Die Ausgabe des 'Iwein'-Romans Hartmanns von Aue stellt neben den mittelhochdeutschen Text nach der Ausgabe von Ludwig Wolff eine zeilengetreue Übersetzung ins Neuhochdeutsche. Ein ausführliches Nachwort behandelt die Informationen zu Autor und Werk und zu den Problemen seiner Interpretation.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2012Ein Text gegen alle Zeit
Mit seiner Übersetzung des "Iwein" hat Hartmann von Aue den Deutschen einst einen unerschöpflichen Stoff geschenkt. Eine neue Ausgabe des Textes verpasst die Chance, dies zu zeigen.
Hartmanns von Aues "Iwein", der Roman vom Ritter mit dem Löwen, ist an der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert entstanden. Wie die anderen deutschen Romane der Zeit ist er kein Originalwerk, sondern die Bearbeitung einer französischen Vorlage. Sie stammt von Chrétien de Troyes, dem genialen Erfinder des Artusromans. Hartmann hatte, wohl um 1180, bereits den Prototyp des Genres, Chrétiens "Erec et Enide", ins Deutsche gebracht. Das war vielleicht sein Erstlingswerk, durchaus ein Wurf, aber behaftet mit allen Mühen des Anfangs. Im "Iwein" sind sie überwunden.
Sprache und Versbehandlung sind von einer lässig perfekten Eleganz, wie sie im Deutschen bis dahin nicht vorstellbar war. Die Darstellung hält sich eng an die Vorlage und setzt doch, so diskret wie entschieden, eigene Akzente, die der Erzählung ein anderes Gesicht geben. Hartmann begegnet dem französischen Meister nun auf Augenhöhe. Sein "Iwein" gilt zu Recht als der klassische Vertreter der Gattung in der deutschen Literatur, die mit ihm das Niveau erreicht hat, auf dem dann Werke von weltliterarischem Rang möglich geworden sind: Wolframs "Parzival" und Gottfrieds "Tristan".
Die Handlung folgt dem üblichen Schema des Artusromans: Ein Ritter erwirbt durch ein tapfer bestandenes Abenteuer sein Lebensglück, verspielt es und holt es sich in weiteren Abenteuern mühsam zurück, um es endgültig zu besitzen. Iwein tötet den Herrn eines Zauberbrunnens, mit dem ein gefährliches Abenteuer verbunden ist; heiratet die Witwe des Getöteten, Laudine, und wird Herr ihres Landes; vernachlässigt, ja, vergisst Frau und Herrschaft auf ausgedehnten Rittertouren mit seinem Freund Gawein; wird von Laudine verstoßen und fällt darüber in Wahnsinn; kommt mit Hilfe mitleidiger Frauen wieder auf die Beine und bewährt sich in einer Serie von Abenteuern als Helfer von Verfolgten und Bedrängten, wobei ihm ein dankbarer Löwe zur Seite steht, dem er das Leben gerettet hat; am Ende gelingt es Laudines durchtriebener Zofe Lunete, das Paar zu versöhnen. Der Fabel dürfte eine keltische Erzählung zugrunde liegen, in der es um die prekäre Liebe eines Sterblichen zu einer Fee ging. Chrétien hat daraus eine komplexe Geschichte entwickelt, die in spielerischer Verkleidung die großen Fragen von Liebe, Gewalt und Herrschaft verhandelt, die das Publikum an den Adelshöfen in Frankreich und England bewegt haben. Hartmann erzählt sie mit souveräner Distanz nach, mit sicherem Gespür auch für ihre reißerischen Qualitäten, für Exotik und Erotik, und immer wieder mit einem Augenzwinkern, für das die Fachgelehrsamkeit leider wenig Sinn hat. Wenn er nur richtig präsentiert wird, kann der Roman auch einem modernen Publikum ein Lesevergnügen bieten, wie es nicht leicht zu finden ist.
Wer sich darauf einlassen will, hat die Qual der Wahl. Es gibt mehrere Ausgaben, zu denen jetzt noch eine in der anspruchsvoll ausgestatteten "Reclam Bibliothek" kommt, die elegant gebundenen, schön gedruckten Bände dieser Reihe versammeln große Literatur quer durch die Zeiten von Homer bis D. H. Lawrence. Es ist ein illustrer Kreis, in dem Hartmann mit seinem "Iwein" eine gute Figur macht. Die Edition des mittelhochdeutschen Textes und die Übersetzung stammen von Rüdiger Krohn, den Kommentar hat Mireille Schnyder beigesteuert. Wer die Ausgabe erwirbt, erhält den mittelhochdeutschen Text in der Fassung der Gießener Handschrift B aus dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, eine lesbare, aber nicht immer korrekte Übersetzung und einen klugen, wohltuend knapp gehaltenen Kommentar. Bedauerlicherweise hat der Herausgeber den Text der zugrundegelegten Handschrift nicht in dem Maße philologisch aufbereitet, wie es nötig gewesen wäre, um falschen Vorstellungen von der Klanggestalt der Dichtung entgegenzuwirken. Von wenigen (nicht durchweg sachgemäßen) Regulierungen abgesehen, behält er die handschriftlichen Formen bei, die den Gewohnheiten und Marotten des Schreibers geschuldet sind. Das Ergebnis ist eine Art Rohtext, der an die vorwissenschaftlichen Ausgaben des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Der Sache des Dichters, für die die Ausgabe doch werben sollte, ist damit nicht gedient.
JOACHIM HEINZLE
Hartmann von Aue: "Iwein".
Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt und hrsg. von Rüdiger Krohn. Reclam Verlag, Ditzingen 2011. 656 S., geb., 32,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit seiner Übersetzung des "Iwein" hat Hartmann von Aue den Deutschen einst einen unerschöpflichen Stoff geschenkt. Eine neue Ausgabe des Textes verpasst die Chance, dies zu zeigen.
Hartmanns von Aues "Iwein", der Roman vom Ritter mit dem Löwen, ist an der Wende vom zwölften zum dreizehnten Jahrhundert entstanden. Wie die anderen deutschen Romane der Zeit ist er kein Originalwerk, sondern die Bearbeitung einer französischen Vorlage. Sie stammt von Chrétien de Troyes, dem genialen Erfinder des Artusromans. Hartmann hatte, wohl um 1180, bereits den Prototyp des Genres, Chrétiens "Erec et Enide", ins Deutsche gebracht. Das war vielleicht sein Erstlingswerk, durchaus ein Wurf, aber behaftet mit allen Mühen des Anfangs. Im "Iwein" sind sie überwunden.
Sprache und Versbehandlung sind von einer lässig perfekten Eleganz, wie sie im Deutschen bis dahin nicht vorstellbar war. Die Darstellung hält sich eng an die Vorlage und setzt doch, so diskret wie entschieden, eigene Akzente, die der Erzählung ein anderes Gesicht geben. Hartmann begegnet dem französischen Meister nun auf Augenhöhe. Sein "Iwein" gilt zu Recht als der klassische Vertreter der Gattung in der deutschen Literatur, die mit ihm das Niveau erreicht hat, auf dem dann Werke von weltliterarischem Rang möglich geworden sind: Wolframs "Parzival" und Gottfrieds "Tristan".
Die Handlung folgt dem üblichen Schema des Artusromans: Ein Ritter erwirbt durch ein tapfer bestandenes Abenteuer sein Lebensglück, verspielt es und holt es sich in weiteren Abenteuern mühsam zurück, um es endgültig zu besitzen. Iwein tötet den Herrn eines Zauberbrunnens, mit dem ein gefährliches Abenteuer verbunden ist; heiratet die Witwe des Getöteten, Laudine, und wird Herr ihres Landes; vernachlässigt, ja, vergisst Frau und Herrschaft auf ausgedehnten Rittertouren mit seinem Freund Gawein; wird von Laudine verstoßen und fällt darüber in Wahnsinn; kommt mit Hilfe mitleidiger Frauen wieder auf die Beine und bewährt sich in einer Serie von Abenteuern als Helfer von Verfolgten und Bedrängten, wobei ihm ein dankbarer Löwe zur Seite steht, dem er das Leben gerettet hat; am Ende gelingt es Laudines durchtriebener Zofe Lunete, das Paar zu versöhnen. Der Fabel dürfte eine keltische Erzählung zugrunde liegen, in der es um die prekäre Liebe eines Sterblichen zu einer Fee ging. Chrétien hat daraus eine komplexe Geschichte entwickelt, die in spielerischer Verkleidung die großen Fragen von Liebe, Gewalt und Herrschaft verhandelt, die das Publikum an den Adelshöfen in Frankreich und England bewegt haben. Hartmann erzählt sie mit souveräner Distanz nach, mit sicherem Gespür auch für ihre reißerischen Qualitäten, für Exotik und Erotik, und immer wieder mit einem Augenzwinkern, für das die Fachgelehrsamkeit leider wenig Sinn hat. Wenn er nur richtig präsentiert wird, kann der Roman auch einem modernen Publikum ein Lesevergnügen bieten, wie es nicht leicht zu finden ist.
Wer sich darauf einlassen will, hat die Qual der Wahl. Es gibt mehrere Ausgaben, zu denen jetzt noch eine in der anspruchsvoll ausgestatteten "Reclam Bibliothek" kommt, die elegant gebundenen, schön gedruckten Bände dieser Reihe versammeln große Literatur quer durch die Zeiten von Homer bis D. H. Lawrence. Es ist ein illustrer Kreis, in dem Hartmann mit seinem "Iwein" eine gute Figur macht. Die Edition des mittelhochdeutschen Textes und die Übersetzung stammen von Rüdiger Krohn, den Kommentar hat Mireille Schnyder beigesteuert. Wer die Ausgabe erwirbt, erhält den mittelhochdeutschen Text in der Fassung der Gießener Handschrift B aus dem zweiten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts, eine lesbare, aber nicht immer korrekte Übersetzung und einen klugen, wohltuend knapp gehaltenen Kommentar. Bedauerlicherweise hat der Herausgeber den Text der zugrundegelegten Handschrift nicht in dem Maße philologisch aufbereitet, wie es nötig gewesen wäre, um falschen Vorstellungen von der Klanggestalt der Dichtung entgegenzuwirken. Von wenigen (nicht durchweg sachgemäßen) Regulierungen abgesehen, behält er die handschriftlichen Formen bei, die den Gewohnheiten und Marotten des Schreibers geschuldet sind. Das Ergebnis ist eine Art Rohtext, der an die vorwissenschaftlichen Ausgaben des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts erinnert. Der Sache des Dichters, für die die Ausgabe doch werben sollte, ist damit nicht gedient.
JOACHIM HEINZLE
Hartmann von Aue: "Iwein".
Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Übersetzt und hrsg. von Rüdiger Krohn. Reclam Verlag, Ditzingen 2011. 656 S., geb., 32,95 [Euro].
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