Mit dem Boom der Mobilgeräte explodierte auch der infrastrukturelle Bedarf der Telekommunikationsindustrie und seit den 1980er-Jahren schossen Funkmasten überall auf dem Planeten aus dem Boden. Diese Szenerie veränderte sich dramatisch, als 1992 eine dieser Antennen erstmals in Gestalt eines künstlichen Baums errichtet wurde. Seither hat sich diese Art der Tarnung zu einem weltweiten Phänomen entwickelt, das grundlegende Fragen zum Verhältnis von Mensch und Natur aufwirft. Die Serie "Second Nature" konzentriert sich auf die Funkmasten-Bäume, die heute Teil der Landschaft Südkaliforniens sind. Diese Artefakte des digitalen Zeitalters zeigen, wie die Textautorin Amy Clarke es ausdrückt, »eine gesellschaftliche Vorliebe für die Ästhetik des Künstlichen anstelle einer als hässlich empfundenen Realität.«Das Buch (Broschur mit offenem Rücken im Schuber) besteht aus zwei Teilen, "Mono-Palms" und "Mono-Pines" - man liest erst von der einen Seite, wendet es dann und fährt von der anderen Seite fort.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke bekommt Angst beim Anblick der Fotos von Isik Kaya und Thomas Georg Blank, die camouflierte Infrastruktur im Dämmerlicht zeigen: Funkmasten, Transformatoren getarnt als Einfamilienhäuser und Kiefern oder Palmen. Als würden die Dinger die Macht übernehmen, findet er. Ein Begleittext im Band erwägt dagegen die Kompensation des schlechten Gewissens wegen Naturzerstörung als Grund für die künstlichen Gewächse aus Stahl, so Spanke. Dass das Ganze längst ein lukratives Business ist, weiß Spanke und überlegt angesichts der Aufnahmen, ob es nicht besser wäre, einen Funkmast einfach einen Funkmast sein und auch so aussehen zu lassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2022Diese Bäume funken mit 5G
Tarnen und Täuschen: Isik Kaya und Thomas Georg Blank haben Sendemasten in Gestalt von
Palmen und Kiefern
fotografiert.
Technische Infrastruktur hat ein Imageproblem. Werden auf einer Wiese oder an einem Waldrand ein paar Windräder aufgebaut, ist der Protest nur eine Frage der Zeit: zu laut, zu schattig, zu gefährlich, zu sehen. Gerade der landschaftliche Gesichtsverlust bewegt die Beschwerdeführer so sehr, dass sich mit der von ihnen oft gestellten Diagnose "Verspargelung" inzwischen eine Art Fachausdruck etabliert hat. In Städten wie Chicago oder Sydney war man sich schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts der Bedeutung ästhetischer Fragen im öffentlichen Raum bewusst. Eine bald aufgestellte Grundregel lautete: Nur eine verborgene Energieversorgungsanlage ist eine gute Energieversorgungsanlage. Besonders ins Zeug gelegt hat sich Toronto. Dort verfügten die zeitweilig mehr als zweihundertfünfzig Häuser, deren einzige Funktion es war, als Hülle für Transformatoren zu dienen, über die unterschiedlichsten Formen und Größen, von der neugotischen Villa bis zum Familien-Bungalow. Das wichtigste Ziel: nicht auffallen.
Das klappte und klappt allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Denn wer genauer hinschaut, wird bemerken, dass die übrig gebliebenen Gebäude dieser Art nachts nicht beleuchtet, dafür aber mit Warntafeln versehen sind: "Danger". Nie steht ein Auto vor oder in der Garage, nirgends liegen Gartenschläuche oder Basketbälle herum, keine Spur von Mülleimern, Weihnachts- oder Halloween-Schmuck. Dieses Versteckspiel versteht sich nicht von selbst. Im neunzehnten Jahrhundert haben einige Städte ihre Infrastruktur stolz zur Schau gestellt. Der 1869 errichtete Chicago Water Tower des Architekten William W. Boyington misst fünfundfünfzig Meter, sollte also unbedingt wahrgenommen, ja als technische Glanzleistung bestaunt werden - und ist Oscar Wilde zufolge doch nur eine "burgartige Monstrosität".
Auch Südkalifornien will von gut sichtbarem Fortschritt nichts wissen. Dort ist es seit einiger Zeit üblich, die sich rasch vermehrenden Funkmasten so zu gestalten, als seien sie Teil der Flora. Man bevorzugt Palmen und Kiefern. Das soll Authentizität vermitteln, steigert aber nur den Eindruck einer Las-Vegas-haften Disneyfizierung. Die Fotografen Isik Kaya and Thomas Georg Blank haben dem Phänomen einen Bildband namens "Second Nature" gewidmet, in dem sie besonders interessante und scheußliche Exemplare seitenfüllend präsentieren. Viele der Aufnahmen sind im Dämmerlicht oder bei Dunkelheit entstanden und erinnern an die beunruhigend illuminierten Bilder Gregory Crewdsons. Die an den Wipfeln installierten Hindernisfeuer verleihen den Szenen ein gespenstisches, manchmal regelrecht cyberpunkiges Kolorit, als wären die Bäume mit böser Absicht mitten in der Stadt gelandet.
Wenn die Technik nun nicht einmal mehr aussieht wie Technik, sondern so tut, als sei sie naturwüchsig, entsteht der Eindruck, dies sei Teil unserer Antwort auf den allenthalben schrumpfenden Baumbestand. So denkt Amy Clarke in ihrem Begleittext zunächst darüber nach, ob das Design der Funkmasten womöglich einem schlechten Gewissen über die menschengemachte Naturzerstörung entspringen könnte. Anschließend weist sie darauf hin, dass die Pseudogewächse bei mangelhafter Wartung Plastik- und Fiberglaskomponenten verlieren, was wiederum zur Vermüllung der Umgebung beiträgt. Wohltuend ist dabei, dass sie die Gelegenheit nicht nutzt, um in oft genug geführte Debatten über Natur und Kultur einzutauchen - darum kümmert sich dann Ziad Mahayni in seinem Essay.
Übrigens streben manche Fabrikanten durchaus die perfekte Nachahmung an. So wurde schon erforscht, ob sich mithilfe von Nanotechnologie künstliches Laub produzieren lässt, das je nach Temperatur die Farbe ändert. Was der Vorstoß außer Acht ließ: In der Natur vollzieht sich diese Wandlung bedingt durch die Jahreszeiten, und echte Bäume werfen ihre Blätter irgendwann ab, um schließlich neue zu produzieren. Solche Bemühungen spielten zu Beginn der Naturalisierung von Funkanlagen noch keine Rolle.
Ausgangspunkt war das Jahr 1992, als das Unternehmen Larson Co. (heute Valmont Larson) den Auftrag erhielt, eine Antenne zu camouflieren. Die Firma war bis zu diesem Zeitpunkt darauf spezialisiert, Set-Designs für Zoos, Aquarien, Museen und Themenparks herzustellen. Mittlerweile existieren mehrere Konzerne, die sich mit immer besseren Lösungen zu überbieten versuchen. Handbemalte Fake-Kakteen oder Holzimitate, die aussehen, als hätten sich Generationen von Termiten daran abgearbeitet - es ist ein Markt der unbegrenzten Möglichkeiten. Und kein billiger. Für formvollendete Exemplare verlangen die Hersteller sechsstellige Beträge.
Ob nicht ein nackter Metallpfahl mit an der Spitze befestigter Funkausrüstung die bessere Lösung wäre, das fragt man sich angesichts eines der Bilder, auf dem eine Fake-Kiefer zwischen Mülltonnen und einem Industriegebäude steht. Denn gerade in dieser von Zäunen und Asphalt dominierten Umgebung wird der seltsam krank wirkende Baum zu einem Fremdkörper, der, wäre er kleiner, Teil einer Modelleisenbahnwelt sein könnte. In San Francisco vertritt man daher die Ansicht, architektonische Camouflage vertrage sich besser mit dem Stadtbild als künstliche Bäumchen. Wie dem auch sei, vielleicht dauert es ja nicht mehr lange, bis die Hersteller von Windrädern ihren Sinn für ästhetische Optimierung entdecken. KAI SPANKE
Isik Kaya und Thomas Georg Blank: "Second Nature".
Kehrer Verlag, Heidelberg 2022. 112 S., Abb., br., 39,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tarnen und Täuschen: Isik Kaya und Thomas Georg Blank haben Sendemasten in Gestalt von
Palmen und Kiefern
fotografiert.
Technische Infrastruktur hat ein Imageproblem. Werden auf einer Wiese oder an einem Waldrand ein paar Windräder aufgebaut, ist der Protest nur eine Frage der Zeit: zu laut, zu schattig, zu gefährlich, zu sehen. Gerade der landschaftliche Gesichtsverlust bewegt die Beschwerdeführer so sehr, dass sich mit der von ihnen oft gestellten Diagnose "Verspargelung" inzwischen eine Art Fachausdruck etabliert hat. In Städten wie Chicago oder Sydney war man sich schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts der Bedeutung ästhetischer Fragen im öffentlichen Raum bewusst. Eine bald aufgestellte Grundregel lautete: Nur eine verborgene Energieversorgungsanlage ist eine gute Energieversorgungsanlage. Besonders ins Zeug gelegt hat sich Toronto. Dort verfügten die zeitweilig mehr als zweihundertfünfzig Häuser, deren einzige Funktion es war, als Hülle für Transformatoren zu dienen, über die unterschiedlichsten Formen und Größen, von der neugotischen Villa bis zum Familien-Bungalow. Das wichtigste Ziel: nicht auffallen.
Das klappte und klappt allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Denn wer genauer hinschaut, wird bemerken, dass die übrig gebliebenen Gebäude dieser Art nachts nicht beleuchtet, dafür aber mit Warntafeln versehen sind: "Danger". Nie steht ein Auto vor oder in der Garage, nirgends liegen Gartenschläuche oder Basketbälle herum, keine Spur von Mülleimern, Weihnachts- oder Halloween-Schmuck. Dieses Versteckspiel versteht sich nicht von selbst. Im neunzehnten Jahrhundert haben einige Städte ihre Infrastruktur stolz zur Schau gestellt. Der 1869 errichtete Chicago Water Tower des Architekten William W. Boyington misst fünfundfünfzig Meter, sollte also unbedingt wahrgenommen, ja als technische Glanzleistung bestaunt werden - und ist Oscar Wilde zufolge doch nur eine "burgartige Monstrosität".
Auch Südkalifornien will von gut sichtbarem Fortschritt nichts wissen. Dort ist es seit einiger Zeit üblich, die sich rasch vermehrenden Funkmasten so zu gestalten, als seien sie Teil der Flora. Man bevorzugt Palmen und Kiefern. Das soll Authentizität vermitteln, steigert aber nur den Eindruck einer Las-Vegas-haften Disneyfizierung. Die Fotografen Isik Kaya and Thomas Georg Blank haben dem Phänomen einen Bildband namens "Second Nature" gewidmet, in dem sie besonders interessante und scheußliche Exemplare seitenfüllend präsentieren. Viele der Aufnahmen sind im Dämmerlicht oder bei Dunkelheit entstanden und erinnern an die beunruhigend illuminierten Bilder Gregory Crewdsons. Die an den Wipfeln installierten Hindernisfeuer verleihen den Szenen ein gespenstisches, manchmal regelrecht cyberpunkiges Kolorit, als wären die Bäume mit böser Absicht mitten in der Stadt gelandet.
Wenn die Technik nun nicht einmal mehr aussieht wie Technik, sondern so tut, als sei sie naturwüchsig, entsteht der Eindruck, dies sei Teil unserer Antwort auf den allenthalben schrumpfenden Baumbestand. So denkt Amy Clarke in ihrem Begleittext zunächst darüber nach, ob das Design der Funkmasten womöglich einem schlechten Gewissen über die menschengemachte Naturzerstörung entspringen könnte. Anschließend weist sie darauf hin, dass die Pseudogewächse bei mangelhafter Wartung Plastik- und Fiberglaskomponenten verlieren, was wiederum zur Vermüllung der Umgebung beiträgt. Wohltuend ist dabei, dass sie die Gelegenheit nicht nutzt, um in oft genug geführte Debatten über Natur und Kultur einzutauchen - darum kümmert sich dann Ziad Mahayni in seinem Essay.
Übrigens streben manche Fabrikanten durchaus die perfekte Nachahmung an. So wurde schon erforscht, ob sich mithilfe von Nanotechnologie künstliches Laub produzieren lässt, das je nach Temperatur die Farbe ändert. Was der Vorstoß außer Acht ließ: In der Natur vollzieht sich diese Wandlung bedingt durch die Jahreszeiten, und echte Bäume werfen ihre Blätter irgendwann ab, um schließlich neue zu produzieren. Solche Bemühungen spielten zu Beginn der Naturalisierung von Funkanlagen noch keine Rolle.
Ausgangspunkt war das Jahr 1992, als das Unternehmen Larson Co. (heute Valmont Larson) den Auftrag erhielt, eine Antenne zu camouflieren. Die Firma war bis zu diesem Zeitpunkt darauf spezialisiert, Set-Designs für Zoos, Aquarien, Museen und Themenparks herzustellen. Mittlerweile existieren mehrere Konzerne, die sich mit immer besseren Lösungen zu überbieten versuchen. Handbemalte Fake-Kakteen oder Holzimitate, die aussehen, als hätten sich Generationen von Termiten daran abgearbeitet - es ist ein Markt der unbegrenzten Möglichkeiten. Und kein billiger. Für formvollendete Exemplare verlangen die Hersteller sechsstellige Beträge.
Ob nicht ein nackter Metallpfahl mit an der Spitze befestigter Funkausrüstung die bessere Lösung wäre, das fragt man sich angesichts eines der Bilder, auf dem eine Fake-Kiefer zwischen Mülltonnen und einem Industriegebäude steht. Denn gerade in dieser von Zäunen und Asphalt dominierten Umgebung wird der seltsam krank wirkende Baum zu einem Fremdkörper, der, wäre er kleiner, Teil einer Modelleisenbahnwelt sein könnte. In San Francisco vertritt man daher die Ansicht, architektonische Camouflage vertrage sich besser mit dem Stadtbild als künstliche Bäumchen. Wie dem auch sei, vielleicht dauert es ja nicht mehr lange, bis die Hersteller von Windrädern ihren Sinn für ästhetische Optimierung entdecken. KAI SPANKE
Isik Kaya und Thomas Georg Blank: "Second Nature".
Kehrer Verlag, Heidelberg 2022. 112 S., Abb., br., 39,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main