Durch Unschärfe entfaltet Isabella Berr gezielt in ihren geheimnisvoll wirkenden Arbeiten eine unaufdringliche Intensität, die im Betrachter Erinnerungen an vertraute Orte und Menschen hervorruft. Sie rückt ab von der Fotografie als einer technischen Reproduktion der Realität und nähert sich teilweise der Malerei. So halten die in dieser Publikation versammelten Werke im Blick nach außen unsere inneren Gefühle und Empfi ndungen fest. 1963 in Schongau geboren verschrieb sich Isabella Berr 2002 nach ihrer Ausbildung und Tätigkeit als Fotografin komplett der künstlerischen Fotografie. Seitdem ist sie regelmäßig in Einzel- und Gruppenausstellungen, in Museen und auf Kunstmessen mit ihren fotografischen Arbeiten vertreten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2014Kein Ort, nirgends
Auch die schönsten Momente des Lebens verblassen, wenn man sie nicht festhält - oder wenn Isabella Berr sie fotografiert.
Von Freddy Langer
Es zählt zu den Konventionen vieler Filmemacher und Fotografen, das, was als Traum oder als traumhaft verstanden werden soll, kurzerhand unscharf abzubilden. Daran haben wir uns gewöhnt. Ohne lange nachzudenken, verstehen wir augenblicklich die Absicht der Künstler, obwohl sich hinter dieser Form von Ästhetik ein Missverständnis verbirgt. Denn man träumt ja gar nicht unscharf; im Gegenteil. Selten sind Dinge und Momente so klar und präzise wie in einem Traum.
Alfred Hitchcock hat das begriffen und seine gespenstischen Traumszenen so hell ausgeleuchtet, dass sie deutlicher zu erkennen sind als der restliche Film. Und schon die Surrealisten wussten, dass nichts unheimlicher ist und verfremdeter wirkt als ein präzise dargestellter Gegenstand. Kein Medium eignet sich dafür besser als die Fotografie.
Unscharf hingegen ist die Wirklichkeit, unsere Sicht auf die Welt. Auch damit haben Künstler sich beschäftigt: die Maler des Impressionismus etwa oder die Fotografen des Piktoralismus um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. Mit wissenschaftlich fundiertem Anspruch zerlegten sie ihre Motive in Millionen Pünktchen oder zogen den Schleier aufwendiger Edeldruckverfahren darüber. Und noch heute zeigt der Fotograf Hiroshi Sugimoto die berühmtesten Bauwerke der Welt, als lösten sich ihre Konturen vor grauem Himmel auf - fast so, als schmölzen sie wie ein Eisblock in der Sonne. Und wir? Wir sagen eilfertig nur wiederum: Wie geträumt!
"Walking Dreams" nennt nun die Fotografin Isabella Berr ihren Bildband mit Momentaufnahmen aus Straßen und Cafés, von Flughäfen und Hafenpromenaden. Es sind Reisebilder von unbestimmten Orten, nie zugeordnet oder lokalisierbar, sondern vieldeutig und eine Spur zu romantisierend mit Titeln wie "Wartend" und "Ferne Nähe", "Vorüberziehend" und "Kein Ort, nirgends" bezeichnet. "Walking Dreams": Das können die Träume des Flaneurs sein oder Träume, die eigenmächtig ihren Weg nehmen. Die Bilder aber gleichen vielmehr Erinnerungen - unserer Wahrnehmung der Umgebung, nur Sekunden nachdem wir mit dem Auto durch eine fremde Straße gefahren sind oder auf dem Rollband ein Terminal durchquert haben. Es sind Erinnerungen an Momente, die wir nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen haben. Sekundenbruchteilkurze Begegnungen durch die Scheibe eines Linienbusses. Und es sind die verblassenden Erinnerungen an Momente, die sich uns einer Stimmung wegen oder wegen der besonderen Komposition des Augenblicks ins Gedächtnis eingebrannt haben - aber eben nicht für immer.
Die Fotografie hat die Welt verkleinert. Nur wenige Jahre nach ihrer Erfindung waren alle bedeutenden Sehenswürdigkeiten dokumentiert, und bald schon wurden Reisebilder millionenfach vertrieben. Für manche waren die Aufnahmen Ersatz für eine Reise, den anderen dienten sie zunächst zur Vorbereitung, später als Stütze der Erinnerung, bis irgendwann das Bild und das Erlebnis nicht mehr voneinander zu trennen waren.
Was Isabella Berr nun festgehalten hat, sind die Räume zwischen den Reiseerlebnissen. Augenblicke, die üblicherweise niemand dokumentiert. Momente, so flüchtig, wie das Leben eben ist. "Walking Memories", müsste ihr Buch heißen: davoneilende Erinnerungen.
"Walking Dreams" von Isabella Berr. Mit Texten von Jürgen Tesch und Holden Luntz. Hirmer Verlag, München 2013. 128 Seiten, 62 Farbfotografien. Gebunden, 49,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auch die schönsten Momente des Lebens verblassen, wenn man sie nicht festhält - oder wenn Isabella Berr sie fotografiert.
Von Freddy Langer
Es zählt zu den Konventionen vieler Filmemacher und Fotografen, das, was als Traum oder als traumhaft verstanden werden soll, kurzerhand unscharf abzubilden. Daran haben wir uns gewöhnt. Ohne lange nachzudenken, verstehen wir augenblicklich die Absicht der Künstler, obwohl sich hinter dieser Form von Ästhetik ein Missverständnis verbirgt. Denn man träumt ja gar nicht unscharf; im Gegenteil. Selten sind Dinge und Momente so klar und präzise wie in einem Traum.
Alfred Hitchcock hat das begriffen und seine gespenstischen Traumszenen so hell ausgeleuchtet, dass sie deutlicher zu erkennen sind als der restliche Film. Und schon die Surrealisten wussten, dass nichts unheimlicher ist und verfremdeter wirkt als ein präzise dargestellter Gegenstand. Kein Medium eignet sich dafür besser als die Fotografie.
Unscharf hingegen ist die Wirklichkeit, unsere Sicht auf die Welt. Auch damit haben Künstler sich beschäftigt: die Maler des Impressionismus etwa oder die Fotografen des Piktoralismus um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. Mit wissenschaftlich fundiertem Anspruch zerlegten sie ihre Motive in Millionen Pünktchen oder zogen den Schleier aufwendiger Edeldruckverfahren darüber. Und noch heute zeigt der Fotograf Hiroshi Sugimoto die berühmtesten Bauwerke der Welt, als lösten sich ihre Konturen vor grauem Himmel auf - fast so, als schmölzen sie wie ein Eisblock in der Sonne. Und wir? Wir sagen eilfertig nur wiederum: Wie geträumt!
"Walking Dreams" nennt nun die Fotografin Isabella Berr ihren Bildband mit Momentaufnahmen aus Straßen und Cafés, von Flughäfen und Hafenpromenaden. Es sind Reisebilder von unbestimmten Orten, nie zugeordnet oder lokalisierbar, sondern vieldeutig und eine Spur zu romantisierend mit Titeln wie "Wartend" und "Ferne Nähe", "Vorüberziehend" und "Kein Ort, nirgends" bezeichnet. "Walking Dreams": Das können die Träume des Flaneurs sein oder Träume, die eigenmächtig ihren Weg nehmen. Die Bilder aber gleichen vielmehr Erinnerungen - unserer Wahrnehmung der Umgebung, nur Sekunden nachdem wir mit dem Auto durch eine fremde Straße gefahren sind oder auf dem Rollband ein Terminal durchquert haben. Es sind Erinnerungen an Momente, die wir nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen haben. Sekundenbruchteilkurze Begegnungen durch die Scheibe eines Linienbusses. Und es sind die verblassenden Erinnerungen an Momente, die sich uns einer Stimmung wegen oder wegen der besonderen Komposition des Augenblicks ins Gedächtnis eingebrannt haben - aber eben nicht für immer.
Die Fotografie hat die Welt verkleinert. Nur wenige Jahre nach ihrer Erfindung waren alle bedeutenden Sehenswürdigkeiten dokumentiert, und bald schon wurden Reisebilder millionenfach vertrieben. Für manche waren die Aufnahmen Ersatz für eine Reise, den anderen dienten sie zunächst zur Vorbereitung, später als Stütze der Erinnerung, bis irgendwann das Bild und das Erlebnis nicht mehr voneinander zu trennen waren.
Was Isabella Berr nun festgehalten hat, sind die Räume zwischen den Reiseerlebnissen. Augenblicke, die üblicherweise niemand dokumentiert. Momente, so flüchtig, wie das Leben eben ist. "Walking Memories", müsste ihr Buch heißen: davoneilende Erinnerungen.
"Walking Dreams" von Isabella Berr. Mit Texten von Jürgen Tesch und Holden Luntz. Hirmer Verlag, München 2013. 128 Seiten, 62 Farbfotografien. Gebunden, 49,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main