Was wäre, wenn Harry Potter einen Bruder namens William gehabt hätte, der berühmte erste Satz aus "Moby Dick" anders gelautet und Gregor Samsa sich in einen teilrasierten Pudel verwandelt hätte? Wären diese Werke dann zu Weltruhm gelangt? Dieses Buch zeigt das Wirken eines peniblen, eigensinnigen, genialen, aber natürlich fiktiven Lektors, der den großen Autorinnen und Autoren der Weltliteratur zum Erfolg verholfen und uns Lesern manch enttäuschende Lektüre erspart hat. Das Autorentrio Thomas Böhm, Janine Stratmann und Philipp Graf hat sich den "optischen Lektor" mit seinem absurden Humor erdacht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018Auf dem Irrweg
Der Lektorenrotstift
korrigiert Weltliteratur
Der Rotstift ist ein Instrument der Strenge. Er streicht durch, streicht an, moniert, korrigiert. In diesem Buch aber hat er sich Urlaub genommen und sich in die Hand eines gewissen „Optischen Lektors“ wie in eine Hängematte gelegt. Er blickt in den Sternenhimmel und ordnet ihn an, wie er sein soll, lässt seine Blicke durch die Regale der Weltliteratur schweifen, zieht hier und da einen Band heraus und träumt sich selbst in ihn hinein als die Instanz, die dafür gesorgt hat, dass aus den Büchern etwas wurde.
Zum Beispiel dadurch, dass er James Joyce davon abgehalten hat, den 23. Dezember zum Bloomsday“ zu machen. Oder indem er bei der Begutachtung von Astrid Lindgrens Buchidee „Die Langstrumpfs“ dem Anfangssatz „Der kleine Tommy hat zwei Katzen und spielt den ganzen Tag nur Streiche“ die schlichte Frage an den Rand geschrieben hat: „Wie wäre es mit einem starken Mädchencharakter?“
Einmal in Fahrt, halluziniert der Rotstift in seiner Hängematte lauter Anfänge, die er gestrichen hat, verwandelt die Maultrommel von Günter Grass in die Blechtrommel, redigiert in den ziemlich bürokratischen Ursprungstext von „Hundert Jahre Einsamkeit“ den magischen Realismus hinein. Und träumt sich lauter – nicht selten retuschierte – Illustrationen hinzu. Das ist mal witzig, mal albern, mal geblödelt, mal knapp daneben. Aber die Frage des Rotstifts zu Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ entbehrt nicht der Berechtigung: „Panzerschokolade? Was soll das sein?!“
LMUE
Thomas Böhm, Philipp Graf, Janine Stratmann: Irrwege zum Ruhm. Weltliteratur in Korrektur. Dudenverlag, Berlin 2018. 144 Seiten, 15 Euro.
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Der Lektorenrotstift
korrigiert Weltliteratur
Der Rotstift ist ein Instrument der Strenge. Er streicht durch, streicht an, moniert, korrigiert. In diesem Buch aber hat er sich Urlaub genommen und sich in die Hand eines gewissen „Optischen Lektors“ wie in eine Hängematte gelegt. Er blickt in den Sternenhimmel und ordnet ihn an, wie er sein soll, lässt seine Blicke durch die Regale der Weltliteratur schweifen, zieht hier und da einen Band heraus und träumt sich selbst in ihn hinein als die Instanz, die dafür gesorgt hat, dass aus den Büchern etwas wurde.
Zum Beispiel dadurch, dass er James Joyce davon abgehalten hat, den 23. Dezember zum Bloomsday“ zu machen. Oder indem er bei der Begutachtung von Astrid Lindgrens Buchidee „Die Langstrumpfs“ dem Anfangssatz „Der kleine Tommy hat zwei Katzen und spielt den ganzen Tag nur Streiche“ die schlichte Frage an den Rand geschrieben hat: „Wie wäre es mit einem starken Mädchencharakter?“
Einmal in Fahrt, halluziniert der Rotstift in seiner Hängematte lauter Anfänge, die er gestrichen hat, verwandelt die Maultrommel von Günter Grass in die Blechtrommel, redigiert in den ziemlich bürokratischen Ursprungstext von „Hundert Jahre Einsamkeit“ den magischen Realismus hinein. Und träumt sich lauter – nicht selten retuschierte – Illustrationen hinzu. Das ist mal witzig, mal albern, mal geblödelt, mal knapp daneben. Aber die Frage des Rotstifts zu Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ entbehrt nicht der Berechtigung: „Panzerschokolade? Was soll das sein?!“
LMUE
Thomas Böhm, Philipp Graf, Janine Stratmann: Irrwege zum Ruhm. Weltliteratur in Korrektur. Dudenverlag, Berlin 2018. 144 Seiten, 15 Euro.
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