A New York Times bestseller Named a Best Book of 2020 by the Australian Book Review, AV Club, Books-a-Million, Electric Literature, Esquire, the Financial Times, Good Housekeeping (UK), The Guardian, Kirkus Reviews, Literary Hub, the New Statesman, the New York Public Library, NPR, the Star Tribune, and TIME Marilynne Robinson, winner of the Pulitzer Prize and the National Humanities Medal, returns to the world of Gilead with Jack, the latest novel in one of the great works of contemporary American fiction Marilynne Robinson's mythical world of Gilead, Iowa--the setting of her novels Gilead, Home, and Lila, and now Jack--and its beloved characters have illuminated and interrogated the complexities of American history, the power of our emotions, and the wonders of a sacred world. Jack is Robinson's fourth novel in this now-classic series. In it, Robinson tells the story of John Ames Boughton, the prodigal son of Gilead's Presbyterian minister, and his romance with Della Miles, a high school teacher who is also the child of a preacher. Their deeply felt, tormented, star-crossed interracial romance resonates with all the paradoxes of American life, then and now. Robinson's Gilead novels, which have won one Pulitzer Prize and two National Book Critics Circle Awards, are a vital contribution to contemporary American literature and a revelation of our national character and humanity.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2023Unter dem allsehenden Blick Gottes
Warum es das Schöne gibt: Marilynne Robinson führt mit dem Roman "Jack" ihren Gilead-Erzählzyklus weiter und findet eine große Liebe.
Öffne ein Buch, und eine Stimme spricht", hat Marilynne Robinson gesagt. Und ein Germanist hat die glückliche Wendung gefunden, dass Lesen "zu sich selbst sprechen in fremdem Namen" heißt. Was aber, wenn diese Stimme von dem größten Sünder in Gilead kommt, dem Sohn eines presbyterianischen und Patenkind eines kongregationalistischen Pastors? Wir kennen sein Elend in Umrissen schon aus Robinsons früheren Romanen. Als Jugendlicher hat er eine Fünfzehnjährige geschwängert und sie mit dem Kind, das nur wenige Jahre alt wird, sitzen gelassen. Es folgen Diebstähle, Examensbetrug im Studium, Trunksucht, unstetes Umherziehen, Gefängnis. Er heißt Jack. Wie das neue Buch von Marilynne Robinson.
Während die heute Neunundsiebzigjährige in den USA mit Preisen überhäuft wurde, blieb sie bei uns eher unbekannt. Dabei ist Robinson eine beeindruckende Selbstdenkerin. Sanft, aber unbeirrbar erhebt sie ihre Stimme in der amerikanischen Öffentlichkeit und erinnert an Fragen, von denen wir vergessen haben, dass man sie stellen könnte. Ihr Sachbuch "Mother Country: Britain, the Welfare State, and Nuclear Pollution" von 1989, eine Kritik an der skandalösen Politik um die Atommülldeponie Sellafield in England, hält sie selbst für ihre wichtigste Arbeit.
Robinsons literarisches OEuvre ist schmal, obwohl sie an der Universität von Iowa ein Vierteljahrhundert Kreatives Schreiben unterrichtet hat. Den ersten, "Housekeeping" von 1980, hatte sie noch während ihrer Doktorarbeit über Shakespeare begonnen. Mit großem Abstand folgte "Gilead" (2004). Seither ist die fiktive Kleinstadt dieses Namens im Mittleren Westen der Fünfzigerjahre Robinsons Spielfeld und Bühne für ihre Figuren. Ein Kaleidoskop aus Perspektiven: John Ames und James Boughton mit ihren Familien sind zwei alte angesehene Pastorenfreunde im ständigen Gespräch über ihren protestantischen Glauben ("Gilead"). Eine junge obdachlose Streunerin, die den alten Ames heiratet ("Lila"). Und schließlich Jack, das schwarze Schaf der Familie Boughton. In "Zuhause" ist der verlorene Sohn dann zurückgekehrt. Aber nicht etwa, um sich mit dem sterbenden Vater zu versöhnen, sondern um einen Ort zum Leben zu finden, "ein Leben ohne Harm", jetzt, da er selbst Vater ist. Ganz am Ende von "Zuhause", als Jack, nach einem Selbstmordversuch, schon wieder auf und davon ist, erfährt seine Schwester, dass er eine Frau und einen Sohn hat und dass diese Frau eine Afroamerikanerin, in der Sprache der Zeit eine "Farbige" oder "Schwarze", ist.
In "Jack", im Original 2020 erschienen, wird diese Beziehungsgeschichte weitererzählt. Sie erweist sich als Geschichte einer großen Liebe, die nicht gelebt werden kann. Romeo und Julia, das Debakel der Rassentrennung, Amerika in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Genauer gesagt, St. Louis, Missouri, wo das Paar sich kennengelernt hat.
Nach einem peinlich verunglückten Date treffen sich beide wie zufällig ein Jahr später auf dem Friedhof Bellefontaine in St. Louis wieder. Die Tore wurden verriegelt, sie müssen nun die Nacht dort miteinander verbringen. Die Friedhofsszene ist gut achtzig Seiten lang, eine Tour de force des zueinander hingezogenen Nichtzusammenseins, in dem es überraschende Fluchtpunkte gibt: Sterne, Bücher, ein Dunkel, in dem man von sich selbst reden kann, aber keine Berührungen. Die Rede über Gelesenes überbrückt und stiftet das Begehren: die Bibel, Miltons "Verlorenes Paradies", Shakespeares "Hamlet" und seine Sonette, Robert Frost, Paul Lawrence Dunbar oder William Carlos Williams und W. H. Auden.
Della Miles ist eine junge kultivierte Englischlehrerin in Sumner, der ersten Highschool für Schwarze westlich des Mississippis; Jack ist ein unsteter Gelegenheitsarbeiter und irgendwie seltsamer Büchermensch, der sich in Bibliotheken wohlfühlt, Lesestoff nach Bedarf klaut, kurze Zeit sogar in einer Buchhandlung arbeitet. Im Gefängnis war er "der Professor", er wurde sogar einmal für einen Schriftsteller gehalten, und Della denkt bei ihrer ersten Begegnung an einen Geistlichen. Da hatte er allerdings einen Beerdigungsanzug an.
Was sich zwischen den beiden Liebenden abspielt, könnte eine Komödie oder eine Tragödie werden, doch es ist keins von beiden, eher ein bisschen überirdisch. Della jedenfalls glaubt - das ist ihr besonderer Liebesblick - einer strahlend schönen Seele begegnet zu sein. Für Jack ist ihre Liebe "das Schönste, was ich in meinem Leben erlebt habe". Diese Seelengemeinschaft steuert auf eine Familie zu, sie schließen eine Ehe ohne Trauschein. Aber im Staat Missouri können sie nicht zusammenleben, ebenso wenig wie in der homogen-weißen Community von Gilead. Dellas Vater, methodistischer Bischof in Memphis, Tennessee, vertritt unbeugsam die Segregation, das heißt die selbständige Entwicklung der afroamerikanischen Kultur ohne Einmischung der Weißen.
Diese unmögliche Liebe ist zugleich Teil einer Denkaufgabe. Für gewöhnlich ändern oder entwickeln sich Figuren im Verlauf eines Romans. Anders als in seiner schrecklichen Jugendgeschichte bleibt Jack nunmehr loyal in einer Liebe, die er selbst als zerstörerisch empfindet. Della dagegen riskiert und verliert ihren Status und den Beruf, den sie liebt. Aber diese Momente sind noch nicht alles. Robinson beantwortet die Frage, ob Menschen sich ändern können, mit einer sibyllinischen Gegenfrage: "Verändern sich Menschen? Nehmen sie die Gelegenheit wahr, eine andere Seite ihres Charakters zu manifestieren? Oder nehmen sie die Gnade an, angenommen zu werden, Fehler und alles. Ich sehe das als eine offene Frage an." Die Bedingung der Möglichkeit von Gnade, das ist die Denkaufgabe. In dem, was den Figuren zustößt und wie sie handeln, wird davon erzählt. Jack ist unsicher bis zuletzt, was Schuld und Gnade betrifft, aber das letzte Wort des Romans ist doch grace, Gnade.
Marilynne Robinson ist religiös, und sie hält Predigten in ihrer Gemeinde. Dieser Roman ist aber definitiv keine Predigt und auch keine Erbauungsliteratur, sondern eine komplizierte Beziehungsgeschichte, freilich mit der Zumutung, über Liebe und Gnade lesend nachzudenken. Kompliziert auch deshalb, weil wir unablässig Jacks innere Stimme hören, der sich als Selbstbeobachter durchschaut und kommentiert: "Und wieder passierte es ihm, dass ein kostbarer Gedanke, in Worte gefasst, dahinwelkte." Mit dieser Paradoxie von analytischem Scharfsinn und Blindheit kann er nicht anders, als sich und die anderen unglücklich zu machen. So bildet der Roman einen ganzen Resonanzraum, in dem Erlebnisse und Handlungen oft nur beiläufig erwähnt werden, durch seine Fülle sprachlicher Register. Das stellt die Übersetzung vor große Schwierigkeiten, und selbst eine erfahrene Übersetzerin wie Uda Strätling, die alle Gilead-Romane übersetzt hat, kommt an ihre Grenzen.
Da ist einmal der Klang umgangssprachlicher Rede, für den Robinson ein außerordentliches Gespür hat. Jack sagt im Englischen: "Your voice is soft even when your're angry. That's unusual." Das übersetzt Strätling so: "Ihre Stimme ist selbst im Zorn milde. Das ist ungewöhnlich." Aber das ist Buchdeutsch, die Stimme ist weich oder sanft, "selbst wenn Sie zornig sind". Erst die Sinneswahrnehmung, dann die Einschränkung. Am anderen Ende der Schwierigkeitenskala stehen religionsphilosophische Feinheiten des Romans, etwa der emphatische Wirklichkeitsbegriff, als das Friedhofsgespräch auf Jesus kommt. Della sagt: "I just think there has to be a Jesus, to say 'beautiful' about things no one else would ever see. The precious things should be looked to, whatever becomes of the rest of it." Daraus wird im Deutschen: "Ich denke, es muss einen Jesus geben, sonst könnte man zu Dingen nicht 'wunderschön' sagen, die sonst keiner sieht. Kostbare Dinge müssen wir hegen, was immer mit dem Rest wird." Nein, nicht "wir"; unter dem allsehenden Blick Gottes gibt es das unbeachtete Schöne, und Gott kümmert sich darum, weil wir Menschen es nicht tun.
Was Marilynne Robinson zu sagen hat, ist zu schade, um es zu verwässern, auch wenn man ihren Glauben nicht teilt. Man sollte die Sprach- und Gedankenkünstlerin Robinson zweisprachig drucken. So wie Lyrik? Genau so. URSULA RENNER
Marilynne Robinson: "Jack". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 383 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum es das Schöne gibt: Marilynne Robinson führt mit dem Roman "Jack" ihren Gilead-Erzählzyklus weiter und findet eine große Liebe.
Öffne ein Buch, und eine Stimme spricht", hat Marilynne Robinson gesagt. Und ein Germanist hat die glückliche Wendung gefunden, dass Lesen "zu sich selbst sprechen in fremdem Namen" heißt. Was aber, wenn diese Stimme von dem größten Sünder in Gilead kommt, dem Sohn eines presbyterianischen und Patenkind eines kongregationalistischen Pastors? Wir kennen sein Elend in Umrissen schon aus Robinsons früheren Romanen. Als Jugendlicher hat er eine Fünfzehnjährige geschwängert und sie mit dem Kind, das nur wenige Jahre alt wird, sitzen gelassen. Es folgen Diebstähle, Examensbetrug im Studium, Trunksucht, unstetes Umherziehen, Gefängnis. Er heißt Jack. Wie das neue Buch von Marilynne Robinson.
Während die heute Neunundsiebzigjährige in den USA mit Preisen überhäuft wurde, blieb sie bei uns eher unbekannt. Dabei ist Robinson eine beeindruckende Selbstdenkerin. Sanft, aber unbeirrbar erhebt sie ihre Stimme in der amerikanischen Öffentlichkeit und erinnert an Fragen, von denen wir vergessen haben, dass man sie stellen könnte. Ihr Sachbuch "Mother Country: Britain, the Welfare State, and Nuclear Pollution" von 1989, eine Kritik an der skandalösen Politik um die Atommülldeponie Sellafield in England, hält sie selbst für ihre wichtigste Arbeit.
Robinsons literarisches OEuvre ist schmal, obwohl sie an der Universität von Iowa ein Vierteljahrhundert Kreatives Schreiben unterrichtet hat. Den ersten, "Housekeeping" von 1980, hatte sie noch während ihrer Doktorarbeit über Shakespeare begonnen. Mit großem Abstand folgte "Gilead" (2004). Seither ist die fiktive Kleinstadt dieses Namens im Mittleren Westen der Fünfzigerjahre Robinsons Spielfeld und Bühne für ihre Figuren. Ein Kaleidoskop aus Perspektiven: John Ames und James Boughton mit ihren Familien sind zwei alte angesehene Pastorenfreunde im ständigen Gespräch über ihren protestantischen Glauben ("Gilead"). Eine junge obdachlose Streunerin, die den alten Ames heiratet ("Lila"). Und schließlich Jack, das schwarze Schaf der Familie Boughton. In "Zuhause" ist der verlorene Sohn dann zurückgekehrt. Aber nicht etwa, um sich mit dem sterbenden Vater zu versöhnen, sondern um einen Ort zum Leben zu finden, "ein Leben ohne Harm", jetzt, da er selbst Vater ist. Ganz am Ende von "Zuhause", als Jack, nach einem Selbstmordversuch, schon wieder auf und davon ist, erfährt seine Schwester, dass er eine Frau und einen Sohn hat und dass diese Frau eine Afroamerikanerin, in der Sprache der Zeit eine "Farbige" oder "Schwarze", ist.
In "Jack", im Original 2020 erschienen, wird diese Beziehungsgeschichte weitererzählt. Sie erweist sich als Geschichte einer großen Liebe, die nicht gelebt werden kann. Romeo und Julia, das Debakel der Rassentrennung, Amerika in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Genauer gesagt, St. Louis, Missouri, wo das Paar sich kennengelernt hat.
Nach einem peinlich verunglückten Date treffen sich beide wie zufällig ein Jahr später auf dem Friedhof Bellefontaine in St. Louis wieder. Die Tore wurden verriegelt, sie müssen nun die Nacht dort miteinander verbringen. Die Friedhofsszene ist gut achtzig Seiten lang, eine Tour de force des zueinander hingezogenen Nichtzusammenseins, in dem es überraschende Fluchtpunkte gibt: Sterne, Bücher, ein Dunkel, in dem man von sich selbst reden kann, aber keine Berührungen. Die Rede über Gelesenes überbrückt und stiftet das Begehren: die Bibel, Miltons "Verlorenes Paradies", Shakespeares "Hamlet" und seine Sonette, Robert Frost, Paul Lawrence Dunbar oder William Carlos Williams und W. H. Auden.
Della Miles ist eine junge kultivierte Englischlehrerin in Sumner, der ersten Highschool für Schwarze westlich des Mississippis; Jack ist ein unsteter Gelegenheitsarbeiter und irgendwie seltsamer Büchermensch, der sich in Bibliotheken wohlfühlt, Lesestoff nach Bedarf klaut, kurze Zeit sogar in einer Buchhandlung arbeitet. Im Gefängnis war er "der Professor", er wurde sogar einmal für einen Schriftsteller gehalten, und Della denkt bei ihrer ersten Begegnung an einen Geistlichen. Da hatte er allerdings einen Beerdigungsanzug an.
Was sich zwischen den beiden Liebenden abspielt, könnte eine Komödie oder eine Tragödie werden, doch es ist keins von beiden, eher ein bisschen überirdisch. Della jedenfalls glaubt - das ist ihr besonderer Liebesblick - einer strahlend schönen Seele begegnet zu sein. Für Jack ist ihre Liebe "das Schönste, was ich in meinem Leben erlebt habe". Diese Seelengemeinschaft steuert auf eine Familie zu, sie schließen eine Ehe ohne Trauschein. Aber im Staat Missouri können sie nicht zusammenleben, ebenso wenig wie in der homogen-weißen Community von Gilead. Dellas Vater, methodistischer Bischof in Memphis, Tennessee, vertritt unbeugsam die Segregation, das heißt die selbständige Entwicklung der afroamerikanischen Kultur ohne Einmischung der Weißen.
Diese unmögliche Liebe ist zugleich Teil einer Denkaufgabe. Für gewöhnlich ändern oder entwickeln sich Figuren im Verlauf eines Romans. Anders als in seiner schrecklichen Jugendgeschichte bleibt Jack nunmehr loyal in einer Liebe, die er selbst als zerstörerisch empfindet. Della dagegen riskiert und verliert ihren Status und den Beruf, den sie liebt. Aber diese Momente sind noch nicht alles. Robinson beantwortet die Frage, ob Menschen sich ändern können, mit einer sibyllinischen Gegenfrage: "Verändern sich Menschen? Nehmen sie die Gelegenheit wahr, eine andere Seite ihres Charakters zu manifestieren? Oder nehmen sie die Gnade an, angenommen zu werden, Fehler und alles. Ich sehe das als eine offene Frage an." Die Bedingung der Möglichkeit von Gnade, das ist die Denkaufgabe. In dem, was den Figuren zustößt und wie sie handeln, wird davon erzählt. Jack ist unsicher bis zuletzt, was Schuld und Gnade betrifft, aber das letzte Wort des Romans ist doch grace, Gnade.
Marilynne Robinson ist religiös, und sie hält Predigten in ihrer Gemeinde. Dieser Roman ist aber definitiv keine Predigt und auch keine Erbauungsliteratur, sondern eine komplizierte Beziehungsgeschichte, freilich mit der Zumutung, über Liebe und Gnade lesend nachzudenken. Kompliziert auch deshalb, weil wir unablässig Jacks innere Stimme hören, der sich als Selbstbeobachter durchschaut und kommentiert: "Und wieder passierte es ihm, dass ein kostbarer Gedanke, in Worte gefasst, dahinwelkte." Mit dieser Paradoxie von analytischem Scharfsinn und Blindheit kann er nicht anders, als sich und die anderen unglücklich zu machen. So bildet der Roman einen ganzen Resonanzraum, in dem Erlebnisse und Handlungen oft nur beiläufig erwähnt werden, durch seine Fülle sprachlicher Register. Das stellt die Übersetzung vor große Schwierigkeiten, und selbst eine erfahrene Übersetzerin wie Uda Strätling, die alle Gilead-Romane übersetzt hat, kommt an ihre Grenzen.
Da ist einmal der Klang umgangssprachlicher Rede, für den Robinson ein außerordentliches Gespür hat. Jack sagt im Englischen: "Your voice is soft even when your're angry. That's unusual." Das übersetzt Strätling so: "Ihre Stimme ist selbst im Zorn milde. Das ist ungewöhnlich." Aber das ist Buchdeutsch, die Stimme ist weich oder sanft, "selbst wenn Sie zornig sind". Erst die Sinneswahrnehmung, dann die Einschränkung. Am anderen Ende der Schwierigkeitenskala stehen religionsphilosophische Feinheiten des Romans, etwa der emphatische Wirklichkeitsbegriff, als das Friedhofsgespräch auf Jesus kommt. Della sagt: "I just think there has to be a Jesus, to say 'beautiful' about things no one else would ever see. The precious things should be looked to, whatever becomes of the rest of it." Daraus wird im Deutschen: "Ich denke, es muss einen Jesus geben, sonst könnte man zu Dingen nicht 'wunderschön' sagen, die sonst keiner sieht. Kostbare Dinge müssen wir hegen, was immer mit dem Rest wird." Nein, nicht "wir"; unter dem allsehenden Blick Gottes gibt es das unbeachtete Schöne, und Gott kümmert sich darum, weil wir Menschen es nicht tun.
Was Marilynne Robinson zu sagen hat, ist zu schade, um es zu verwässern, auch wenn man ihren Glauben nicht teilt. Man sollte die Sprach- und Gedankenkünstlerin Robinson zweisprachig drucken. So wie Lyrik? Genau so. URSULA RENNER
Marilynne Robinson: "Jack". Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 383 S., geb., 26,- Euro.
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