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»Dieses Buch des Mitleids, der Wut und der Ironie widme ich Gustave Flaubert, meinem Freund und meinem Lehrmeister.« - Alphonse Daudet 1840-1897, 125. Todestag im Jahre 2022
In Deutschland ist Daudet nie angekommen. Von Caroline Vollmann 125 Jahre nach seinem Tod ins Deutsche übersetzt, erscheint nun sein 1876 veröffentlichter voluminöser Roman Jack: »Mit einem 'ck'! Der Name wird englisch geschrieben und ausgesprochen ...« So beginnt im Dezember 1858 die dramatische Erzählung von einem Heranwachsenden, dessen Leben zu einer grausamen Odyssee gerät und die »Sitten der Zeit« anklagt.…mehr

Produktbeschreibung
»Dieses Buch des Mitleids, der Wut und der Ironie widme ich Gustave Flaubert, meinem Freund und meinem Lehrmeister.«
- Alphonse Daudet 1840-1897, 125. Todestag im Jahre 2022

In Deutschland ist Daudet nie angekommen. Von Caroline Vollmann 125 Jahre nach seinem Tod ins Deutsche übersetzt, erscheint nun sein 1876 veröffentlichter voluminöser Roman Jack: »Mit einem 'ck'! Der Name wird englisch geschrieben und ausgesprochen ...« So beginnt im Dezember 1858 die dramatische Erzählung von einem Heranwachsenden, dessen Leben zu einer grausamen Odyssee gerät und die »Sitten der Zeit« anklagt. »J'accuse« - es war schließlich Émile Zola, der dem Freund Daudet die Grabrede hielt.

Jack, die Hauptfigur, ist ein charmantes, liebenswürdiges und waches Kind, das den Vater nie kennengelernt hat und nicht seinen Namen trägt. Seine Mutter, Ida de Barancy, ist eine falsche Gräfin und eine echte Kokotte. Aus der Provinz nach Paris in ein Palais gezogen, wird sie reich ausgehalten von einem vornehmen »BonAmi«. Jack, das »arme Kind«, stört den Traum von Adel, Glück und Geld und erleidet trostlose Verlassenheit in einem Gymnasium, das eine Erziehung à la française für Kinder reicher Potentaten aus Afrika oder Asien anbietet. Verkannte Genies und gescheiterte Gestalten unterrichten hier. Unter ihnen der ruinierte Vicomte Amaury d'Argenton - ein pomadisierter Salonliterat, dessen »Credo der Liebe« die sentimentale Mutter von Jack während einer literarischen Soiree betört. Das Kind erfasst schnell, dass es seine Mutter verloren hat und in Paris zurückgelassen werden soll.

Es ist der Beginn eines langen Leidensweges in einem kurzen Leben, zugrunde gerichtet von der tragischen Unbekümmertheit einer renommiersüchtigen Mutter und der sadistischen Boshaftigkeit eines »Stiefvaters«.

Jack wird seine »Maman, maman« mit ihrem gescheiterten Literaten in der Nähe von Paris in einem Landhaus wiederfinden, aber das Wiedersehen des mittlerweile elfjährigen Sohnes mit seiner Mutter, vom Goetheverehrer an ihrer Seite mittlerweile Charlotte genannt, währt nur kurz. Trotz der liebevollen Erziehung durch einen benachbarten Landarzt, der seine Begabung erkennt, trotz der jugendhaft scheuen Liebe zu dessen Enkeltochter Cécile: Der Hass des Vicomte treibt Jack erneut aus dem Haus.

»Der Arbeiter ist der Mann der Zukunft«, zitiert Alphonse Daudet, der immer zugleich ein Bild der französischen Gesellschaft zeichnet, eine Parole der Zeit. Weit weg in einem Eisenhüttenwerk am Ufer der Loire in der Bretagne lernt Jack als Lehrling des Schmiedehandwerks die Hölle einer Fabrik im frühindustriellen Kapitalismus kennen, in einer »Stadt aus Eisen«. Deren Qual wird nur noch überboten von der unmenschlichen Fron als Heizer im Maschinenraum eines Transatlantikdampfers, ein dreijähriger Alptraum, aus dem Jack nur der Alkohol erlösen kann.

Noch einmal wird Jack seine Mutter in Paris wiederfinden und mit Hilfe des liebevollen Landarztes und Cécile versuchen, als Tagelöhner in der Pariser Vorstadt mit ihren kleinen Handwerksbetrieben den Weg in eine Zukunft zu finden - aber die von Daudet liebevoll geschilderte Odyssee von Jack endet in seinem zwanzigsten Lebensjahr im Hospital. Ein Alphonse Daudet macht sich nur wenig Illusionen über die menschliche Natur.

Autorenporträt
Caroline Vollmann wurde für ihre Übertragung von Théophile Gautiers Mademoiselle de Maupin für den Preis der Leipziger Buchmesse 2012 nominiert. In der Anderen Bibliothek erschienen zuletzt in ihrer Übersetzung Manette Salomon der Brüder Goncourt (Band 394, 2017) sowie Jean Gionos Ein Mensch allein(Band 408, 2018) Alain Claude Sulzer, 1953 geboren, lebt als freier Schriftsteller in Basel, Berlin und im Elsass. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, zuletzt 'Doppelleben' und 'Fast wie ein Bruder'. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für sein Werk erhielt er u.a. den Prix Médicis étranger, den Hermann-Hesse-Preis und den Kulturpreis der Stadt Basel. Manja Hellpap lebt und arbeitet als typografische Gestalterin in Berlin. Nach zwei Semestern Literaturwissenschaften entdeckte sie als Verlagsbuchhändlerin bei Rowohlt die Buchgestaltung für sich und studierte in der Folge in Potsdam Kommunikationsdesign. Nach Praktika in London und New York gründete sie ihr Studio für Buchgestaltung/Print/Corporate Design in Berlin und arbeitete parallel dazu als Dozentin für Typografie und Gestaltung. Sie ist immer mal wieder Jurymitglied in verschiedenen Kommissionen im Bereich Design und/oder Buch. 
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einer spannenden Wiederentdeckung der französischen Literatur widmet sich Rezensent Niklas Bender: Dieser Roman von Alphonse Daudet handelt von dem titelgebenden Protagonisten Jack, der sich als Kind einer etwas schwierigen Mutter Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris durchschlägt, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Die drei Teile, die der Roman unterscheidet, zeigen die Entwicklung Jacks zunächst als Schuljunge: Hier lernt seine Mutter seinen Lehrer d'Argenton kennen, mit dem sie eine Beziehung eingeht, der ihren Sohn aber auf dem Kieker hat und im zweiten Teil trotz seiner zarten Konstitution zur Metallarbeit in einer Fabrik zwingt. Das laugt ihn völlig aus, erzählt Bender, in der Zeit der Genesung trifft der jetzt jungen Mann seine Jugendliebe wieder, doch auch diese Beziehung wird durch den Stiefvater zerstört, letztlich bringt die körperliche Arbeit Jack in ein frühes Grab. Ausführlich referiert der Kritiker Passagen aus dem Roman, die gründliche Menschenkenntnis zeigen, aber auch gelegentlich zu Überspitzungen und (für die Entstehungszeit vielleicht üblichen) rassistischen Prägungen neigen, wie er festhält. Ein trotz einiger Übersetzungsfehler "bemerkenswerter" Roman über das Proletariat, wozu auch Daudets "soziologisch präziser Blick" beiträgt, versichert Bender.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2023

Satirisches Salz in der Wunde
Ein Bindeglied zwischen Realismus und Naturalismus in der französischen Literatur: Alphonse Daudets Roman "Jack"

Manchmal wacht das Kind im Leser auf: Die Literatur wird zur Schatzkammer, in der er unerwartet einen kostbaren Fund macht. So ein rares, wenn auch düsteres Stück ist "Jack. Sitten der Zeit" von Alphonse Daudet (1840 bis 1897). Der für "Briefe aus meiner Mühle" und "Tartarin von Tarascon" bekannte Daudet hat den Roman 1875 im "Moniteur" und 1876 in Buchform veröffentlicht. Die kindliche Perspektive bestimmt auch ihn: "Jack" erzählt das Heranwachsen des Sohns von Ida de Barancy, einer reizenden, aber oberflächlichen, ja kaltherzigen "Provinzkokotte", um deren Liebe er sein kurzes, verzweifeltes Leben lang ringt.

Erstens führt der Roman eine misslungene Bildung vor, die "Erziehung des Herzens" eines Zurückgewiesenen - tatsächlich ist "Jack" Gustave Flaubert gewidmet. Wie der auf "Madame Bovary" anspielende Untertitel aber nahelegt, ist er weit mehr: Die in mehrfachem Sinn leichtsinnige Ida wird von Amaury d'Argenton geprägt, ihrer großen Liebe - für Jack jedoch "der Feind". D'Argenton ist ein missratener Schriftsteller, der es dank Erbschaft zu Macht unter Pariser Pseudointellektuellen bringt. So wird die grausame Verziehung Jacks zweitens zum Exempel für die Mentalität einer armseligen Intelligenzija, die in der Moderne als Abfallprodukt des literarischen Feldes entsteht. Drittens wird das Arbeitermilieu beschrieben: "Jack" ist einer der ersten Romane über das Proletariat, das er ohne Sentimentalität oder Dünkel darstellt. Kurz: Daudet ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Flaubert und Émile Zola (die er beide gut kannte), zwischen Realismus und Naturalismus, denen er eine eigene Mixtur entgegenstellt.

"Jack" gliedert sich in drei Teile. Teil eins erzählt, wie der sieben- oder achtjährige Junge in das finstere Gymnasium Moronval gesteckt wird, eine Einrichtung für "kleine Tropenländer", denen man eine korrekte französische Aussprache beibringen will; der "Mulatte" Moronval führt sie, "wie er die Ausbeutung einer Zuckerrohrplantage betrieben hätte". Bei einer Lesung lernt Mutter Ida Jacks Lehrer d'Argenton kennen, einen Dichter aus verarmtem Landadel. Sie verliebt sich in ihn, die zwei verschwinden für längere Zeit; Jack durchlebt die Hölle, weil Moronval um die Bezahlung fürchtet. Er flieht und darf zu Ida ziehen: D'Argenton hat geerbt, die beiden leben im idyllischen Étiolles; er tauft Ida Charlotte (nach Goethes "Werther") und formt sie wie ein zweiter Pygmalion.

Nach einem Jahr ländlichen Glücks beschließt d'Argenton, der zarte, intelligente Jack solle Mechaniker werden, und schickt ihn nach Indret (bei Nantes) in eine vierjährige Lehre. Während Teil eins das Milieu verkrachter Schriftsteller- und Künstlerexistenzen schildert, taucht der Leser nun in die Welt der Fabrik ein: Teil zwei berichtet, wie der Junge für einen unpassenden Beruf ausgebildet wird. Daudet hat einen soziologisch präzisen Blick, er zeigt die determinierende Kraft von Arbeit und materiellen Umständen. Jack wird zum Proleten, bleibt aber Fremdkörper: Als Mechaniker taugt er nichts. Er heuert als Heizer auf einem Dampfer an, ein Knochenjob, der drei Jahre später dank Schiffbruchs endet. Krank und ausgelaugt kommt Jack nach Paris, wohin Ida und d'Argenton gezogen sind.

Teil drei weckt Hoffnung: Während der Genesung in Étiolles sieht Jack seine Kindheitsfreundin Cécile wieder, die Enkelin des wohlgesinnten Landarztes Rivals. Eine Idylle bahnt sich an, die zwei unehelichen Kinder sind füreinander gemacht. Jack nimmt die Metallarbeit in Paris wieder auf, lernt aber abends fleißig, mit dem Ziel, Sanitätsoffizier zu werden und Cécile zu heiraten. Allerdings gelingt es d'Argenton abermals, Jacks Hoffnungen zunichtezumachen, und die durch harte körperliche Arbeit verursachte Schwindsucht obsiegt.

Die Porträts, die Daudet zeichnet, sind von der unerbittlichen Menschenkenntnis, die den französischen Realismus ausmachen. Grausam ist er mit Ida, deren Gedanken Sprünge machen, "die jenen eines im Käfig eingeschlossenen Eichhörnchens" gleichen; als sie sich in d'Argenton verliebt, spießt Daudet "die törichte Sentimentalität, die den Bodensatz dieser Dirnenseelen bildet", auf. Auch die Schilderung der Intellektuellen als "dahinvegetierende, embryonenartige, unfertige Brut, ziemlich ähnlich den Ausgeburten des Meeresgrundes", streut satirisches Salz in die Wunde. Gelindert wird das Brennen durch gutmütige Charaktere, was George Sand Daudet hoch angerechnet hat.

Packend ist die Schilderung von Paris und Faubourg - "welch ein Gewimmel auf dem steinigen, holprigen Pflaster, das schon im Voraus für Revolutionen gelockert wird durch all die kleinen Handwagen" -, faszinierend die der Fabrik in Indret, einer "Stadt aus Eisen": "Zuerst der Lärm, ein fürchterlicher, ohrenbetäubender Lärm, dreihundert Hämmer, die gleichzeitig auf den Amboss herunterfallen, das Sausen von Riemen, das Entrollen von Zugwinden und der ganze Aufruhr eines Volkes in Tätigkeit, dreihundert keuchende, nackte Brustkästen, die sich gegenseitig in einem Rausch körperlicher Anspannung, in dem die Muskeln zu reißen drohen und der Atem auszugehen scheint, anfeuern und die Schreie ausstoßen, die nichts Menschliches mehr haben. Dann die mit glühendem Metall gefüllten Wagen, die die Halle auf Schienen rollend durchqueren, das Rotieren der Ventilatoren rund um die Schmieden, die die Glut ständig erneuern und die Flamme nähren. Alles kreischt, dröhnt, hallt, heult, bellt." Daudet stützt sich hier wie allgemein auf Erfahrung: Armut kennt er aus seiner Kindheit, die Werkhallen aus Recherchen vor Ort; auch die Hauptfigur hat ein reales Vorbild.

Rührend und problematisch zugleich wirken jene Randfiguren, die Jacks beste Freunde werden. Im Gymnasium lernt er Mâdou, einen Prinz aus dem afrikanischen Königreich Dahome, kennen, dessen Vater als König abgesetzt wurde. Mâdou fristet sein Dasein als Diener, flieht, weil er die Erniedrigungen nicht mehr erträgt, verliert schließlich mit seinem Glücksbringer alle Hoffnung. Die "mitleiderregende und liebenswerte kleine Affengestalt", mit einer "Kindlichkeit des Aussehens und der Sprache, die durch eine stumpfsinnige Knechtschaft noch verlängert worden war", ist ein Beispiel für den mitfühlenden, aber spürbaren Rassismus Daudets, der die Beschreibung des jüdischen Hausierers Bélisaire ebenfalls prägt.

Die Übersetzung ist flüssig, aber wie bei Caroline Vollmann gewohnt teils ungenau. Zwei Beispiele: Wenn es heißt, Arbeiter durchliefen "les stations dans les assommoirs, les consolations, les mines à poivre", sind die kursiven Begriffe Synonyme für Spelunken. Bei Vollmann werden "die Aufenthalte in den Schnapsbuden, die Tröstungen, die Besäufnisse" draus: Das verunklart, knirscht syntaktisch, verfälscht die Liste. Johanna Moellenhoff (1895) etwa übersetzt geschickter: Jack "ging nicht mit zu den verschiedenen Kneipstationen: in die 'Rattenfallen', die 'Tröstungen', die 'Pfefferminen'". Ein Verweis auf Émile Zolas Roman "L'Assommoir" ("Der Totschläger", 1877), dessen Titel und Thema Daudet antizipiert, wäre sinnvoll gewesen. Zweitens nutzt Vollmann mitunter naheliegende, aber unpassende Bedeutungen: "Sie wird noch hübscher werden als ihre Mutter . . . vorausgesetzt, es ergeht ihr nicht so wie dieser." Das ist widersinnig, denn gehofft wird doch, dass dem zukünftig hübschen Mädchen dann nicht dasselbe zustößt wie ihrer Mutter. Vollmann übersetzt "pourvu que" mit "vorausgesetzt": Die Übertragung existiert, Sinn ergibt jedoch nur eine zweite: "hoffentlich" (bekannt aus "Pourvu que ça dure!").

Daudet selbst ist nicht frei von Schwächen: Seine Zuspitzungen übertreiben es, im Guten und mehr noch im Schlechten. Er lässt seinen Roman einen Abwärtssog entwickeln, an dem er sich immer wieder berauscht, bis hin zu einer Schlusspointe, die sein Freund und Kollege Flaubert nicht ganz zu Unrecht als "von gewöhnlichem Geschmack" bezeichnet. Wohlgemerkt: Daudets Hang zur Gefälligkeit hält Flaubert nicht davon ab, "Jack" für "bemerkenswert" zu halten. 147 Jahre später kann sich der Kritiker dem nur anschließen. NIKLAS BENDER

Alphonse Daudet: "Jack" Sitten der Zeit. Roman.

Aus dem Französischen von Caroline Vollmann. Nachwort von Alain Claude Sulzer. Die Andere Bibliothek, Berlin 2022. 696 S., geb., 44,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Manchmal wacht das Kind im Leser auf: Die Literatur wird zur Schatzkammer, in der er unerwartet einen kostbaren Fund macht. So ein rares, wenn auch düsteres Stück ist 'Jack. Sitten der Zeit' von Alphonse Daudet.« Niklas Bender Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230810