Von dem, was man so leichtfertig unter "Gegenwart" zusammenfasst, handeln diese Texte. Orte werden mit darin abgelagerten Gesprächspartikeln, Gesten und Riten verschränkt, so entstehen "mental maps", Skizzen einer in sich stark verändernden Stadt und Gesellschaft.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2000Jetzt – sonst ist es zu spät
Kathrin Rögglas flirrender Berlin-Text „Irres Wetter”
Nervös, hibbelig, hektisch. „Irres Wetter” ist der ultimative Berlin-Text: die perfekte Simulation einer Stimmung, die morgen schon vorüber sein kann. Und dann ist dieser Text überholt. Sofort und spurlos, als wäre er gelöscht. Er gilt dann nicht mehr. Das heißt auch, er wird unlesbar. Nichts altert schneller als die rasende Gegenwart. Was heute noch in ist, ist morgen out, und keiner kann die Zeichen mehr deuten.
Eile ist also angesagt. Wer diesen Text lesen will, muss es schnell tun. Im Moment aber gibt es nichts Besseres. Nichts Besseres über „Berlin”. Wer heute Berlin sagt, meint nicht die Stadt im klassischen Sinn, keinen realen Ort. Berlin ist ein Konzept, ein Label. Unter dieser Flagge kann man segeln. Wohin auch immer. Wohnen kann man dort nicht.
Man lebt in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, in Kreuzberg, Charlottenburg, Neukölln, in Steglitz, Zehlendorf, Frohnau, in Marzahn, Spandau, Biesdorf. Wie alle großen Städte ist auch Berlin in Bezirke aufgeteilt, in denen sich unterschiedliche soziale Strukturen eingerichtet haben. Mit dem Mauerfall aber ist etwas passiert, was es sonst in keiner anderen Stadt gibt: Alles kam in Bewegung. Es fiel nicht nur die Grenze zwischen Ost und West, es setzte eine wahre Völkerwanderung ein. Familien mit Kindern zogen ins Umland, wo die Wohnparks wie Pilze aus dem Boden schossen, die Kreuzberger Szene zog nach Prenzlauer Berg und ins benachbarte Friedrichshain. Was früher Charlottenburg und Wilmersdorf waren, das ist nun der Bezirk Mitte. Dazu kommen die Neuberliner, die des Regierungsumzugs wegen in die Stadt gekommen sind. Nicht zu vergessen, all die „jungen schauspieler, medienmanager, webdesigner, pr-people”. Wer es sich leisten kann, nimmt gleich in Mitte Quartier. Da liegen dann Arbeits- und Schlafplatz so eng beieinander, dass man die übrige Zeit Gewinn bringend in In-Lokalen verbringen kann. Künstler und Studenten hat Berlin schon immer angezogen, nur dass jetzt keiner mehr stolz ist, in Schöneberg zu wohnen.
„Irres Wetter” ist der Versuch, diesen Hype aufzuzeichnen. Das ist ungeheuer schwer, weil es dabei nicht um Realitäten, nicht einmal mehr ums Imaginäre geht. Umso erstaunlicher, was Kathrin Röggla gelingt: ein hypernervöser Text, der mit seinem Hin- und Hergeflirre eine Art Muster erzeugt. Es gibt keine Ordnung, aber finde sie! So könne man das Vorhaben beschreiben, das von fern an Thomas Pynchon erinnert. Allerdings ist auch die Paranoia nicht mehr das, was sie einmal war. Die Zeichen vermehren sich ständig, aber keiner hat mehr Lust, sie zu deuten: „nichts mehr hineinlesen, nichts mehr hinauslesen, einfach nur geradeaus”. „Irres Wetter” ist wie die Landkarte eines durchgedrehten Kartografen. Alles ist minutiös verzeichnet, doch keiner kennt den Maßstab.
Raum und Zeit als Ordnungskategorien haben längst ausgedient: „die gleichzeitigkeit der welt findet ja nirgendwo mehr statt, un mal ehrlich, wer ist heute noch nicht durchgeknallt in ein anderes universum, paralleluniversen gibt es hier auch zuhauf, dazu die wahnsinnsmusik – ,ey, du, schalte deine wahnsinnsmusik ab!‘ und da ist er auch schon, der walkman-effekt und sein gegenteil: räume stürzen in menschen rein: isolation. räume stürzen aus menschen heraus: soziales engagement, nennt man das heute, ich nenne es ,wohnen im blockinnenbereich‘”.
Kathrin Röggla beschreibt manchmal irre, manchmal kirre, ziemlich oft aber auch sehr luzide das gegenwärtige Wahnsystem. Je mehr Ordnungsmuster verloren gehen, desto hilfloser, desto besessener werden Unterscheidungen ausgebildet, mit gelegentlich infinitesimalen Differenzen. Da gibt es die „popfraktion”, die „pillenfraktion”, die „moserfraktion”, die „überlebensfraktion” usw. Unmöglich machen kann man sich heute eigentlich mit allem: mit der falschen Kleidung, dem falschen Vokabular, der falschen Adresse, der falschen Musik oder der Zugehörigkeit zur falschen Generation. Weil jede Regung, jede Verhaltensweise aufgefasst wird, als sei sie gewollt, trifft jeder ständig Aussagen über sich, noch bevor er den Mund auftut.
Kathrin Röggla fängt ein, was an Sprache so rum fliegt, was an uns klebt, was wir ausstoßen, womit wir die Luft verpesten. Sie findet dafür ihr spezielles Notationssystem: eine stark rhythmisierte Prosa, die sich den aggressiven Zugriff, die Wirklichkeitsbesessenheit des Rap zu eigen macht. Die 1971 in Salzburg geborene und heute in Berlin lebende Autorin zeigt mit ihrem dritten Buch (nach „niemand lacht rückwärts” und „Abrauschen”), was zu bestreiten derzeit üblich ist: dass sich eine vom Experiment her kommende, genuin anti-erzählerische Schreibweise bestens dazu eignet, die Gegenwart zu erfassen. Und zwar gerade im Zustand der permanenten Beschleunigung.
Die Qualität dieses Textes ist freilich auch seine Gefahr. Konzipiert im Hinblick auf eine absolute Gegenwärtigkeit, zeigt er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Spuren des Verschleißes. Das gespannte Erwarten der Jahrtausendwende wirkt heute schon lächerlich. Aber das liegt nicht an Kathrin Röggla, sondern an uns. Wer schneller liest, hat mehr vom Text. Also nichts wie ran!
MEIKE FESSMANN
KATHRIN RÖGGLA: Irres Wetter. Residenz Verlag, Salzburg 2000. 168 Seiten, 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Kathrin Rögglas flirrender Berlin-Text „Irres Wetter”
Nervös, hibbelig, hektisch. „Irres Wetter” ist der ultimative Berlin-Text: die perfekte Simulation einer Stimmung, die morgen schon vorüber sein kann. Und dann ist dieser Text überholt. Sofort und spurlos, als wäre er gelöscht. Er gilt dann nicht mehr. Das heißt auch, er wird unlesbar. Nichts altert schneller als die rasende Gegenwart. Was heute noch in ist, ist morgen out, und keiner kann die Zeichen mehr deuten.
Eile ist also angesagt. Wer diesen Text lesen will, muss es schnell tun. Im Moment aber gibt es nichts Besseres. Nichts Besseres über „Berlin”. Wer heute Berlin sagt, meint nicht die Stadt im klassischen Sinn, keinen realen Ort. Berlin ist ein Konzept, ein Label. Unter dieser Flagge kann man segeln. Wohin auch immer. Wohnen kann man dort nicht.
Man lebt in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, in Kreuzberg, Charlottenburg, Neukölln, in Steglitz, Zehlendorf, Frohnau, in Marzahn, Spandau, Biesdorf. Wie alle großen Städte ist auch Berlin in Bezirke aufgeteilt, in denen sich unterschiedliche soziale Strukturen eingerichtet haben. Mit dem Mauerfall aber ist etwas passiert, was es sonst in keiner anderen Stadt gibt: Alles kam in Bewegung. Es fiel nicht nur die Grenze zwischen Ost und West, es setzte eine wahre Völkerwanderung ein. Familien mit Kindern zogen ins Umland, wo die Wohnparks wie Pilze aus dem Boden schossen, die Kreuzberger Szene zog nach Prenzlauer Berg und ins benachbarte Friedrichshain. Was früher Charlottenburg und Wilmersdorf waren, das ist nun der Bezirk Mitte. Dazu kommen die Neuberliner, die des Regierungsumzugs wegen in die Stadt gekommen sind. Nicht zu vergessen, all die „jungen schauspieler, medienmanager, webdesigner, pr-people”. Wer es sich leisten kann, nimmt gleich in Mitte Quartier. Da liegen dann Arbeits- und Schlafplatz so eng beieinander, dass man die übrige Zeit Gewinn bringend in In-Lokalen verbringen kann. Künstler und Studenten hat Berlin schon immer angezogen, nur dass jetzt keiner mehr stolz ist, in Schöneberg zu wohnen.
„Irres Wetter” ist der Versuch, diesen Hype aufzuzeichnen. Das ist ungeheuer schwer, weil es dabei nicht um Realitäten, nicht einmal mehr ums Imaginäre geht. Umso erstaunlicher, was Kathrin Röggla gelingt: ein hypernervöser Text, der mit seinem Hin- und Hergeflirre eine Art Muster erzeugt. Es gibt keine Ordnung, aber finde sie! So könne man das Vorhaben beschreiben, das von fern an Thomas Pynchon erinnert. Allerdings ist auch die Paranoia nicht mehr das, was sie einmal war. Die Zeichen vermehren sich ständig, aber keiner hat mehr Lust, sie zu deuten: „nichts mehr hineinlesen, nichts mehr hinauslesen, einfach nur geradeaus”. „Irres Wetter” ist wie die Landkarte eines durchgedrehten Kartografen. Alles ist minutiös verzeichnet, doch keiner kennt den Maßstab.
Raum und Zeit als Ordnungskategorien haben längst ausgedient: „die gleichzeitigkeit der welt findet ja nirgendwo mehr statt, un mal ehrlich, wer ist heute noch nicht durchgeknallt in ein anderes universum, paralleluniversen gibt es hier auch zuhauf, dazu die wahnsinnsmusik – ,ey, du, schalte deine wahnsinnsmusik ab!‘ und da ist er auch schon, der walkman-effekt und sein gegenteil: räume stürzen in menschen rein: isolation. räume stürzen aus menschen heraus: soziales engagement, nennt man das heute, ich nenne es ,wohnen im blockinnenbereich‘”.
Kathrin Röggla beschreibt manchmal irre, manchmal kirre, ziemlich oft aber auch sehr luzide das gegenwärtige Wahnsystem. Je mehr Ordnungsmuster verloren gehen, desto hilfloser, desto besessener werden Unterscheidungen ausgebildet, mit gelegentlich infinitesimalen Differenzen. Da gibt es die „popfraktion”, die „pillenfraktion”, die „moserfraktion”, die „überlebensfraktion” usw. Unmöglich machen kann man sich heute eigentlich mit allem: mit der falschen Kleidung, dem falschen Vokabular, der falschen Adresse, der falschen Musik oder der Zugehörigkeit zur falschen Generation. Weil jede Regung, jede Verhaltensweise aufgefasst wird, als sei sie gewollt, trifft jeder ständig Aussagen über sich, noch bevor er den Mund auftut.
Kathrin Röggla fängt ein, was an Sprache so rum fliegt, was an uns klebt, was wir ausstoßen, womit wir die Luft verpesten. Sie findet dafür ihr spezielles Notationssystem: eine stark rhythmisierte Prosa, die sich den aggressiven Zugriff, die Wirklichkeitsbesessenheit des Rap zu eigen macht. Die 1971 in Salzburg geborene und heute in Berlin lebende Autorin zeigt mit ihrem dritten Buch (nach „niemand lacht rückwärts” und „Abrauschen”), was zu bestreiten derzeit üblich ist: dass sich eine vom Experiment her kommende, genuin anti-erzählerische Schreibweise bestens dazu eignet, die Gegenwart zu erfassen. Und zwar gerade im Zustand der permanenten Beschleunigung.
Die Qualität dieses Textes ist freilich auch seine Gefahr. Konzipiert im Hinblick auf eine absolute Gegenwärtigkeit, zeigt er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits Spuren des Verschleißes. Das gespannte Erwarten der Jahrtausendwende wirkt heute schon lächerlich. Aber das liegt nicht an Kathrin Röggla, sondern an uns. Wer schneller liest, hat mehr vom Text. Also nichts wie ran!
MEIKE FESSMANN
KATHRIN RÖGGLA: Irres Wetter. Residenz Verlag, Salzburg 2000. 168 Seiten, 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2000Elektronik ohne Bart
Kathrin Rögglas zappelnder Wörtertanz · Von Hanns Zischler
Von Anfang an fliegen uns jede Menge neue Wörter, Neo-Wörter, um die Ohren und eh wir uns versehen, fährt uns ein "sound" an, der elastisch, scharf kolloquial und dennoch merkwürdig widerborstig ist. Kunstsprache vielleicht, aber stark getarnt, realistisch nur in Bruchstücken. Unauffällig dominant ist Rhythmik dosiert, die den Texfluss immer wieder beschleunigt und erhöhte Aufmerksamkeit der Lektüre erzwingt. Aus dem Stand legt der Text los. Einmal in Fahrt, kommt er nicht mehr zur Ruhe. Eine drängende, pulsierende Grundwelle trägt ihn. Techno? Auch, aber eben aus der Musik in die Sprache gelockt. Mit List, mit Witz, mit Fingerspitzengefühl. Con brio.
So dieser erste Satz: "eurofitneß beweisen und extra zur love-parade anreisen, das kann ja nur einem ostler einfallen, d. h. mehreren ostlern zusammen, doch das ist nicht wahr, denn wir sind keine ostler, wir sind österreicher und der love-parade dicht auf der spur." Wir sind also in Berlin. Doch dieses Neue Berlin, dem keine Majuskel zu schade ist, um "angesagt" zu sein, bis es ihm, hoffentlich, einmal die Sprache verschlägt, dieses Neue Berlin wird von Kathrin Röggla vom Rand her aufgerollt. So weit von den Rändern her, dass das Neue an Berlin schnell alt aussieht. Neugierig spürt man dem nach, was darunter und dahinter und daneben zu uns herangetragen wird. Kathrin Röggla lauscht diesem Wörter-Berlin Töne, Dialoge und Szenen ab, wie sie in dieser rabiaten Leichtigkeit bisher noch nicht zu vernehmen waren. Im Berlin der "wohnmaschinen" zum Beispiel, so ein anderer Text, wo es von einem Baumarkt in der Gegend von Grenzallee heißt: "nein, hier bleibt alles in knallhart inländischen verhältnissen: mitvierziger in beobachtungsfreier kleidung, studenten aus dem technischen milieu, kleinfamilien - eben fachleute in totalstimmung erwägen die qualität der lacke und beschläge".
Mit ihrem dritten Buch ist die Autorin in Berlin angekommen. War "abrauschen", ihr zweites Buch, eine Romanreise aus Berlin nach Salzburg, wo der zurückbleibende Ausgangsort wie ein Tagtraum, wie ein lieu de crime und ein lieu de film im Gepäck verstaut war und hervorbrach, wann es ihm nur passte, so erkundet und erkennt "irres wetter" jetzt die Lage der Stadt selbst.
Doch geht fehl, wer glaubt diese einundzwanzig Prosastücke seien nur ein weiteres Elaborat neuer Heimatkunde, ein Abbild halt, schräg zwar, aber Abbild. Die sprachliche Verdichtung, die Übernahme vertrauter Topoi und ihre Legierung mit dem Vokabular schriftferner Szenen und Slangs zeugen von einer kompositorischen Kraft, die aus dem bloß Absonderlichen des Alltags genuine Literatur herzustellen vermag. Unumkehrbar. Selten hat sich ein Autor derart ungehemmt und ungebremst, doch ohne augenzwinkernde Rückversicherung mit dem Leser, auf die Sprache und das Sprechen unserer Tage eingelassen. So gibt nicht von ungefähr die von dem tekkno-Philosophen Konradin Leiner Mitte der neunziger Jahre kartografierte Szenesprache eine Matrix für Kathrin Rögglas Schreibfelder. Andere, weitaus diskretere Felder wären bei Hubert Fichte und Friedericke Mayröcker zu finden.
Doch was sie aus dem "Material" destilliert und wie sie es neu zusammensetzt, sind keine abgehobenen Betrachtungen über gewisse Milieus, keine Binnensoziologien, sondern ist wunderbar flottierende, unangestrengt selbst-reflexive Prosa: "nicht nur auf meinem t-shirt stand: knall und fall. und die gegenstände fingen an zu jucken (sie sind alle bürgerliche-presse-bereit, also schafft sie ab in diesem text!)" heißt es in "so 36", und wenig später: "klicken. mindestens 40 grad hatte es, es roch nach schweiß, rauch, alk und lärm. kollaps, ein wort aus den achtzigern, ein zombiewort, dagegen half nur eins: pan tau!"
Laut gelesen, fällt sofort auf, wie eng diese Texte mit der neuen elektronischen Musik ("elektronik ohne bart" sagt die Autorin) laufen; tatsächlich lässt Röggla in ihren öffentlichen Auftritten und in ihren Hörspielen diese Musik mit einfließen: Sie unterläuft und kontert damit ihre eigene Prosa. Bereits mit ihrem zweiten Buch, mit "abrauschen", hatte sich Kathrin Röggla behende über die "Debütfalle" hinweggesetzt; mit ihrem neuen Buch hat sie einen eindeutigen Fingerabdruck hergestellt; ein unverwechselbarer Sound trägt diese Prosa. Kann man mehr von einem dritten Buch erwarten?
Kathrin Röggla: "Irres Wetter". Residenz Verlag, Salzburg 2000. 168 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kathrin Rögglas zappelnder Wörtertanz · Von Hanns Zischler
Von Anfang an fliegen uns jede Menge neue Wörter, Neo-Wörter, um die Ohren und eh wir uns versehen, fährt uns ein "sound" an, der elastisch, scharf kolloquial und dennoch merkwürdig widerborstig ist. Kunstsprache vielleicht, aber stark getarnt, realistisch nur in Bruchstücken. Unauffällig dominant ist Rhythmik dosiert, die den Texfluss immer wieder beschleunigt und erhöhte Aufmerksamkeit der Lektüre erzwingt. Aus dem Stand legt der Text los. Einmal in Fahrt, kommt er nicht mehr zur Ruhe. Eine drängende, pulsierende Grundwelle trägt ihn. Techno? Auch, aber eben aus der Musik in die Sprache gelockt. Mit List, mit Witz, mit Fingerspitzengefühl. Con brio.
So dieser erste Satz: "eurofitneß beweisen und extra zur love-parade anreisen, das kann ja nur einem ostler einfallen, d. h. mehreren ostlern zusammen, doch das ist nicht wahr, denn wir sind keine ostler, wir sind österreicher und der love-parade dicht auf der spur." Wir sind also in Berlin. Doch dieses Neue Berlin, dem keine Majuskel zu schade ist, um "angesagt" zu sein, bis es ihm, hoffentlich, einmal die Sprache verschlägt, dieses Neue Berlin wird von Kathrin Röggla vom Rand her aufgerollt. So weit von den Rändern her, dass das Neue an Berlin schnell alt aussieht. Neugierig spürt man dem nach, was darunter und dahinter und daneben zu uns herangetragen wird. Kathrin Röggla lauscht diesem Wörter-Berlin Töne, Dialoge und Szenen ab, wie sie in dieser rabiaten Leichtigkeit bisher noch nicht zu vernehmen waren. Im Berlin der "wohnmaschinen" zum Beispiel, so ein anderer Text, wo es von einem Baumarkt in der Gegend von Grenzallee heißt: "nein, hier bleibt alles in knallhart inländischen verhältnissen: mitvierziger in beobachtungsfreier kleidung, studenten aus dem technischen milieu, kleinfamilien - eben fachleute in totalstimmung erwägen die qualität der lacke und beschläge".
Mit ihrem dritten Buch ist die Autorin in Berlin angekommen. War "abrauschen", ihr zweites Buch, eine Romanreise aus Berlin nach Salzburg, wo der zurückbleibende Ausgangsort wie ein Tagtraum, wie ein lieu de crime und ein lieu de film im Gepäck verstaut war und hervorbrach, wann es ihm nur passte, so erkundet und erkennt "irres wetter" jetzt die Lage der Stadt selbst.
Doch geht fehl, wer glaubt diese einundzwanzig Prosastücke seien nur ein weiteres Elaborat neuer Heimatkunde, ein Abbild halt, schräg zwar, aber Abbild. Die sprachliche Verdichtung, die Übernahme vertrauter Topoi und ihre Legierung mit dem Vokabular schriftferner Szenen und Slangs zeugen von einer kompositorischen Kraft, die aus dem bloß Absonderlichen des Alltags genuine Literatur herzustellen vermag. Unumkehrbar. Selten hat sich ein Autor derart ungehemmt und ungebremst, doch ohne augenzwinkernde Rückversicherung mit dem Leser, auf die Sprache und das Sprechen unserer Tage eingelassen. So gibt nicht von ungefähr die von dem tekkno-Philosophen Konradin Leiner Mitte der neunziger Jahre kartografierte Szenesprache eine Matrix für Kathrin Rögglas Schreibfelder. Andere, weitaus diskretere Felder wären bei Hubert Fichte und Friedericke Mayröcker zu finden.
Doch was sie aus dem "Material" destilliert und wie sie es neu zusammensetzt, sind keine abgehobenen Betrachtungen über gewisse Milieus, keine Binnensoziologien, sondern ist wunderbar flottierende, unangestrengt selbst-reflexive Prosa: "nicht nur auf meinem t-shirt stand: knall und fall. und die gegenstände fingen an zu jucken (sie sind alle bürgerliche-presse-bereit, also schafft sie ab in diesem text!)" heißt es in "so 36", und wenig später: "klicken. mindestens 40 grad hatte es, es roch nach schweiß, rauch, alk und lärm. kollaps, ein wort aus den achtzigern, ein zombiewort, dagegen half nur eins: pan tau!"
Laut gelesen, fällt sofort auf, wie eng diese Texte mit der neuen elektronischen Musik ("elektronik ohne bart" sagt die Autorin) laufen; tatsächlich lässt Röggla in ihren öffentlichen Auftritten und in ihren Hörspielen diese Musik mit einfließen: Sie unterläuft und kontert damit ihre eigene Prosa. Bereits mit ihrem zweiten Buch, mit "abrauschen", hatte sich Kathrin Röggla behende über die "Debütfalle" hinweggesetzt; mit ihrem neuen Buch hat sie einen eindeutigen Fingerabdruck hergestellt; ein unverwechselbarer Sound trägt diese Prosa. Kann man mehr von einem dritten Buch erwarten?
Kathrin Röggla: "Irres Wetter". Residenz Verlag, Salzburg 2000. 168 S., geb., 38,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hanns Zischler ist begeistert vom unverwechselbaren "sound" der Prosastücke Rögglas. Hier entstünden nicht einfach Berliner Milieustudien im Szeneslang sondern "genuine Literatur". Zischler schwärmt vom Rhythmus ihrer Sprache, der die Texte pulsieren lasse. Mit Raffinesse und Witz habe die Autorin ihr Buch geschrieben, so der Rezensent. Die Neologismen, die Dynamik des Textflusses und die originelle Verwendung vertrauter Topoi zeuge von "kompositorischer Kraft". Mit ihrem dritten Buch hat Röggla laut Zischler ihren unverwechselbares Werk vorgelegt, in dem er dennoch Einflüsse von Konradin Leiner, Hubert Fichte und Friedericke Mayröcker auszumachen glaubt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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