In diesem Band sind die berühmtesten sowie die neuesten Texte Günter Kunerts vereinigt: Neben Bekanntem und Beliebtem wie 'Die Beerdigung findet in aller Stille statt' und 'Der Hai' findet sich Autobiographisches sowie zahlreiche neue und unbekannte Erzählungen. Alle haben eines gemeinsam: Sie spiegeln lebendig Günter Kunerts pointierten, bösartigen und immer ungeheuer komischen Erzählstil wieder.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2007Häme ist nicht alles
Sobald er erzählt, beginnt er schon zu irren: Günter Kunert legt nach
Günter Kunerts neue Prosasammlung "Irrtum ausgeschlossen" enthält überwiegend ältere Geschichten, gibt indes keine Drucknachweise. Darin liegt keine täuschende Strategie, sondern es ist die Geste eines Erzählers, der für seine Leser entlegen Erschienenes bündelt und mit diesen Geschichten in einen Dialog tritt. Das Sammeln selbst ist ein Erzählakt, der den Sinn des Alten, trotz der Veränderungen, bewahren will. Stets schon hat Kunert es in seinen Erzählbänden so gehalten, doch nun bildet das Prinzip selbst den roten Faden.
Gleich zu Beginn, im "Rekonstruktionsversuch eines fernen Augenblicks" (erschienen erstmals 1974), liest man von einem initialen Schreibrausch: "Nicht ein Text, eine Serie ist der Beginn, und damit sogleich eine Methode begründet, die keine Änderung mehr erfährt ... Grundmuster erkennt man erst aus der Entfernung - diesenfalls einer zeitlichen." Doch weniger das "Grundmuster", das solcherart über die Zeiten hinweg gesetzt scheint, ist das Thema der Anthologie. Vielmehr tritt das Nachweisen selbst, die Arbeit am Sinn in den Vordergrund - denn sie muss vergeblich bleiben. Selbst wenn Kunert die Kritik jeweils hinzudenkt, die sich kraft anderer Geschichten Geltung verschafft, will doch jeder Text für sich bleiben. Eine unablässige Herausforderung.
Der bibliographische und damit historische Kommentar würde dieses narrative Dilemma unterlaufen. So hält sich der Autor zurück und verlässt sich lieber auf die Erzählungen, die den Dialog eines Ich mit einem oft genug starrköpfigen Du bevorzugen. Sie bilden den reflexiven Kern des Buchs - in ihrem Sinn präsentiert Kunert Heutiges, also "Geschichten zwischen gestern und morgen": Der Untertitel bestimmt die Gattung seiner Anthologien, die das Gesammelte geistesgegenwärtig einigen wollen, präzise.
Nicht das Ich soll in Kunerts dialogischer Prosa recht bekommen, sondern sein Gegenüber. Der ethische, humane Anspruch des Autors bemisst sich nach der Schwebe, in der sich der Dissens hält; er ist im Agon begründet, in dem der Erzähler das ihm Fremde wider besseres Wissen, bis ins Absurde und Paradoxe hinein, zu verteidigen sucht. Mit dem Exhaustiven rückt Kunert dem Erzählton der Häme zuleibe, der ihm früher - und auch der deutschen Nachkriegsprosa - eigen war, als er in das Denken seiner Figuren den Soupçon ihnen gegenüber mischte. So lässt er den "Schwimmer" (1968) zu einem Fisch werden, weil der dem Gegenstand verfiel, den er bemeistern wollte. Der Marxismus schenkte damals dem Autor die nötige Überlegenheit.
Die Häme gründet auf dem Verdacht, jedes Handeln sei eitel, und verschafft dem, der sie über seinen Gegenstand ausgießt, die moralische Überlegenheit dessen, dem man nichts vormachen könne. Ihr Quell ist persönlich: die bittere Einsicht, man sei nicht anders. In Kunerts Erzählung "Grabrede" (2004) wiederholt ein Schauspieler die Grabreden, die er zu geben versteht, zu Hause vor seiner Ehefrau. "Aus seinem Erzählen heraus begann er zu posieren." Auch als sein Gegenüber inständig fragt: "Du nimmst den Tod nicht ernst, nicht wahr?", parodiert er weiter, bis die Frau, selbst auf den Tod erkrankt, wie er zu spät begreift, ihn verlässt.
Kunerts Analyse gilt hier der Struktur von Ich, Du und Er. "Seine Profession besteht in einer merkwürdigen Vermittlertätigkeit, weil er, zwar vom Abgeschiedenen in der dritten Person sprechend, trotzdem im Namen des zu ewigem Schweigen Gebrachten die Stimme erhebt." Der Schauspieler, eine gescheiterte Existenz, leiht dem abwesenden Toten ein Ich und spricht, weil er zu sich als Person kein Verhältnis gewinnen konnte, kalt über den anderen als "Er". Der Tote ein Gegenstand: Über ihn spricht er und nicht zu ihm, und also auch nicht zum "Du" seiner Frau, deren Frage der Rhetor in seiner eitlen Übung nicht verstehen kann. Die Erzählung zeigt die Häme, die sich einstellt, wenn das Zwiegespräch ausbleibt - reflektiert, schwindet sie aus der nunmehr klaren Stimme des Erzählers.
Die Erzählung "Irrtum ausgeschlossen" (1995 erstmals in der "Berliner Zeitung" publiziert) gibt dem Buch nicht nur den Titel, sondern auch die poetische Pointe. Alwin, dem das Lügen fremd ist, erzählt dem seinerseits erzählenden Ich eine unglaubliche Begebenheit: Er habe in einem Antiquariat seinen Großvater, der seit zehn Jahren tot ist, gesehen. Mit jedem Absatz, der geradezu zum prosodischen Mittel dieser Prosa wird, dreht sich die Argumentation. Der Duft alter Bücher habe ihn betört; eine Verwechslung mit einem Fremden, und doch wieder nicht, denn auf mittlerer Entfernung sei deutlich der Großvater zu erkennen gewesen; schließlich die literarische Tradition, die gute, beglaubigende Beispiele gebe: Der Enkel hatte "Rip van Winkle" bei einer der Begegnungen in der Hand.
Der wahrheitsliebende Alwin errötet, als er schließlich versichern muss, er habe den ganzen Einwänden nichts entgegenzusetzen: "Aber da ich wußte, wie sehr er seinen Großvater geliebt hatte, verkniff ich mir weitere aufklärende Sprüche, mit denen ich ihn um etwas betrogen haben würde, das, wie ich merkte, ihm viel wichtiger war als eine jener Wahrheiten, die uns ärmer zurücklassen, sobald wir sie einzusehen gezwungen werden." Dies gilt auch für Kunerts Liebe zu seinen eigenen Geschichten. Eine Übertragung hat stattgefunden: Solange die Arbeit am Sinn anhält, bleibt der "Irrtum ausgeschlossen", was immer auch verhandelt werde. Doch der Vorgang ist - wie im Liebesgedicht - allein im Dialog möglich. Dem "Schwimmer" würde Kunert heute sagen, seine Geschichte sei ganz und gar unmöglich, und nimmt die Erzählung trotzdem auf.
CHRISTOPH KÖNIG
Günter Kunert: "Irrtum ausgeschlossen". Geschichten zwischen gestern und morgen. Hanser Verlag, München 2006. 242 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sobald er erzählt, beginnt er schon zu irren: Günter Kunert legt nach
Günter Kunerts neue Prosasammlung "Irrtum ausgeschlossen" enthält überwiegend ältere Geschichten, gibt indes keine Drucknachweise. Darin liegt keine täuschende Strategie, sondern es ist die Geste eines Erzählers, der für seine Leser entlegen Erschienenes bündelt und mit diesen Geschichten in einen Dialog tritt. Das Sammeln selbst ist ein Erzählakt, der den Sinn des Alten, trotz der Veränderungen, bewahren will. Stets schon hat Kunert es in seinen Erzählbänden so gehalten, doch nun bildet das Prinzip selbst den roten Faden.
Gleich zu Beginn, im "Rekonstruktionsversuch eines fernen Augenblicks" (erschienen erstmals 1974), liest man von einem initialen Schreibrausch: "Nicht ein Text, eine Serie ist der Beginn, und damit sogleich eine Methode begründet, die keine Änderung mehr erfährt ... Grundmuster erkennt man erst aus der Entfernung - diesenfalls einer zeitlichen." Doch weniger das "Grundmuster", das solcherart über die Zeiten hinweg gesetzt scheint, ist das Thema der Anthologie. Vielmehr tritt das Nachweisen selbst, die Arbeit am Sinn in den Vordergrund - denn sie muss vergeblich bleiben. Selbst wenn Kunert die Kritik jeweils hinzudenkt, die sich kraft anderer Geschichten Geltung verschafft, will doch jeder Text für sich bleiben. Eine unablässige Herausforderung.
Der bibliographische und damit historische Kommentar würde dieses narrative Dilemma unterlaufen. So hält sich der Autor zurück und verlässt sich lieber auf die Erzählungen, die den Dialog eines Ich mit einem oft genug starrköpfigen Du bevorzugen. Sie bilden den reflexiven Kern des Buchs - in ihrem Sinn präsentiert Kunert Heutiges, also "Geschichten zwischen gestern und morgen": Der Untertitel bestimmt die Gattung seiner Anthologien, die das Gesammelte geistesgegenwärtig einigen wollen, präzise.
Nicht das Ich soll in Kunerts dialogischer Prosa recht bekommen, sondern sein Gegenüber. Der ethische, humane Anspruch des Autors bemisst sich nach der Schwebe, in der sich der Dissens hält; er ist im Agon begründet, in dem der Erzähler das ihm Fremde wider besseres Wissen, bis ins Absurde und Paradoxe hinein, zu verteidigen sucht. Mit dem Exhaustiven rückt Kunert dem Erzählton der Häme zuleibe, der ihm früher - und auch der deutschen Nachkriegsprosa - eigen war, als er in das Denken seiner Figuren den Soupçon ihnen gegenüber mischte. So lässt er den "Schwimmer" (1968) zu einem Fisch werden, weil der dem Gegenstand verfiel, den er bemeistern wollte. Der Marxismus schenkte damals dem Autor die nötige Überlegenheit.
Die Häme gründet auf dem Verdacht, jedes Handeln sei eitel, und verschafft dem, der sie über seinen Gegenstand ausgießt, die moralische Überlegenheit dessen, dem man nichts vormachen könne. Ihr Quell ist persönlich: die bittere Einsicht, man sei nicht anders. In Kunerts Erzählung "Grabrede" (2004) wiederholt ein Schauspieler die Grabreden, die er zu geben versteht, zu Hause vor seiner Ehefrau. "Aus seinem Erzählen heraus begann er zu posieren." Auch als sein Gegenüber inständig fragt: "Du nimmst den Tod nicht ernst, nicht wahr?", parodiert er weiter, bis die Frau, selbst auf den Tod erkrankt, wie er zu spät begreift, ihn verlässt.
Kunerts Analyse gilt hier der Struktur von Ich, Du und Er. "Seine Profession besteht in einer merkwürdigen Vermittlertätigkeit, weil er, zwar vom Abgeschiedenen in der dritten Person sprechend, trotzdem im Namen des zu ewigem Schweigen Gebrachten die Stimme erhebt." Der Schauspieler, eine gescheiterte Existenz, leiht dem abwesenden Toten ein Ich und spricht, weil er zu sich als Person kein Verhältnis gewinnen konnte, kalt über den anderen als "Er". Der Tote ein Gegenstand: Über ihn spricht er und nicht zu ihm, und also auch nicht zum "Du" seiner Frau, deren Frage der Rhetor in seiner eitlen Übung nicht verstehen kann. Die Erzählung zeigt die Häme, die sich einstellt, wenn das Zwiegespräch ausbleibt - reflektiert, schwindet sie aus der nunmehr klaren Stimme des Erzählers.
Die Erzählung "Irrtum ausgeschlossen" (1995 erstmals in der "Berliner Zeitung" publiziert) gibt dem Buch nicht nur den Titel, sondern auch die poetische Pointe. Alwin, dem das Lügen fremd ist, erzählt dem seinerseits erzählenden Ich eine unglaubliche Begebenheit: Er habe in einem Antiquariat seinen Großvater, der seit zehn Jahren tot ist, gesehen. Mit jedem Absatz, der geradezu zum prosodischen Mittel dieser Prosa wird, dreht sich die Argumentation. Der Duft alter Bücher habe ihn betört; eine Verwechslung mit einem Fremden, und doch wieder nicht, denn auf mittlerer Entfernung sei deutlich der Großvater zu erkennen gewesen; schließlich die literarische Tradition, die gute, beglaubigende Beispiele gebe: Der Enkel hatte "Rip van Winkle" bei einer der Begegnungen in der Hand.
Der wahrheitsliebende Alwin errötet, als er schließlich versichern muss, er habe den ganzen Einwänden nichts entgegenzusetzen: "Aber da ich wußte, wie sehr er seinen Großvater geliebt hatte, verkniff ich mir weitere aufklärende Sprüche, mit denen ich ihn um etwas betrogen haben würde, das, wie ich merkte, ihm viel wichtiger war als eine jener Wahrheiten, die uns ärmer zurücklassen, sobald wir sie einzusehen gezwungen werden." Dies gilt auch für Kunerts Liebe zu seinen eigenen Geschichten. Eine Übertragung hat stattgefunden: Solange die Arbeit am Sinn anhält, bleibt der "Irrtum ausgeschlossen", was immer auch verhandelt werde. Doch der Vorgang ist - wie im Liebesgedicht - allein im Dialog möglich. Dem "Schwimmer" würde Kunert heute sagen, seine Geschichte sei ganz und gar unmöglich, und nimmt die Erzählung trotzdem auf.
CHRISTOPH KÖNIG
Günter Kunert: "Irrtum ausgeschlossen". Geschichten zwischen gestern und morgen. Hanser Verlag, München 2006. 242 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ausgesprochen angetan ist Rezensent Rolf Michaelis von diesem Sammelband. In den Geschichten geht es, wie er uns wissen lässt, immer wieder um den doppelten Boden des Lebens, um Alltagsmissverständnisse im Zusammenleben, Ehekräche und politische Abgründe, in die das vergangene Jahrhundert die Menschen immer wieder stürzte und bis heute stürzen lasse. Der Rezensent beschreibt den "Verwirr-Zauberer" Günter Kunert einerseits als legitimen Nachfahren Franz Kafkas. Seine Inhaltsskizzen beschwören aber auch Loriot- und Kishon-Assoziationen. Ärgerlich ist der Rezensent nur über die mangelnde editorische Sorgfalt des Verlags, der den Texten aus unterschiedlichen Schaffensperioden Kunerts in diesem Sammelband aus Sicht Michaelis' wenigstens eine sorgfältige Datierung hätte angedeihen lassen können.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH