New York, Anfang der Sechziger: Jack Holmes ist verliebt. Das Objekt seiner Begierde, der junge Schriftsteller Will, arbeitet gemeinsam mit Jack für ein Kunstmagazin. Die beiden werden gute Freunde, auch wenn Jacks unerfüllte Sehnsucht dadurch nur noch leidenschaftlicher und verzweifelter wird. Immer wieder kommt er Will nahe - nur um wieder vor Augen geführt zu bekommen, dass sein Traum sich nie erfüllen wird. Mit Leichtigkeit und Eleganz erzählt Edmund White die Geschichte einer Freundschaft, die Jack und Will durch die Jahrzehnte trägt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2013Dieser Dackel steht für Sex
Edmund Whites Roman "Jack Holmes und sein Freund" über Homosexualität vor Aids
Schwule Literatur, die ihre Protagonisten die Zeit vor 1982 bevölkern lässt, macht es sich vergleichsweise leicht: Ihre Figuren bewegen sich in einer Epoche, in der Aids noch keine Rolle spielt. Jenes Jahr stellt nicht nur sexualgeschichtlich, sondern auch für die Schreibpraxis homosexueller Autoren eine Zäsur dar. Edmund White schrieb 1991 im "New York Times Magazine", einige seiner Kollegen hielten es für gewissenlos, sich überhaupt mit etwas anderem als Aids zu beschäftigen. Andere wiederum seien der Meinung, gerade wenn die schwule Kultur Gefahr laufe, auf ein einzelnes Thema reduziert und wieder mit einer Krankheit gleichgesetzt zu werden, sei es "die wahre Pflicht schwuler Autoren, Leser an den Reichtum schwuler Errungenschaften zu erinnern", um ein Erbe an eine "post-plague generation" weiterzugeben.
White selbst hat sich seitdem für die zweite Gruppe entschieden. Er ist einer der bedeutendsten Chronisten schwulen Lebens in den Vereinigten Staaten: Neben autobiographisch geprägten Romanen und Essays verfasste er auch Biographien von Genet und Proust sowie gemeinsam mit Charles Silverstein den Sexratgeber "Die Freuden der Schwulen" - laut dem englischen "Guardian" immer noch Whites bestverkauftes Buch.
Jetzt erscheint Whites neuester Roman auch in deutscher Sprache. "Jack Holmes und sein Freund" setzt im New York der frühen sechziger Jahre ein, jener moralischen Übergangszone, in der auch die Fernsehserie "Mad Men" spielt. Dem alten Amerika prüder Vorstadtsiedlungen steht bereits das klandestine Treiben später Beatniks, früher Hippies und einer im Entstehen begriffenen Schwulenszene gegenüber. Während eine Scheidung noch einen kleinen Skandal darstellt, machen sich im West Village bereits jeden Abend zahlreiche Männer auf die Suche nach anonymem gleichgeschlechtlichen Sex.
Die Handlung ist schnell erzählt: Jack, jung, gutaussehend, Vaterkonflikt, kommt nach New York, wo er entdeckt, dass er homosexuell ist. Obwohl er seine Neigung für eine Krankheit hält, geht er ihr immer entschiedener nach. Er verliebt sich in Will, einen blassen jungen Mann in den nicht mehr ganz frischen Aristokratenkleidern einer Ivy-League-Familie, die vor allem damit beschäftigt ist, besseren Zeiten hinterherzutrauern. Will jedoch ist entweder heterosexuell, oder aber (was immer wieder angedeutet wird) er unterdrückt erfolgreich seine latente Homosexualität. Zumindest zeigt er sich an Jack nicht sonderlich interessiert und heiratet später dessen beste Freundin Alex. Zwischen den dreien spannt sich ein feines Gewebe aus Anziehung, Freundschaft, Misstrauen und Minderwertigkeitskomplexen, abwechselnd beleuchtet aus den Perspektiven Jacks und Wills.
Dabei versucht White gar nicht erst, Figurenpsychologie und Sex getrennt voneinander zu denken. Einmal fragt sich Will, ob nicht jeder andere Lebensinhalt verblassen müsse, solange nur das "genitale Paar groß und dampfend auf dem Thron" sitze. Liegt Erfüllung in der reinen Körperlichkeit? Whites Protagonisten zumindest erscheint die geschlechtliche Sinnsuche vor dem Koitus stets vielversprechender als danach. Dass es sich auch um eine Verhandlung heterosexueller und homosexueller Beziehungsführung handelt, die klar für die Seite der Schwulen entschieden wird, gibt White unumwunden zu.
Wer explizite sexuelle Darstellungen scheut, sollte dieses Buch meiden. Es widmet sich mit pornographischer Detailverliebtheit dem physischen Akt der Liebe. White umschreibt die Körper seiner Figuren in nicht zitierfähigem Fachjargon, dann wieder umkreist er sie mit Metaphern, als könne er sie so fassbar machen. Da verwandeln sich "Melonenbrüste in lange Kürbisse", später sind sie "warme Dackel, immer in Bewegung, weiße Hunde mit dunklen Nasen", winzige Brustwarzen "das Ende zweier ungeschriebener Sätze, ein krasser Widerspruch zu so viel Potential". Whites Sprache, leicht und federnd vor allem in den Dialogen, trägt manchmal schwer an dieser Vergleichslastigkeit, wenn Stunden sich vorbeischleppen wie "Gefängnisinsassen mit Fußfesseln" und Jack, nach einer den Anus seines Liebhabers involvierenden Fingerübung, den "wahren Duft der Moderne" entdeckt.
Dass die Geschichte voller Ausschweifungen und sexualpsychologischer Einsichten mit der Entdeckung des zunächst unter GRID (Gay-related immune deficiency) firmierenden Syndroms enden muss, ist nur konsequent. Edmund White selbst ist seit den achtziger Jahren HIV-positiv. Bei ihm schreitet die Krankheit nur langsam voran. Viele seiner engsten Freunde hatten weniger Glück. So falsch das aus heutiger Sicht auch sein mag: Vielen Zeitgenossen erschien Aids wie die gerechte Strafe für den eigenen Exzess. Im Roman erleben wir die Katastrophe nur anhand erster Vorzeichen, des drohenden Schattens dessen, was da kommt. Der Epilog aber ist ein Nachruf auf ein Zeitgefühl unbeschwert freier Liebe, das ein jähes Ende findet.
JAN KNOBLOCH
Edmund White: "Jack Holmes und sein Freund". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Peter Peschke und Alexander Hamann. Bruno Gmünder Verlag, Berlin 2012. 400 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Edmund Whites Roman "Jack Holmes und sein Freund" über Homosexualität vor Aids
Schwule Literatur, die ihre Protagonisten die Zeit vor 1982 bevölkern lässt, macht es sich vergleichsweise leicht: Ihre Figuren bewegen sich in einer Epoche, in der Aids noch keine Rolle spielt. Jenes Jahr stellt nicht nur sexualgeschichtlich, sondern auch für die Schreibpraxis homosexueller Autoren eine Zäsur dar. Edmund White schrieb 1991 im "New York Times Magazine", einige seiner Kollegen hielten es für gewissenlos, sich überhaupt mit etwas anderem als Aids zu beschäftigen. Andere wiederum seien der Meinung, gerade wenn die schwule Kultur Gefahr laufe, auf ein einzelnes Thema reduziert und wieder mit einer Krankheit gleichgesetzt zu werden, sei es "die wahre Pflicht schwuler Autoren, Leser an den Reichtum schwuler Errungenschaften zu erinnern", um ein Erbe an eine "post-plague generation" weiterzugeben.
White selbst hat sich seitdem für die zweite Gruppe entschieden. Er ist einer der bedeutendsten Chronisten schwulen Lebens in den Vereinigten Staaten: Neben autobiographisch geprägten Romanen und Essays verfasste er auch Biographien von Genet und Proust sowie gemeinsam mit Charles Silverstein den Sexratgeber "Die Freuden der Schwulen" - laut dem englischen "Guardian" immer noch Whites bestverkauftes Buch.
Jetzt erscheint Whites neuester Roman auch in deutscher Sprache. "Jack Holmes und sein Freund" setzt im New York der frühen sechziger Jahre ein, jener moralischen Übergangszone, in der auch die Fernsehserie "Mad Men" spielt. Dem alten Amerika prüder Vorstadtsiedlungen steht bereits das klandestine Treiben später Beatniks, früher Hippies und einer im Entstehen begriffenen Schwulenszene gegenüber. Während eine Scheidung noch einen kleinen Skandal darstellt, machen sich im West Village bereits jeden Abend zahlreiche Männer auf die Suche nach anonymem gleichgeschlechtlichen Sex.
Die Handlung ist schnell erzählt: Jack, jung, gutaussehend, Vaterkonflikt, kommt nach New York, wo er entdeckt, dass er homosexuell ist. Obwohl er seine Neigung für eine Krankheit hält, geht er ihr immer entschiedener nach. Er verliebt sich in Will, einen blassen jungen Mann in den nicht mehr ganz frischen Aristokratenkleidern einer Ivy-League-Familie, die vor allem damit beschäftigt ist, besseren Zeiten hinterherzutrauern. Will jedoch ist entweder heterosexuell, oder aber (was immer wieder angedeutet wird) er unterdrückt erfolgreich seine latente Homosexualität. Zumindest zeigt er sich an Jack nicht sonderlich interessiert und heiratet später dessen beste Freundin Alex. Zwischen den dreien spannt sich ein feines Gewebe aus Anziehung, Freundschaft, Misstrauen und Minderwertigkeitskomplexen, abwechselnd beleuchtet aus den Perspektiven Jacks und Wills.
Dabei versucht White gar nicht erst, Figurenpsychologie und Sex getrennt voneinander zu denken. Einmal fragt sich Will, ob nicht jeder andere Lebensinhalt verblassen müsse, solange nur das "genitale Paar groß und dampfend auf dem Thron" sitze. Liegt Erfüllung in der reinen Körperlichkeit? Whites Protagonisten zumindest erscheint die geschlechtliche Sinnsuche vor dem Koitus stets vielversprechender als danach. Dass es sich auch um eine Verhandlung heterosexueller und homosexueller Beziehungsführung handelt, die klar für die Seite der Schwulen entschieden wird, gibt White unumwunden zu.
Wer explizite sexuelle Darstellungen scheut, sollte dieses Buch meiden. Es widmet sich mit pornographischer Detailverliebtheit dem physischen Akt der Liebe. White umschreibt die Körper seiner Figuren in nicht zitierfähigem Fachjargon, dann wieder umkreist er sie mit Metaphern, als könne er sie so fassbar machen. Da verwandeln sich "Melonenbrüste in lange Kürbisse", später sind sie "warme Dackel, immer in Bewegung, weiße Hunde mit dunklen Nasen", winzige Brustwarzen "das Ende zweier ungeschriebener Sätze, ein krasser Widerspruch zu so viel Potential". Whites Sprache, leicht und federnd vor allem in den Dialogen, trägt manchmal schwer an dieser Vergleichslastigkeit, wenn Stunden sich vorbeischleppen wie "Gefängnisinsassen mit Fußfesseln" und Jack, nach einer den Anus seines Liebhabers involvierenden Fingerübung, den "wahren Duft der Moderne" entdeckt.
Dass die Geschichte voller Ausschweifungen und sexualpsychologischer Einsichten mit der Entdeckung des zunächst unter GRID (Gay-related immune deficiency) firmierenden Syndroms enden muss, ist nur konsequent. Edmund White selbst ist seit den achtziger Jahren HIV-positiv. Bei ihm schreitet die Krankheit nur langsam voran. Viele seiner engsten Freunde hatten weniger Glück. So falsch das aus heutiger Sicht auch sein mag: Vielen Zeitgenossen erschien Aids wie die gerechte Strafe für den eigenen Exzess. Im Roman erleben wir die Katastrophe nur anhand erster Vorzeichen, des drohenden Schattens dessen, was da kommt. Der Epilog aber ist ein Nachruf auf ein Zeitgefühl unbeschwert freier Liebe, das ein jähes Ende findet.
JAN KNOBLOCH
Edmund White: "Jack Holmes und sein Freund". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Peter Peschke und Alexander Hamann. Bruno Gmünder Verlag, Berlin 2012. 400 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als maßgeblichen Chronisten schwulen Lebens bezeichnet Jan Knobloch Edmund White, dessen neuestem bei uns erschienenen Roman er sich widmet. Ins New York der frühen 60er taucht Knobloch mit dem Roman ein, in eine recht simple Handlung um Vaterkonflikt, latente Homosexualität, Coming-Out und viel, viel Sex. Vor dessen unverhohlener, detailreicher Schilderung meint uns der Rezensent tatsächlich warnen zu müssen. Die Warnung vor allzu großer Vergleichsseligkeit in Whites Sprache nehmen wir allerdings gerne zur Kenntnis.
© Perlentaucher Medien GmbH
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