"Ist Politik denkbar?" ist ein philosophisches wie politisches Buch, aber kein Buch der politischen Philosophie. Es stellt die Frage wie sich angesichts realsozialistischer Verwaltung und stalinistischer Pervertierung der kommunistischen Idee der universale Anspruch einer wahrhaft emanzipatorischen, kollektiven Politik aufrechterhalten lässt? Damit richtet es sich gegen die der politischen Philosophie lieb gewordene These einer Krise des Politischen. Das Politische rekurriert aber allein auf die angemessene Repräsentation des Sozialen, weswegen seinen Theoretikern nichts teurer ist, als die Unterscheidung einer guten von einer schlechten Staatsform, der Demokratie vom Totalitarismus. Dem setzt Badiou einen Begriff der Politik unter dem Vorzeichen der Praxis entgegen. Ausgehend von dem Ereignis der polnischen Arbeiterbewegung versucht Badiou ein Denken der Politik zu entwerfen, dass mit diesem Ereignis zeitgenössisch zu sein vermag. Dieses Denken der Politik nimmt die historische Spezifik des Ereignisses auf und versteht sie als Aufforderung zu einer Transformation der Philosophie. Ein Denken, dass diesen Anforderungen genügt, müsste von der Besonderheit politischer Praxisformen ausgehend eine neue Form der kommunistischen Hypothese entwerfen. Ist Politik denkbar stellt die zentralen Begriffe der Philosophie Alain Badious vor, die dann in Das Sein und das Ereignis entfaltet werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2010Abgründige Politik
In zwei Vorträgen aus den achtziger Jahren, die jetzt ins, nun ja, Deutsche übersetzt wurden, scheint der französische Philosoph Alain Badiou den Marxismus endgültig zu beerdigen. Dieser ist für ihn nicht einfach nur an der Wirklichkeit gescheitert, sondern bis in seine Grundbegriffe widerlegt. Kein Grund freilich für ihn, die Marxsche Hoffnung auf eine herrschaftsfreie Herrschaft aufzugeben: Im Gegenteil, auf der Leiter von Heideggers Spätphilosophie steigt Badiou in den Keller der politischen Ontologie hinab. Proletariat und Partei werden als uneigentliche Oberflächenphänomene beiseitegesetzt, der egalitaristische Kern des Marxismus wird in Strukturelemente von Politik überhaupt umgeschmolzen: Streiks aufgrund von Massenentlassungen in einem Talbot-Werk führten seinerzeit dazu, dass sich die Belegschaft wie die gesellschaftliche Stimmung gegen die in der Fabrik beschäftigten Gastarbeiter wendeten. Letztere fordern daraufhin "ihre Rechte" - die ihnen im bestehenden System gar nicht zukamen. Für Badiou war das einer jener seltenen wahrhaft politischen Momente, in denen sich das Band zwischen Interessen und demokratischer Repräsentation als offenkundige Schimäre erweist. Auf dem in diesem Band skizzierten Grundriss wird Badiou dann im Verlauf eines Vierteljahrhunderts ein atemberaubend ambitioniertes Denkgebäude errichten, das vermeintlich zu Tode dekonstruierte Begriffe wie Subjekt, Wahrheit und Universalismus wiedergewinnen möchte. (Alain Badiou: "Ist Politik denkbar"? Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Frank Ruda und Jan Völker. Merve Verlag, Berlin 2010. 165 S., br., 15,- [Euro].)
adr
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In zwei Vorträgen aus den achtziger Jahren, die jetzt ins, nun ja, Deutsche übersetzt wurden, scheint der französische Philosoph Alain Badiou den Marxismus endgültig zu beerdigen. Dieser ist für ihn nicht einfach nur an der Wirklichkeit gescheitert, sondern bis in seine Grundbegriffe widerlegt. Kein Grund freilich für ihn, die Marxsche Hoffnung auf eine herrschaftsfreie Herrschaft aufzugeben: Im Gegenteil, auf der Leiter von Heideggers Spätphilosophie steigt Badiou in den Keller der politischen Ontologie hinab. Proletariat und Partei werden als uneigentliche Oberflächenphänomene beiseitegesetzt, der egalitaristische Kern des Marxismus wird in Strukturelemente von Politik überhaupt umgeschmolzen: Streiks aufgrund von Massenentlassungen in einem Talbot-Werk führten seinerzeit dazu, dass sich die Belegschaft wie die gesellschaftliche Stimmung gegen die in der Fabrik beschäftigten Gastarbeiter wendeten. Letztere fordern daraufhin "ihre Rechte" - die ihnen im bestehenden System gar nicht zukamen. Für Badiou war das einer jener seltenen wahrhaft politischen Momente, in denen sich das Band zwischen Interessen und demokratischer Repräsentation als offenkundige Schimäre erweist. Auf dem in diesem Band skizzierten Grundriss wird Badiou dann im Verlauf eines Vierteljahrhunderts ein atemberaubend ambitioniertes Denkgebäude errichten, das vermeintlich zu Tode dekonstruierte Begriffe wie Subjekt, Wahrheit und Universalismus wiedergewinnen möchte. (Alain Badiou: "Ist Politik denkbar"? Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Frank Ruda und Jan Völker. Merve Verlag, Berlin 2010. 165 S., br., 15,- [Euro].)
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Für Christian Schlüter ist Alain Badiou ein Autor, den es bei uns noch zu entdecken gilt. Drum freut sich Schlüter auf die für Juni anstehende Kommunismuskonferenz in Berlin genauso wie über die deutsche Ausgabe dieser bereits 1984 gehaltenen Vorlesungen, in denen Badiou Begriffen wie Struktur, Institution, Gesetz, Recht und Ordnung auf den Zahn fühlt. Wenn dabei absurde oder simplizistische Konstellationen herauskommen, ist Schlüter auch damit glücklich, denn dann sieht er journalistische Erwartungen oder Strickmuster vorgeführt. Bei aller Sperrigkeit der Diktion überwiegt für Schlüter das Glück, sich von Badious unakademischem "Denken der Aktualität" anregen und auf ein Ende unserer Demokratie vorbereiten zu lassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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