den jüngst erschienenen Frankreichfahrten von Edith Wharton, launenhaften wie kenntnisreichen Beschreibungen ihrer Autoreisen zu Beginn des Jahrhunderts, bei denen sie unter anderen von Henry James begleitet wurde. Ein Großteil der Serie aber trägt Reportagen zusammen, die erst in den vergangenen Jahren in schnellebigen Medien wie Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Illustrierten erschienen sind - die eigentliche und bei uns fast einzige Domäne dieser Gattung - und die auf diese Weise dem Vergessen wenigstens vorerst entrissen werden: etwa Peter Sagers Begegnungen mit britischen Exzentrikern oder die Reiseskizzen, ebenfalls aus Großbritannien, von Elsemarie Maletzke "Very British" und "Irish Times". Schlüpfen sonst die Dichter in die Rolle des Journalisten, erfüllen nun die Journalisten literarische Ansprüche. Die Phantasie, schrieb Kisch, dürfe sich in der Reportage nicht entfalten, wie sie gerade lustig sei. Ohne zu widersprechen, hat Enzensberger hinzugefügt: "Sachkenntnis und Phantasie schließen einander nicht aus." Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, die unter Reisejournalismus mehr verstehen als Ortsbeschreibungen und Hotelempfehlungen, bestätigen es. Eigenes Erlebnis und kulturhistorische Reflexionen vermischen sich dort ebenso wie dokumentarische und narrative Momente. Ebendas unterscheidet diese Beiträge von den Nabelschauen in jenen Büchern, in denen das Reisen als Selbsterfahrung zelebriert wird und die Autoren jeden ihrer Handgriffe am Gaskocher für bedeutender halten als die Begegnung mit den und dem Fremden. Zu den Magazinen, in denen die Reisereportage in klassischer Manier gepflegt wird, zählt "Geo". Über das Wissen um die Probleme eines Landes oder Volks haben dessen Autoren nicht die Fähigkeit verlernt zu staunen, neben der Neugierde die wichtigste Tugend jedes Reiseschriftstellers und Reisejournalisten. Ihre Beiträge nähern sich der Welt meist von den Rändern her, von der "nachrichtenabgewandten Seite", wie es dort heißt. Das sind nicht immer exotische, entfernte Orte, und bezeichnenderweise findet sich in der Sammlung "Frühstück in Timbuktu" mit Geo-Reportagen ebendiese Geschichte nicht. Die Ränder: Das können auch die Einkaufszentren an der Großstadtperipherie sein oder eine Dorfgemeinschaft psychisch Behinderter am Bodensee. Zum Jubiläum des Hefts wurden zwei Dutzend Reportagen aus zwanzig Jahrgängen ausgewählt. Man fragt sich, weshalb das nicht viel früher geschehen ist, und allenfalls die Erkenntnis, daß die Leser des Hefts auch Sammler des Hefts sind, mag den Verlag bisher davon abgehalten haben, ein solches Lesebuch herauszugeben. Vor allem ein Autor des Bandes hat es verdient, entdeckt zu werden: Alexander Smoltczyk. Von ihm ist zeitgleich auch eine eigene Sammlung seiner Texte erschienen: "Der Wald ohne Schatten". Smoltczyks Reportagen erzählen von der Suche "nach den letzten Orten dieser Welt", meist sind es Orte buchstäblich am Ende einer Sackgasse, nicht selten auch Orte, deren Geschichte und deren Bewohner an einem Endpunkt angekommen zu sein scheinen. "Wir hatten den Eindruck", schreibt er etwa über das Dorf Amerika in den Petersburger Sümpfen, "in einer Welt gelandet zu sein, die irgendeine Katastrophe aus der normalen Zeit herausgeschleudert hat", oder: "Saint Laurent-du-Maroni ist ein Ort mit ungewisser Einwohnerzahl und zweifelhaftem Ruf", oder: "Auf den Dörfern im Norden ist eine innere Emigration im Gang, statistisch nicht zu messen und so still wie die Elbe bei Dömitz. Es ist eine Flucht in die Jogginghosen, in Doppelkorn und Satellitenschüsseln." Dort, wo der Stillstand herrscht, sorgt die geringste Bewegung für Erschütterung. Die Stille registriert Smoltczyk mit sensiblem Gespür, präzise ausgeleuchtet, wie man es sonst fast nur von Traumbildern kennt; die Bewegung, die nicht selten er selbst verursacht, wird ihm Anlaß zu geistreichen Reflexionen über den Umgang mit dem anderen, über Erwartungen auf Reisen und die Notwendigkeit, sich selbst zurückzunehmen. Solcherlei Reflexionen vertraut Stephan Wackwitz in den fünf Aufsätzen seines Bands "Kleine Reisen" mehr als Beschreibungen. Mitunter sind es in der Tat sehr kleine Reisen, die er unternommen hat - einmal nur bis zum Spielplatz im nächsten Park. "Nicht das zielstrebige Hineinspazieren, sondern die mäandernde Schwellenkontemplation bestimmt den Gang der Freier", beobachtet er andernorts vor den Türen eines Bordells. Ähnlich verhält es sich mit seinen Gedanken, die immer enger ihr Thema umkreisen, die nach klugen wie unterhaltsamen Philosophierereien nicht selten in Aphorismen enden und die immer wieder eine Antwort suchen auf die Frage: Weshalb überhaupt reisen? Weil man wissen will, wie es anderswo aussieht, sagt Richard Swartz so einfach wie überzeugend. Anderswo: Das ist in seinem Fall "auf der anderen Seite des Vorhangs, der damals noch aus Eisen war". Swartz, Osteuropa-Korrespondent der schwedischen Zeitung "Svenska Dagbladet", hat mehr als fünfundzwanzig Jahre lang den sogenannten Ostblock bereist. Doch was er nun mit "Room Service" vorlegt, ist mehr als eine Sammlung von Reportagen. Swartz hat die Reportage um eine poetische Dimension erweitert. Seine Texte gleichen Erzählungen, und sie greifen durchaus deren rhetorische Mittel auf, etwa den Dialog. Damit gelingt ihm der stete Wechsel der Perspektive: der Blick von innen und außen zugleich. Jede Begegnung wird ihm deshalb zur Möglichkeit, Weltbilder zu beschreiben - sie gegeneinander abzuwägen bleibt dem Leser überlassen. Ein letzter Band mit "Reportagen und kleiner Prosa", Fingerübungen für die große Literatur möchte man sie am liebsten nennen: "Der Weg nach Surabaya" von Christoph Ransmayr. In dem Bändchen sind viele frühe und wenige neue Stücke des österreichischen Schriftstellers versammelt - die frühen geschrieben, als er mit Auftragsarbeiten für "Geo" und "Merian" zumindest einen Teil seines Lebensunterhalts verdiente, die neuen hingegen sind Dankreden für all die Literaturpreise, mit denen seit einiger Zeit seine Romane regelmäßig ausgezeichnet werden. Der Buchtitel legt eine falsche Fährte. Meist bewegt sich Ransmayr in der Nähe seiner Heimat. Schon sein Besuch auf die Hallig Hooge zählt zu den weitesten seiner Reisen, doch es fällt ihm nicht schwer, sie wie die Reise in eine ganz und gar andere, fremde Welt zu beschreiben. Unübertroffen aber sind die minutiösen Beobachtungen seiner Umgebung, vor allem eine Reportage über das Leben im Mostviertel. Er knüpft sie an Personen, die einem Roman entstammen könnten. Ein Bäcker, der mit Tausenden von Dias den Wandel der Region eher ignoriert als dokumentiert. Ein Totengräber, dessen Aufgabe es auch ist, die Schädel der Verstorbenen zu bemalen. Die adligen oder zumindest ehemals adligen Gäste einer Reise zur letzten österreichischen Kaiserin, Zita. Für diese Stücke fand Ransmayr literaturwürdige Themen in der Wirklichkeit, statt sie zu erfinden. Seine Texte schließen sich an die Klassiker der Reiseliteratur an. Vielleicht bewirken sie ein neues Interesse. "Armchair Travel": Knapp ein Dutzend Bücher, die das Etikett verdienen, ist seit vorigem Herbst erschienen. Bei knapp einem Dutzend verschiedener Verlage. Damit ist die Gattung in Deutschland noch lange nicht etabliert. Eher sieht es so aus, als testeten die Unternehmen den Markt. Daß dies zu einer Zeit geschieht, da hierzulande erstmals seit vielen Jahren die Buchungszahlen für Urlaubsreisen rückläufig sind, wird wohl Zufall sein. (F.L.)

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