Vier Leute reisen nach Island: der Meister und Magarita, Max und die Berichterstatterin. Sie erkunden die Gegend und heben allerhand Fundstücke auf. Hier schaut jemand genau hin und notiert, wenn sich nichts Besonderes ereignet, wenn sich beiläufig einzigartige Landschaften auftun.
Eine wundersame Welt verströmt in diesem Buch ihren diskreten Zauber, weil Sarah Kirsch sie wahrnimmt und in ihre poetische Sprache fasst. Den Band hat sie zudem reich mit Quarellen versehen.
Eine wundersame Welt verströmt in diesem Buch ihren diskreten Zauber, weil Sarah Kirsch sie wahrnimmt und in ihre poetische Sprache fasst. Den Band hat sie zudem reich mit Quarellen versehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2002Jede Nacht spielt Halldór Klavier
Arktischer Koller: Sarah Kirsch nimmt das Frachtschiff nach Island
Es ist schwer abzuschätzen, ob der Greis sich über den Besuch aus Deutschland freut. Höflich ist er immerhin: "Unser herrlicher Dichter lief um den Tisch als wollte er uns entkommen, hätte die Nase voll von all dem Geschwätz, aber dann fesselte ihn wieder ein Wort. Er sprach immer noch in verschiednen Sprachen, und wenn er den Faden verlor, lachte er bloß. Nimmt einen mit, solch einen Bewunderten in den Fängen von Sir Alzheim zu finden."
Der Besuch bei Halldór Laxness steht am Ende von Sarah Kirschs Aufzeichnungen einer Island-Reise im Sommer 1992, die erst jetzt zusammen mit Aquarellen der Autorin im Druck erschienen sind. Der Insel nähert sie sich behutsam: nicht nur, indem ihr Blick das Spektakuläre meidet oder so lange auf der Landschaft verharrt, bis sich in ihren Augen die "Babygeysire" und Wasserfälle beleben, sondern schon in der Anreise, für die sie lieber ein Frachtschiff besteigt als ein Flugzeug, um sich allmählich mit dem Nordmeer und den hellen Nächten vertraut zu machen. Es sind Notizen, die in sich gerundet, aber doch dem unmittelbaren Erleben geschuldet sind: "Bevor man etwas beschrieben hat, sieht es anders aus", schreibt Kirsch kurz vor den Orkney-Inseln angesichts der unruhigen See. Sie selbst bemüht sich spürbar um einen von keiner Sentimentalität verstellten Blick (und diagnostiziert bei ihren Mitreisenden schon mal den "arktischen Koller"). Ihre Sprache aber changiert zwischen schnoddrig und geziert, zwischen Stakkato und Elegie. Manchmal weiß sie der archaischen Landschaft nur mit Satzkonstruktionen zu begegnen, die aus der Welt der Brüder Grimm zu stammen scheinen, dann wieder gibt sie lediglich ein Stenogramm ihrer Reiseerlebnisse, und der Wechsel scheint eher der Beobachterin geschuldet als der beobachteten Umgebung: Im Regen notiert sie anders (und oft knapper oder nüchterner) als bei klarem Himmel, am Morgen anders als nach einem erschöpfenden Wandertag, in Gesellschaft anders als in den Einöden des isländischen Hochlands. Allerdings können auch die endlosen Tage die Nerven der Autorin gehörig angreifen: "Wir sind in unseren langweiligen Zimmern. Draußen scheint und scheint die Sonne. Gestern hab ich sie bis nulluhrdreißig gesehn."
Manchmal wechselt die Stillage mitten im Geschehen: "Vom Kinderwasserfall aus, von dessen natürlicher Brücke eines Bauern Kindern vor Zeiten gestürzt und ertrunken sind, bewegten wir uns fröstelnd durchs Kaldidalur, das menschenleere Ödland, auf früheren Reiterpfaden nach Westen. Es galt, einen zerfallenden Paß zu überqueren mittels einer Straße, die auf unserer Karte gestrichelt." Dann aber berichtet sie, sichtlich enerviert wegen der miserablen Straße, von einem Autofahrer, der ganz "high" gewesen sei, weil er den Weg überstanden und "sich und seine Kinder nicht umgebracht" habe.
Doch in all den liebevollen und manchmal funkelnd originellen Landschafts- und Naturimpressionen setzt der Besuch bei Laxness ein Glanzlicht. Und selbst der Alzheimerkrankheit des Dichters gewinnt Kirschs Beschreibung eine ungewöhnliche Seite ab: "So finster es aussehen mag, daß er nie wieder schreiben wird und kaum noch er selbst ist, alles verwandelt sich weiter. So hat er mit Klavierspielen angefangen. Seine Frau verwundert sich, daß er Schubert-Sonaten ohne geübt zu haben nächtelang großartig spielt."
TILMAN SPRECKELSEN
Sarah Kirsch: "Islandhoch". Tagebruchstücke. Steidl Verlag, Göttingen 2002. 104 S., 42 Aquarelle, geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Arktischer Koller: Sarah Kirsch nimmt das Frachtschiff nach Island
Es ist schwer abzuschätzen, ob der Greis sich über den Besuch aus Deutschland freut. Höflich ist er immerhin: "Unser herrlicher Dichter lief um den Tisch als wollte er uns entkommen, hätte die Nase voll von all dem Geschwätz, aber dann fesselte ihn wieder ein Wort. Er sprach immer noch in verschiednen Sprachen, und wenn er den Faden verlor, lachte er bloß. Nimmt einen mit, solch einen Bewunderten in den Fängen von Sir Alzheim zu finden."
Der Besuch bei Halldór Laxness steht am Ende von Sarah Kirschs Aufzeichnungen einer Island-Reise im Sommer 1992, die erst jetzt zusammen mit Aquarellen der Autorin im Druck erschienen sind. Der Insel nähert sie sich behutsam: nicht nur, indem ihr Blick das Spektakuläre meidet oder so lange auf der Landschaft verharrt, bis sich in ihren Augen die "Babygeysire" und Wasserfälle beleben, sondern schon in der Anreise, für die sie lieber ein Frachtschiff besteigt als ein Flugzeug, um sich allmählich mit dem Nordmeer und den hellen Nächten vertraut zu machen. Es sind Notizen, die in sich gerundet, aber doch dem unmittelbaren Erleben geschuldet sind: "Bevor man etwas beschrieben hat, sieht es anders aus", schreibt Kirsch kurz vor den Orkney-Inseln angesichts der unruhigen See. Sie selbst bemüht sich spürbar um einen von keiner Sentimentalität verstellten Blick (und diagnostiziert bei ihren Mitreisenden schon mal den "arktischen Koller"). Ihre Sprache aber changiert zwischen schnoddrig und geziert, zwischen Stakkato und Elegie. Manchmal weiß sie der archaischen Landschaft nur mit Satzkonstruktionen zu begegnen, die aus der Welt der Brüder Grimm zu stammen scheinen, dann wieder gibt sie lediglich ein Stenogramm ihrer Reiseerlebnisse, und der Wechsel scheint eher der Beobachterin geschuldet als der beobachteten Umgebung: Im Regen notiert sie anders (und oft knapper oder nüchterner) als bei klarem Himmel, am Morgen anders als nach einem erschöpfenden Wandertag, in Gesellschaft anders als in den Einöden des isländischen Hochlands. Allerdings können auch die endlosen Tage die Nerven der Autorin gehörig angreifen: "Wir sind in unseren langweiligen Zimmern. Draußen scheint und scheint die Sonne. Gestern hab ich sie bis nulluhrdreißig gesehn."
Manchmal wechselt die Stillage mitten im Geschehen: "Vom Kinderwasserfall aus, von dessen natürlicher Brücke eines Bauern Kindern vor Zeiten gestürzt und ertrunken sind, bewegten wir uns fröstelnd durchs Kaldidalur, das menschenleere Ödland, auf früheren Reiterpfaden nach Westen. Es galt, einen zerfallenden Paß zu überqueren mittels einer Straße, die auf unserer Karte gestrichelt." Dann aber berichtet sie, sichtlich enerviert wegen der miserablen Straße, von einem Autofahrer, der ganz "high" gewesen sei, weil er den Weg überstanden und "sich und seine Kinder nicht umgebracht" habe.
Doch in all den liebevollen und manchmal funkelnd originellen Landschafts- und Naturimpressionen setzt der Besuch bei Laxness ein Glanzlicht. Und selbst der Alzheimerkrankheit des Dichters gewinnt Kirschs Beschreibung eine ungewöhnliche Seite ab: "So finster es aussehen mag, daß er nie wieder schreiben wird und kaum noch er selbst ist, alles verwandelt sich weiter. So hat er mit Klavierspielen angefangen. Seine Frau verwundert sich, daß er Schubert-Sonaten ohne geübt zu haben nächtelang großartig spielt."
TILMAN SPRECKELSEN
Sarah Kirsch: "Islandhoch". Tagebruchstücke. Steidl Verlag, Göttingen 2002. 104 S., 42 Aquarelle, geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Vor zehn Jahren begab sich Sarah Kirsch auf Expedition, erzählt Sybille Birrer, bestieg ein Containerschiff und reiste mit drei Freunden nach Island. Ihre Tagebuchskizzen changieren zwischen Natureindrücken, die Kirsch mit dem ihr eigenen "Pointillismus aus Farbbeschreibungen und Faunakunde" festhält, so Birrer, sowie eher saloppen Formulierungen, die von der Begeisterung der Autorin herrührten. Ihr ging teilweise einfach die Feder durch, freut sich Birrer und spricht von "kullernden Notaten" statt meditativer Naturlyrik. Im übrigen ließen sich an diesem Prosaband nicht nur die unterschiedlichen Tonlagen dieser Autorin bewundern, sondern auch die verschiedenen Grade ihrer sprachlichen Verwandlung von Wahrnehmung in Sprache nachvollziehen. Kirsch hat, so Birrer, auch andere Expeditionsberichte gelesen und beschreibt ihren skurrilen Besuch bei dem mittlerweile verstorbenen isländischen Nobelpreisträger Haldor Laxness, der an Alzheimer erkrankt war. Unterlegt sind die Reisenotate durch Aquarelle von Sarah Kirsch, die trotz ihrer Schönheit und Lebendigkeit mit der sprachlichen Intensität des Berichts für Birrer nicht gleichziehen können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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