Von Berlin geht eine Faszination aus, die bis nach Israel ausstrahlt. Immer mehr jüngere Israelis zieht es heute in die alt-neue deutsche Hauptstadt. Geht man dieser Faszination nach, begibt man sich auf einen Weg, der ins Zentrum der vielfältig verflochtenen und gebrochenen jüdischen und deutschen Geschichte führt.
Weder das Berlin der Weimarer Republik noch die Hauptstadt des »Dritten Reichs« ist von der historisch-imaginären Landkarte Israels wegzudenken. Tausende von gebürtigen Berlinern sind Israelis geworden, prägende hebräische Schriftsteller wie Lea Goldberg und S. J. Agnon haben entscheidende Jahre in Berlin verbracht. Israel hat auch eine Berliner, eine europäische Vergangenheit. Die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger hat ein Jahr in Berlin gelebt und sich mit den eigenen gemischten Gefühlen wie mit denen anderer Israelis zu diesem gleichermaßen realen und imaginären Ort auseinandergesetzt. Wie Erich Kästners Emil, einem Helden ihrer Kindheitsbücher, entdeckt sie bei ihrer Reise durch Berlin vieles, was ihr die eigene Welt neu erschließt, ihre Wahrnehmung für bestimmende Momente des israelischen kulturellen Codes schärft. Lebendig und erhellend erzählt sie von Begegnungen in und mit Berlin, von den Erfahrungen und Familienerinnerungen einzelner, viele individuelle Geschichten, die eine Welt wiederauferstehen lassen, die es nicht mehr gibt und die doch fortwirkt - ein Erbe, das Israelis und Deutsche heute zugleich dauerhaft verbindet und trennt.
Weder das Berlin der Weimarer Republik noch die Hauptstadt des »Dritten Reichs« ist von der historisch-imaginären Landkarte Israels wegzudenken. Tausende von gebürtigen Berlinern sind Israelis geworden, prägende hebräische Schriftsteller wie Lea Goldberg und S. J. Agnon haben entscheidende Jahre in Berlin verbracht. Israel hat auch eine Berliner, eine europäische Vergangenheit. Die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger hat ein Jahr in Berlin gelebt und sich mit den eigenen gemischten Gefühlen wie mit denen anderer Israelis zu diesem gleichermaßen realen und imaginären Ort auseinandergesetzt. Wie Erich Kästners Emil, einem Helden ihrer Kindheitsbücher, entdeckt sie bei ihrer Reise durch Berlin vieles, was ihr die eigene Welt neu erschließt, ihre Wahrnehmung für bestimmende Momente des israelischen kulturellen Codes schärft. Lebendig und erhellend erzählt sie von Begegnungen in und mit Berlin, von den Erfahrungen und Familienerinnerungen einzelner, viele individuelle Geschichten, die eine Welt wiederauferstehen lassen, die es nicht mehr gibt und die doch fortwirkt - ein Erbe, das Israelis und Deutsche heute zugleich dauerhaft verbindet und trennt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2002Beklemmung und Lust
Bilanz einer Emigration in die verlorene Heimat: Israelis in Berlin · Von Antje Schmelcher
Die Historikerin Fania Oz-Salzberger nennt sich selbst eine säkulare Israelin. 1960 wurde sie in einem Kibbuz geboren und gehört in ihrer Familie zur dritten Generation israelischer Staatsbürger. Sie ist die Tochter des Schriftstellers Amos Oz, dessen Eltern aus Deutschland und Polen kamen. Die Frage der Generation spielt in ihrem Buch "Israelis in Berlin", das sie während ihres einjährigen Gastaufenthaltes am Wissenschaftskolleg geschrieben hat, eine entscheidende Rolle. Denn fünfzehn Jahre früher hätte sie es noch nicht schreiben können. Damals war die junge Studentin in Freiburg, wo sie für bestimmte alte Damen in der Straßenbahn nicht aufgestanden wäre. Doch die Zeit hat sich von der Tätergeneration verabschiedet. "Von nun an wird jeder Mensch, dem wir in Deutschland begegnen, einer sein, dessen Hände ebenso rein sind wie unsere. Von hier an beginnt etwas Neues."
Vor Sätzen wie diesem ist Oz-Salzberger gewarnt worden. Sie dürfe nicht denjenigen in die Hände spielen, die längst auf eine Normalisierung aus sind nach der Gleichung, die Juden seien die Opfer der Nazis, die Deutschen die Opfer ihrer Eltern, gab Jürgen Habermas zu bedenken. Doch das Buch läßt sich nicht mißverstehen. Zu kraß sind die plötzlichen Einbrüche der Erinnerung, zu schmerzhaft das stille Leiden an deutschen Gewohnheiten und Gewöhnlichkeiten.
In einem historischen Bogen führt Oz-Salzberger die Leser an die Verbindungsstellen zwischen Berlin und Israel. Die Achse Berlin-Jerusalem führt sie auf Moses Mendelssohn zurück. In seiner Tradition baute der ebenfalls in Berlin geborene jüdische Religionshistoriker Gershom Scholem eine Brücke zum zionistischen Judentum. In der Weimarer Republik versammelte sich nach der Oktoberrevolution eine junge avantgardistische hebräischsprachige Schriftstellergeneration um den Verleger Salman Schocken. Autoren wie Lea Goldberg und Samuel Josef Agnon hielten den Glanz und das Elend im Berlin der dreißiger Jahre fest. Hier lernten die deutschen Juden das Ostjudentum kennen. Auch den Traum von der Wiedereinrichtung eines jüdischen Staates entlarvt die Autorin als deutschen Traum und erinnert daran, wie Theodor Herzl am Ölberg Kaiser Wilhelm II. die Zügel gehalten hat.
Als die Achse Berlin-Jerusalem zu einer Einbahnstraße geworden war, zog sie einen Teil von Berlin unwiederbringlich mit. Von den 160 000 Berliner Juden sind 55 000 ermordet worden. Viele der Überlebenden gingen nach Israel. Tel Aviv ist nicht umsonst eine Stadt des Bauhauses. Wie Oz-Salzberger aufzählt, waren über die Hälfte der Architekten der Mandatszeit Jeckes Juden aus Deutschland. Richard Herrmann baute die Tel Aviver Wohnsiedlung Talpiot nach dem Vorbild Grunewalds. Es sei diese Sehnsucht, die im Bewußtsein vieler Israelis immer noch mit dem Abscheu gegen das Land der Täter konkurriere, schreibt die Autorin.
In zahlreichen Gesprächen tastet sie das Lebensgefühl junger Israelis in Berlin ab - mit dem ersten Geiger der Berliner Philharmoniker, mit dem Banker, mit der Bedienung, mit Rabbiner Yitzchak Ehrenburg, mit dem Schwulen und mit der Reiseführerin. Dabei stößt sie darauf, daß die Beklemmung einer neuen Lust gewichen ist. Nicht mehr nur deutsche Touristen vergnügen sich in israelischen Kibbuzim, auch israelische Touristen gehen in deutsche Darkrooms. Das Tabu der körperlichen Berührung ist gefallen. Doch die Asymmetrie der eigenen Wahrnehmung ist dadurch nicht geheilt. Der Anblick der Nackten im Tiergarten, ein zu lautes "Jawohl" lassen bei der Autorin kein behagliches Lebensgefühl aufkommen. Immer wieder unterbricht sie ihre Essays und nimmt die Fäden der Lebens- und Sterbensgeschichte ihrer Angehörigen wieder auf. Sie besucht das Kinderheim in der Hermannstraße, in der drei Kinder einer Cousine noch zwei Jahre lebten, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurden. Sie besucht den Ort Tröbitz, wo im März 1945 der letzte KZ-Transport strandete und die Überlebenden ihrer Familie an Typhus starben.
Das Buch ist eine Gegenwartsdiagnose, der das Experiment einer rückwärtsgewandten Emigration zugrunde liegt. Ihr Resultat ist ein Begehren danach, den eigenen Erbanspruch anzutreten - das Recht, jenseits von Wiedergutmachungsgeldern auf eigene Rechnung nach der eigenen Vergangenheit zu forschen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Erlittenes Unrecht möchte die Autorin nicht durch fremdes Leid aufgewogen wissen. Sie erzählt, wie sie im Wissenschaftskolleg einen Film über das zerstörte Berlin von 1945 ansieht. Die drei Gäste aus Israel schweigen. Unter sich reden sie später darüber, daß sie kein Mitleid empfinden können. Nur der kleine Junge, der mit einem Bündel auf dem Rücken nach seiner Familie sucht, erinnert sie an das eigene Schicksal.
Fania Oz-Salzberger: Israelis in Berlin. Jüdischer Verlag, Frankfurt 2002. 235 S., geb., 20,50 Euro.
Morgen lesen Sie an dieser Stelle: "Plattenteller".
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bilanz einer Emigration in die verlorene Heimat: Israelis in Berlin · Von Antje Schmelcher
Die Historikerin Fania Oz-Salzberger nennt sich selbst eine säkulare Israelin. 1960 wurde sie in einem Kibbuz geboren und gehört in ihrer Familie zur dritten Generation israelischer Staatsbürger. Sie ist die Tochter des Schriftstellers Amos Oz, dessen Eltern aus Deutschland und Polen kamen. Die Frage der Generation spielt in ihrem Buch "Israelis in Berlin", das sie während ihres einjährigen Gastaufenthaltes am Wissenschaftskolleg geschrieben hat, eine entscheidende Rolle. Denn fünfzehn Jahre früher hätte sie es noch nicht schreiben können. Damals war die junge Studentin in Freiburg, wo sie für bestimmte alte Damen in der Straßenbahn nicht aufgestanden wäre. Doch die Zeit hat sich von der Tätergeneration verabschiedet. "Von nun an wird jeder Mensch, dem wir in Deutschland begegnen, einer sein, dessen Hände ebenso rein sind wie unsere. Von hier an beginnt etwas Neues."
Vor Sätzen wie diesem ist Oz-Salzberger gewarnt worden. Sie dürfe nicht denjenigen in die Hände spielen, die längst auf eine Normalisierung aus sind nach der Gleichung, die Juden seien die Opfer der Nazis, die Deutschen die Opfer ihrer Eltern, gab Jürgen Habermas zu bedenken. Doch das Buch läßt sich nicht mißverstehen. Zu kraß sind die plötzlichen Einbrüche der Erinnerung, zu schmerzhaft das stille Leiden an deutschen Gewohnheiten und Gewöhnlichkeiten.
In einem historischen Bogen führt Oz-Salzberger die Leser an die Verbindungsstellen zwischen Berlin und Israel. Die Achse Berlin-Jerusalem führt sie auf Moses Mendelssohn zurück. In seiner Tradition baute der ebenfalls in Berlin geborene jüdische Religionshistoriker Gershom Scholem eine Brücke zum zionistischen Judentum. In der Weimarer Republik versammelte sich nach der Oktoberrevolution eine junge avantgardistische hebräischsprachige Schriftstellergeneration um den Verleger Salman Schocken. Autoren wie Lea Goldberg und Samuel Josef Agnon hielten den Glanz und das Elend im Berlin der dreißiger Jahre fest. Hier lernten die deutschen Juden das Ostjudentum kennen. Auch den Traum von der Wiedereinrichtung eines jüdischen Staates entlarvt die Autorin als deutschen Traum und erinnert daran, wie Theodor Herzl am Ölberg Kaiser Wilhelm II. die Zügel gehalten hat.
Als die Achse Berlin-Jerusalem zu einer Einbahnstraße geworden war, zog sie einen Teil von Berlin unwiederbringlich mit. Von den 160 000 Berliner Juden sind 55 000 ermordet worden. Viele der Überlebenden gingen nach Israel. Tel Aviv ist nicht umsonst eine Stadt des Bauhauses. Wie Oz-Salzberger aufzählt, waren über die Hälfte der Architekten der Mandatszeit Jeckes Juden aus Deutschland. Richard Herrmann baute die Tel Aviver Wohnsiedlung Talpiot nach dem Vorbild Grunewalds. Es sei diese Sehnsucht, die im Bewußtsein vieler Israelis immer noch mit dem Abscheu gegen das Land der Täter konkurriere, schreibt die Autorin.
In zahlreichen Gesprächen tastet sie das Lebensgefühl junger Israelis in Berlin ab - mit dem ersten Geiger der Berliner Philharmoniker, mit dem Banker, mit der Bedienung, mit Rabbiner Yitzchak Ehrenburg, mit dem Schwulen und mit der Reiseführerin. Dabei stößt sie darauf, daß die Beklemmung einer neuen Lust gewichen ist. Nicht mehr nur deutsche Touristen vergnügen sich in israelischen Kibbuzim, auch israelische Touristen gehen in deutsche Darkrooms. Das Tabu der körperlichen Berührung ist gefallen. Doch die Asymmetrie der eigenen Wahrnehmung ist dadurch nicht geheilt. Der Anblick der Nackten im Tiergarten, ein zu lautes "Jawohl" lassen bei der Autorin kein behagliches Lebensgefühl aufkommen. Immer wieder unterbricht sie ihre Essays und nimmt die Fäden der Lebens- und Sterbensgeschichte ihrer Angehörigen wieder auf. Sie besucht das Kinderheim in der Hermannstraße, in der drei Kinder einer Cousine noch zwei Jahre lebten, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurden. Sie besucht den Ort Tröbitz, wo im März 1945 der letzte KZ-Transport strandete und die Überlebenden ihrer Familie an Typhus starben.
Das Buch ist eine Gegenwartsdiagnose, der das Experiment einer rückwärtsgewandten Emigration zugrunde liegt. Ihr Resultat ist ein Begehren danach, den eigenen Erbanspruch anzutreten - das Recht, jenseits von Wiedergutmachungsgeldern auf eigene Rechnung nach der eigenen Vergangenheit zu forschen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Erlittenes Unrecht möchte die Autorin nicht durch fremdes Leid aufgewogen wissen. Sie erzählt, wie sie im Wissenschaftskolleg einen Film über das zerstörte Berlin von 1945 ansieht. Die drei Gäste aus Israel schweigen. Unter sich reden sie später darüber, daß sie kein Mitleid empfinden können. Nur der kleine Junge, der mit einem Bündel auf dem Rücken nach seiner Familie sucht, erinnert sie an das eigene Schicksal.
Fania Oz-Salzberger: Israelis in Berlin. Jüdischer Verlag, Frankfurt 2002. 235 S., geb., 20,50 Euro.
Morgen lesen Sie an dieser Stelle: "Plattenteller".
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