Bettina von Arnim, die Ehefrau des Dichters Achim von Arnim, war 36 Jahre alt, als sie 1821 den 15 Jahre jüngeren Schweizer Philipp Hössli kennenlernte. Die beiden kamen sich durch Gespräche über Malerei, Musik und Literatur sehr nah, doch ihr wichtigstes Gesprächsthema war die Liebe, wie Bettina sie verstand. Ihr Briefwechsel wirft ein gänzlich neues Licht auf Bettinas Ehe. Kurt Wanners Entdeckung der Briefe ist ein außergewöhnlicher Gewinn für die Bettina-Forschung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.1996Die begeisterte Biene
Bitte nicht so überspannt: Bettina von Arnims Briefe an Philipp Hössli
Der Prinz Louis Ferdinand von Preußen machte einmal über einen ihm bekannten Diplomaten die hübsche Bemerkung: "Brinckmann ist wirklich göttlich, die Liebenden schreiben der Liebe wegen, der liebt der Briefe wegen." Man darf dieses Bonmot auf Bettina von Arnim übertragen, die 1833 von Fürst Pückler in einem ziemlich barschen Brief den Kopf gewaschen bekam: "Wenn ich früher sagte, ich wollte mir recht gern Leidenschaftlichkeit gefallen lassen, so habe ich darunter doch nur eine leidenschaftlich ergebene Freundschaft . . . verstanden, aber nicht die dithyrambische Raserei einer achtzehnjährigen Bacchantin mit bloßer Gehirnsinnlichkeit, die noch obendrein nur künstlich heraufgeschraubt ist und jeden Augenblick beliebig beiseite gelegt oder auf einem anderen Instrument abgespielt werden kann."
Beide Zitate begleiteten meine Lektüre von Bettinas Briefen an Philipp Hössli. Der junge Schweizer, 1800 in Graubünden geboren, war 1821 nach Berlin gekommen, um hier Jura zu studieren. Durch Friedrich Karl von Savigny, dessen Vorlesungen er gleichzeitig mit Heine besuchte, lernte er Savignys Schwägerin Bettina von Arnim kennen. Man kam sich sehr schnell näher bei Gesprächen über Kunst und Künstler, gemeinsamem Musizieren, gemeinsamem Zeichnen. Als Hössli dann sein Studium in Göttingen fortsetzte, korrespondierte man miteinander. Die 37 Jahre alte Bettina, die in ihren Beziehungen zu Achim von Arnim gerade eine Krise erlebte, hatte in Hössli ein dankbares Objekt für ausgedehnte Liebesdithyramben gefunden.
Man muß schon von einem Objekt sprechen. Die brieflichen Liebesbekundungen waren einzig Papier, der Adressat blieb austauschbar. "Wundere Dich nicht über mich. Es ist der Umgang mit Göttern, den ich suche, und die Du, Glücklicher, wenn Du dies Glück zu würdigen weißt, jetzt beherbergst: Jugend, die noch kein Joch getragen, Schönheit, die unbefleckt, unberührt, noch in dem Keim verhüllt in Dir wohnt." Oder: "Warum ich auch heute noch keinen Brief von Dir erhalten? Ich dachte so gewiß, Du würdest bald schreiben, um auch bald wieder einen Brief von mir zu haben. Ist Dir bange vor meiner Liebe?"
Was Bettina hier als "Liebe" bezeichnet, das hatte, wie Pückler richtig erkannte, in der Tat einiges mit "Gehirnsinnlichkeit" zu tun. Denn ihr Partner war ihr als Individuum ziemlich gleichgültig, er lieferte der alternden Frau Inspirationen über die Liebe, einer Liebe allerdings, die sich in blumigen Phrasen erschöpfte, und darin war die Verfasserin wirklich verliebt, nicht in Philipp Hössli.
"Nenne mich Du im Herzen, wenn auch nicht in Briefen", verlangte sie, denn Ehemann Achim von Arnim las die Post seiner Frau und hätte auf falsche Gedanken kommen können. "Ich bedarf einer anderen Liebe, als auf dieser Erde gespendet und genossen wird, und ob Du auch eine klagende Stimme in diesen Briefen vernimmst." Der junge Schweizer, als exotischer Naturbursche in Berlin herumgereicht, wurde von ihr über das rechte Verständnis ihrer Briefe belehrt: "Wenn Du nun auch nichts in dem rhapsodischen Briefe erkennen kannst, was Händ' und Füße hat - (denn Du bist vielleicht einer von denen, der nichts begreiflich findet, als was Händ und Füße hat) - so erkenne zum wenigsten darin einen Geist, der die göttliche Natur im Menschen liebt, der sie erhalten will, der den Menschen zum reinen Tempel nach göttlichen Gesetzen oder nach den prophetischen Empfindungen göttlicher Orakel aufbauen will." Denn: "Dein Leben war mir eine Aufgabe: ich sollte es mit Geist durchtauchen."
Dem armen Hössli muß der Kopf geschwirrt haben, wenn er las: "Und wie Dein Kindertraum, Dein Knabenspiel sich umwandelte in fromme Sitte, die Schönheit zu lieben, Tag und Nacht in stillem Feuer ihr entgegenstrebend. So öffnet sich die Blüte, so strömt sie ihren Duft aus. Ja, der Liebe blühet die Seele, und der Geist duftet aus dem innigsten Verberg ihres Kelches und begeistert den Genießenden, Einatmenden. Ich bin eine solche Biene, die sich an den Rand einer solchen Blume saugt und gern von begeisternden Düften trunken wird."
Man sieht: Bettina hat den ganzen Fundus spätromantischer Klischees geplündert, um damit ihren Briefpartner (der niemals Partner sein kann und darf) fast mundtot zu machen. Was Philipp Hössli - spürbar überfordert - antwortet, ist für diese exaltierte Frau ohnehin nicht von Bedeutung. "Beste Bettina - nicht überspannt, wenn ich bitten darf", schrieb ihr Pückler zehn Jahre später.
Interessanter als die Korrespondenz ist Hösslis Tagebuch, das - neben den Abschriften von Bettinas Briefen, die Originale sind verloren - vor fünf Jahren im Staatsarchiv des Kantons Graubünden, Chur, entdeckt wurde. Und da zeigt sich, daß Bettina den jungen Schweizer damals auch mit geflunkerten Geschichten zu unterhalten wußte (die Hössli für wahr hielt), etwa wie sie der Tiroler Freiheitsheld Andreas Hofer in Berlin besucht habe oder wie sie in einer Dorfkirche bei Teplitz dem preußischen König von der Kanzel herab eine Predigt "mit derben Wahrheiten" gehalten habe. Das in Auszügen abgedruckte Tagebuch notiert Lektüre und Theaterbesuche, Gespräche mit Bettina und Begegnungen mit Savigny, Schleiermacher, Wilhelm von Humboldt, Wilhelm Hensel und andere. Das Vorwort des Herausgebers erwähnt, auch der Name Heines werde hier mehrfach genannt, allerdings sind diese Stellen offenbar den Kürzungen zum Opfer gefallen.
Philipp Hössli hat Bettina zuletzt 1824 in Berlin gesehen, aber da wollte sich die alte Vertrautheit nicht mehr einstellen. Die Tagebuchnotiz "Sie examiniert und quält mich mit ihren eindringlichen Fragen" deutet die inzwischen gewachsene Distanz an. "Meint, es sei Mangel an Kraft von ihrer Seite, wenn aus mir nicht das werden sollte, was sie sich gedacht." Aber Hössli war solchen Formungsversuchen von Bettinas Seite inzwischen entwachsen. Noch einmal versuchte er 1838/39 die alte Verbindung wiederaufzunehmen, aber Bettina beantwortete seinen Brief nicht. Sie starb 1859 in Berlin; Philipp Hössli, der es zum Präsidenten des Graubündener Kantonsparlamentes gebracht hatte, erlag 1854 in Chur einem Lungenleiden. ECKART KLESSMANN
Bettina von Arnim: "Ist Dir bange vor meiner Liebe?" Briefe an Philipp Hössli, nebst dessen Gegenbriefen und Tagebuchnotizen. Herausgegeben von Kurt Wanner. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1996, 244 S., geb., 38,- Mark.
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Bitte nicht so überspannt: Bettina von Arnims Briefe an Philipp Hössli
Der Prinz Louis Ferdinand von Preußen machte einmal über einen ihm bekannten Diplomaten die hübsche Bemerkung: "Brinckmann ist wirklich göttlich, die Liebenden schreiben der Liebe wegen, der liebt der Briefe wegen." Man darf dieses Bonmot auf Bettina von Arnim übertragen, die 1833 von Fürst Pückler in einem ziemlich barschen Brief den Kopf gewaschen bekam: "Wenn ich früher sagte, ich wollte mir recht gern Leidenschaftlichkeit gefallen lassen, so habe ich darunter doch nur eine leidenschaftlich ergebene Freundschaft . . . verstanden, aber nicht die dithyrambische Raserei einer achtzehnjährigen Bacchantin mit bloßer Gehirnsinnlichkeit, die noch obendrein nur künstlich heraufgeschraubt ist und jeden Augenblick beliebig beiseite gelegt oder auf einem anderen Instrument abgespielt werden kann."
Beide Zitate begleiteten meine Lektüre von Bettinas Briefen an Philipp Hössli. Der junge Schweizer, 1800 in Graubünden geboren, war 1821 nach Berlin gekommen, um hier Jura zu studieren. Durch Friedrich Karl von Savigny, dessen Vorlesungen er gleichzeitig mit Heine besuchte, lernte er Savignys Schwägerin Bettina von Arnim kennen. Man kam sich sehr schnell näher bei Gesprächen über Kunst und Künstler, gemeinsamem Musizieren, gemeinsamem Zeichnen. Als Hössli dann sein Studium in Göttingen fortsetzte, korrespondierte man miteinander. Die 37 Jahre alte Bettina, die in ihren Beziehungen zu Achim von Arnim gerade eine Krise erlebte, hatte in Hössli ein dankbares Objekt für ausgedehnte Liebesdithyramben gefunden.
Man muß schon von einem Objekt sprechen. Die brieflichen Liebesbekundungen waren einzig Papier, der Adressat blieb austauschbar. "Wundere Dich nicht über mich. Es ist der Umgang mit Göttern, den ich suche, und die Du, Glücklicher, wenn Du dies Glück zu würdigen weißt, jetzt beherbergst: Jugend, die noch kein Joch getragen, Schönheit, die unbefleckt, unberührt, noch in dem Keim verhüllt in Dir wohnt." Oder: "Warum ich auch heute noch keinen Brief von Dir erhalten? Ich dachte so gewiß, Du würdest bald schreiben, um auch bald wieder einen Brief von mir zu haben. Ist Dir bange vor meiner Liebe?"
Was Bettina hier als "Liebe" bezeichnet, das hatte, wie Pückler richtig erkannte, in der Tat einiges mit "Gehirnsinnlichkeit" zu tun. Denn ihr Partner war ihr als Individuum ziemlich gleichgültig, er lieferte der alternden Frau Inspirationen über die Liebe, einer Liebe allerdings, die sich in blumigen Phrasen erschöpfte, und darin war die Verfasserin wirklich verliebt, nicht in Philipp Hössli.
"Nenne mich Du im Herzen, wenn auch nicht in Briefen", verlangte sie, denn Ehemann Achim von Arnim las die Post seiner Frau und hätte auf falsche Gedanken kommen können. "Ich bedarf einer anderen Liebe, als auf dieser Erde gespendet und genossen wird, und ob Du auch eine klagende Stimme in diesen Briefen vernimmst." Der junge Schweizer, als exotischer Naturbursche in Berlin herumgereicht, wurde von ihr über das rechte Verständnis ihrer Briefe belehrt: "Wenn Du nun auch nichts in dem rhapsodischen Briefe erkennen kannst, was Händ' und Füße hat - (denn Du bist vielleicht einer von denen, der nichts begreiflich findet, als was Händ und Füße hat) - so erkenne zum wenigsten darin einen Geist, der die göttliche Natur im Menschen liebt, der sie erhalten will, der den Menschen zum reinen Tempel nach göttlichen Gesetzen oder nach den prophetischen Empfindungen göttlicher Orakel aufbauen will." Denn: "Dein Leben war mir eine Aufgabe: ich sollte es mit Geist durchtauchen."
Dem armen Hössli muß der Kopf geschwirrt haben, wenn er las: "Und wie Dein Kindertraum, Dein Knabenspiel sich umwandelte in fromme Sitte, die Schönheit zu lieben, Tag und Nacht in stillem Feuer ihr entgegenstrebend. So öffnet sich die Blüte, so strömt sie ihren Duft aus. Ja, der Liebe blühet die Seele, und der Geist duftet aus dem innigsten Verberg ihres Kelches und begeistert den Genießenden, Einatmenden. Ich bin eine solche Biene, die sich an den Rand einer solchen Blume saugt und gern von begeisternden Düften trunken wird."
Man sieht: Bettina hat den ganzen Fundus spätromantischer Klischees geplündert, um damit ihren Briefpartner (der niemals Partner sein kann und darf) fast mundtot zu machen. Was Philipp Hössli - spürbar überfordert - antwortet, ist für diese exaltierte Frau ohnehin nicht von Bedeutung. "Beste Bettina - nicht überspannt, wenn ich bitten darf", schrieb ihr Pückler zehn Jahre später.
Interessanter als die Korrespondenz ist Hösslis Tagebuch, das - neben den Abschriften von Bettinas Briefen, die Originale sind verloren - vor fünf Jahren im Staatsarchiv des Kantons Graubünden, Chur, entdeckt wurde. Und da zeigt sich, daß Bettina den jungen Schweizer damals auch mit geflunkerten Geschichten zu unterhalten wußte (die Hössli für wahr hielt), etwa wie sie der Tiroler Freiheitsheld Andreas Hofer in Berlin besucht habe oder wie sie in einer Dorfkirche bei Teplitz dem preußischen König von der Kanzel herab eine Predigt "mit derben Wahrheiten" gehalten habe. Das in Auszügen abgedruckte Tagebuch notiert Lektüre und Theaterbesuche, Gespräche mit Bettina und Begegnungen mit Savigny, Schleiermacher, Wilhelm von Humboldt, Wilhelm Hensel und andere. Das Vorwort des Herausgebers erwähnt, auch der Name Heines werde hier mehrfach genannt, allerdings sind diese Stellen offenbar den Kürzungen zum Opfer gefallen.
Philipp Hössli hat Bettina zuletzt 1824 in Berlin gesehen, aber da wollte sich die alte Vertrautheit nicht mehr einstellen. Die Tagebuchnotiz "Sie examiniert und quält mich mit ihren eindringlichen Fragen" deutet die inzwischen gewachsene Distanz an. "Meint, es sei Mangel an Kraft von ihrer Seite, wenn aus mir nicht das werden sollte, was sie sich gedacht." Aber Hössli war solchen Formungsversuchen von Bettinas Seite inzwischen entwachsen. Noch einmal versuchte er 1838/39 die alte Verbindung wiederaufzunehmen, aber Bettina beantwortete seinen Brief nicht. Sie starb 1859 in Berlin; Philipp Hössli, der es zum Präsidenten des Graubündener Kantonsparlamentes gebracht hatte, erlag 1854 in Chur einem Lungenleiden. ECKART KLESSMANN
Bettina von Arnim: "Ist Dir bange vor meiner Liebe?" Briefe an Philipp Hössli, nebst dessen Gegenbriefen und Tagebuchnotizen. Herausgegeben von Kurt Wanner. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1996, 244 S., geb., 38,- Mark.
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