»Bioökonomie« klingt zunächst harmlos. Unter dieser Bezeichnung arbeitet jedoch ein Bündnis aus Biotechnologie-, Pharma-, Chemie-, Nahrungsmittel- und Agrarunternehmen an der kommerziellen Inbesitznahme alles Lebendigen. Die aktuelle Bundesregierung unterstützt diese Bestrebungen, etwa im Rahmen des Programms »Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030«. Anita Krätzer und Franz-Theo Gottwald beleuchten ein Feld an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Forschung, das in den Medien noch selten thematisiert wird. Die Autoren machen auf Basis der zentralen Aktionsfelder der Bioökonomie auf Weichenstellungen aufmerksam, die Tiere und Pflanzen erklärtermaßen zur »Biomasse« degradieren - eine Entwicklung, die letztlich auch vor dem Menschen nicht haltmacht.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Was Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer in ihrem Buch offenlegen, lässt Daniel-C. Schmidt das Blut in den Adern gefrieren. Subtiler, meint er, könnte sich Macht- und Geldgier wohl kaum verkleiden, als im Kostüm der Bioökonomie. Was sich hinter dem Begriff wirklich verbirgt, knallharte wirtschaftliche Ausbeutung aller biologischen Ressourcen, Gentechnik inklusive, zeigen ihm die Autoren, und auch wie dreist ein Interessengeflecht aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft mit Steuergeldern gegen Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften arbeitet. Das harte Urteil der Autoren kann Schmidt gut nachvollziehen, vermisst im Buch allerdings den Hinweis auf die in seinen Augen vielversprechendste Lösung: die radikale Änderung unserer Konsumgewohnheiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2014Ökologie ist nicht das Gegenteil einer verteufelten Biotechnologie
Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer streiten wider das bioökonomische Regime in der Landwirtschaft und geben sich dabei ziemlich viele Blößen
Kaum jemand bezweifelt, dass die Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten ihre Produktivität erhöhen muss. Schließlich wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 voraussichtlich auf neun Milliarden Menschen gestiegen sein, und es dürfte dann kaum mehr Anbaufläche als heute zur Verfügung stehen. Nachhaltige Ertragssteigerung - die durch die Folgen des Klimawandels nicht einfacher zu erreichen sein wird - ist aus diesen Gründen zu einem populären Motto in der weltweiten Debatte geworden.
Lösungen für dieses Problem werden von zwei Lagern angeboten, die sich nahezu unversöhnlich gegenüberstehen. Die eine Seite sieht die einzig mögliche Lösung in der verstärkten Anwendung der Bio- und Gentechnologie, während die andere Seite für eine holistische, sogenannte agrarökologische Wende optiert. Die Standards und Bedingungen der Wissensproduktion unterscheiden sich unverkennbar in den beiden Lagern, ebenso die politischen Allianzen. Einen deutlichen Schub erhielt die biotechnologisch orientierte Sichtweise mit dem Aufstieg des Begriffs "Bioökonomie", der 1997 geprägt wurde. Seither haben zahlreiche Länder bioökonomische Strategien entwickelt mit dem Ziel, Biotechnologie in den Dienst des grünen, nachhaltigen Wirtschaftswachstums und der Ernährungssicherheit zu stellen. Das klingt nach einem hehren Ziel, aber Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer lassen in ihrer Streitschrift kaum ein gutes Haar an diesem in ihren Augen totalitären und völlig fehlgeleiteten Ansatz.
Dass biotechnische Projekte kritisch begleitet werden müssen, führte schon das Humangenomprojekt vor mehr als einem Jahrzehnt vor Augen. Die Verquickung wirtschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Interessen zeigte sich dort in aller Schärfe. Selbst wenn einige der Erwartungen, die mit diesem Projekt öffentlich verknüpft wurden, sich als fundiert erwiesen und Ergebnisse in neue Therapien oder Diagnosemethoden Eingang fanden - allerdings weitaus seltener als oft vollmundig in Aussicht gestellt -, muss doch gefragt werden, wer davon profitiert und wer nicht, welche Erklärungs- und Handlungsalternativen ausgeschlossen werden und wie solche Entwicklungen den Blick auf menschliche Fähigkeiten und Grenzen beeinflussen.
Doch die zweifellos ehrenwerte Absicht der beiden Autoren, die Bioökonomie einem ähnlich kritischen Blick zu unterwerfen, ist leider nicht immer von soliden Argumenten begleitet. Die Autoren identifizieren einige wunde Punkte. Sie zeigen, wie stark die Verflechtungen politischer und wirtschaftlicher Interessen in zentralen Gremien sind, sie weisen darauf hin, dass in der Tier- und Pflanzenzucht öffentliche Interessen deutlicher im Vordergrund stehen müssten, und machen zu Recht darauf aufmerksam, dass die Beschreibung der Bioökonomie als "wissensbasiert" nahelegt, andere Sichtweisen würden nicht oder weniger auf Wissen und Wissenschaft beruhen.
Die Argumentation der beiden Autoren wird aber konterkariert durch falsche oder irreführende Behauptungen und blinde Flecken. Ja, der internationale Handel mit Saatgut wird von einigen wenigen großen Unternehmen dominiert. Dies gilt aber nicht für nationale Märkte - in Äthiopien sind neunzig Prozent des Saatgutmarktes informell, und auch in Europa spielen die multinationalen Agrochemie-Giganten auf dem Markt für Getreidesaatgut - mit der Ausnahme von Mais - keine bedeutende Rolle. Der Vorwurf, mechanistische Erklärungen in der Biologie seien immer linear, ist völliger Unsinn und lässt erahnen, dass die beiden Autoren keine fundierte Kenntnis moderner Biologie haben. Mechanistische Erklärungsmodelle in der Entwicklungsbiologie, Systembiologie oder der Ökologie sind in der Regel nichtlinear und sind häufig auf komplexe Simulationen für ihre Modellbildung angewiesen.
"Cutting edge"-Biologie lässt sich häufig nicht eindeutig als reduktionistisch oder holistisch einordnen. Das gänzlich gutgläubige Lob lokaler Lösungen für die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung blendet ein Jahrzehnt kritischer Auseinandersetzung mit den Kategorien "lokal", "regional" und "global" völlig aus. Viele Studien haben gezeigt, dass lokale Versorgungssysteme nicht notwendigerweise zu einer fairen und gerechten Gemeinschaft beitragen müssen. Minderheiten oder Menschen im Niedriglohnsektor vermögen häufig nicht von solchen Systemen zu profitieren, und der erhöhte Arbeitsaufwand im Haushalt zementiert überdies oft klassische Geschlechterrollen.
Solche Probleme kommen im Weltbild der beiden Autoren nicht vor. Suffizienz wird als eines der Kernkriterien für die Ausgestaltung von Wirtschafts- und Versorgungssystemen aufgestellt. Eine sogenannte Suffizienz-Landwirtschaft wird seit vielen Jahren in Thailand unter der Patronage des Königs gefördert - und vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen ausdrücklich gelobt -, doch innenpolitisch wird dieses Programm vor allem zur Durchsetzung eines konservativen und hierarchischen Gesellschaftsbildes genutzt.
Diese Streitschrift vertieft mit ihren oft pauschalen Verteufelungen den Graben zwischen den beiden epistemischen Kulturen von Biotechnologie und Agrarökologie. Die erste Phase der grünen Revolution zeigte, dass eine Anwendung modernster Pflanzenzüchtung ohne Berücksichtigung sozioökologischer und politischer Verhältnisse die hochgesteckten Ziele verfehlen musste. Die moderne grüne Biotechnologie ist auf dem besten Weg, diese technokratischen Fehler zu wiederholen. Allerdings bestehen auch berechtigte Zweifel daran, dass die Anwendung agrarökologischer Prinzipien die Nahrungsmittelversorgung der Zukunft wird sichern können.
Der einzige Ausweg ist, den Graben zwischen den beiden Sichtweisen zu überwinden und pragmatisch die besten Lösungen für Probleme in ihrem konkreten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu finden. Beide Seiten werden dafür wohl erhebliche Abstriche an ihrem Welt- und Wissenschaftsbild machen müssen.
THOMAS WEBER.
Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer: "Irrweg Bioökonomie".
Kritik an einem totalitären Ansatz.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 176 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer streiten wider das bioökonomische Regime in der Landwirtschaft und geben sich dabei ziemlich viele Blößen
Kaum jemand bezweifelt, dass die Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten ihre Produktivität erhöhen muss. Schließlich wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 voraussichtlich auf neun Milliarden Menschen gestiegen sein, und es dürfte dann kaum mehr Anbaufläche als heute zur Verfügung stehen. Nachhaltige Ertragssteigerung - die durch die Folgen des Klimawandels nicht einfacher zu erreichen sein wird - ist aus diesen Gründen zu einem populären Motto in der weltweiten Debatte geworden.
Lösungen für dieses Problem werden von zwei Lagern angeboten, die sich nahezu unversöhnlich gegenüberstehen. Die eine Seite sieht die einzig mögliche Lösung in der verstärkten Anwendung der Bio- und Gentechnologie, während die andere Seite für eine holistische, sogenannte agrarökologische Wende optiert. Die Standards und Bedingungen der Wissensproduktion unterscheiden sich unverkennbar in den beiden Lagern, ebenso die politischen Allianzen. Einen deutlichen Schub erhielt die biotechnologisch orientierte Sichtweise mit dem Aufstieg des Begriffs "Bioökonomie", der 1997 geprägt wurde. Seither haben zahlreiche Länder bioökonomische Strategien entwickelt mit dem Ziel, Biotechnologie in den Dienst des grünen, nachhaltigen Wirtschaftswachstums und der Ernährungssicherheit zu stellen. Das klingt nach einem hehren Ziel, aber Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer lassen in ihrer Streitschrift kaum ein gutes Haar an diesem in ihren Augen totalitären und völlig fehlgeleiteten Ansatz.
Dass biotechnische Projekte kritisch begleitet werden müssen, führte schon das Humangenomprojekt vor mehr als einem Jahrzehnt vor Augen. Die Verquickung wirtschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Interessen zeigte sich dort in aller Schärfe. Selbst wenn einige der Erwartungen, die mit diesem Projekt öffentlich verknüpft wurden, sich als fundiert erwiesen und Ergebnisse in neue Therapien oder Diagnosemethoden Eingang fanden - allerdings weitaus seltener als oft vollmundig in Aussicht gestellt -, muss doch gefragt werden, wer davon profitiert und wer nicht, welche Erklärungs- und Handlungsalternativen ausgeschlossen werden und wie solche Entwicklungen den Blick auf menschliche Fähigkeiten und Grenzen beeinflussen.
Doch die zweifellos ehrenwerte Absicht der beiden Autoren, die Bioökonomie einem ähnlich kritischen Blick zu unterwerfen, ist leider nicht immer von soliden Argumenten begleitet. Die Autoren identifizieren einige wunde Punkte. Sie zeigen, wie stark die Verflechtungen politischer und wirtschaftlicher Interessen in zentralen Gremien sind, sie weisen darauf hin, dass in der Tier- und Pflanzenzucht öffentliche Interessen deutlicher im Vordergrund stehen müssten, und machen zu Recht darauf aufmerksam, dass die Beschreibung der Bioökonomie als "wissensbasiert" nahelegt, andere Sichtweisen würden nicht oder weniger auf Wissen und Wissenschaft beruhen.
Die Argumentation der beiden Autoren wird aber konterkariert durch falsche oder irreführende Behauptungen und blinde Flecken. Ja, der internationale Handel mit Saatgut wird von einigen wenigen großen Unternehmen dominiert. Dies gilt aber nicht für nationale Märkte - in Äthiopien sind neunzig Prozent des Saatgutmarktes informell, und auch in Europa spielen die multinationalen Agrochemie-Giganten auf dem Markt für Getreidesaatgut - mit der Ausnahme von Mais - keine bedeutende Rolle. Der Vorwurf, mechanistische Erklärungen in der Biologie seien immer linear, ist völliger Unsinn und lässt erahnen, dass die beiden Autoren keine fundierte Kenntnis moderner Biologie haben. Mechanistische Erklärungsmodelle in der Entwicklungsbiologie, Systembiologie oder der Ökologie sind in der Regel nichtlinear und sind häufig auf komplexe Simulationen für ihre Modellbildung angewiesen.
"Cutting edge"-Biologie lässt sich häufig nicht eindeutig als reduktionistisch oder holistisch einordnen. Das gänzlich gutgläubige Lob lokaler Lösungen für die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung blendet ein Jahrzehnt kritischer Auseinandersetzung mit den Kategorien "lokal", "regional" und "global" völlig aus. Viele Studien haben gezeigt, dass lokale Versorgungssysteme nicht notwendigerweise zu einer fairen und gerechten Gemeinschaft beitragen müssen. Minderheiten oder Menschen im Niedriglohnsektor vermögen häufig nicht von solchen Systemen zu profitieren, und der erhöhte Arbeitsaufwand im Haushalt zementiert überdies oft klassische Geschlechterrollen.
Solche Probleme kommen im Weltbild der beiden Autoren nicht vor. Suffizienz wird als eines der Kernkriterien für die Ausgestaltung von Wirtschafts- und Versorgungssystemen aufgestellt. Eine sogenannte Suffizienz-Landwirtschaft wird seit vielen Jahren in Thailand unter der Patronage des Königs gefördert - und vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen ausdrücklich gelobt -, doch innenpolitisch wird dieses Programm vor allem zur Durchsetzung eines konservativen und hierarchischen Gesellschaftsbildes genutzt.
Diese Streitschrift vertieft mit ihren oft pauschalen Verteufelungen den Graben zwischen den beiden epistemischen Kulturen von Biotechnologie und Agrarökologie. Die erste Phase der grünen Revolution zeigte, dass eine Anwendung modernster Pflanzenzüchtung ohne Berücksichtigung sozioökologischer und politischer Verhältnisse die hochgesteckten Ziele verfehlen musste. Die moderne grüne Biotechnologie ist auf dem besten Weg, diese technokratischen Fehler zu wiederholen. Allerdings bestehen auch berechtigte Zweifel daran, dass die Anwendung agrarökologischer Prinzipien die Nahrungsmittelversorgung der Zukunft wird sichern können.
Der einzige Ausweg ist, den Graben zwischen den beiden Sichtweisen zu überwinden und pragmatisch die besten Lösungen für Probleme in ihrem konkreten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu finden. Beide Seiten werden dafür wohl erhebliche Abstriche an ihrem Welt- und Wissenschaftsbild machen müssen.
THOMAS WEBER.
Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer: "Irrweg Bioökonomie".
Kritik an einem totalitären Ansatz.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 176 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer ebnen mit ihrem starken Plädoyer 'der Blue Economy' den Weg. Gut so.« Johannes Kaiser Deutschlandfunk Kultur 20140226